336 Möglichkeiten und ein verstopfter Reformator

4. – 6. Juli in Eisenach

Vom Wiesentreffen fahren wir hurtig die paar Kilometer nach Eisenach und ergattern auf dem städtischen WoMo-Stellplatz ein opulentes Areal. Vor uns plätschert der Mühlgraben, ein Abzweig der Hörsel, die durch Eisenach fließt bevor sie in die Werra mündet. Wir finden ja, Eise wäre ein weit besserer Name als Hörsel – Eisenach an der Eise ist doch viel gefälliger, aber auf uns hört ja keiner (wir erinnern uns an Memmingen an der Memme 😏). Hinter uns liegt eine Bahnlinie, die aber nicht stört sowie ein schwach frequentierter Netto, der das auch nicht tut. Dazu gibt es Ver- und Entsorgung mit/von Wasser in allen Reinheitsstufen und das alles für 12 Öcken. Kann man nicht meckern.

Hogo unter seinesgleichen an der Eise

Für den Nachmittag haben wir uns erst mal die Innenstadt von Eisenach vorgenommen. Bei ca. 40.000 Einwohner Fassungsvermögen ist das eine übersichtliche Angelegenheit. Die Innenstadt ist fußläufig in wenigen Minuten erreicht und wir stärken uns erst mal mit einem Erfrischungsgetränk. Als Stadtführer fungiert mal wieder Geocaching, drei Multis führen uns an alle sehenswerten Orte. Da wäre zum Beispiel das Bachhaus nebst gleichnamiger Statue:

Bachhaus (Museum) Uschi Johann Sebastian Bach

Was sich die Eisenacher bei diesem Luftschutzbunker gedacht haben, wissen wir nicht, muss ein Ausrutscher sein, denn die Stadt hat ansonsten viel schöne Architektur zu bieten. Nun denn. Bach ist 1685 in Eisenach geboren, lebte hier aber nur 10 Jahre, bis er nach dem frühen Tod seiner Eltern zu seinem älteren Bruder ziehen musste und die Stadt verließ. Obwohl er also keine nennenswerten Spuren in Eisenach hinterlassen hat, feiert ihn die Stadt dennoch als einen der Ihren. Von irgendwas muss man ja leben. Ist mit Luther nicht viel anders, aber das kriegen wir später.

Schön sind die „Bachorgeln“, denen man unter freiem Himmel Werke des Meisters entlocken kann, indem man ein Fußpedal betätigt. Unter dem Titel „Bach in Thüringen“ gibt es sie in mehreren Städten, die einen Bezug zu Bach haben. Drei dieser Hörmodule findet man in Eisenach – sie sind auch in einen Geocache eingebunden.

2,05 m breit, 20 qm Wohnfläche, 2 Etagen

Vor allem aber beschäftigen wir uns mit einem Mathematiktrail. MathCityMap ist ein Projekt der Uni Frankfurt und will spielerisch mathematisches Wissen vermitteln und in der Stadt anwenden. Eine spannende Sache, die hier jemand in einen Cache implementiert hat (sonst hätten wir davon bestimmt nichts erfahren). So zählen und messen wir uns durch die Stadt, rechnen aus wieviele Touristen auf die Bänke am schmalsten Haus Deutschlands passen oder füttern (virtuell) die Parkuhr mit Münzen. Alles kein Problem. Aber dann! Drei Fahrräder sollen an vier Bügelständer angeschlossen werden. Man kann das Rad entweder rechts oder links vom Bügel abstellen, vorwärts oder rückwärts ist egal. Wieviele verschiedene Möglichkeiten gibt es? Jo, denkt man, so dreißig, vierzig werden es schon sein. Pustekuchen! Es sind genau 336 😲. Man stelle sich mal bildhaft vor, man würde das tatsächlich ausprobieren! Da klaffen – zumindest bei uns – große Lücken zwischen mathematischer Logik, Gefühl und Vorstellungskraft 😂. Wir werden nie wieder unsere Räder an diesen Dingern anbinden können, ohne daran zu denken.
Die Rechnung ist übrigens 8 x 7 x 6: Für das 1. Rad gibt es 8 mögliche Positionen, für das 2. noch 7 und das 3. Rad hat 6 Positionen frei. Logisch 🤷‍♀️

Nach so viel Rechnerei bleibt leider keine Zeit mehr für das Lutherhaus – das Museum soll sehr informativ und spannend sein. Leider schließt es um 17 Uhr.

Am Montag steht dann natürlich erstmal die Wartburg auf dem Programm.

Blick auf die Ostseite (Palas), links der alte Südturm. Der hohe Bergfried ist aus dem 19. Jahrhundert

Weltberühmt wurde die Wartburg durch einen, der hier nur kurz wohnte: Martin Luther war 1521/22 für 10 Monate eher unfreiwillig hier zu Gast. Auf dem Reichstag zu Worms hatte ihn der papsttreue Kaiser Karl V. unter Reichsacht gestellt, weil er seine Thesen und Lehrmeinungen nicht widerrufen wollte. Luther war zu der Zeit fast schon ein Superstar, wenn auch ein umstrittener. Der Papst war natürlich nicht gut auf ihn zu sprechen und hatte ihn unter Kirchenbann gestellt, und der „Kaiser von Gottes Gnaden“ sollte nun die weltliche Reichsacht verhängen. Damit waren aber beileibe nicht alle Landesfürsten einverstanden, einigen ging der Einfluss Roms schon lange zu weit und sie wollten ihre eigene Machtposition mit Luthers Hilfe ausbauen. Dem wiederum war an Politik eigentlich gar nichts gelegen, dafür verfocht er umso vehementer seine theologischen Lehren. Das tat er auf dem Reichstag in zwei Anhörungen auch so überzeugend, dass es zu keinem gemeinsamen Urteil kam. Erst nachdem schon fast alle abgereist waren, fertigte der Kaiser im Alleingang die Bannschrift aus – die dann sicherheitshalber rückdatiert wurde, damit es nicht auffiel. Tat es aber doch. Und die Feigheit ging sogar so weit, dass Luthers eigener Landesfürst Friedrich der Weise zu Sachsen, davon gar nie eine Ausfertigung erhielt. De facto galt die Acht dann in Sachsen gar nicht. Und überhaupt war das Ganze sehr halbherzig arrangiert: normalerweise wurde ein verurteilter Ketzer im Handumdrehen auf dem Scheiterhaufen verbrannt, Luther hingegen erhielt 21 Tage freies Geleit. Zeit genug für Friedrich den Weisen, ihn in einer inszenierten Entführung auf die Wartburg zu bringen. Friedrich stand Luthers Lehren zwar nicht ablehnend gegenüber, wollte aber erst mal Ruhe in die Sache bringen und den streitbaren Theologen aus der Schusslinie haben.

Luther war das auf Dauer gar nicht recht. Obwohl es ihm an nichts fehlte – 3 Zimmer, all you can eat und sogar ein Plumpsklo – fühlte er sich nicht wohl. Von einer chronischen Verstopfung mal abgesehen, über die er sich lang und breit in vielen Briefen ausließ, passte es ihm nicht, dass er auf kurfürstliches Geheiß in Kleidung und Aussehen den adligen Gefangenen „Junker Jörg“ mimen musste. Die Einsamkeit setzte ihm zu. Dabei war es mit dem Inkognito in Wirklichkeit wohl nicht weit her, Luther schrieb und veröffentlichte weiter seine Lehren, verließ ein paar mal die Burg und reiste sogar einmal nach Wittenberg. Die Übersetzung des Neuen Testamentes ins Deutsche hielt ihn noch eine Weile bei der Stange, aber kaum war er damit fertig (in Rekordzeit von 11 Wochen), packte er seine Siebensachen, fuhr nach Wittenberg und blieb dort für den Rest seines Lebens (dass er in Eisleben gestorben ist, ist mehr ein Zufall).

3 Jahre Lateinschule im Alter von 15 bis 18 und 10 Monate Wartburg, das ist – von ein paar Stippvisiten abgesehen – Luthers Beziehung zu Eisenach. Aber so ist es halt – kann man sich auch bei Goethe oder Schiller ansehen, überall wo die mal ins Gebüsch gepinkelt haben, kriegen sie einen Gedenkstein. Dennoch ist bzw. wäre es schade, die prachtvolle Wartburg auf das Studierstübchen eines aufmüpfigen Klerikers zu reduzieren. Das tut man auch nicht, in der Burganlage wird viel Allgemeines erklärt. Die eigentliche Aufgabe (bzw. die der Besitzer) bestand darin, über Eisenach zu wachen, Durchreisenden Geleit zu geben (gegen ein Entgelt natürlich) und generell ganz einfach das ihnen unterstellte Gebiet zu verwalten.

Wie fast alle Burgen, verlor die Wartburg im 18. Jahrhundert an Bedeutung. Die Adligen zogen in schicke, moderne Stadthäuser. In einem alten, zugigen, schlecht beheizbaren und ungünstig gelegenen Altbau wollte keiner mehr wohnen. Erst mit der aufkommenden Romantik Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts entsann man sich wieder der Burgen. Auch der Wartburg und ihrer historischen Bedeutung. Sie wurde über viele Jahrzehnte restauriert und umgebaut. Ihr heutiges „Gesicht“ mit dem hoch aufragenden Bergfried und dem Schlosshotel ist erst 150 Jahre alt.

Der Palas aus dem 12. Jahrhundert. Der Turm ist neu.
Im Burghof. Im Fachwerkbau ist die Lutherwohnung.
Herrlicher Blick vom 400m hohen Burgberg
Volker hat mal eine Skizze der Burg gemacht 😂. Mit dem Fotoapparat.

Natürlich gibt es auch auf der Wartburg Geocaching und man latscht sich ganz schön die Hacken ab. Von den steilen 2 km Radtour und dem Kilometer über die Treppen hoch zur Burg ganz zu schweigen.

Als wir gegen 17 Uhr wieder in der Stadt sind, wollen wir nur noch eines: Essen und Trinken. Und das machen wir dann auch.

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