25. Januar bis 1. Februar 2024
Das mittlerweile schon klassische Geburtstags-Wech soll uns dieses Jahr (endlich) ins Saarland führen, verbunden mit dem längst überfälligen Besuch bei meinem lieben Patenonkel Stefan. Da der aber beschlossen hat (bzw. beschlossen wurde 😉), seinen 87. groß zu feiern, verschieben wir unsere Ab- bzw. Anreise auf Ende Januar.
Teil 1: Wellness, Wandern, Wiedersehen
Zum Auftakt dieses kleinen, feinen Wech steuern wir am Mittwoch Abend Kleinblittersdorf an. Da ist nämlich die Saarlandtherme nebst voll ausgestattetem WoMo-Stellplatz gleich neben dran. Die Kombi aus Wellness und Camping ist sehr auf dem Vormarsch, höchste Zeit dass wir uns diesem Trend mal anschließen!
Und wirklich: der (Donners-)Tag in der Therme ist wirklich erstklassig. Innen- und Außenbecken mit Thermalwasser aus 750 m Tiefe und allen möglichen Sprudel- und Massagedüsen, ein Solebecken mit Unterwassermusik zum „Schweben“, im 1. OG ein nettes Restaurant und eine feine Saunalandschaft und dann noch eine Aufgusssauna auf dem Dach. Alles ist maurisch/marokkanisch gestylt, richtig schön gemacht und die Ruheräume sind die schönsten ever!
Jede Stunde gibt es einen speziellen Aufguss, wir entscheiden uns gleich zu Beginn für das Paradepferd, den Eukalyptus-Aufguss in der 90° Sauna auf der Dachterrasse. Wir haben ja schon so einiges erlebt, aber das hier ist wirklich sensationell! Unter den Klängen von Metallica (Unforgiven) und Disturbed (Sound of Silence) 😎 heizt Ronja in der Hütte ordentlich ein, schlägt dann die Freiwilligen mit Eukalyptus-Büscheln auf den Rücken (es tut kaum weh 😂) und am End kriegt man noch einen Kübel Eiswasser übergekippt. Das werden wir so schnell nicht vergessen!!! Auch die anderen Aufguss-Rituale sind außergewöhnlich: Nach der ersten Runde alle Mann raus und mit Salz oder Honig eingerieben in die 2. Runde.
Nach fast 6 Stunden Wellness genießen wir im Restaurant noch eine marokkanische Tajine und hocken uns dann gemütlich ins WoMo.
Hier kommen wir garantiert nochmal hin! Wir haben ja noch nicht mal alle Angebote des Thermalbads ausprobieren können, so viel gibt es hier!
Wer ohne mobiles Heim kommt, kann übrigens im Glamping-Resort gleich nebenan in super schicken tiny-Häuschen wohnen. Würden wir glatt tun, wenn wir nicht unser tiny Haus auf Rädern hätten. Billiger isses allemale.
Zum gebührenden Tagesabschluss und gründlichen Vorbereitung auf lokale Sprache und Gewohnheiten ziehen wir uns am Abend dann noch drei Folgen Familie Heinz Becker rein. Ei jo! 😂😂😂
Am Freitag werden dann die Füße geschwungen.
Immerhin sind wir im Bioshärenreservat Bliesgau, das mit seinen Wäldern und Auenlandschaften zum Wandern einlädt. Volker sucht uns ein mit 12 Geocaches bestücktes 6 km-Ründchen aus, mit einem großen Wanderparkplatz, wo der HoGo auf unsere Rückkehr warten kann.
Der Buchenwald ist selbst im Januar nicht trist, die Bäume haben grüne Moosschuhe an, und ein rotbrauner Laubschleier vom Vorjahr hält sich tapfer. Im Frühling ist es hier sicherlich wunderschön!
Vor allem aber ist es NASS! Auch wenn der anfängliche Nieselregen bald nachlässt und später sogar die Sonne rauskommt. Es ist matschig und glitschig, und der Weg runter zur Blies gleicht mehr einem Bachlauf, denn einem Wanderpfad. Geh fott, würde Heinz Becker sagen!
Wir kommen am Angelweiher des ASV Auersmacher vorbei – ein hübscher Hingucker.
Noch mehr gucken wir aber, als die kleine Anglerklause nebenan geöffnet hat – und zwar täglich außer Montag! Das lassen wir uns natürlich nicht entgehen. In der urigen Mini-Gaststube mit echtem Kaminfeuer und Fassenachts-Deko wird Karten gespielt, was genau kann ich nicht rauskriegen, denn man ist recht wortkarg. Vor allem der Wirt. Während er uns die gewünschten Biere (äußerst leckeres KARLSBERG mit 35 IBU) auf die Theke stellt, entweichen ihm gerade mal 2 Wörter (oder Worte): „Macht vierachtzig“ 🤣😂🤣. Herrlich!
Volker fragt entgegen seiner Gewohnheit nicht nach Kartenzahlung! Besser isses 😶!
Entlang der Blies geht es zurück Richtung Parkplatz, die Sonne kämpft sich durch die Wolken und ein Hauch von Frühling liegt in der Luft. Schön 😍.
Wir schlagen dann gegen 17 Uhr beim Onkel auf, parkieren den HoGo vor seiner Garage und verbringen einen netten gemeinsamen Abend.
Das große Familientreffen am Samstag ist eine rundum gelungene Sache mit viel Hallo und Wiedersehensfreude. Und der ein oder anderen verschämten Frage: „Wer bist denn Du nochmal 🤔“. Ungefähr 30 Onkels, Tanten und vor allem Kusinen und Cousins nebst PartnerInnen sind gekommen, sogar M. aus Erfurt und I. aus Amerika (da war aber auch eine Geschäftsreise im Spiel)!
Statistik: Generation 1 waren 11 Geschwister, 5 Männer und 6 Frauen, also meine Onkel und Tanten und mein Papa. 5 davon leben noch, alle sind mittlerweile über 80.
Generation 2, also meine, sind (noch) 33 Personen, meine Kusinen und Cousins. Die sind fast alle verbandelt, also kommt man komplett auf über 60 Leut. Wenn man Generation 3 – all deren Kinder- noch dazu nimmt, wird es ernsthaft unübersichtlich 😂. Und eine 4. Generation steht auch schon in den Startlöchern! Der Müllers-Clan!
Teil 2: Sightseeing Saar:
-stahl, -brücken, -polygon
Sonntag, 28. Januar 2024: Wo wir schonmal da sind, möchten wir natürlich die Sehenswürdigkeiten der näheren Umgebung erleben. Das ist zuvörderst ein hochdekoriertes Industriedenkmal, die
Völklinger Hütte, UNESCO-Weltkulturerbe seit 1994
Wegen des noch andauernden Bahnstreiks fahren wir die wenigen (ca. 7) Kilometer längs der Saar mit eRich und eMil.
Das Besondere an dem ehemaligen Werk zur Stahl- bzw. Roheisenerzeugung: Es ist tutti kompletti erhalten. Nebst Zubehör. Theoretisch könnte man es wieder in Betrieb nehmen. Na ja – fast jedenfalls.
1881 kaufte die Saarbrücker Unternehmerfamilie Röchling ein kurz zuvor gebautes Walzwerk in Völklingen und baute ratzfatz den ersten Hochofen. Aus einem wurden am End‘ 6, und dazu alles, was man zur Verhüttung von Eisenerz zu Roheisen braucht. Im Schema sieht das so aus:
Das Werk war schon 1890 Europas größter Hersteller von Eisenträgern und wurde ständig modernisiert und erweitert. Eine eigene Kokerei veredelte die saarländische Steinkohle zu Koks, Blasebälge wurden durch riesige Gebläsemaschinen ersetzt, die durch Gasmotoren angetrieben wurden. Ab 1911 wurde das Gichtgas – das „Abgas“ der Hochöfen – durch Filter gereinigt und rückgeführt: als Brennstoff für die Gebläsemotoren, für die Winderhitzer und für die Kokerei. Diese Technologie wurde weltweit kopiert.
Noch vor dem 1. WK entstand auch die Hängebahnanlage mit ihren riesigen Schrägaufzügen zur Beschickung der Hochöfen.
Ab 1928 wurde in einer Sinteranlage alles, was zu klein war (Filterstaub, Grus etc.) zu größeren Stücken verbacken und konnte dann auch in den Hochöfen reduziert werden.
Und wo ist nun der Hochofen? Er versteckt sich hinter dem ganzen Geraffel aus Winderhitzern und Schornsteinen. Man erkennt ihn nur an den gebogenen Rohren (wie bzw. zwei auf dem Kopf stehende Y, im nächsten Bild links oben, im, großen oben rechts neben dem Schornstein), die das Gichtgas oben abziehen.
Wir marschieren in der Gruppe mit unserem kundigen Führer bis ganz hoch auf ca. 27 m und am Hochofen wieder runter, bis zum Abstich.
Hier wurde zuerst weiter oben die Schlacke abgestochen, sie ist leicht und schwimmt auf dem flüssigen Eisen, das unten rauskommt. Dazu musste man die mit Lehm und Teer verstopfte Öffnung aufstechen, so ca. 20 cm Durchmesser, und da schoss das flüssige Roheisen dann raus. Das ist heute im Prinzip noch alles genau so, nur ersetzen Maschinen die schwere, gefährliche Handarbeit.
Im Jahr 1965 arbeiteten in Produktion und Verwaltung der Völklinger Hütte insgesamt 17.000 Mitarbeiter!
Dass die Produktion Schwerstarbeit war, sollte klar sein. Zudem war es gefährlich und schmutzig! Schutzkleidung, Helme, Atemschutz wurde erst in den 60er Jahren eingeführt und – angeblich – nicht wirklich freudig angenommen.
Es war natürlich auch eine unfassbare Umweltverschmutzung. Einzige Gegenmaßnahme war, die Schornsteine immer höher zu bauen. Hat aber nix genutzt, wie man hier sieht:
Die Stahlkrise 1975 (Ölkrise, internationale Konkurrenz) markierte den Anfang vom Ende: Man musste mit anderen Werken fusionieren, um mithalten zu können. Doch die Roheisenherstellung wurde 1986 eingestellt, das inzwischen veraltete Werkstillgelegt. Heute werden nebenan durch die Saarstahl AG Spezialstähle produziert. Das Roheisen kommt flüssig in sogenannten Torpedowaggons aus der Eisenhütte im nahen Dillingen.
Ich könnte natürlich über unseren ca. 5-stündigen Besuch noch viel mehr schreiben und noch noch viel mehr Bilder zeigen. Aber das lass ich mal sein. Ein paar Worte aber noch zur „Politik“. Natürlich wurde das Stahlwerk für die Kriegsproduktion eingesetzt. Nach den Weltkriegen stand die Völklinger Hütte jeweils für einige Jahre unter französischer Zwangsverwaltung. Die Familie Röchling erhielt sie aber jeweils zurück. Und das, obwohl hier in beiden Weltkriegen unter unmenschlichen Bedingungen ZwangsarbeiterInnen schuften mussten. 12.000 im 2. WK.
Schon nach dem 1. WK hätte Herrmann Röchling eigentlich 10 Jahre in Haft gemusst, kaufte sich aber durch eine Mehrheitsbeteiligung von 60 % der Völklinger Hütte an den französischen Staat quasi frei. Man muss – oder sagen wir mal: man kann – ihm zu Gute halten, dass er für seine deutsche Belegschaft einige soziale Maßnahmen umsetzte: Ein Krankenhaus, eine Milchküche für die Babies, eine Schule, Arbeitersiedlungen. Inwieweit das reine Menschenliebe und soziale Fürsorge war oder Taktik zur Bindung an den Betrieb? Ma waas es net.
In der Nazizeit war Herrmann Röchling weit mehr als ein Mitläufer, er war ein strammer, aktiver Nazi und überzeugter Anitisemit, Hitler und er waren sich persönlich gut bekannt und schätzten sich gegenseitig. Auch Röchlings 2. Verurteilung als Kriegsverbrecher verlief glimpflich: 1949 zu 10 Jahren Ehrenhaft verurteilt, kam er 1951 aus gesundheitlichen Gründen frei, durfte aber – immerhin – das Saarland nicht mehr betreten. Er starb 1955 in Mannheim. 1956 erhielt die Familie das Werk zurück.
Die Familie Röchling und selbst Herrmann Röchling in persona waren und sind immer noch im Saarland, speziell in und um Völklingen anerkannt. Nur zögerlich trennt man sich von Zeugnissen vergangener Ehrerbietung wie Straßennamen und Ehrenbürgerwürden. Da möge sich jeder sein Urteil drüber bilden.
Heute ist die Völklinger Hütte neben dem Technologiedenkmal auch ein Ort für Kunst und sie beherbergt viele Installationen und Ausstellungen. Zurzeit eine über den deutschen Film von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Montag, 30. Januar: Ab in die Hauptstadt
Da der Herr Weselsky wundersamerweise beschlossen hat, nun doch zu verhandeln, wagen wir den Ausflug in die kleinste größte Stadt eines deutschen Bundeslandes mit der DB. Die Fahrräder nehmen wir mit, um in Saarbrücken flotter unterwegs zu sein. Der Bahnhof in Bous ist eine mittlere Katastrophe für dieses Vorhaben, zu beiden Gleisen muss man durch die Unterführung runter und wieder rauf – ohne Aufzug oder wenigstens Schieberinne. Immerhin: Die RB 71 ist superpünktlich und hat genug Fahrradabteile – in 2 der 3 Wagen eines 😂. Und in Saarbrücken gibt es am Bahnhof sehr kommode Rolltreppen ohne Stufen – keine Ahnung wie man das nennt.
Saarbrücken, so lernen wir, entstand 1909 aus dem Zusammenschluss der bis dato eigenständigen Gemeinden Malstatt-Burbach, St. Johann und Saarbrücken. Gut, man könnte auch sagen, die ersten beiden wurden eingemeindet, es heißt ja immer noch Saarbrücken, aber egal! Jedenfalls ist rechtssaarig St. Johann und links des Flusses (Alt-) Saarbrücken. Der Hauptbahnhof ist rechts, also beginnen wir unsere Stadterkundung am St. Johanner Rathaus. Ein ganz schönes Trumm, sehr sperrig zum Fotografieren. Es verzieht sich! Hintenraus ist es nochmal größer als an der Front, echt riesig.
In Schatten dieses neugotischen Monstrums binden wir die Fahrräder an und machen uns zu Fuß auf die Erkundung des St. Johanner Markts, wie die nähere Umgebung heißt. Ein sehr hübsches Viertel mit engen Gassen, gepflegten hellen Häusern und noblen kleinen Geschäften. Die Preise sind zum Teil exorbitant: 600 Euro für eine zerrissene Jeans sind hier üblich 😨.
Wir geocacheln uns durch das Stadtviertel, was eine ganze Weile dauert (ok, da war noch eine klitzekleine Einkehr dabei ☕☕🧇) und schnappen uns dann wieder die Fahrräder. Staatstheater und Kunsthochschule ignorierend radeln wir zum Saarufer.
Hier können wir nun endlich Saarbrückens dollste Errungenschaft aus den frühen 60er Jahren bewundern: Die Stadtautobahn!
Um die zu bauen, hat man wirklich konsequent durchgegriffen: Die vordere Schlossmauer wurde abgerissen, die hintere halb, ein paar historische Gebäude dem Erdboden gleich gemacht, und der Neumarkt verschwand unter 2 der 4 Fahrspuren. Blöderweise war dann auch noch die alte Brücke über die Saar zu kurz, da musste man ein Stück dransetzen, um auch das neue Prunkstück saarländischen Innenstadtverkehrs zu überbrücken – im wahrsten Sinn des Wortes.
Die A620 zieht sich immer press am linken Saarufer durch die komplette Stadt, was am gegenüberliegenden Ufer natürlich unüberhörbar ist. Das Spazierengehen in den Parkanlagen an der Saar ist ungefähr so lauschig, als würde man ein paar Meter neben der A 66 flanieren.
Das Schloss (im Hintergrund) blieb zum Glück verschont und auch der Landtag – das Gebäude vorne links. Liegt halt jetzt ein bissel unwürdig, so direkt an der Bundesautobahn.
Das Allerbeste aber ist: Die Autobahn wird regelmäßig überflutet. Es genügt schon ein klitzekleines Hochwasser, und hier fährt nix mehr. Man sieht ja auf dem Bild, dass da nicht viel fehlt – und es ist kein Hochwasser! Fragt man einen Saarbrücker nach einem Nebenfluss der Saar mit 13 Buchstaben? Lautet die Antwort: Stadtautobahn 😂. Ein Schildbürgerstreich. Honi soit qui mal y pense!
Wir überqueren die „alte Brücke“ nebst Verlängerung und kommen hoch zum Schloss. Dessen Mittelteil wurde im Krieg zerbombt und man hat es durch einen Glasbau ersetzt – kann man so machen 👍.
Und jetzt muss ich mal wieder Geocaching loben: Dadurch sind wir nämlich auf das Unsichtbare Mahnmal aufmerksam geworden!
1990 begannen Kunststudenten unter der Leitung ihres Professors Jochen Gerz damit, heimlich und illegal Pflastersteine aus dem Schlossplatz auszubuddeln, meißelten auf die Unterseite die Namen jüdischer Friedhöfe ein und setzten sie dann – mit der Beschriftung nach unten – wieder ein. Sie wählten den Vorplatz des Schlosses, weil dort die Leitstelle der Gestapo war. Das bekam die Stadt dann doch mit, fand die Idee aber gut und ab August 1991 wurde das Projekt offiziell weiter betrieben. Insgesamt wurden 2.146 Ortsnamen jüdischer Friedhöfe aus dem Bundesgebiet Deutschland, die bis zum Jahr 1933 bestanden hatten, in die dunklen Pflastersteine des Mittelstreifens auf dem Schlossplatz eingefräst und im Boden versenkt. Am 23. Mai 1993 wurde das Mahnmal der Öffentlichkeit übergeben.
Nur ein unauffällig angebrachtes Schild weist auf den Platz des Unsichtbaren Mahnmals hin, bewusst, denn so soll die Verdrängung der Geschichte symbolisiert werden.
Selbst mein sehr belesener und interessierter Onkel – manche nennen ihn ein Lexikon auf zwei Beinen – kannte das nicht! Und wir wären wohl ohne den Geocache an der Stelle achtlos vorbeigegangen.
Danach geht es durch Alt-Saarbrücken, ein ganz anderer Stadtteil als St. Johann, viel großbürgerlicher und mit stattlichen Häusern. Leider hat die Ludwigskirche montags nicht geöffnet, die hätten wir uns gern auch von innen angeschaut!
Danach suchen wir die Dose des Mahnmal-Caches leider vergeblich, dafür finden wir mit viel Einsatz das Saarbrücker Finale der Deutschlandtour: je ein Cache dieser Serie liegt in jeder deutschen Landeshauptstadt. Ob wir die jemals alle finden ist zwar fraglich, aber wir wollen es wenigstens versuchen.
Dann ist aber HUNGER angesagt und getreu dem saarländischen Motto „Hauptsach gut gess'“ geht es zurück über die Alte Brücke ins Traditions-Gasthaus Zahm, wo wir uns das deutsch-französische Essen schmecken lassen. Es gibt Steak frites für mich und Cassoulet für Volker, leckeren Auxerrois und der Cremant wird als Erfrischungsgetränk angeboten. Ein bisschen französisches savoir vivre findet man hier überall!
Pünktlich sind wir am Hauptbahnhof, guter Dinge, denn der Streik ist ja nun vorbei. Doch wir warten vergebens auf die RB71 um 19:31 Uhr 🤨! Die zuckelt erst eine knappe halbe Stunde später im Schneckentempo ein. Dann steht sie ewig rum und von der Bahn erfährt man natürlich mal wieder gar nichts, ob und wie es nun weitergeht, die App meldet immerhin einen Defekt. Zum Glück informiert uns der Schaffner, dass die Bahn kaputt und die Weiterfahrt fraglich ist. Also wechseln wir auf die andere Seite und steigen in die nächste RB71 um 20:31 Uhr. Wir nehmen es gelassen 🤷♂️🤷♀️.
Dienstag, 31.1.: Das Saarpolygon
Bevor es wieder nach Hause geht, möchten wir noch dem Saarpolygon im benachbarten Ensdorf einen Besuch abstatten. Das hatten wir von einigen Blickwinkeln aus mehrfach erspäht – ist ja auch kaum zu übersehen da oben!
Mit den Fahrrädern sind wir fix am Fuß der Halde Duhamel, dann geht es 150 Meter stramm hoch, teilweise müssen wir schieben, denn der Weg ist nicht nur steil, sondern auch nass und steinig.
Oben werden wir für die Anstrengung mehr als belohnt! Was für eine geile Aussicht!
Wie man unschwer erkennen kann (und das beileibe nicht nur hier), spielt die Stahlindustrie im Saarland nach wie vor eine wichtige Rolle. 12.000 direkt und weitere 20.000 indirekt Beschäftigte bei etwa einer Million Einwohner und knapp 400.000 ArbeitnehmerInnen – das ist schon eine ganze Menge. Roheisen wird nur noch in Dillingen produziert, und zwar (noch!?) auf herkömmliche Weise, durch Reduktion mit Kohlenstoff.
Den Koks für ihre Stahlwerke machen die Saarländer in Dillingen selber, jährlich 3,3 Mio. to Steinkohle müssen allerdings eingekauft werden, denn die Steinkohleförderung wurde im Saarland 2012 komplett eingestellt. Nicht aus (umwelt-)politischen Gründen, sondern wegen der horrenden Bauschäden allerorten. Sogar ein Erdbeben wurde durch einstürzende Schächte ausgelöst. Wahrscheinlich wäre das halbe Saarland irgendwann im Erdboden verschwunden, wenn man weiter nach Steinkohle gebuddelt hätte.
Die Steinkohle wird heute also eingekauft, vor allem in Australien und Nordamerika, laut Angaben der Zentralkokerei. Aus Russland kommt nicht mehr viel, laut Statistischem Bundesamt hat sich die Einfuhr russischer Kohle von 20 Mio. Tonnen 2021 und 13 Mio. to 2022 auf nur noch eine knappe halbe Million 2023 verringert.
Wo immer sie herkommt, so viel Kohle verursacht einen gigantischen CO2 Ausstoß. Und da machen wir uns einen Kopp wegen unserem Dieselfahrzeug … Man arbeitet an der Transformation zur Wasserstoffwirtschaft, im Dezember 2023 hat das Saarland 2,6 Milliarden Euro vom Bund als Investitionshilfe bekommen. Klickt man aber bei Dillinger den Reiter „Nachhaltigkeit“ an, kriegt man einen 404 error: Page not found 😲. Nun ja.
Das Eisenerz kommt übrigens aus Brasilien, Afrika, Nordamerika und Schweden. Russlandimporte sind rückläufig. Sagt das statistische Bundesamt.
Nun aber zum Saarpolygon, wegen dem wir ja gekommen sind. Ein sehr ikonisches Konstrukt, das man 2016 hier errichtet hat.
Es sieht von jeder Seite anders aus:
Natürlich steigen wir die Treppenstufen hoch, lassen uns den Wind um die Nase wehen, genießen den Rundblick aus 27 m Höhe.
Dann ist aber Abschied angesagt: Wir verabschieden uns von meinem lieben Onkel, der uns so freundlich empfangen, verköstigt und vor allem unterhalten hat. Wie ich schon sagte, er ist ungeheuer belesen und ein wandelndes Geschichtslexikon. Und ein ganz feiner Mensch 🧡.
Wir packen also zusammen und beschließen kurzerhand, noch einen Tag Pfalz dranzuhängen. Ziel ist Pirmasens, da waren wir noch nie und es hat einen ordentlichen WoMo-Stellplatz.
Teil 3: Dynamisch in Pirmasens
Pirmasens ist Deutschlands Schuhstadt! Das geht auf das 18. Jahrhundert zurück. Damals waren landgräfliche Soldaten in Pirmasens stationiert, die hatten aber wenig zu tun, denn Landgraf Ludwig IX. ließ sie zwar zu seinem Plaisir auf dem Exerzierplatz marschieren, schickte sie aber nicht in den Krieg. Um dem Müßiggang, der bekanntlich aller Laster Anfang ist, vorzugreifen, erlaubte der Landesherr den Soldaten, im Nebenerwerb Schuhe zu fertigen.
Warum ausgerechnet Schuhe und nicht Kochtöpfe oder Topflappen hab ich nicht rausbekommen. Nach dem Tod Ludwigs im Jahr 1790 wurde die Garnison aufgelöst und die nun arbeitslosen Soldaten machten ihren Nebenerwerb zum Haupterwerb. Ihre Frauen verkauften die Schuhe auf Märkten, sogar in Dänemark und der Schweiz. Die gute Qualität der Schuhe aus Pirmasens sprach sich schnell rum. So beschreibt es der SWR in einem Beitrag.
Wikipedia ist profaner und erklärt, dass der Sold so gering war, dass den armen Kerlen kaum was anderes übrig blieb, als nebenher Geld zu verdienen. Sie hatten aber weder Werkzeug noch Material für neue Schuhe, flickten also ihre eigenen und die der Stadtbevölkerung. Als sie Zivilisten wurden, arbeiteten sie Stiefel und Uniformen zu einfachen Schuhen um. So sind die Pirmasenser bis heute die „Schlabbeflicker“.
Nach und nach und vor allem mit dem Einsetzen der Industrialisierung wurde die Produktion immer professioneller und Schuhe aus Pirmasens hatten einen guten Ruf! 1914 gab es in Pirmasens 240 Schuhfabriken mit 14.000 Beschäftigten! Selbst die verheerenden Zerstörungen des 2. WK konnten aufgefangen werden, 1970 arbeiteten 22.000 Menschen in der Schuhindustrie. Danach musste aus Kostengründen die Produktion immer mehr ins Ausland verlagert werden und nicht alle großen Schuhfabriken überlebten den Wandel. Aber wenn es um Schuhe made in germany geht ist Pirmasens nach wie vor vorne mit dabei – auch wenn ich Marken wie Semler, Germann, Werner oder Zarini nicht kenne. Neben der Produktion gibt es international agierende Zulieferbetriebe, das International Shoe Competence Center Pirmasens (ISC Germany), die Deutsche Schuhfachschule und das Prüf- und Forschungsinstitut (PFI). Und massenhaft factory outlets.
Genug der Fußbekleidung – am Mittwoch morgen schwingen wir unsere eigenen Füße durch die Stadt, wohlbeschuht, und das braucht es auch. Man läuft sich hier ganz ordentlich die Hacken ab. Vor allem geht es reichlich rauf und runter, die Straßen von San Francisco sind nix dagegen. Und selbst mit Rom kann Pirmasens mithalten, liegt es doch tatsächlich auf 7 Hügeln! 80 Meter Höhenunterschied gibt es in der Stadt, und das gleich ein paar mal, wie vor allem ich zu meinem Leidwesen feststelle.
Allerdings liegt Pirmasens weder an der Pirma, noch an der Sens. Der Name kommt vom Hl. Pirminius, einem Wanderprediger, der hier vor Urzeiten das Kloster Hornbach gründete. Nicht zu verwechseln mit dem nahegelegenen Baumarkt (ok, der war schlecht 🙄).
Bis ins 18. Jahrhundert war hier nur ein Dorf, erst als der oben schon erwähnte Landgraf Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt es zu einer Garnisons-, später zu seiner Residenzstadt umbaute, wurde eine ansehnliche Stadt daraus. Heute hat Pirmasens 42.000 Einwohner.
Ludwig hatte ein großes Faible für Soldaten und liebte es, ihnen beim Exerzieren zuzuschauen. Davon können wir uns am großen Exerzierplatz (kurz Exe genannt) noch heute ein Bild machen. Der Platz war früher noch wesentlich größer, wurde im 19. Jahrhundert verkleinert und in den 1990er Jahren in einem postmodernen Stilmix neu gestaltet.
Das Geraffel in der Mitte ist nicht etwa irgendein Jahrmarktsgedöns, sondern a) ein postmoderner Brunnen, in dessen Mitte sich b) ein unübersehbares Kunschtwerk und c) ein großes tiefes Loch befindet. Um dieses Loch herum können auf mehreren Ebenen d) 600 Autos in der „Tiefgarage am Exe“ parken. Laut Geocache soll es einmal spiralförmig bis zum Erdmittelpunkt führen, befindet sich aber erst in der 1. Ausbaustufe 😂.
Von dort spazieren wir weiter zur Königlich Bayrischen Alten Post von 1893 (ja, die Pfalz gehörte nach dem Wiener Kongress zu Bayern!), heute ein Kulturzentrum.
Wer jetzt aber glaubt, ganz Pirmasens habe das Flair einer Residenzstadt und sei voll herrlicher Bausubstanz, der irrt. Das war wohl bis zum 15. März 1945 so, dann zerstörte ein Bombenangriff fast die gesamte Innenstadt. Und wie fast überall, hatte man beim Wiederaufbau weniger die Ästhetik im Sinn, als die Notwendigkeit, den ausgebombten Einwohnern schnell wieder ein Dach über dem Kopf zu schaffen.
So sieht es denn in Pirmasens oft aus wie hier: das ein oder andere Relikt blieb stehen, dazwischen wurde irgendwas hin- oder drangebaut. Manches davon ist zwischenzeitlich restauriert oder umgebaut, hier links hinten zum Beispiel die Rückseite der supermodernen Jugendherberge, ehemals das Hauptpostamt.
Umgebaut wurde auch die ehemalige Schuhfabrik Rheinberger, hier sind heute verschiedene Dienstleister und das Science-Center Dynamikum, mit ganz viel Physik zum Mitmachen, Spielen, Ausprobieren und Lernen.
Da haben wir mal so richtig Spaß! Statt vieler Worte, hier einfach ein paar (bewegte) Bilder.
Wir hätten nicht gedacht, dass Pirmasens so was auf die Beine stellen kann. Wirklich klasse. Und natürlich haben wir viel zu wenig Zeit eingeplant!
Weiter geht es hoch zum den Schlossplatz, wo es zwar kein Schloss mehr gibt, dafür die Pirminiuskirche (1900/1954) und eine Treppenanlage mit integriertem Brunnen, die sich sehen lassen kann. Die ist allerdings nicht alt, sondern aus dem Jahr 1984. Egal, sieht gut aus und mit Wasser sicherlich noch besser!
Wir gehen dann durch die Hauptstraße, die anfangs noch eine recht belebte Einkaufsstraße ist – wenn auch ohne besondere highlights.
Je weiter man aber kommt, desto bedrückender wird es: Jedes 3. bis 4. Geschäft steht leer, die Häuser sind heruntergekommen, die Reklameschilder uralt, kein Mensch uff de Gass‘. Das ist wirklich deprimierend!
Von daher sind wir froh, als wir unser Ziel erreichen, den aufgelassenen Alten Friedhof mit Gräbern und Skulpturen. Und einem Geocache 😉.
Den frühen Abend verbringen wir im Brauhaus Kuchems, wo wir zünftig bei Schnitzel, Steak und selbstgebrautem Bier (also von denen, nicht von uns) einkehren.
Und das war’s dann auch schon wieder mit unserem Kurz-Wech im Januar! Über Fassenacht fahren wir wohl nach Naunheim, Ende März steht das Familien-Treffen in Dresden an (eventuell hängen wir noch ein paar Tage davor oder danach), Ende April der 60. Geburtstag meines Bruders, das Spargelessen im Weingut PAN und dann …. geht es richtig wech. Nach Frankreich.
Da freuen wir uns schon drauf!