Sonntag, 25. Juni bis Dienstag, 27. Juni
Nach einer sehr ruhigen Nacht futtern wir zum Frühstück das süße Gebäck vom Bauernhof in Jæren, stilecht mit Gudbrandsdalsost. Kann man essen!
Dann fahren wir immer geradeaus, erst am Vinjefjord lang, später an einem Fluss und Seen durch landwirtschaftlich genutztes Gebiet, bis wir auf den ersten Seitenarm des großen Trondheimsfjord treffen. Ab da bis in die Stadt geht es dann eigentlich nur durch Tunnel. Von einer Straßensperrung, auf der Google Maps beharrt, ist weit und breit nix zu sehen.
Volker hat einen Stellplatz im Westen oberhalb der Stadt ausgesucht. Die innerstädtischen Plätze sind teuer und schlecht, hier oben sind wir auf einem großen Waldparkplatz mit wenigen anderen Campern – und dreisten Schafmüttern mit ihren Lämmern. Den angebotenen Rucola verschmähen sie, aber auf das Bier sind sie ganz scharf!
In Trondheim haben eRich und eMil ihren großen Auftritt! Es gilt als die Fahrradstadt Norwegens, und das ist nun wirklich mal nicht übertrieben! Viele Fahrradstraßen oder markierte Radwege, die Einbahnstraßen sind freigegeben, viele Bereiche für Motorfahrzeuge gesperrt. Man fühlt sich fast wie in den Niederlanden.
Es war nicht von vornherein klar, dass wir die Fahrräder mitnehmen. Viele meinen, das lohnt nicht, zu den Sehenswürdigkeiten und in die Städte kann man genauso gut mit dem WoMo fahren. Zur Not mit dem Bus. Wir haben die Räder trotzdem mitgenommen, weil wir z.B. auf Komoot doch viele Radtouren entdeckt haben. Und wir sind so an die eBikes als unser Haupt-Nahverkehrsmittel gewöhnt, dass uns was gefehlt hätte. Nun sind wir heilfroh, dass wir uns für die Mitnahme entschieden haben, sie haben uns schon sehr gute Dienste geleistet. Wenn man aber, wie die meisten, für so eine Reise nur 3 Wochen Zeit hat, machen die Fahrräder wohl weniger Sinn.
Wir machen uns also mit den Bikes auf in die Stadt, besser gesagt ab, es geht nämlich steil runter. Nach knapp 5 Kilometern stehen wir vor dem Wahrzeichen der Stadt, dem riesigen Dom. Der heißt Nidarosdom, nicht wegen dem heiligen Nidaros (den gibt es nicht), sondern weil er an der Mündung – os – des Flusses Nid liegt. Dieser Name will uns einfach nicht ins Hirn! Und als Volker ihn gestern Abend „Nirosta-Dom“ nennt (was bei mir einen mehrminütigen Lachflash zur Folge hat) hat er seinen „Arbeitstitel“ bei uns weg.
Das mittelalterlich muss man aber etwas einschränken, denn der Dom wurde a) mehrfach umgebaut, b) mehrfach abgefackelt und c) mehrfach abgerissen und neu gebaut.
Die Anfänge liegen im Jahr 1070 und um die richtig zu erklären muss man die Geschichte vom heiligen Olaf erzählen:
Olav II. Haraldsson war Sohn eines Wikingers der als „Unterkönig“ über ein kleines Reich am Oslofjord herrschte. Er scharmützelte für die Dänen ein paar Jahre lang in England, später in Frankreich, und kehrte 1015, inzwischen zum christlichen Glauben „bekehrt“, nach Norwegen zurück. Zwei Dinge hatte er sich vorgenommen: 1. Er wollte König werden, und zwar von ganz Norwegen und er wollte 2. das Land christianisieren. Beides gelang ihm zwar, aber er machte sich mit seinen rüden Methoden nicht wirklich beliebt. Am End wurde er 1030 in der Schlacht bei Stiklestad von seinen politischen Gegnern getötet.
Posthum hatte Olav plötzlich mehr Erfolg als im Leben, er wurde zum Märtyrer und man erzählte von Wundern, die er vollbracht haben sollte. So brachte man den Leichnam 1031 nach Trondheim – angeblich lag er unversehrt im Grab, nach Rosen duftend und mit lang gewachsenem Haar. Das ist scheinbar so üblich, war bei Karl dem Großen ganz ähnlich 😂. Die Heiligenverehrung wurde immer größer, so dass man schließlich in Trondheim von 1070 bis 1090 eine neue Steinkirche erbauen ließ – den ersten Nirostadom. Der reichte auch bald vorne und hinten nicht mehr, also machte man Nägel mit Köpfen und ließ eine größe Kathedrale bauen, wie es sie in Frankreich oder Deutschland gab. Das zog sich erwartungsgemäß etwas hin, so dass man 1152 romanisch begann und um 1320 gotisch aufhörte. Das Ostende bestand aus einem Oktogon, das Westwerk zierten klassisch 2 Türmen, über der Vierung ein Spitzturm. Seitliches Strebewerk am Langhaus stützte die tragenden Säulen von außen ab.
Leider brannte das Ganze so etwa alle 100 Jahre mehr oder minder nieder und nach dem letzten Brand 1531 wurde Norwegen auch noch evangelisch! Das war schlecht für den Dom, denn jetzt residierte hier kein mächtiger Erzbischof mehr, der Dom wurde quasi zur Pfarrkirche degradiert. Und für einen Wiederaufbau war kein Geld da! Pragmatisch baute man eine Mauer zwischen das fast komplett eingestürzte Langschiff und den Rest des Gotteshauses. Auch dieses Konstrukt blieb von weiteren Bränden nicht verschont, im Grunde war der Dom, vor allem das Westwerk, ein Schrotthaufen an dem nur halbherzig rumgeflickt wurde.
Ab 1762 begann man mit dem systematischen Wiederaufbau, zunächst der Osthälfte vom Chor bis zur Vierung (dahinter war ja die Mauer). Um den Wiederaufbau des seit 300 Jahren eingestürzten Langhauses kümmerte man sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zunächst mit Diskussionen, wie man das üerhaupt machen sollte, denn keiner wusste, wie der Dom damals ausgesehen hatte. 1905 fand man beim Abriss der Trennmauer Spolien des alten Doms, Steine, Bögen, Säulenfragmente, Teile von Skulpturen, und anhand derer konnten die Archäologen und Architekten den Dom rekonstruierten.
Was bis heute dabei herausgekommen ist, das haben wir uns bei einer Führung im Dom angeschaut und anschaulich erklärt bekommen:
Unten Mitte die Wagner-Orgel aus dem 18. Jahrhundert. Beide werden gespielt.
Ach ja, was ist über den Handel eigentlich aus dem Heiligen Olav geworden? Nun, der wurde Opfer der Reformation! Als der Dom evangelisch wurde, hat man den prächtigen Schrein einschmelzen lassen und Olav heimlich still und leise an einen unbekannten Ort umgetopft. Man munkelt, er sei im Dom bestattet, aber ma waas es net!
Der Nidarosdom ist seit jeher die Krönungskirche der norwegischen Könige. Allerdings war Norwegen ab dem 14. Jahrhundert kein eigenständiges Reich, sondern in wechselnder Besetzung mit den skandinavischen Ländern in Unionen vereint, meist unter Federführung Dänemarks nebst dänischem König (das sind die Christians). Erst nach den napoleonischen Kriegen wurde Norwegen 1814 von einer dänischen Provinz wieder zu einem Königreich befördert, das aber quasi sofort eine Union mit Schweden unter einem gemeinsamen König (norwegisch oder schwedisch) einging. Erst 1905 wurde Norwegen dann wirklich unabhängig und bekam einen norwegischen König ganz für sich alleine.
Die Kronjuwelen können wir im Keller des erzbischöflichen Palais neben dem Dom bewundern. Es sind jedoch keine mittelalterlichen Preziosen. König Carl Johan musste sich 1818 aus eigener Kasse eine Krone nebst Zubehör anschaffen, damit man die Tradition der Krönungen im Nidarosdom wieder aufnehmen konnte. Auch heute noch finden diese Feierlichkeiten im Dom statt, aber das norwegische Königshaus – wie alle anderen außer dem britischen – verzichtet seit der Krönung von Haakon VII. im Jahr 1906 auf das Brimborium mit der Krone auf dem Kopp: Sie liegt auf dem Altar, König und Königin unterzeichnen ihren Arbeitsvertrag, werden vom Bischof gesegnet und basta. Die aktuellen norwegischen Royals (König Harald V. und Königin Sonja) seien sehr down to earth und in der Bevölkerung sehr geschätzt, so versichert man uns.
Nach so viel Text ist es höchste Zeit für mehr Sightseeing. Dazu begeben wir uns zu einem weiteren Wahrzeichen der Stadt, der Gamle Bybro, der Alten Stadtbrücke, die dem, der sie überquert, Glück bringen soll.
Von hier hat man einen – und ich übertreibe nicht – grandiosen Blick auf die Speicherhäuser, die auf ihren Pfählen die Ufer der Nidelva säumen. Daran kann man sich gar nicht sattsehen.
Das ist das mit Abstand schönste Häuserensemble, das wir in Norwegen bislang gesehen haben. Traumhaft !
Die Häuser sind innen aufwendig saniert und zu Wohnungen umgebaut.
Hinter der Brücke erstreckt sich der Stadtteil Bakklandet (zu dem die Häuser rechts auch gehören): ein ganz bezaubernder Distrikt mit bunten Holzhäusern im unteren und prächtigen Steinbauten im oberen Teil. Autos sind hier verpönt, endlich mal keine zugeparkten Straßen, nette Cafés und Kneipen und uns begegnen nur wenige Touristen, dafür viele junge Leute und Familien mit kleinen Kindern. 30.000 Studierende auf 200.000 Einwohner prägen den Charakter der Universitätsstadt.
Autos werden hier nur kurz be- oder entladen und verschwinden dann wieder. Keine Ahnung wohin.
Wir verabschieden uns von diesem überaus sympathischen Stadtteil und strampeln wieder zurück zu unserem Zuhause – steil hoch, aber mit den starken eBikes kein Problem! Die eRika hätte aber hier sicherlich schlapp gemacht.
Am nächsten Morgen geht es das Ganze dann wieder runter, um gleich auf der anderen Seite wieder den Bersch enuff zu strampeln, zur Festung Kristiansten.
Aber halt, man muss nicht strampeln, da gibt es doch diesen Fahrradaufzug! Vor unserem geistigen Auge erscheint ein gläserner Turm mit elegant aufschwingenden Türen wie im Raumschiff Enterprise, der einen nebst Drahtesel leise summend hunderte Meter in die Höhe trägt.
🤣🤣🤣 Weit gefehlt! Sykkelheisen Trampe von 1993, der erste Fahrradlift der Welt (sic!), ist mehr so eine Kombination aus Cable Car (ohne Car) und Schiebehilfe! Man stellt den rechten Fuß wie in einen Startblock, drückt an der Talstation einen Knopf, es piepst, ein Metalldreieck fährt unter den Fuß und schiebt einen mit 7,4 km/h den Berg hoch.
Theoretisch! Praktisch muss man dafür wohl ewig und drei Tage üben, es ist sauschwer, Balance, Spannung und Spur zu halten und mit dem Fuß nicht von dem schmalen Schieber abzurutschen.
Volker gibt nach einigen Versuchen auf, ich probiere es erst gar nicht – will mir ja nicht die Knochen brechen mit der Höllenmaschine. Wir erleben aber, wie es „richtig“ gemacht wird, als ein Stadtführer mit einer Hurtigruten-Gruppe vorbeikommt und wir ihm kurzerhand den eRich in die Hand drücken und sagen „mach mal“. Was er dann unter großem Beifall aller auch tut!
Wir, wie gesagt, nicht, wir fahren klassisch den Berg hoch und schauen uns die Zitadelle von Trondheim an, einen Festungsbau, wie man ihn aus Westeuropa kennt, französische Schule mit sternförmigen Bastionen, Gräben, Durchgängen etc., in der Mitte ein Zentralbau, der Donjon.
Die relativ kleine Anlage spielt nur einmal eine Rolle in einem kriegerischen Konflikt, als sie im großen nordischen Krieg zwischen Dänemark-Norwegen und Schweden 1718 einer Belagerung standhält und die Schweden unverrichteter Dinge abziehen müssen. In napoleonischer Zeit (man stand auf der Seite Frankreichs) war hier unter anderem eine Station für die optische Telegrafie, später wurde der Donjon als Brandwache genutzt und die Nazis trieben natürlich hier oben auch ihr Unwesen. Sie verwendeten Kristiansten als Gefängnis und Hinrichtungsstätte. Damit haben die Norweger nach dem Krieg grad weiter gemacht und ihrerseits Nazis hier oben exekutiert.
Irgendwie springt uns das Thema Festung heute nicht so an, also noch kurz den Blick auf die Stadt genießen und dann runter in nämliche.
Es findet nämlich im Dom ein kurzes Orgelkonzert auf der großen Steinmeyer-Orgel statt, das wir uns nicht entgehen lassen wollen! Also berappen wir nochmal den Eintritt, hilft ja nix. Um 13.30 Uhr werden im Keller des Doms die großen elektrischen Blasebälge angeworfen und die 9.620 Pfeifen mit Luft versorgt. Es geht los.
Es ist ein absoluter Genuss. Dieses majestätische Instrument erfüllt den ganzen Dom und an den lauten Stellen spürt man förmlich die Luft vibrieren. Das Minikonzert beginnt mit dem bekannten Anfang der Peer Gynt Suite von Edvard Grieg, es folgen zwei uns unbekannte Stücke und am Ende Filmmusik zu Harry Potter aus der Feder des großartigen Hans Zimmer. Durchaus dieser Orgel würdig!
Unvergessliche 25 Minuten!
Danach schauen wir uns noch ein wenig in der Innenstadt um, den Torget (Marktplatz) und Volker macht einen Abstecher zum Hafen, um sich den dortigen WoMo-Stellplatz anzuschauen.
Dann machen wir uns auf zu unserem letzten Programmpunkt in Trondheim, dem Trondheim Pub Crawl. Der ist aber nur unter Geocachern bekannt, es ist nämlich ein lustiger Multi, bei dem man 6 Kneipen abklappern und Fragen beantworten muss. Das kann man entweder fast and furious von außen oder slow and glorious von innen. In letzterem Fall ist das natürlich mit der Verkostung eines alkoholischen Getränks – vorzugsweise Bier – verbunden. Es dürfte klar sein, welche Variante wir gewählt haben 🍺🍺. OK – nicht alle 6 Kneipen, aber immerhin 3! In der ersten hatten wir echt Durst, in der zweiten, der Mikrobryggerie, ging es ums Prinzip und in der letzten hatten wir Hunger und ein Bier zum Essen (ich übrigens 2 von den dreien ohne Alkohol, ich vertrag grad gar nix mehr, bin völlig aus der Übung).
Mit den derart hart erarbeiteten 6 Ziffern A bis F „errechnen“ wir dann die Finalkoordinaten bei N 63°26.ABC und E 10°24.DEF und werden auf Anhieb fündig. Das ist doch ein schöner Abschluss!
Trondheim hat uns ausgesprochen gut gefallen! Wenig Touristenvolk, weil nicht alle ritt ein Kreuzfahrtschiff anlegt, entspannte Atmosphäre, superschöne Architektur, sehr nette Lokale, freundliche Menschen, viele gute Geocaches, fahrradfreundlich … wir könnten noch mehr aufzählen. Trondheim ist bisher unser Liebling unter den größen/größeren Städten! Es gäbe noch mehr zu unternehmen – den botanischen Garten, das größte Holzhaus, das Inselchen Munkholmen, das Freilichtmuseum, und und und. Aber es zieht uns weiter …