Am, den Freitag, 9. Juni 2023, werden wir früh wach. Die Nacht war laut und sehr windig, wir stehen halt direkt an der Straße und die Fernfahrer fahren hier auch nachts durch.
Die Hardangerbrua
Hilft rosa Beleuchtung gegen Angst im Tunnel?
Für uns geht es als erstes wieder in den Tunnel mit dem futuristischen Kreisel, die Straße führt direkt (!) auf die große Hardangerbrücke und verschwindet an deren Ende auch sogleich wieder im 7 km langen Vallaviktunnel. Ich frag mich, was Norweger mit einer Tunnelphobie machen? Das Land ist durchlöchert, da ist Emmentaler nix gegen. Vielleicht sind die Menschen hier aber auch resistent gegen diese Art der Platzangst. Oder sie kriegen vom Statens Vegvesen, der staatlichen Straßenverkehrsbehörde, eine Desensibilisierung spendiert. Ma waas es net. Soviel zur Kategorie „Das ist eine gute Frage“.
Mir macht Tunnel zum Glück nix. Solange er nicht zu schmal ist und ich nicht wieder mal aus Versehen die Sonnenbrille auf der Nase habe 😎.
Unser erster Stop ist der Tvindefossen. Man sagt ihm nach, dass er sein Wasser jung hält, ob das nun eine alte Volksüberlieferung ist oder ein Werbegag, wissen wir nicht. In den 1990ern wurde das Wasser sogar als potenzsteigernd angepriesen, was einen Hype unter japa- und amerikanischen Touris auslöste. Die glauben auch jeden Mist 😂.
Auch wir füllen mal ein Fläschken ab, kann ja nicht schaden, aber nicht weil wir an irgendeine Wirkung glauben, sondern weil wir das Wasser mal probieren möchten. Fast alle Flüsse und Bäche haben Trinkwasserqualität, man kann das Wasser bedenkenlos trinken.
Das Wasser des Flüsschens Kroelvi ergießt sich aus einer Höhe von 116 m über viele natürliche Steinstufen und fächert sich schön dabei auf, wirklich sehr hübsch anzusehen.
Ein weiterer angepriesener Abstecher führt uns zum Stalheim Hotel, erbaut Ende des 19. Jahrhunderts am damaligen Postweg von Oslo nach Bergen. Die um 1850 gebaute Straße galt lange als die steilste Straße Landstraße Nordeuropas. Seit 2020 ist sie für den motorisierten Verkehr gesperrt.
Auch dieses Hotel beherbergte, wie schon das Fossli, einige Berühmtheiten. So kehrte der deutsche Kaiser Wilhelm II. 25 Jahre in Folge hier auf seiner alljährlichen Sommerreise nach Norwegen ein. Er reiste stets stilecht mit seiner eigenen Yacht, der Hohenzollern, an (heute würde man den Kahn als Dampfschiff bezeichnen).
Das Hotel ist mehrfach abgebrannt, zuletzt 1959, und ist heute ein großer, recht schmuckloser roter Betonbau. Aber dafür sind wir garnicht hier hochgefahren, sondern vielmehr, weil diverse Reiseführer uns die Aussicht angepriesen haben, einen großartiger Blick in das tief eingeschnittene Nærøytal, das in den gleichnamigen engsten norwegischen (Neben-)Fjord übergeht. Allerdings sind die „Lockfotos“ von der Hotelterrasse aus gemacht, die aber nur Hausgästen (und Reisebuchautoren) zugänglich ist. Andere Besucher mag man dort nicht, also müssen wir mit der weit weniger spektakulären Aussicht weiter unten vorlieb nehmen.
Wir kommen dann zum Hauptziel des Tages, dem Örtchen Flåm am Aurlandfjord, einem Ausläufer des Sognefjords. Das ist der größte Fjord Norwegens, 204 km lang, 1.300 m tief, Berge umrum bis zu 1.700 m hoch.
Besserwisserkasten
Fjorde, das sind doch diese Täler da in Norwegen an der Küste, mit Wasser drin, wo die Kreuzfahrtschiffe reinpassen. Mehr wusste ich nicht mehr über Fjorde. Also höchste Zeit, sich hier mal kurz wieder schlau zu machen. Dafür gibt es praktischerweise dieses nette Video:
Der Grund eines Fjords kann bis über 1000 m unter dem Meeresspiegel liegen und ist am tiefsten im Landesinneren. An der Mündung ins Meer ist oft eine Untiefe, hier ist der ganze Schmodder abgelagert, den so ein Gletscher vor sich herschiebt (Endmoräne). Fjorde findet man in vielen Gegenden der Erde, überall da, wo es mal Inlandsgletscher gab. Im Englischen heißen sie Firth. An der deutschen Küste kennt man Förden, auch dieses Wort hat den gleichen Ursprung wie „Fjord“. Aber die Förden in Schleswig-Holstein sind entstanden, als Eis in das Landesinnere vordrang – also genau andersrum. Beim Fjord fließt der Gletscher vom Inland zum Meer.
Gletscher werden wir uns die Tage auch noch genauer anschauen, dann gibt es noch mehr (unnützes) Wissen.
Zurück nach Flåm: Hier beginnt eine der steilsten Bahnstrecken der Welt, die ganz normal befahren wird, also keine Zahnradbahn oder so. Mit bis zu 5,5% Steigung überwindet die Bahn 867 Höhenmeter.
Mit der Zahl 20 kann man die Flåmbahn gut beschreiben: 20 km lang ist die Strecke, 20 Jahre dauerte der Bau (bis 1940), 20 Tunnel wurden von Hand hineingeklöppelt (1 Meter pro Monat) und 20 Mio. Nöcken hat sie gekostet.
Der Streckenverlauf wird nach oben hin immer spannender und kringelt sich am Ende durch Galerien und einen Kehrtunnel.
Die Flåmbahn war als Verbindung für den Gütertransport zwischen Bergen (Bahn) und Sognefjord (Schiff) gedacht. Sie endet in Myrdal, dem Eisenbahnknotenpunkt, an dem die Bergenbahn ankommt. Außer Bahnhof ist hier eigentlich nix.
1940 startete der Betrieb mit Dampflokomotiven, aber schon 1947 wurde die Strecke elektrifiziert – da hat man bei uns noch lange Kohlen geschippt! Der Gütertransport ließ im Laufe der Jahre nach, aber der Personentransport blieb wichtig. Und auch wenn die Flåmbahn heute hauptsächlich eine Touristenattraktionen ist, befördert sie immer noch viele „richtige“ Reisende (also Leute mit Koffern 😉), das haben wir selbst heute gesehen.
Für 680 NOK each werden wir in historischen Waggons von modernen Triebwagen (einer vorne, einer hinten) mit max. 40 km/h den Berg hochgeschuckelt. Zum Glück ist wenig Betrieb, außer uns sind noch ein Dutzend Japaner im Wagen und alle springen hin und her, um bloß kein Foto zu verpassen. Soviel zu der Frage, wo man denn am besten sitzen solle, rechts oder links in the direction of travel 😂😂.
Hier ein paar Impressionen von der Strecke:
Ein schöner Blick zurück in das Tal, mit Fluss und alter Fahrstraße.
Die Straße und auch die Bahnlinie verlassen das Flussbett. Jetzt geht es steil bergauf:
Die Hauptattraktion ist eindeutig der Kjosfossen, an dem wir für 5 Minuten aussteigen und knipsen dürfen. Imposant schießt das Wasser zu Tal, unter den Bahngleisen hindurch und verschwindet im Abgrund.
Alle halten drauf, da ertönen plötzlich gut vernehmbar sphärische Klänge und Gesang und es erscheint eine rotgewandete Gestalt, die über dem donnernden Kjosfossen zu dieser esoterischen Musik tanzt.
Später lesen wir die Erklärung: Es ist eine norwegische Waldfee, eine Huldra (nein, keine Holla 😂), die da am Wasserfall tanzt. Interessanter Job, die Stellenausschreibung hätt’ ich gerne mal gesehen! Es seien Studentinnen der norwegischen Ballettschule, sagt Wikipedia, oder doch eher Studierende – beim Ranzoomen wirkt die Person doch sehr maskulin und das Goldhaar wie eine Perücke. Egal ob Weiblein, Männlein* oder irgendwas dazwischen, für mich ist es das Highlight der Fahrt!
*oder beides: inzwischen sind wir relativ sicher, es waren 2 Hollas – ähhh … Huldras
In Myrdal erwartet uns neben Schneefeldern noch ein echter alter Virtual-Cache 👻 aus dem Jahr 2002, also schnell das Logfoto knipsen und schon geht es wieder zurück, runterzus mit 30 Sachen.
Das war eine klasse Zugfahrt hinauf ins Hochgebirge und wieder zurück! Wir waren zwar „nur“ auf 867 m Höhe, aber das hat hier in Norwegen einen ganz anderen Wumms. Man muss in Gedanken locker 1.500 bis 2.000 Meter draufaddieren, um es mit den Alpen zu vergleichen.
Wir genehmigen uns noch eine kleine Leckerei in der Bakeri, dazu Cappuccino, denn der norwegische Filterkaffee ist gewöhnungsbedürftig und es gibt auch keine Milch dazu. Da tasten wir uns vorsichtig ran ☕️☕️.
Zurück am Parkplatz stellen wir fest, dass wir entgegen unserer Annahme hier doch über Nacht stehen können. Unsere App weist in Flåm keinen Parkplatz oder Stellplatz über Nacht aus und ich hab schon den Bürgermeister von Flåm verdächtigt, der Besitzer des Campingplatzes zu sein, der 400 NOK abkassiert. Die Hinweisschilder nennen moderate 100 NOK, das ist scheinbar ganz neu hier, denn Parkautomat und easy park-App zicken noch rum. Am End werfen wir 98,40 Krönchen in den Stadtsäckel und können bis 10.30 Uhr bleiben.
Von der Kohle kann der Bürgermeister dann den gigantisch großen Mähroboter abstottern, der hier um 22 Uhr noch über die Grünflächen saust.