Hörspaziergang auf dem Unicampus, Sonntag, 20. März 2022
Leider können wir auch dieses Wochenende nicht zu Fe, Abi und Soso – Omi Kron ist immer noch zu Besuch. Zum Glück geht es Abi besser und Fe und der Kleine stecken die Infektion ganz gut weg. Also machen wir mal wieder einen Hörspaziergang, diesmal auf den Spuren unserer lang vergangenen Studienzeit.
Wir waren ja Studenten. Eigentlich alle miteinander, Männlein wie Weiblein, wobei zunehmend die Studentinnen mehr und mehr auch so genannt werden wollten. Heute ist die Uni bevölkert von geschlechtslosen Wesen, die korrekt als Studierende angesprochen werden. Das nennt man dann „gendern“, obschon ein Geschlecht eben NICHT erkennbar ist. Eigentlich müsste es „entgendern“ heißen, oder 🤔. Noch dazu funktioniert das Ganze nur im Plural. Einzelpersonen werden also auch abgeschafft. Folglich werden zum Beispiel von Backenden hergestellte Brötchen von Bäckereifachverkaufenden über die Theke gereicht und von Kaufenden entgegengenommen. Schöne neue Welt. Man mag gar nicht weiter drüber nachdenken.
Doch Studierende, egal ob MFLGTBQD oder sonstwas sind heute eh in kaum nennenswerter Zahl anzutreffen, denn es ist Sonntag.
Der Spaziergang beginnt natürlich im Forum universitatis, dem man seine Vergangenheit als Kaserne doch noch deutlich ansieht. Die wurde 1945 zur Johannes Gutenberg Universität Mainz umgewidmet. Das fanden durchaus nicht alle Mainzer gut, denn die Stadt lag in Trümmern, da hatte man wenig Verständnis dafür, jetzt noch mehr Menschen anzulocken und Material, Zeit und Geld für wissenschaftliche Elfenbeintürme zu verschwenden.
Auch vorher gab es in Mainz durchaus eine Universität, von 1477 bis zur Auflösung durch die französischen Besatzer 1798 bzw. 1823 (die medizinische Fakultät bestand etwas länger). Die war eng mit der Kirche verbandelt, musste sowieso vom Papst genehmigt werden und stand lange unter der Leitung der Jesuiten. Bauliches Zeugnis dieser ersten universitären Vergangenheit ist natürlich der Domus universitatis am Höfchen, davor dienten bereits der Algesheimer Hof in der Hinteren Christofsgasse und der Hof zum Gutenberg in der Schusterstraße als Bursen – so nannte man die Gebäude in denen Professoren und Studenten – äh, Verzeihung – Studierende – gemeinsam lebten, lehrten und lernten.
Aber das war gar nicht Thema des Spaziergangs, fiel mir nur so ein, denn 76 Jahre Uni Mainz kam mir irgendwie so wenig vor.
Der Vorplatz ist schicker, aber auch unpersönlicher geworden, seit den Umbauten im Zuge der Mainzelbahn, das Forum nebst Brunnen und die alte Mensa/Audimax wirken dann fast kuschelig, obwohl sie wie gesagt eine militärische Vergangenheit haben. Ebenso die Bauten des FB Biologie – meiner ehemaligen „Wirkungsstätte“. Ob immer noch so viele Schaben die Kellerflure und -treppen be’völkern‘. Da unten waren damals die Klimalabore für die Anzucht der Versuchspflanzen, auch für meine Triticum aestivum var. Kolibri – zu deutsch: Weizen. Der erstaunlicherweise auch nach Monaten in der Tiefkühltruhe genau wusste, ob draußen Frühling oder Winter ist und auch unter Laborbedingungen der Jahreszeit entsprechend schlecht oder besser keimte und wuchs.
Überhaupt ist bis zur Muschel/Natfak alles sehr vertraut. Mal abgesehen davon, dass wir erfahren, dass beide unter Denkmalschutz gestellt wurden, was bei der extravaganten Muschel nicht verwundert, bei der eher einem Plattenbau ähnelnden Naturwissenschaftlichen Fakultät schon. Herr Bermeitinger räumt ein, dass man die architektonische Schönheit des Bauwerks erst beim zweiten Blick erfasst – oder auch beim dritten. Es erinnere an die Architektur von Mies van der Rohe. Stahl und Glas in „konstruktiver Logik“, vielleicht könnte man auch sagen form follows function. Und in der Tat, bei mehrmaliger Betrachtung und aus der Ferne hat das Ensemble einen gewissen Charme.
Mir fallen vor allem – und das nach ca. 45 Jahren (!) – die Vorlesungen zur Mathematik für Naturwissenschaftler ein, zwei Semester, jeden Mittwoch von 8 bis 10 Uhr, saß ich in der Muschel und kapierte …. NICHTS. „Definition – Satz – Beweis“ in Dauerschleife. Professor Breidenbach, ein schmächtiger kleiner Mann, schrieb wie ein Irrwisch in Dauerschleife die Tafeln voll, verbrauchte Unmengen an Kreide und eine Pause gab es nur, wenn er die Tafel wischte, um erneut anzusetzen. Ich glaube, keiner weiß, wie der Mann von vorne aussah 😂. Und wohlgemerkt: Bis auf Wurzel aus -1 war da keine einzige Zahl dabei. Das ist zumindest ein nachhaltiger Lerneffekt: Mathematik hat nichts mit Rechnen zu tun. Keine Ahnung, wie ich die Klausuren bestanden hab? Ich glaube, die Fachschaft hatte eine Sammlung, die konnte man erwerben und musste es dann stupide auswendig lernen.
Jenseits des Colonel Kleinmann-Weges kennen wir dann die Uni kaum wieder: Blinde, mit Brettern vernagelte Fenster, wo früher gelehrt und gelernt wurde, Gänseblümchenwiesen wo früher Gebäude standen, Neubauten, wo früher nichts war. Auch das Max Planck-Institut für Chemie und die benachbarte Kernchemie sind verlassen, verschlossen, verkommen. Gerade die beiden Institute hatten wir bzw. ich mit einer gewissen Ehrfurcht betrachtet. Die Kernchemie wegen des geheimnisvollen MAMI, dem Mainzer Mikrotron, einem Teilchenbeschleuniger. Und im MPI arbeitete der Professor Paul Crutzen, der Superstar der Atmosphärenchemie, der damals vor allem das Ozonloch untersuchte. Vor ihm lehrte und forschte am Mainzer MPI ab 1946 niemand geringerer als Fritz Straßmann, zusammen mit Otto Hahn und Lise Meitner einer der Entdecker der Kernspaltung. Wir geben Herrn Bermeitinger recht: Es ist eine Schande wie dieser Komplex verkommt und dem Abriss preisgegeben wird. Er wäre ein würdiger Ort, um die Wissenschaftsgeschichte der Universität Mainz zu (re)präsentieren. Statt dessen wird alles abgerissen um Platz zu machen, für „die neue Mitte“ der Uni Mainz.
Wir erweitern die Runde bis zur neuen Mensa, denn da hinten haben wir die meiste Zeit unseres Studiums verbracht – also nicht in der neuen Mensa, die gab’s noch nicht, sondern im SB* I, der Lehramtschemie, einer schäbigen Baracke, in der alle Praktika und Seminare für die angehenden Chemielehrer (Achtung, ungegendert!) stattfanden. Professor Singer ist mir noch in guter Erinnerung, ein feiner Mann, der seinen „Job“ sehr gewissenhaft gemacht hat.
*SB steht für Schnellbau – das hat man ihm angesehen
Da hinten ist alles neu: Inter I – wech, SBI – wech, MPI – fast wech. Auch die Mietshäuser, in denen zum Beispiel Klaus und Luzi damals gewohnt haben sind größtenteils abgerissen.
Auch im Welderweg kennen wir die Uni kaum wieder. Die gute alte Philfak ist noch da, aber drumherum fast alles neu. Oder weg.
Besonders schick präsentiert sich der Georg Forster Bau für die Soziologen (oder heißt das jetzt Soziologierende), Politologen, und Pädagogen. Warum das Gebäude dann nach einem Naturforscher benannt wurde? Nun ja, auch die Publizisten sind hier und Forster war ja unter anderem Schriftsteller.
Vor der UB, die auch bald Geschichte sein wird, entlässt uns der Herr Bermeitinger. Wir machen noch einen Schlenker rüber zur Biologie und stellen erleichtert fest, dass die Laubengänge, Beete und Tümpel hinter dem Gebäude alle noch da sind. Fast ein Anachronismus. Die Biologen indes sind vermutlich alle umgezogen in die Neubauten hinter dem Botanischen Garten.
Auf dem Heimweg schnappen wir uns dann noch „Walking dead – die Wiederkehr“, herrlich dreist: Einfach ne große Kiste oben auf die Telefonzelle gestellt 😂.
Danach setzen wir uns im Pomp noch ein wenig in die Sonne.
Endlich Frühling!