Dienstag/Mittwoch, 11. und 12. Juni 2024: Vannes
Heute nehmen wir endgültig Abschied von der Loire in Châteauceaux (heute Champtoceaux). Hier kann man die imposanten Reste einer königlichen Zollbrücke besuchen, die schon im 7. Jahrhundert bestand. Im 13. Jahrhundert war es eine befestigte Zollstation der Herzöge von Burgund und wurde von einer höher gelegenen Burg aus bewacht. Ein steinernes Wehr sperrte die Durchfahrt auf der Loire auf ihrer gesamten Breite, die Schiffe konnten die Zollstation nur durch die beiden Bögen passieren. Das muss ein prachtvolles Bauwerk gewesen sein, zumal auch noch eine Schiffsmühle dazu gehörte.
Wir haben unseren Spaß mit Selfies vor den großen, ausgestellten Fotoleinwänden, dann noch ein letztes vor realem Hintergrund und dann heißt es: Adieu Loire, es war schön an dir!
Nantes lassen wir schweren Herzens aus, gern hätten wir die „Maschinen“ der Ile de Nantes und das Jules Verne Museum besucht. Aber große Städte sind unpraktisch und brauchen viel Zeit. Auch möchten wir das (noch) schöne Wetter lieber in der Natur verbringen.
Nach sechs Wochen Wech-Sein haben wir inzwischen 2.700 km von zuhause durch Elsass und Lothringen, Franche-Comté, Burgund und das Loiretal zurückgelegt und haben nun die Bretagne erreicht.
Wir beginnen unseren Bretagneaufenthalt am Golf de Morbihan in Vannes. Es gibt hier unzählige Campingplätze, aber die sind uns zu teuer: Ein einfacher WoMo-Stellplatz reicht völlig. Den finden wir in Séné, nur wenige Kilometer vor Vannes und richten uns häuslich ein. Dann fix unsere Nahverkehrs-Vehikel eRich und eMil vom Rack und auf geht es.
Dass Vannes am Meer liegt, kann man nicht gerade behaupten. Der Golf von Morbihan (bretonisch mor bihan = kleines Meer) ist nur durch eine schmale Passage mit dem Atlantik verbunden, dann kommt nochmal ein kleines Binnenmeer. Dort liegt der Hafen, der wegen der Gezeiten die halbe Zeit mehr trocken ist als nass, nur eine Fahrrinne hält man frei. Wir buchen für morgen hier eine (sehr) kleine Kreuzfahrt und radeln dann entlang dem Fluss Marle in die Innenstadt.
Am breit kanalisierten Unterlauf der Marle liegt der Yachthafen.
Wir ketten die Fahrräder an und genehmigen uns erst mal leckere Crèpes – auch eine bretonische Spezialität. So gestärkt geht es durch das Stadttor auf in die lebhafte (aber nicht überfüllte) und sehr pittoreske Altstadt. Überraschenderweise mit sehr viel Fachwerk, was man von Deutschland an der Ostsee- oder Nordseeküste nicht kennt!
An jeder Straßenecke gibt es ein Café, eine Bar oder eine Brasserie und alle sind gut besucht an einem Dienstag nachmittag.
Eine Art inoffizielles Wahrzeichen der Stadt sind diese beiden Herrschaften, genannt Vannes et sa femme (Vannes und seine Frau). Während wir sie fotografieren, stehen wir einem älteren Autofahrer im Weg rum, der lacht, kurbelt seine Fensterscheibe runter und fragt mich, wer denn nun Vannes sei und wer die Frau. Ich überlege kurz und meine: „Links ist die Frau“. Da nickt er bestätigend und meint schelmisch: „Richtig! Sie haben einen kostenlosen Spaziergang durch Vannes gewonnen“ – kurbelt die Scheibe wieder hoch und fährt weiter! Das sind so die Momente, wo ich mich wirklich freue, dass ich ganz gut Französisch verstehe und spreche!
Noch eine witzige Begegnung mit einem weiteren Einwohner haben wir kurz darauf vor einer Eisdiele, die sich mit dem Prädikat „Champion du Monde“ (Weltmeister) brüstet. Hinter spaßeshalber vorgehaltener Hand raunt uns der Herr zu, der Weltmeistertitel sei 30 Jahre alt und nicht diese, sondern die Eisdiele gegenüber habe das beste Eis der Stadt. Und wirklich: Eine Auszeichnung vom Gault Millaut hängt neben der Tür. Von 2024! Auch das war eine lustige und sehr sympathische Begegnung. Wir haben noch eine später im Park, die Menschen in Vannes sind wirklich sehr aufgeschlossen, gesprächig und kontaktfreudig, was man unseren Küstenbewohnern ja nun wirklich nicht nachsagen kann 😂.
Eine Kathedrale gibt es in Vannes auch, die ist ein wenig reingequetscht und nicht sehr fotogen.
Sie macht sich aber super vom angrenzenden Platz Henri IV aus – Fachwerk meets Gotik!
Ein Gebäude wie das an den schönen Platz angrenzende barocke Dreieckshaus fällt dann durchaus etwas aus dem Rahmen! Ich konnte aber nichts weiter über das markante Gebäude in Erfahrung bringen.
Exkurs: Bretonisch
Hier in Vannes – und vermutlich auch anderenorts – sind die Schilder alle zweisprachig: Französisch und bretonisch. Das Museum heißt dann Mirdiou, das Rathaus Ti-kèr, der Wein gwin. Demat heißt Guten Tag und kenavo Auf Wiedersehen. Kouign amann ist der bretonische Butterkuchen. Und die Bretagne heißt Breizh. Bier heißt erstaunlicherweise bier! Wie man das alles ausspricht – keine Ahnung. Vielleicht wie Romulanisch?
Bretonisch ist eine keltische Sprache wie Walisisch oder Kornisch (Cornwall), aber nicht so heftig wie Walisisch. Es kommt auch aus Britannien, ist also nicht die Sprache der hiesigen Kelten, die sprachen Gallisch – wie Asterix und Obelix. Das Bretonische wurde von Einwanderern aus England herübergebracht.
Als Muttersprache wird es kaum noch erlernt, in einigen Regionen gibt es ältere Menschen (Ü70), die damit aufgewachsen sind, aber die Tendenz ist fallend. Zudem gibt es ganz viele Dialekte. Immerhin ist es die einzige noch gesprochene keltische Sprache auf dem europäischen Festland.
Durch den schönen Jardin des Remparts geht es dann entlang der Stadtmauer wieder zurück zu den Fahrrädern und dann nach Hause.
Heute wird gegrillt und dazu gibt es das Nationalgetränk der Bretonen: Cidre. Der wird nicht aus Gläsern getrunken, sondern aus Keramikgefäßen, die aussehen wie altmodische Kaffeetassen. Unsere kleinen Müslischalen kommen dem sehr nahe, es fehlt nur der Henkel, da sehen wir mal drüber hinweg.
Am Mittwoch haben wir für die erste Tageshälfte eine kleine Küstenwanderung im Programm – Komoot macht’s möglich. Mit den Rädern fahren wir die 4 Kilometer zum Ausgangspunkt auf die Halbinsel von Séné. Von dort geht es zu Fuß weiter, zunächst mit etwas Abstand am Ufer entlang.
Das Gewässer zu unserer Rechten ist der Fluss Marle bzw. sein Mündungsbecken! In dieses Becken mündet auch der Fluss Vincin, wo sich der Strand von Conleau und ein schöner Segelhafen finden.
Hier bietet sich uns ein Hafenkino der besonderen Art: Was wir zunächst für ein Fischerboot mit Schleppnetz halten, entpuppt sich als die „Küstenwache“, die einen havarierten Segler aus dem Wasser schleppt.
Um die Spitze der Halbinsel herum kommen wir nach Port Anna, wo Marle und Konsorten nun durch einen schmalen Durchlass in den Golf von Morbihan einmünden.
Der Küstenweg wird nun wirklich ein Küstenweg, erst an hübschen kleinen Villen vorbei, dann wird es schon etwas wuscheliger und schließlich führt nur noch ein schmaler Pfad durch die Küstenvegetation.
Doch schon bald weitet sich der Weg wieder und wir kommen zu den Austernzuchtbetrieben, für die der Golf von Morbihan bekannt ist. Er gehört zu den 12 „Grand cru“-Regionen der Bretagne!
Die Austernzucht wird schon seit dem 17. Jahrhundert betrieben. Heutzutage werden die Babyaustern im Labor oder im Meer herangezüchtet (Saataustern) und dann zur Weiterkultur verkauft. Es gibt verschiedene Methoden der Aufzucht, am Boden, an Leinen oder in Säcken. In der Bretagne herrscht die „Tischkultivierung“ vor: Die Jungaustern wachsen in grobmaschigen flachen Säcken heran, die auf 50 cm hohe Eisentischen liegen. Sie sind bei Flut im Wasser und bei Ebbe im Trockenen. Das hat für den Züchter den Vorteil, dass die Bewirtschaftung bei Ebbe trockenen Fußes erfolgen kann. Für die Austern verhindert die Aufzucht auf Tischen, dass sie Schlamm abbekommen und es schützt sie vor Räubern am Boden. Die Säcke werden regelmäßig gerüttelt und gewendet, damit die Austern gut wachsen können und eine schöne Schale bekommen, aus der man sie gerne schlürft.
Und auch wenn die Dinger nicht an mich gehen: Natürlich müssen wir Austern direkt vom Züchter probieren!
Ich probiere auch noch mal eine – man kann ja nie wissen – aber es bleibt dabei: Es schmeckt mir nicht! Aber das Feeling, da so zu sitzen, ganz unprätentiös und sehr authentisch, das hat schon was! Und Volker ist glücklich !!!
Nach einem Mittagspäuschen im HoGo steht um viertel nach 5 der nächste Ausflug an: Eine Mini-Croisière von/nach Vannes. Eine riesige Menge alter Menschen, vorwiegend Frauen, steigt aus und defiliert an uns vorbei, eine meint scherzhaft zu Volker, wenn sie nicht so alt wären, könnte er sich jetzt schön eine aussuchen 😂😂.
Als es ans Einsteigen geht, stellen wir fest: Wir sind die einzigen Passagiere auf dem großen Ausflugsschiff 😳🫣🤭. Ein komisches Gefühl! Aber die Matrosin meint, „on va chercher d‘autres“, man werde noch welche aufsammeln.
Bis das geschieht, laufen wir bei Ebbe durch die schmale Fahrrinne aus dem Hafenbecken aus und passieren dann die Stellen, die wir am Vormittag von Land aus schon erkundet haben: das havarierte Segelboot am Barrarach (es liegt jetzt bei Ebbe auf dem Schlick), Conleau, Port Anna, das rosa Haus, viele Austernbänke. Auch die Durchsage 🔊 (nur für uns!) bestätigt: Das ist alles noch „la rivière des Vannes“ wie die Marle auch genannt wird. Dann geht es hinaus in den Golf und wir fahren die beiden großen Inseln, die Île d‘Arz und die Île des Moines an. Auf beiden wohnen ständig ein paar hundert Menschen, in den Sommermonaten das Zehnfache. Ab der Île des Moines wird es wieder voll auf dem Schiff, die letzten Tagesgäste steigen zu und das sind nicht wenige.
Gegen 19 Uhr sind wir zurück in Vannes und ein Hüngerchen macht sich breit. Ich hatte auf der Rückfahrt schon mal gegoogelt und bin auf La Possonerie gestoßen, ein Fischrestaurant mit der grandiosen Quote von 5,0 Sternen bei 128 Googlebewertungen.
Um es kurz zu machen: Wir hätten auch noch einen 6. gegeben, falls es möglich wäre. Schnörkelloses Essen von allererster Qualität, den Fisch sucht man sich in der Auslage aus, er wird dann frisch zubereitet und mit Kartoffeln und einer passenden Sauce serviert. Volker nimmt Thunfisch, ich eine schöne kleine Seezunge.
Der Hammer ist eindeutig Volkers Seafood-Teller zur Vorspeise. Es hat eine Weile gedauert, bis wir den Dreh raushaben, den kleinen schwarzen Strandschnecken, den Bigorneaux, mit einem Metallpiekser ihr Inneres im wahrsten Sinn des Wortes zu entwinden. Bei den großen Wellhornschnecken, den bulots, ist das schon einfacher. Und Krabbenpulen ist angesagt! Da muss man arbeiten, für sein Essen! Ich habe Rilettes von Fisch und Krustentieren, absolut köstlich und wesentlich einfacher zu verspeisen. Zum Schluss noch ein Lavatörtchen mit Vanilleeis und wir sind happy. Ein großartiges kulinarisches Erlebnis.