26./27. Juli 2023: Vardø
Vor der Weiterfahrt schauen wir uns noch im Partisanenmuseum um. Es ist ein offenes Haus, rund um die Uhr zugänglich, den Eintritt zahlt man per VIPPS oder bar in eine Kasse. Drinnen ist das meiste in Norwegisch beschrieben, aber man versteht ganz gut. Kurz gesagt waren die Partisanen eine Gruppe von ca. 60 Männern aus der Finnmark, die von den Russen zu Spionen ausgebildet wurden. 1943 wurden sie aufgedeckt und hingerichtet oder inhaftiert.
Interessant ist der Raum über die Küstenbatterie am Ostkapp und der über den Einsatz von Hunden im Krieg. Heute findet im Museum irgendein Treffen oder Workshop statt, viele Leute sind anwesend, meist ältere, in der Küche wird gekocht und Vorträge vorbereitet.
Wir machen uns dann auf den kurzen Weg nach Vardø, unterwegs ein Stop an der Vogelbeobachtungsstation Domen, die mit ihrem Weiß und Pink so richtig „knallt“.
Durch einen kurzen Tunnel (88 m.u.h.) geht es in die Inselstadt Vardø. Wir stellen uns neben das Hotel an den Hafen, als Nortrip-Platz ist das für uns 24 Stunden kostenlos.
Vardø haut uns zur Begrüßung mal wieder einige Superlative um die Ohren, ohne die es bekanntlich in Norwegen (und anderswo) nicht geht. Zumindest scheinen die Angaben zu stimmen. Hammerfest und Honningsvag liegen zwar nördlicher, haben wegen des Golfstroms aber kein arktisches Klima, will meinen, die mittlere Temperatur im Juli/August liegt über 10°C. Vardø bringt es gerade mal auf diese 10°C, das können wir bestätigen, wir haben uns ganz schön den A… abgefroren. Jacke, Fleecepulli, Mütze und Handschuhe Ende Juli hatten wir auch noch nicht.
Der selbstverliehene Titel „Pomoren-Hauptstadt“ zielt auf die Handelsbeziehungen des 18. und 19. Jahrhunderts mit der so benamsten russischen Volksgruppe am Weißen Meer. „Po-mor“ bedeutet „am Meer“ (gleicher Wortstamm wie Pommern).
Wikipedia „erklärt“:
„Die traditionelle Lebensweise der Pomoren basierte auf der Fischerei, dem Walfang und der Jagd … auch Pelzjagd und Rentierzucht. Der Seehandel mit Getreide und Fisch nach Norwegen war für sie wichtig. Dieser Handel war so intensiv, dass sich ab etwa 1750 eine russisch-norwegische Pidgin-Sprache entwickelte, die als Russenorsk bekannt ist.“
Woher die fischenden und jagenden Pomoren das Getreide hatten, wird nicht erklärt, und Norwegern Fisch verkaufen ist wie Eulen nach Athen tragen. Wären wir doch besser mal in das Pomorenmuseum gegangen 🙄.
Statt dessen machen wir uns mit den Fahrrädern auf zur Erkundung all der Sehenswürdigkeiten, die uns die Lehrerin mit Hund in Hammerfest auf ihrem Handy gezeigt hatte.
Vardø ist fest in der Hand der Kittiwakes, der Dreizehenmöwen, die zwar recht anmutige Geschöpfe sind (siehe Tromsø), aber auch furchtbare Schreihälse mit ihrem ständigen kitti-uääh-kitti-uääh-kitti-uääh. Und Hausbesetzer:innen sind sie auch:
Hier haben wir nun Kunstwerk Nummer 1, es stammt vom Künstlerkolletiv Taibola aus Archelansk am Weißen Meer. Von denen gibt es hier noch 3 weitere Werke, die wir auch alle besucht haben.
Die hübschen bunten Häuser täuschen aus der Ferne darüber hinweg, dass hier (wie überhaupt im hohen Norden) sehr, sehr viele Gebäude leer stehen, verlottern und zerfallen. Man scheint auch keine Anstalten zu machen, da irgendwas abzureißen oder wegzuräumen. Das wären tolle lost places für Geocaches!
Nun verstehen wir den Film, der in der Touristeninfo in Dauerschleife läuft und mit Natur, Kultur und Arbeitsplätzen explizit um Neubürger für das 2.200-Einwohner-Städtchen wirbt.
Wir kümmern uns heute aber erst einmal um die offiziellen must see’s der Stadt. Als da wäre die Festung:
Es ist eine putzige kleine Festung wie aus dem Bilderbuch, erbaut im 18. Jahrhundert im klassischen französischen Stil. Es gab aber Vorläufer seit dem Jahr 1300.
Unser nächstes Objekt ist sehr beeindruckend: Drakkar-Leviathan heißt es und wir müssen mal wieder nachschlagen: Drakkar nennt man die Kriegsschiffe der Wikinger, der Leviathan ist ein Seeungeheuer der jüdischen Mythologie. Und eh voilá – genau so sieht es aus: Vorne Schiff, hinten Ungeheuer. Ebenfalls ein Werk von Taibola aus Archelansk. Alles aus Holz.
Vardø setzt dann noch einen drauf, mit dem Monument am Steilneset: Hier wird der Hexenverfolgungen gedacht, die Ende des 17. Jahrhunderts ihren traurigen Höhepunkt fanden. In der Finnmark und besonders in Vardo war die Hexenhysterie besonders schlimm. 77 Frauen und 14 Männer wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Das Denkmal besteht aus zwei Teilen, einer Gedenkhalle und einem Pavillon.
Wir betreten zuerst den Pavillon:
Die Gedenkhalle ist über 100 Meter lang, aus Segeltuch und Holz. Im Inneren wird jeder der 77 Frauen und jedem der 14 Männer namentlich gedacht, die im Feuer den Tod fanden. Die Anklagepunkte aus den überlieferten Gerichtsprotokollen machen wütend und sprachlos zugleich. Das Dunkel im Inneren der Gedenkhalle wird durch 91 winzige Fensterchen schummrig erhellt, vor jedem eine matt leuchtende Glühlampe. Eine für jedes Opfer.
Als wir wieder ins Tageslicht treten, sind wir sehr betroffen. Das nimmt einen schon mit! Um so mehr sind wir heilfroh, dass wir dem großen, fröhlich schnatternden Besuchertrupp der kürzlich eingetroffenen Hurtigruta zuvor gekommen sind!
Am Abend gönnen wir uns ein schickes Abendessen im Vardø Hotel. Varangerkokken heißt das Hotelrestaurant, klingt wie der Erreger einer schweren bakteriellen Infektion, ist aber ein sehr empfohlenes Restaurant mit regionalen Gerichten auf hohem Niveau.
Wir werden nicht enttäuscht! Das Essen ist vorzüglich und regionale Spezialitäten bedeutet in unserem Fall Wal für Volker und Rentier für mich.
Man gönnt sich ja sonst nichts 😉.
Den Abend verbringen wir mit Tatort – das restliche Datenvolumen vom Juli muss weg, wir lassen auch davon nix übrig.
Am nächsten Morgen lugt doch tatsächlich die Sonne hervor und treibt die Temperauren in ungeahnte Höhen: Man kann die Handschuhe ausziehen, in der Sonne ist es sogar fast warm!
Wir schnappen uns wieder die Fahrräder und erkunden nun den Rest der Insel (den Teil mit den kaputten Häusern). Hier ist besonders viel Street Art zu bewundern, aber auch noch anderes Sehenswertes.
Zum Beispiel den obligatorischen alten Leuchtturm, hier besonders malerisch und dekorativ.
Dies ist der Blick zu zwei von drei Radarstationen, Globus I bis III. Sie wurden in Zusammenarbeit mit dem US-Militär errichtet und werden vom norwegischen Geheimdienst NIS betrieben. Offiziell wird das Radar für Weltraumüberwachung (Weltraummüll) und Wissenschaft verwendet, aber einige Fakten erhärten den Verdacht, dass es Teil des US-Raketenabwehrsystems ist. Als im Jahr 2000 die Hülle in einem Sturm abgerissen wurde, war die Satellitenschüssel genau auf das nahe gelegene Russland ausgerichtet. Der Zeitungsreporter, der darüber berichtete, schrieb (sinngemäß): Ich bin ja kein Experte, aber ich dachte, der Weltraum sei am Himmel.
Wir widmen uns irdischen Dingen, hier nun die Street Art-Objekte
Und auch manches Unfreiwillige geht als Street Art durch:
Ist das Kunst oder kann es weg?
Zum Abschied aus Vardø das Animal of the Day: Der entzückende Beifahrer eines Autofahrers, den wir zufällig getroffen haben. Wie so oft bei den kommunikativen Norwegern, hielten wir mit ihm (dem Fahrer 😉) ein Schwätzchen und durften den Hund (ein cremefarbener Samojede?) ablichten. Das Herrchen sah ihm irgendwie ähnlich 😂.