Auf dem Weg zum „kleinen Meer“

Von Kelbra über Tangermünde und den Hirschhof Hildebrandt in Freyenstein zu den Hallen der Herian

8. bis 10. Juli

Nach einer ausgiebigen Dusche verlassen wir die Wiese am Stausee und fahren rund 180 Kilometer weiter (wieder NNO) Richtung Tangermünde.

Unterwegs kommen wir erneut an den Pyramiden des Mansfelder Landes vorbei. Vor allem Volker hatten sie es schon auf der Fahrt zum Wiesentreffen angetan und auch vom Kyffhäuser-Denkmal aus konnte man sie in der Ferne erspähen. Es sind riesige Abraumhalden des Kupferschieferbergbaus aus DDR-Zeiten. Die höchste misst über 150 Meter.

Schachthalde Hohe Linde – 153 Meter

Gegen 16.30 Uhr erreichen wir Tangermünde und nehmen Quartier auf dem geräumigen WoMo-Stellplatz fast direkt vor dem Stadttor. Das wunderschöne 1000-jährige Städtchen an der Elbe, 2019 zur schönsten Kleinstadt Deutschlands gekürt, hatten wir schon auf unserer Elberadtour 2016 besucht. Leider nur kurz, denn es lag mitten auf der Etappe. So beschließen wir, hier noch einmal zu verweilen.

Der Bauausschuss (ohne uns)

Wir ergattern einen Platz bei der allabendlichen Stadtführung um 18 Uhr. Das wäre aber fast daneben gegangen: Vor dem Treffpunkt am Rathaus steht eine kleine Gruppe Menschen, einer schreibt eine Teilnehmerliste, wir fragen, ob wir auch unangemeldet mitkommen können. Sicher das, wird uns beschieden. Dann fragt ein anderer nach: „Oder wollen Sie etwa zur Stadtführung? Wir sind nämlich der Bauausschuss vom Stadtrat und besichtigen die Sanierungsarbeiten am Rathausdach.“ 🤣🤣🤣 „Ist eine öffentliche Sitzung, Sie können gerne mit hoch!“

Wir verzichten dankend 🤭 und versuchen unser Glück nebenan in der Touristinfo. Wir wiederholen unsere Frage, bejahen das Vorhandensein der Luca-App und werden eingecheckt.

Die Führung ist sehr amüsant und kurzweilig, Rolf Barendse erzählt gut gelaunt und mit herrlich trockenem nordischen Humor Fakten und Anekdoten aus der Geschichte der Stadt. So schlendern wir in der Abendsonne vom Neustädter Tor zum Rathaus, Hafen, Schloss und zur Stephanskirche.

Die Stadtführung am Eulenturm
Grete Minde am Rathaus

Die Häuser sind entweder reich verzierte Fachwerkhäuser oder aber Backsteinbauten. Letztere waren oft öffentliche Gebäude (Rathaus), gehörten dem Klerus oder den (stein)reichen Leuten. Die Gebäude datieren alle aus der Zeit nach 1618 – dem Jahr in dem Tangermünde fast vollständig abbrannte. Die Schuld gab man einer Frau, Grete Minde, die aus Rache über das ihr vorenthaltene Erbe gehandelt haben sollte. Sie wurde verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Theodor Fontane schrieb darüber eine Novelle. Spätere Forschungen in den alten Aufzeichnungen lassen vermuten, dass Grete zu Unrecht verurteilt wurde – man brauchte halt eine/n Schuldige/n.

Das schönste Fachwerkhaus Tangermündes. Über der Toreinfahrt zwei Einhörner 🦄
Detailreich und deftig – Türschmuck

Im 14. Jahrhundert machte Kaiser Karl IV. Tangermünde zu seinem Zweitsitz und ließ die alte burg zu einer prächtigen Residenz ausbauen. Hier wohnte später zunächst auch der jeweilige Markgraf zu Brandenburg, einer der 7 Kurfürsten. Über eine Rebellion der Bürger gegen die Biersteuer fielen sie aber in Ungnade und die Residenz wurde nach Cölln verlegt. Dieses Städtchen mauserte sich später zur Großstadt und nannte sich fortan Berlin. Wer weiß, ob ohne die Aufmüpfigkeit seiner damaligen Bürger heute nicht Tangermünde deutsche Hauptstadt wäre. Ma waas es net 🤷‍♂️🤷‍♀️. So oder so war die Stadt als Mitglied der Hanse und durch ihre günstige Lage bis nach dem 30-jährigen Krieg ein bedeutendes Handelszentrum.

Das Schloss (heute Hotel) und die mächtige Stadtmauer

Fast zwei Stunden vergehen wie im Flug. Danach haben wir richtig Hunger und futtern Fisch im Restaurant Am Neustädter Platz.

Der Abend vergeht mal wieder mit loggen und bloggen – man kommt ja zu nix bei so einem Wech. Ich muss das künftig während der Fahrt machen.

Wir verbringen eine ruhige Nacht, unser Nachbar (Carthago aus HH, allein unterwegs, sein Frau hat ihn mal für ne Woche weggeschickt, damit er aus den Füßen ist) berichtet jedoch von lärmenden Jugendlichen um 3 Uhr nachts. 🤷‍♀️🤷‍♂️ haben wir nichts von mitgekriegt.

Tangermünde-Freyenstein, 9. Juli (ich glaub Freitag)

Um 10 beginnt es zu regnen, ein ausgedehntes Regengebiet (Volker würde es wohl als Tiefausläufer bezeichnen) zieht den ganzen Tag über Nordostdeutschland. Wir suchen unser nächstes Ziel aus, Landvergnügen auf dem Hirschhof in Wittstock-Freyenstein. Im prasselnden Regen geht es über die B107 und B5, immerhin ist so im Nullkommanix der HoGo wieder insektenfrei. Man muss nur warten, dann lösen sich viele Probleme von selbst auf – so auch ein Belag toter Kleininsekten auf dem Wohnmobil 😂.

Mit Einkaufen in Perleberg (ALDI Nord 🤩 und Edeka, ansonsten gibt es hier nur Netto und noch nicht mal den dänischen, der geht ja) und Nachtanken von AdBlue brauchen wir 4 Stunden für 130 Kilometer. Man hat’s ja nicht eilig 🐌. Gegen 16.30 kommen wir auf dem Hirschhof an, immer noch im Regen ☔.

Das ist mal wieder Landvergnügen pur und überaus lauschig. Es gibt sehr hübsche Hühner verschiedener Rassen, Ziegen und den Hirsch Bruno samt Gefolge, der aber durch Abwesenheit glänzt und sich für das animal of the day-Ranking disqualifiziert. Hier glänzt neben dem Minifrosch die Henne Wilhelmine, die mit hoher Stirn und Backenbart eine frappierende Ähnlichkeit mit Kaiser Wilhelm I. aufweist:

Kurt Krömer

Die von Bauer Horst (oder Heinz 🤔) angepriesenen „Damen“ alias Bärbel und Bianca (Spitzname Uschi 😂🙈) servieren selbstgemachte Wildsülze mit Bratkartoffeln. Wir sind glücklich. Herz was begehrst Du mehr! Zudem ergibt sich eine angeregte Unterhaltung mit unseren Stellplatznachbarn, einem golfenden Lehrerpaar aus Gütersloh. Und wo wir schon bei Ähnlichkeiten waren: Volker wird unisono von allen Anwesenden als Doppelgänger von Kurt Krömer entlarvt.

Der gemütliche „Speiseraum“ des Hirschhofs

Es gefällt uns hier ausnehmend gut, die Gastgeber sind voll nett, locker und lustig, alles ist mit viel Liebe zum Detail und gemütlich ausstaffiert. Horst/Heinz erzählt einen Schwank aus seiner Jugend: Er hielt es für eine gute Idee, in der Wehrmachtsuniform des Onkels General zu spielen 😖. Das kam gerade in der DDR nicht gut an 🙈, woraufhin er seine militärische Laufbahn beendet hat und Bauer wurde 😂.

Alleinstellungsmerkmal Landvergnügen:
Hinter dem HoGo ist der Chausson-Kastenwagen unserer Nachbarn quasi nicht zu sehen

Wir verziehen uns gegen halb neun sehr zufrieden in unsere Gemächer. Und morgen versuchen wir es nochmal mit Bruno.

Samstag, 10. Juli: Auf nach MeckPomm

Hier erst mal der Blick aus meinem Schlafzimmerfenster:

Wenn das kein Landvergnügen ist, was dann?

Während ich kurz darauf einen Klönschnack mit meiner Spitznamensvetterin halte, gelingt Volker die Kontaktaufnahme mit Bruno. Eindeutig das animal of the day:

Hoffentlich landet der nicht auch mal in der Wildsülze 😨. Übrigens hat Bauer Horst 007 die Lizenz zum Töten mit der Jagdwaffe. Echt jetzt! Die Tiere, ob Hirsch, Schaf oder sogar Rind müssen nicht zum Schlachthof, er darf die auf der Weide erschießen. Und dann kommen sie in einem Kühlwagen zur Verarbeitung. Die kleinen macht er selbst, die großen der Metzger. Wer das nicht gut findet, sollte Vegetarier oder Veganer werden.

Nachdem wir gefrühstückt und uns herzlich von diesen lieben Menschen verabschiedet haben, wollen wir wenigstens „noch schnell“ den nahegelegenen Geocache finden. Das dauert dann eine gute Stunde, weil wir mirnichtsdirnichts plötzlich im Archäologischen Park Freyenstein stehen. Hier wurden die Fundamente einer mittelalterlichen Stadt ausgegraben und äußerst gekonnt in Szene gesetzt. Besonders gut gefällt uns die Nachstellung des Marktplatzes mit „Scherenschnitten“ aus Metall:

Damit nicht genug: Nach der Bergung des (völlig schrottigen) Geocaches führt uns der Weg noch zum Neuen und Alten Schloss, und vor allem das (gar nicht mal so) alte von 1554 ist ein echter Hingucker:

Auch der Schlosspark mit Teich kann sich sehen lassen.

Dann ist aber endgültig Aufbruch angesagt und bei inzwischen fast schon sonnigem Wetter geht es gen Müritz. Wir sind zu früh dran, also fahren wir erst mal nach Sietow-Hafen auf ein zünftiges Räucherfischbrötchen 🐟🍔🤩.

Danach schauen wir nach Campingmöglichkeiten für die Woche und einem Stellplatz für den HoGo während der Segeltour (wir haben bei SunSailing „unsere“ Lotos ab 16.7. gechartert). Eine gute Idee! Frau Schwesig ist streng: Für’s Camping braucht man hier bei Anreise einen GGG-Nachweis oder einen negativen Schnelltest. Für das „Bootcamp“, also Liegen mit dem Boot im Hafen, angeblich nicht, sehr logisch! Wir erfahren bei dem von uns präferierten Platz bei Alt Schwerin, dass man den Test auch da vor Ort unter Aufsicht machen kann. Platz scheint auch genug zu sein, also hoffen wir mal das Beste. Nach zwei vergeblichen Versuchen finden wir dann auch eine gute Parkmöglichkeit für den HoGo während der Segelwoche: für 14 Euro ebbes vor dem Wohnmobilhafen Kamerun. Der ist scheußlich und riesig und überlaufen, aber zum Parken genau richtig.

Und dann geht es nach Groß Dratow-Schwastorf zum Reiterhof von Isabella und Rainer – die Hallen der Herian! Hier haben wir für morgen einen Tagesritt im Nationalpark gebucht 🏇🏇.

Die beiden sind bis 2019 viele Jahre lang als Herian Reida mit einer Turniershow bei Mittelalterfesten aufgetreten, so mit Lanze, Schwert und Rüstung und natürlich hoch zu Ross. Daraus entstand auch der Wunsch, ein „Ritterpferd“ zu züchten und damit sind wir bei den Spanish Normans – Kreuzungen von französischem Kaltblut Percheron mit P.R.E. Pura Raca Espanol, der ältesten Pferderasse der Welt. Heraus kommen prächtige großrahmige Schimmel.

Das alles erfahren wir von Rainer, mit dem wir einen ausführlichen Plausch nach unserer Ankunft halten. Natürlich erst, nachdem wir die Pferde begrüßt haben.

Sehr lässige, freundliche, zutrauliche Pferde!

Den HoGo stellen wir zwischen die Fliederbüsche neben dem Hof, hier dürfen wir sogar bis Montag stehen – praktisch, dann müssen wir morgen nach dem Ritt nicht noch umziehen.

Hier stehen wir wie in Abrahams Schoß, kein Trubel, kaum Netz, nur wir … und die Schnaken 🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟🦟 😖. Und die Nachbarin, die uns Kuchen anbietet und als ich verneine einen drauflegt: Pellkartoffeln habe sie auch noch übrig 😂😂😂.

Da machste was mit!

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