Geschichte der Festung Mainz
14. April 2022
Geocachen bildet! Sagen wir immer wieder. Am Gründonnerstag folgen wir deshalb den Spuren der Mainzer Festung – oder sagen wir besser mal, dem Track, den der Mainzer Geocacher Määnzer gelegt hat, um sie der Reihe nach abzuradeln. Wobei „Reihe“ nicht die historisch richtige „Reihenfolge“ bedeutet. Deshalb will ich in diesem Blogbeitrag bewusst nicht unsere Radroute wiedergeben, sondern die Geschichte des Mainzer Festungsbaus ab dem 17. Jahrhundert chronologisch erzählen.
Nun ist das mit dem Festungsbau eine komplizierte Angelegenheit. Es wimmelt nur so von Begriffen, oft französischen, und wenn man sie nachschlägt, wird ein Fremdwort mit drei anderen erklärt. Irgendwann hab ich entnervt aufgegeben. Man muss nicht alles parat haben!
Wer es doch wissen will, kann im Festungslexikon nachschauen.
Und noch eines: Den Festungsbau – ob in Mainz oder sonstwo – kann man nur in seinem zeitlichen Kontext verstehen. Er ist Reaktion und Ausdruck vor allem der politischen, der technischen, aber auch der gesellschaftlichen und sozialen Randbedingungen der jeweiligen Zeit. Daher bringt es nix, wie der Määnzer in seinem Multi, einfach nur ein paar Bauwerke mit Jahreszahlen und Bildern aneinander zu reihen. Man muss es in einen Kontext stellen. Der heißt Geschichte. Und wie der Name schon sagt: Geschichte lebt von Geschichten, man muss sie erzählen, mit ihren Motiven und Konsequenzen, man kann sie nicht in eine Liste von Jahreszahlen pressen.
Bei aller Mühe um Kürze, ist das hier mal wieder eine viel längere Sache geworden, als ich eigentlich dachte 🙄. Es ist eine Art Ego-Trip, denn ICH will es verstehen! Wer keinen Bock drauf hat (was ich durchaus verstehen kann), der möge ab hier was anderes lesen oder sich nur die Bildchen angucken (was aber auch wenig bringt, wenn man nicht liest 😉).
Die Befestigung von Mainz fängt schon mit den Römern an. Klassischerweise haben römische Siedlungen keine Stadtmauern, ganz einfach weil sie keine brauchen: Die Hegemonie der Weltmacht Rom ist so groß, dass sie keine Angreifer zu fürchten braucht. Das ändert sich gegen Ende des Imperiums (das mit dem Jahr 476 angegeben wird – dem „Untergang“ Westroms): Vor allem in Germanien widersetzt man sich vehement der römischen Eroberung, die Römer sehen sich gezwungen, ihr Territorium durch den Limes von den Germanen und den zahlreichen völkerwandernden Ethnien wie Vandalen und Hunnen zu schützen. So lässt man auch Mauern um die römische Garnisonsstadt Mogontiacum errichten. Nach dem Abzug der Römer (spätestens um 500) baut das nun fränkische Mainz die römische Stadtmauer weiter aus. Reste finden sich heute noch sehr vereinzelt im Stadtgebiet. Das kriegen wir später; mir geistert die Idee eines Multis zur mittelalterlichen Stadtmauer im Kopf, aber das wird noch eine ganze Weile dauern, wenn überhaupt was draus wird.
Hier geht es nun um die Festungsgeschichte der Neuzeit, also etwa ab dem Jahr 1500.
Die frühesten Festungsanlagen aus dieser Zeit sind – bzw. waren – die Martinsburg etwa an der Stelle des heutigen Schlosses. Der uns aus der Mainzer Stiftsfehde bereits bekannte Kurfürst Diether von Isenburg lässt sie ab 1478 errichten, weil es ihm um den Dom rum zu gefährlich wird. Hier, vom Rand der Stadt und nah dem Wasser, kann man im Zweifelsfall schneller abhauen. Übrig ist bis auf ein paar Steine im Graben des Schlosses nichts mehr, sie wird unter Napoleon 1809 abgerissen. Ab 1627 erweitert „nebenan“ das Kurfürstliche Schloss die inzwischen altmodische Martinsburg.
Militärisch bedeutender ist bzw. war die Schweickhardsburg, der Vorläufer der heutigen Zitadelle. Schon Ausgang des 16. Jahrhunderts wird klar, dass die olle mittelalterliche Stadtmauer einem Angriff mit modernen Geschützen nicht würde stand halten können. Aber man wurschtelt sich so durch. Es gibt zahlreiche kleine Fehden und Truppendurchzüge, doch kaum ist die Gefahr vorbei, ist man wieder beruhigt. „Et es ens noch immer joot jange“ – würde der Kölner sagen.
Doch irgendwann wird auch dem sparsamsten Kurfürsten klar, dass es so nicht lange gutgehen kann. Am End entscheidet man – auch aus Kostengründen – die Befestigung des Jakobsbergs sei ausreichend. Dummerweise existiert dort seit 1055 ein Benediktinerkloster und Kurfürst Johann Schweickhard von Kronberg, seines Zeichens ja auch Erzbischof, traut sich nicht, das abzureißen. Also baut man ab 1620 die Festung – ein scheppes Fünfeck – um das Kloster herum.
Nun muss man bedenken, dass mittlerweile der 30-jährige Krieg begonnen hat, und dem Kurfürsten wird nun doch bange. So lässt er durch Rodungen ein freies Schussfeld (im französischen Festungsbau-Jargon nennt man das Glacis) um die Festung schaffen und einige Geschützstellungen errichten, zum Beispiel am Rhein und Richtung Gartenfeld. Auch der nächste Kurfürst, ein von Greiffenklau, baut die Befestigungsanlagen weiter aus. Es bleibt aber Stückwerk, von einer zusammenhängenden Befestigung kann nicht die Rede sein und den riesigen Heeren des 30-jährigen Krieges hat das alles wenig entgegenzusetzen.
So kommt es wie es kommen muss, am 23. Dezember 1631 übernimmt der schwedische König Gustav II. Adolf die Stadt mehr oder minder kampflos. Die geistlichen und weltlichen Herren tun das, was sie in Mainz scheinbar immer tun: Sie sind „abgereist“.
Die Schweden haben vor, in Mainz zu bleiben, sie befestigen strategisch wichtige Orte: den Albansberg (Oberstadt, rechts neben dem Jakobsberg), den Hartenberg, den Taubertsberg (Hauptstein) und das rechte Rheinufer bei Kastel. Links vom Main entsteht ein großes Fort, die „Gustavsburg“.
Doch Gustav Adolf stirbt schon 1632 auf dem Schlachtfeld und die Schweden ändern ihre Pläne: 1636 verlassen sie Mainz.
1648 ist der Dreißigjährige Krieg beendet und in Mainz gibt es mal wieder einen neuen Boss, Johann Philipp von Schönborn (1647-73), einen der bedeutendsten Mainzer Kurfürsten. Der ist als ehemaliger Offizier dem Festungsbau sehr zugetan, sieht er doch darin ein praktisches Mittel seiner durchaus anspruchsvollen Territorialpolitik. Schönborn ist klar, dass er mit den mittlerweile verfallenen und militärisch überholten schweickhardschen und schwedischen Schanzen nix anfangen kann. Etwas Neues muss her!
Und damit es schnell geht, verkloppt er einige entlegene Kurmainzische Dörfer an das Fürstbistum Würzburg, um an Kohle zu kommen. Vorteil bei der Sache: er selbst ist Fürstbischof von Würzburg 😜. Rechte Tasche, linke Tasche!
1655 geht es richtig los, unter dem Festungsbaumeister Johann Baptist von der Driesch (ob der mit unserer alten Freundin und Trauzeugin (!) H. verwandt ist 🤔) entsteht die Festung Mainz !
Erste Bauphase 1655-1662
In Kurzfassung:
Umbau der Schweickhardsburg zur „Zitadelle“: Fast quadratischer Grundriss mit hervortretenden Bastionen an den Ecken (Alarm, Tacitus, Drusus und Germanicus. Sie dient als Festungskommandantur . Das Jakobskloster bleibt übrigens nach wie vor bestehen! Und der Eichelstein bzw. Drususstein, der wuchtige römische Kenotaph. Das ist das Scheingrab des Feldherrn Drusus, der vorschriftsmäßig außerhalb der Stadt begraben wurde).
Während bei der Schweikhardtsburg noch viel mit Erdwällen gebaut wurde, ist die Zitadelle gemauert. Das gilt auch für die Bastionen, die später einmal die gesamte Stadt halbkreisförmig umschließen werden. Als erstes im Süden zwischen Zitadelle und Rhein die Bastionen Nikolaus, Catharina und Albani (davon Reste in der Wilhelmiterstraße). Bei Grabungen hinter der Lokhalle (heute Römerschiffmuseum) fand man Reste der Bastionen Catharina und Nikolaus sowie des Neutors. Und Straßenpflaster der Vilzbach, des vormaligen Mainzer Stadtteils, der ins Ignazviertel „umziehen“ musste. Das ist inzwischen mit dem neuen RGZM überbaut.
Im Westen entstehen die Bastionen Johannes, Philipp, Martin, Bonifatius, Alexander und Paulus. Daran erinnern heute noch einige Straßennamen in der Oberstadt wie Philippsschanze, An der Bastion Johannes und andere!
Zwischen Philipp und Martin wird 1670 der Haupteingang zur Stadt, die Gaupforte umgebaut. Sie besteht zu der Zeit aus einer inneren, mittleren und äußeren Pforte mit 2 Türmen. Die müssen bis auf den äußeren Martinsturm weichen und werden ersetzt durch das in den neuen Festungswall integrierte dreiflügelige Gautor.
Was heute „Gautor“ heißt ist das mittlere Portal von 1670, das nach dem Abriss der Anlage in der Stadt „rumgeschubst“ wird, bis es auf Betreiben Mainzer Bürger 1998 wieder in etwa an seinen alten Platz gestellt wird.
Der Martinsturm der äußeren Gaupforte bleibt erhalten und dient als Pulverturm – bis er 1857 in die Luft fliegt und in der Stadt schwerste Schäden anrichtet. Dazu später mehr.
Unter dem kaiserlichen Ingenieur Johann Joseph Spalla werden die letzten fünf Bastionen des inneren Rings bis zum Rhein fertiggestellt: Leopold, Felicitas, Damian, Hartard und Raimund. Von denen ist heute nichts mehr übrig, soweit ich weiß.
Natürlich müssen für den Festungsbau Grundstückseigner und Hauseigentümer Verluste hinnehmen. Schönborn entschädigt sie mit Geld, Naturalien oder Grundstücken. So lässt er die Bleichenwiesen trockenlegen und als Bauland vergeben.
Der pfälzische Erbfolgekrieg
Dieser lange Krieg (1688-1697) ist zu Unrecht wenig bekannt, hat er doch in der Kurpfalz schlimmste Schäden angerichtet und viele Städte in Schutt und Asche gelegt. Prominentestes Beispiel ist das Heidelberger Schloss. Die Story: Ludwig XIV. will mal wieder das französische Staatsgebiet bis an den Rhein ausdehnen und nimmt den Tod des kinderlosen pfälzischen Kurfürsten Karl II. zum Anlass, Erbansprüche auf die Pfalz anzumelden. Der ist um 2 Ecken sowas wie sein Schwippschwager gewesen, Ludwigs Bruder war mit der Schwester Karls (der viel besungenen Lieselotte von der Pfalz) verheiratet. Das ist natürlich sehr weit hergeholt, aber wenn es darum geht, Kriege zu rechtfertigen, ist seit jeher jeder Vorwand recht. Ist heute beim Überfall Putins auf die Ukraine ja nicht anders. Unter dem Motto „Brûlez le Palatinat!” – „Verbrennt die Pfalz!“ marodieren die Franzosen auf’s Schlimmste und was sie nicht zerstören, geht bei der Rückeroberung durch die kaiserlichen Truppen zugrunde. Am End bekommen die Franzosen die Pfalz nicht, was bleibt ist eine tief verwurzelte Feindschaft gegenüber den Franzosen, die bis ins 20. Jahrhundert andauert.
Mainz hat noch halbwegs Glück, die Stadt wird mal wieder den feindlichen Truppen kampflos übergeben, doch die späteren „Befreier“ benehmen sich angeblich schlimmer, als zuvor die Besatzer.
Das 18. Jahrhundert: 2. Festungsgürtel
Irgendwann ziehen die kaiserlichen Truppen ab und der Kurfürst kann wieder in „seiner“ Stadt bestimmen. Das ist seit 1695 Lothar Franz von Schönborn, Neffe des legendären Johann Philipp und über seine Mutter auch Ex-Kurfürst Greiffenklau verwandt, also war ihm das Amt quasi von 2 Seiten in die Wiege gelegt.
Auch er muss feststellen, dass so eine Festung schneller veraltet und verlottert, als einem lieb ist. Doch erstmal reicht das Geld nicht für größere Maßnahmen. Nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1713 (mal wieder deutscher Kaiser gegen Ludwig XIV) beschließen die Reichsstände, die Außengrenzen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation zu befestigen und subventionieren den Mainzer Festungsbau.
Man engagiert einen berühmten Festungsbaumeister, Johann Maximilian von Welsch, der einen 2. Festungsring mit vorgeschobenen – „detachirten“ – Forts um die Stadt anlegt: Fort Karl, Hauptstein und Josef, später noch Philipp und Elisabeth.
Alle haben Pulvermagazine und unterirdische Minengänge, die bei Bedarf gesprengt werden können. Das stadtseitige Portal der Zitadelle wird mit dem Kommandantenbau überbaut. Der innere Bastionsring erhält Ravelins, das sind die „Zacken zwischen den Zacken“.
Um 1735 ist man fertig und das hält nun auch technisch gesehen etwas länger vor und kann sogar um 1800 Napoleon beeindrucken. Allerdings mangelt es an der Truppenstärke und … man hat schon wieder an der Instandhaltung gespart. Das machen die Mainzer ja bis heute so, wenn man sich so manches marode Bauwerk anschaut.
Als 1792 – mal wieder – die Franzosen vor der Tür stehen, wird Mainz – mal wieder – kampflos übergeben.
Bundesfestung
Die (französische) Revolution macht vor Mainz nicht halt. Auch wenn die Franzosen 1793 nach dem Intermezzo der Mainzer Republik die Stadt verlassen, so ziehen sie am 30. Dezember 1797 wieder ein und „Mayence“ wird zum vierten Mal französisch.
Die linksrheinischen Gebiete werden Frankreich angeschlossen, Kirchen und Klöster enteignet, Adel und Klerus verlassen die Stadt. In die Adelspalais ziehen Offiziere ein, der Rest wird bei den Bewohnern einquartiert, 12.000 Besatzungssoldaten bei 20.000 Mainzern. Mainz ist eine Militärstadt.
Mit dem Residenzstatus fällt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor weg, die Folge sind Arbeitslosigkeit und Armut. In der Enge der durch Festungsmauern eingezwängten Stadt ist kein Platz für moderne Produktionsbetriebe und außerhalb ist auf den Glacis und Rayons Bebauung und Gewerbeansiedlung untersagt. Keine guten Aussichten.
Doch die Besatzung hat auch ihre guten Seiten: Napoleon will Mainz nicht nur als Festung, sondern als „Aushängeschild“, als Bonne ville de l’Empire français. Er baut schöne Straßen, wie die Grande Rue Napoleon, die heutige Ludwigsstraße, lässt auch viel abreißen, zuvörderst die Martinsburg, um der Stadt ein repräsentatives Aussehen zu verleihen. Dazu soll sogar der demolierte Dom weichen, was die Mainzer zum Glück zu verhindern wissen. Und natürlich werkeln die Franzosen auch an den Festungsbauten herum, vor allem bauen sie rechtsrheinisch die Befestigung von Kastel aus mit den Forts Kastel, Mars (auf der Maaraue) und Montebello. Pläne, den Main östlich um Kastel herumzuleiten werden nicht verwirklicht. Dafür wird am Rhein bei Mombach eine große Inondationsschanze gebaut – eine Schleusenbrücke, mit der man das Gartenfeld hätte unter Wasser setzen können. Leider konnte ich kein Bild davon finden.
Mit der Völkerschlacht bei Leipzig wendet sich das Blatt für Napoleon und am 4. Mai 1814 enden 16 Jahre französischer Herrschaft in Mainz. Sie begegnet einem noch heute aller Orten, sei es in den Namen der Mainzer oder in vielen Alltagsbegriffen. Und noch etwas lassen die Franzosen zurück: Eine furchtbare Fleckfieberepidemie, die die abziehende Grande Armee aus Leipzig bei ihrer Rast in Mainz einschleppt. Am „Typhus de Mayence“ sterben in wenigen Monaten 20.000 Menschen.
Mit der neuen Ordnung des Wiener Kongresses gründet sich 1815 der Deutsche Bund, ein Bündnis (kein Staat!) dem neben den Fürstentümern, Herzogtümern, Grafschaften etc. und freien Städte auch Österreich, Preußen, Holstein/Dänemark und Luxemburg angehören. Mainz gehört jetzt zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt, das mit Preußen und Österreich einen Staatsvertrag schließt: Die Stadt Mainz bleibt hessischer Besitz, die Festungsanlagen jedoch werden von Preußen und Österreich verwaltet.
Im Herbst 1820 beschließt die Bundesversammlung, die Mainzer Festung als Bundesfestung zu übernehmen. Sie wird am 15. Dezember 1825 formell dem Deutschen Bund übergeben und ist nun Bundesfestung. Was bedeutet das? Nun, zum einen, dass Wiederherstellung, Instandhaltung und notwendige Ausstattung der Festung durch den Deutschen Bund finanziert würden, ein teures Unterfangen, das man aber nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gerne eingeht. Preußen und Österreicher – selbst wichtige Bundesgenossen – bleiben und wechseln sich alle 5 Jahre in der Kommandantur ab.
Im Alltag gehen sich Preußen und Österreicher aus dem Weg. „Grenze“ ist die Ludwigstraße, die Kneipen südlich sind den preußischen Soldaten vorbehalten, die österreichischen gehen in die nördliche Stadthälfte.
Rund 7.000 Soldaten sind in Friedenszeiten stationiert, leider gibt es nicht genügend Kasernen, so dass immer noch viele auf Kost und Logis bei Bürgern einquartiert werden. 1830 wird die Garnison wegen der Pariser Julirevolution verdoppelt, die Mainzer sind not amused, müssen sie doch weitere 4000 Soldaten in Privatquartieren „durchfüttern“. Außerdem wird die Festung verteidigungsfähig gemacht, mit Palisaden verbarrikadiert, die Pulvermagazine befüllt und das gesamte Vorfeld (Glacis) kahl geschlagen.
Und natürlich wird weiter ausgebaut, denn die Kriegstechnik schreitet fort und es braucht noch mehr Bollwerke. An Geld mangelt es nicht. Über 50 Jahre lang wird ab 1814 in drei Phasen erweitert:
Zuerst wird auf dem Gelände der 1793 zerstörten Favorite das Fort Weisenau angelegt. Das kann man heute im Stadtpark noch gut sehen und begehen.
In Kastel wird die Reduit ge- und die Forts ausgebaut. Auf der Maaraue entsteht die Rheinschanze. Heute kann man im Rest davon essen und trinken. In Mainz werden die Forts Hartenberg und Hartmühl befestigt. Außerdem wird saniert was das Zeug hält. Damit ist man um 1834 fertig.
In der zweiten Befestigungsphase werden noch weiter außen gelegene Forts errichtet, die in der Mainzer Republik zur Verteidigung errichtete „Klubistenschanze“ wird zum Fort Stahlberg ausgebaut.
Am Rhein entsteht die Rheinkehlbefestigung – allerdings noch nicht die heutigen Tore – 1841-53 das Fort Malakoff.
1860 bis 66 machte die Waffentechnik mal wieder Neubauten erforderlich: Die Erfindung gezogener Geschütze, also mit Rillen im Lauf, die den Geschossen einen Drall geben, so dass weiter und genauer fliegen. Da sind auf einen Schlag die Festungswerke altes Eisen und man muss nachbessern. Wo man schon mal dabei ist, baut man noch das Fort Bingen und das Fort Gonsenheim, um den potenziellen Feind noch mehr auf Abstand zu halten und die größere Reichweite der neuen Geschütze auszugleichen. Dazu kommen das Proviantmagazin und – endlich für die gebeutelten Mainzer – eine Kaserne in der Zitadelle.
Rumms
Es ist Mittwoch, der 18. November 1857, 14.57 Uhr. Eine riesige Detonation erschüttert die Stadt. Schon bald ist klar: Das Pulvermagazin an der Bastion Martin ist in die Luft geflogen. Hier ein Zeitzeugenbericht:
Fazit: 120 tote Soldaten und Zivilisten, mehrere hundert Verletzte. 57 Wohnhäuser am Kästrich und in der Gaugasse komplett zerstört. Der mittelalterliche Gauturm (Martinsturm) neben dem Pulvermagazin verschwunden. St. Stephan schwer beschädigt, das Schieferdach existiert nicht mehr. Sämtliche Fensterscheiben der Stadt liegen in Scherben.
Sogar die internationale Presse berichtet von der Katastrophe und löst eine Spendenaktion für die Hilfebedürftigen aus. Vielleicht sieht sich der Deutsche Bund auch deshalb genötigt, Schadenersatz an die betroffenen Bürger zu zahlen.
Grund für die Explosion ist laut amtlichen Untersuchungen – Sabotage. Allerdings hätte in der Stadt zu Friedenszeiten gar keine Munition sein sollen. Die 208 Zentner Zündhütchen und über 600 Leuchtkugeln (Wikipedia) sollten in „Friedenspulvermagazinen“ vor der Stadt lagern. Aber: Es gibt sie (noch) nicht.
Das Ende der Bundesfestung
Preußen und Österreicher waren sich ja noch nie so richtig grün, irgendwann musste das schiefgehen mit dem Händchenhalten. Anlass oder besser Vorwand ist eine Petitesse, nämlich die „Elbherzogtümer“ Schleswig und Holstein. Herzog ist der dänische König, doch gehört das deutschsprachige Holstein zum Deutschen Bund, Schleswig mit seiner kulturell gemischten Bevölkerung aus Dänen, Friesen und Deutschen nicht. Es ist aber nur eine Art „Leihgabe“ an die Dänen. Doch die wollen sich Schleswig per Dekret (Novemberverfassung) ganz einverleiben, was dem neuen deutschen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck einerseits nicht gefällt, andererseits aber in den Kram passt: Man bekriegt sich also im Deutsch-Dänischen Krieg, der auch 1. Einigungskrieg genannt wird, gemeinsam mit Österreich 1864 gegen die Dänen, gewinnt natürlich, kann sich aber danach nicht einigen, wie es nun mit den eroberten Gebieten weitergeht. (Übrigens: Noch heute vertritt der Südschleswigsche Wählerverband die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein).
Daraufhin beginnt der Deutsch-Deutsche oder 2. Einigungskrieg 1866. Doch das ist nur ein Vorwand, im Kern geht es um die Vormachtstellung und die Zukunft Deutschlands, über die Preußen und Ösis unterschiedliche Vorstellungen haben. Kurz gesagt: Bismarck will Österreich rauswerfen. Den mit 10 Wochen sehr kurzen „Deutschen Krieg“ gewinnt Preußen in der Schlacht von Königgraetz, nicht nur, aber auch wegen seiner supermodernen Hinterladergewehre. Preußen tritt aus dem Deutschen Bund aus und gründet den Norddeutschen Bund.
Mainz ist bei all dem außen vor: Es wird für neutral erklärt, beide Garnisonen verlassen die Stadt und werden durch bayrische und sächsische Truppen ersetzt. Mit der Bundesfestung ist es nach dem Krieg natürlich vorbei, kein Deutscher Bund – keine Bundesfestung. Zwei Tage nach Kriegsende übernehmen: Die Preußen.
Der Norddeutsche Bund umfasst alles nördlich des Mains, zu Bismarcks Ziel – einem gesamtdeutschen Nationalstaat – fehlen jetzt noch die süddeutschen Staaten. Um die mit ins Boot zu holen, provoziert Bismarck den deutsch-französischen, den 3. und letzten Einigungskrieg (Stichwort Emser Depesche, eigentlicher Grund die spanische Thronfolge). Der Ausgang ist bekannt: Frankreich verliert und am Neujahrstag 1871 wird das Deutsche Reich proklamiert und Wilhelm II. zum Deutschen Kaiser gekrönt. Im Spiegelsaal zu Versailles, was die Franzosen – natürlich – übel nehmen.
Und Mainz wird … Reichsfestung!
Nun muss man wissen, dass Mainz bei aller militärischer Bedeutung Ausgang des 19. Jahrhunderts den Anschluss an die industrielle Revolution verpasst hat. Die Festungsbauten zwängen die Stadt ein. Mit fast 80 Bewohnern pro Quadratmeter ist es eine der dichtbesiedeltsten Städte Deutschlands, weit vor Berlin, Köln oder Frankfurt. Vor den Bollwerken liegen die Glacis auf denen die Bebauung ganz untersagt ist, dahinter die Rayons, auf denen nur Behelfsbauten errichtet werden dürfen, die man im Bedarfs- sprich Kriegsfall schnell abreißen kann, denn die Armee braucht freies Schussfeld.
Mit dem Sieg über Frankreich rückt Mainz aber aus der Schusslinie, denn die Grenze verläuft nun viel weiter westlich, bei Metz. 1872 willigt die preußische Militärverwaltung nach zähen Verhandlungen ein, den westlichen Festungsgürtel aufzulassen, damit die Stadt erweitert werden kann. Unter Stadtbaumeister Wilhelm Kreyßig entsteht die Neustadt. Allerdings muss die Kommune sich verpflichten, für 4 Millionen Gulden diese neue Stadt wiederum mit einem Wall zu umgeben – dem Rheingauwall. Den baut Kreyßig dann gleich mit. Bastionen sind nicht mehr en vogue, der riesige Wall um schließt die Neustadt quadratisch, praktisch, gut. Oben drauf „sitzen“ – wie Reiter auf dem Pferd – die Kavaliere Prinz Holstein und Judensand, dazu kommt Fort Hartenberg, rein und raus kommt man über 4 Tore, darunter das Gonsenheimer und das Mombacher Tor. Fort Hauptstein wird zum Kavalier umgebaut und an der Bastion Alexander ist man wieder am 1. Festungsring angekommen. Am Rhein wird die Schleusenbrücke (Inondationsschanze) zum Rheinfort umgebaut, denn das neu bebaute Gartenfeld soll natürlich nicht unter Wasser gesetzt werden. Kann es auch nicht, denn es ist um fast 3 Meter aufgeschüttet.
Am Rheinufer entstehen die heute noch zum Teil existierenden Rheintore, ab Fort Malakoff verbunden durch nicht mehr existierende (und auch damals schon militärisch bedeutungslose) Mäuerchen mit Zaun drauf. Schießen kann man aus drei Caponnieren, von denen die am Fort Malakoff und die am Feldbergplatz erhalten sind. Die vom Malakoff ist allerdings schon um 1850 gebaut worden. Heute kann man in beiden Caponnieren gut einkehren, was wir am Feldbergplatz auch tun. Zur Erinnerung: Wir sind auf ner Fahrradtour!
Ziemlich genau auf der bisherigen Gartenfeldfront wird die Kaiserstraße angelegt. In der Neustadt selbst finden auch viele Kasernen – wie die Alicekaserne (Goethestraße/heutiges Polizeipräsidium) und die Neue Golden-Ross-Kaserne (Mombacher Straße neben der Goethe-Unterführung) – und Magazinräume der Militärverwaltung Platz. Gegenüber der Einmündung der Goethe-Unterführung wird 1873 am Mombacher Tor eine der ersten deutschen Konservenfabriken errichtet. Sie umfasst neben Mühle, Bäckerei, Gemüseverarbeitung und Fleischerei auch Stallungen für das Schlachtvieh. Zwei Dampfmaschinen versorgen die Fabrik mit Dampf und Energie.
Schluss mit lustig
Doch auch die 3. (oder ist es die 4.?) „Ausbaustufe“ der Festung ereilt das Schicksal ihrer Vorgänger: Kaum fertig, ist sie schon wieder veraltet. Der Rheingauwall wird – keine 30 Jahre alt -, ab 1904 auf Geheiß des Kaisers aufgelassen, mit ihm die Forts Karl, Elisabeth, Philipp, Joseph und Hauptstein. Auch das große Rheinfort verschwindet von der Bildfläche. Baubeschränkungen werden aufgehoben und endlich kann sich in Mainz Industrie „breitmachen“. Auf Teilen des Geländes vor dem Fort Josef entsteht 1911-14 das städtische Krankenhaus (heute Uniklinik).
Doch es wäre falsch zu sagen, damit sein die Festung Mainz ausradiert. Es bleiben 14 intakte Forts auf beiden Rheinseiten mit einer Feuerlinie von 5 Kilometern. Hinzu kommt die moderne vorgeschobene Selzstellung bei Heidesheim, Wackernheim, Ober-Olm, Nieder-Olm, Zornheim, Ebersheim und Gau- Bischofsheim mit 300 Bunkern und zahllosen Maschinengewehrständen, Artilleriebeobachtungsständen und Infanterieräumen, verbunden durch eine eigene Schmalspur-Festungsbahn. Hauptwerk der Selzstellung ist der Stützpunkt „Auf der Muhl“ bei Ebersheim.
Mit dem Ende des 1. Weltkriegs ist aber dann endgültig Schluss. Der Versailler Vertrag ordnet die Schleifung sämtlicher Festungsanlagen an. In „Mayence“ sind (schon) wieder die Franzosen und sprengen fleißig die Bunker der Selztalstellung, die einzigen Anlagen, die noch einen militärischen Nutzen haben. Der freiwillige Arbeitsdienst entsorgt die Trümmer und das „Entfestigungsamt“ sorgt für die ordnungsgemäße Durchführung und erstellt Abrisspläne und macht letzte Fotos. Es wird sorgfältig gearbeitet – heute findet man, wenn überhaupt, nur noch sehr vereinzelte Reste.
Die alten Bastionen, Forts, Wälle sind militärisch nutzlos, man gibt sich nicht so viel Mühe mit dem Rückbau, nutzt sie als Übungsplatz für die französischen Soldaten oder baut sie in Sport- und Freizeitanlagen um, wie den Volkspark und den Hartenbergpark. Fort Hechtsheim verschwindet unter dem Tunneleinschnitt der Eisenbahn an der Eisgrub, in der Oberstadt bauen die Franzosen schöne Villen für ihre Offiziere. Vereine und Betriebe nutzen – zum Teil bis heute – die Räume der Forts und Kavaliere. So ist im Kavalier Holstein ein Depot des Grünflächenamts untergebracht. Die unterirdischen Gänge und Kasematten dienen im 2. Weltkrieg als Luftschutzbunker.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gerät die militärische Vergangenheit in Vergessenheit. Die Zitadelle wuchert zu, die Mauern verfallen. 1966 wird das bestens erhaltene Mombacher Tor ohne weiteres für die geplante Stadtautobahn abgerissen – man findet noch nicht mal ein Bild im Internet. Fort Josef verschwindet unter Gebüsch und Efeu. Das Proviantmagazin soll abgerissen werden. Fort Hartmühl ist noch heute ein „Lost place“.
Erst in den letzten Jahrzehnten besinnt sich Mainz wieder seiner Vergangenheit und man kümmert sich. Vieles ist aber auch dem Engagement von Bürgern zu verdanken, wie der Initiative Zitadelle e.V. oder privaten Investoren, wie der Wohnbau Mainz (Proviantmagazin).
Vielleicht kann man sich am End mal versuchen vorzustellen, wie es ausgesehen haben muss, wenn man so um, sagen wir mal 1850, nach Mainz rein oder aus Manz raus will: Man trifft auf einen Graben und/oder einen meterhohen Wall und kommt nur durch einen engen Tunnel in die Stadt hinein. 150 Meter weiter steht man schon wieder vor einer Festungsmauer. Wo auch immer man, ob zu Fuß oder zu Pferd, an die Stadtgrenze kommt, steht man vor den riesigen Mauern der Bastionen. Schon eine verrückte Vorstellung finde ich.
Quellen:
Geschichte der Zitadelle Mainz – Initiative Zitadelle Mainz e.V. (zitadelle-mainz.de)
http://www.festung-mainz.de/geschichte
Festung Mainz | Von Bastille bis Waterloo. Wiki | Fandom
Bollwerk Mainz – Die Selzstellung in Rheinhessen (bollwerk-mainz.de)