Montag, 17. Juli
Weiter geht’s nach Norden. Ehe wir Tromsø verlassen steht noch der Besuch der Eismeerkathetrale an – ein Must See aller gängigen Reiseempfehlungen für Tromsø. Sehr praktisch, die Kathedrale liegt für uns auf der richtigen Seite direkt an der E6.
Die Kirche, eingeweiht 1965 hat schon eine sehr außergewöhnliche Form und ist damit ein Hingucker.
Bei aller Exklusivität will aber bei uns keine Begeisterung aufkommen, es fehlt der Whoowh-Effekt – warum auch immer. Vielleicht weil es im Innenraum zu hell ist, um das große Glasfenster so richtig zum Leuchten zu bringen?
Außerdem haben die Innenarchitekten mit dem norwegischen Faible für Kronleuchter in Kirchen diese riesigen Gehänge so platziert, dass sie einem immer im Blick sind und dem wiederkehrenden Jesus – je nach Standort zwischen Sitzplatz – Gesicht und/oder Gemächt verdecken. Man muss schon ganz an die Seite oder ganz nach vorne, um ihn überhaupt in Gänze sehen zu können. Also uns stört das gewaltig!
Und bei aller Liebe zur Digitalisierung: Muss man wirklich die VIPPS-Nummer (sowas wie das norwegische Paypal) der Kirchengemeinde unter den Liednummern aufbappen? Ich mutmaßte ja schon, der digitale Klingelbeutel sei auf dem Mist der Katholiken gewachsen, aber hier sind es die Evangelen, die mit dem Zaunpfahl auf den Kassenbestand winken.
Nun denn, es muss einem ja nicht alles gefallen!
Der Rest des Tages ist ein Roadmovie ohne besondere Vorkommnisse. Immerhin tritt endlich die Prognose von Frau S. W. aus F. 😉 ein und es wird einsamer. Das war zwar schon ab 66°33′ angekündigt, aber vielleicht sind wir falsch abgebogen. Landschaftlich ist die Strecke heute geprägt von den Lyngenalpen, die sich sehr majestätisch auf der gegenüberliegenden Seite des Fjords erheben. Berge, deren Form wirklich an Alpengipfel erinnert! Der höchste ist der Jiekkevárri mit stolzen 1834 moh (meter over havet – Meter über dem Meer).
Wie man am Namen des Berges und auf jedem Straßenschild erkennen kann, sind wir hier nicht weit von Finnland entfernt und im Land der Samen. Sami Shops hat es auf jedem größeren Park-/Rastplatz, sie verkaufen Rentiergeweihe (mit behaarter Schädeldecke 🙄) und Sami-Souvenirs. Auf Volkers Frage: „Is this real stuff?“ kommt die lapidare Antwort: „No!“ Soviel zum lokalen Kunsthandwerk. Der Same bzw. die Samin muss sehen wo er bleibt und Chinesen arbeiten billiger.
Zum Nachmittag hin sind uns Schauer auf der Spur – oder wir fahren ihnen hinterher, so genau kapiere ich das nicht. Hauptsache, sie erwischen mich nicht beim Moltebeeren-Sammeln. Das hätte ich stundenlang machen können! Die gibt es morgen im Müsli 😋.
Wir nehmen dann Quartier auf einem Campingplatz im Nirgendwo (es wird hier wirklich allmählich einsam!), der uns einen kostenlosen Nortrip-Platz bietet. Die Besitzerin Liv Ann lädt uns sogar zu ihrem Geburtstag ein, der in einem großen Tipi gefeiert wird. Wir gehen aber nicht hin – dazu morgen mehr!
Der Campingplatz ist total leer – außer uns ein einziges kleines WoMo. Wir fahren runter an den (nicht vorhandenen) Strand des kleinen Fjords und Volker erwischt das Animal of the day – einen gerade gelandeten Austernfischer.
Dann erwischt uns der Regen und Schlappmann, Fledi und wir sind froh, fein im Trockenen zu sitzen.
An dieser Stelle lohnt es eine kurze Betrachtung über das Wetter einzuschieben. Die Wettervorhersage für heute sagt ein ausgeprägtes Tiefdruckgebiet mit Kern direkt neben uns im Nordmeer voraus. Und das soll die kommenden drei bis vier Tage stabil dort verharren. Der Regenradar bestätigt das schauerliche Nass von oben.
Naja, alles in allem haben wir bisher in Norwegen vorwiegend super tolles Wetter gehabt. Und die Erfahrung zeigt, das die Wetterprognosen alles andere als zuverlässig sind. Häufig ist Regen bei frischen Temperaturen um die 14 ℃ angesagt, und dann scheint wider Erwarten die Sonne bei 22 ℃. Der Norweger nutzt im übrigen die Wetter-App YR. Die ist genauso unzuverlässig wie alle anderen uns bekannten Wetter-Apps auch, aber sehr schick. Für uns wird das Thema Wetter zunehmend wichtig, da wir das Nordkap natürlich nicht in dem gefürchteten Nebel sondern während der Mitternachtssonne erleben möchten. Glücklicherweise reisen wir mit Zeit, so können wir Regen- und Nebeltage hoffentlich ein wenig aussitzen. Na, dann schauen wir mal.
Am nächsten Morgen (Dienstag) liebäugeln wir mit einer Wanderung zu enem Wasserfall, die am Nachbarcampingplatz beginnt. 250 Höhenmeter und insgesamt 3,3 km Strecke und „gut markiert“. Das heißt im Klartext, es gibt keinen erkennbaren Weg und man sucht verblichene Farbtupfer auf Steinen. Die Kommentare in den einschlägigen Medien reichen mal wieder von „kurz hinspaziert“ bis zu „anstrengend und steil“. Aber was soll’s. Am Ziel wartet ein Geocache 🤩.
Vorher wollen wir uns bei Liv Ann verabschieden und das wird eine außergewöhnliche Sache! Sie lädt uns ein zu den Resten ihrer Feier, Kuchen sowie Shrimps mit Toast und Sahne. Da bin ich froh, dass ich ein Geschenk dabei habe: selbstgenähte Schlüsselbänder für nette Begegnungen.
Besuch hat sie auch reichlich, eine Freundin, ihre Mutter und Kåre Holmen, ein wirkliches Unikat! Er ist mit seinen 84 Jahren immer noch aktiver Skispringer, Leichtathlet und obendrein Mystiker, Heiler und Symbolologe. Er sammelt Pyramiden und entwirft heilkräftige Symbole am laufenden Band. Ein laminiertes Symbolkärtchen nach dem anderen legt er auf den Tisch und eines bekommen wir geschenkt, oder sagen wir mal, wir tauschen es gegen ein weiteres Schlüsselband ein 😂. Der Mann ist wirklich ein Erlebnis!
Liv Ann rät uns dringend von einer Wanderung zum Vosselvfossen ab, bei dem nebligen Wetter würden wir uns garantiert verlaufen. Und in der Tat sind die nächsten Stunden wenig aussichtsreich, wie Sie sehen, sehen Sie NICHTS.
Nun ja, ein paar seltsame Dinge sehen wir doch: Immer wieder hohe Zäune neben der Straße – das sind Schneegitter die verhindern sollen, dass der Schnee die Straße zuweht – und den Herrn rechts im Bild 😨. Dass man mit dem Fahrrad zum Nordkapp fährt halte ich zwar für eine bescheuerte Idee, aber daran haben wir uns schon gewöhnt. JedenTag überholen wir mehrere schwer bepackte Radler:innen, die dem Motto folgen „Quäl dich, du Sau“ und denen man das auch ansieht. Dieser Herr aber, aber ist der erste und wohl auch der einzige der den Weg zum Nordkapp zu Fuß zurücklegt. Wie ein Esel vor den Karren mit Gepäck gespannt! Wir sehen seinen „Wohnwagen“ kurz drauf an einer Rasthütte stehen, verzichten aber darauf, wieder reinzugehen um ihn zu finden und ein Schwätzchen mit ihm zu halten. Sein Karren verrät uns, er ist Norweger und in Kap Lindesnes gestartet! Spenden unter VIPPS 2277 😂.
Gegen Mittag klart es etwas auf und wir legen ein Päuschen an einem Rastplatz ein. Es locken ein Geocache und Kaffee und Kuchen.
Für die Statistik und für’s Prinzip: Irgendwo im Nirgendwo überqueren wir den 70. Breitengrad (das merken wir, weil wir es wissen 😂👆) und fahren nonstop weiter zum letzten und einzigen Programmpunkt heute: Tirpitz-Museum in Kåfjord. Wir haben uns ja lange vor sämtlichen Museen über den WW II gedrückt (und derer gibt es viele!), aber einmal muss es wohl sein. Es geht in diesem Museum auch „nur“ um die Geschichte des deutschen Schlachtschiffs Tirpitz, bis heute das größte jemals in Europa gebaute Schlachtschiff. Es ist die Geschichte eines Schlachtschiffs, dass in keiner Schlacht* kämpfte und dennoch das am meisten bombardierte des WW II war.
*Weil Volker mich – zu Recht – verbessern wird. Einen Einsatz gab es doch: Ein Angriff auf ein britisches Treibstoffdepot und eine Wetterstation auf Spitzbergen im September 1943. Der Beschuss dauerte ganze drei Stunden!
Der Stolz der deutschen Kriegsmarine war ab Januar 1942 in Norwegen stationiert; man befürchtete dort eine britsche Invasion, die den kriegswichtigen Nachschub an Rohstoffen verhindert hätte. Dabei war sie eigentlich gar nicht im Kampfeinsatz, ihre bloße Anwesenheit hielt die Briten in Schach. Sie könnte ja!
Allerdings rief das Superschlachtschiff auch den Ehrgeiz der Briten hervor! Schon während der Bauzeit war die Werft Ziel von Angriffen gewesen, nun rief Churchill die Zerstörung der Tirpitz zum Ziel Nummer 1 der Royal Navy aus.
Einen dreisten Versuch unternahm man im September 1943 mit Kleinst-U-Booten, die unter bzw. über den Torpedo-Schutznetzen durchtauchten und Sprengminen unter der Tirpitz platzierten. Die Detonationen reichte nicht aus, um die Tirpitz zu zerstören, richteten aber großen Schaden an. Die Reparatur dauerte fast ein halbes Jahr und die Tirpitz wurde anschließend von Trondheim nach Kåfjord verlegt – wo wir uns jetzt befinden.
Mit herkömmlichen Bomben war die starke Panzerung der Tirpitz nicht zu zerstören, so setzten die Briten ab Frühjahr 1944 auf neu entwickelte, „Tallboys“ genannte, Spezialbomben. Der erste Versuch von Russland aus ging schief, die Tirpitz schützte sich mit Nebelanlagen und die Bomben verfehlten ihr Ziel. Bis auf eine und die machte das Schlachtschiff immerhin seeuntüchtig. Sie wurde nach einer Behelfsreparatur in die Nähe von Tromsø verlegt, um sie vor den inzwischen über die finnische Grenze vorrückenden Russen in Sicherheit zu bringen.
Dort war sie allerdings in Reichweite der britischen Luftwaffe. Ein Angriff am 29. Oktober 1944 riss das Achterschiff auf und die Tirpitz nahm backbords auf 35 m Länger Wasser.
Den Gnadenstoß versetzte dem angeschlagenen Riesen die Operation Catechism: Am 12. November 1944 starteten 32 Lancaster-Bomber in Schottland. Sie warfen 29 Tallboys ab, von denen 3 ihr Ziel trafen. Die Tirpitz kenterte, bis die Aufbauten im seichten Wasser auf Grund lagen.
1204 Mann der Besatzung kamen ums Leben, 890 wurden gerettet.
Diese Fakten vermittelt ein 20-minütiger Dokumentarfilm (englisch mit norwegischen Untertiteln). Das war’s dann aber auch. Der Rest des Museums ist ein durcheinander gewürfeltes, vollgestopftes Sammelsurium von Schiffsmodellen, Uniformen und Militaria aller Art, dazwischen ein paar Fundstücke von der Tirpitz. Eine wissenschaftliche politisch-historische Aufarbeitung fehlt. Nicht, dass ich dem Museum unlautere Absichten unterstellen will, aber es ist eine Fundgrube für Leute, die sich an so einem Nazikram ergötzen.
Da wir das definitiv nicht tun, sind wir schnell „durch“. Wir finden nicht weit von Kåfjord an der alten E6 einen Platz mitten in der Pampa 😎. Vielleicht kommt hier endlich mal ein Elch vorbei oder ein, zwei Rentiere. Die Norweger stellen zwar dauernd Warnschilder an die Gass‘, aber sie vergessen die Tiere dazu.
Am Abend unternehme ich (Volker) noch einen kleinen aber feinen Spaziergang zum Mathisfossen
Am Mattisfossen ist die möglicherweise längste Lachstrepper Norwegens verbaut. Jedenfalls rauscht es dort an den Stromschnellen ordentlich laut. Schwer beeindruckend.