Chartres

23. bis 25. Mai: Frankreichs schönste Kathedrale

Am Morgen erledigen wir auf der Wiese unsere Turnstunden 🧘🤸‍♀️, verfrühstücken gemütlich ein paar der gestern erworbenen Leckereien (z.B. Rillettes) und kaufen zum Abschied eine Flasche Champagner. Der kostet hier beim Erzeuger zwischen 20 und 40 Euro, also durchaus erschwinglich. Den werden wir uns bei Gelegenheit reinprickeln 🍾.

Dann geht’s über die A4 gut 250 km zum Campingplatz in Chartres.

Von Billy-le-Grand (C) nach Chatres (D), 247 km
Platz ist ganz ok, könnte geräumiger sein, aber ist ok. Ist allerdings mit 58 Euro für 2 Nächte recht teuer.

Wir halten uns nicht lange auf: Heute ist das Wetter noch sehr schön und sonnig (wenn auch kühl), das wollen wir ausnutzen um die Fenster der Kathedrale in voller Pracht bewundern zu können. Bei Sonnenschein strahlen sie besonders – nehmen wir zumindest an. Also geht es fix über den idyllischen Radweg entlang der Eure in die Altstadt 🚴🚴‍♂️ und zur Cathédrale Notre Dame de Chartres.

Blick auf das Südportal

Die Kathedrale begrüßt uns heute quasi mit offenen Armen: Das große Kirchenportal steht weit offen, es wird auch kein Eintrittsgeld erhoben, jeder hat freien Zutritt.

Weltberühmt sind vor allem die Fenster von Chartres, 176 an der Zahl und fast alle original erhalten. Sie erstrahlen in prächtigen Farben, wie am ersten Tag. Die Rezeptur des auf Kobalt basierenden Chartres-Blau ist bis heute ein Rätsel. Und man hat von Chartres behauptet, hier sei zum ersten Mal die Architektur nur noch als Gerüst für die Fenster aufgefasst.

Besonders faszinierend, finde ich den Chorumgang mit seinen fantastischen Steinmetzarbeiten. Die 40 Gruppen mit über 200 Skulpturen zeigen in chronologischer Reihenfolge Szenen aus dem Leben Jesu und der Jungfrau Maria. Der Zyklus geht einmal um den kompletten Chor außen rum, vom südlichen bis zum nördlichen Querschiff. 200 Jahre, von 1516 bis 1716, hat es gedauert, bis alle Skulpturen vollendet waren.

oben: Jesus und die Prostituierte (li) und Heilung eines Blinden (re)
mitte: Einzug in Jerusalem
unten: Jesus vor Pilates (li) und Geißelung (re)
Die Beschneidung

Und dann hält die Kathedrale noch ein paar Gimmicks bereit: Da ist zum einen das Labyrinth im Kirchenschiff- man findet es auch auf den Kanaldeckeln der Stadt abgebildet – das dem Besucher zur Besinnung dienen soll. Über 250 Meter lang ist der Weg hindurch.

Leider stehen heute Stühle auf den Windungen des Labyrinths, man kann es aber erkennen.

Und dann haben wir noch den „Nagel“, ein Messingknopf, in einer Bodenplatte, der zur Sommersonnenwende im Juni bei Sonnenhöchststand hell aufleuchtet. Das Licht fällt durch ein kleines Loch im darüber gelegenen Fenster, der exakt auf diese Konstellation ausgerichtet ist. Solche Spielereien findet man ja häufiger, nichtsdestotrotz sind sie immer wieder verblüffend und waren sicherlich auch ein feature, um die Leute bei der Stange zu halten.

Wir verlassen die Kathedrale und stromern noch ein wenig in der Altstadt herum, es herrscht eine angenehme Stimmung, auf dem Domplatz wird ein Konzert vorbereitet, Menschen kommen und gehen, alle sind fröhlich.

In einer abgelegenen Gasse liegt das schnuckelige Restaurant

Ab 19:30 Uhr haben wir einen Tisch im Les Feuilletines* reserviert, eine Empfehlung des Lonely Planet-Reiseführers, auf den man sich ganz gut verlassen kann. So auch diesmal. Das Essen ist vorzüglich, der Wein und der Service auch.

Feuilletines kriegt man allerdings nicht, das ist ein knuspriges Konfekt aus gesüßten Crèpes. Dafür eine gefrostete Schoko-Kugel über die der Chef heiße Schokoladensauce gießt: die Hülle schmilzt und gibt ihr Inneres aus Sahne, Karamell und Vanilleeis frei. Volker schwelgt im Schokohimmel. Ich nehm Käse.

Danach steht das highlight des Tags an: Chartres en lumière. Seit 22 Jahren gibt es dieses Spektakel, bei dem aufwendige Illuminationen und bewegte Projektionen die Stadt in eine leuchtende Kulisse verwandeln. Und das nicht an einem Wochenende, nein, Sieben Tage die Woche ab Einbruch der Dunkelheit, von April bis Januar! Wahnsinn!

Die Lichteffekte sind von ungeheurer Präzision und Leuchtkraft, gestochen scharf und mit Musik unterlegt – es ist ein fantastisches Spektakel! Feuerwerk ist nix dagegen!

Insgesamt 21 locations in der ganzen Stadt werden einbezogen, doch das absolute Highlight ist die Westfassade der Kathedrale. Sie wird zur Leinwand ihrer eigenen Geschichte.

Wir haben es nicht geschafft, aus den vielen Bildern nur wenige auszusuchen. Es ist einfach zu schön! Deshalb gibt es viele und noch ein paar bewegte obendrein

In Mainz gab’s sowas letztes Jahr ja auch, aber ich muss wirklich sagen, das hier hat eine ganz andere Qualität! Da müssen die Studis der Hochschule noch an der Präzision feilen.

Auf dem Nachhauseweg kommen wir noch an ein paar anderen Locations vorbei:

Besonders beeindrucken uns die „Lichtspiele“ am Museum der schönen Künste: Sie erzählen die Geschichte von Jean Moulin, einem in Frankreich sehr bekannten Anführer der Resistance im 2. Weltkrieg. Moulin war ein recht hoher und sehr kritischer Beamter, ab 1939 Departements-Präfekt in Chartres. Das Vichy-Regime enthob ihn aller Ämter, woraufhin Moulin unter falschen Identitäten aktiv für den Widerstand kämpfte. Moulin war maßgeblich für die Organisation der Résistance verantwortlich. Im Juni 1943 wurde Moulin von den Nazis gefangen genommen, vom berüchtigten Gestapo-Mann Klaus Barbie „verhört“ und starb an den Folgen der Folterungen und Misshandlungen am Herzversagen – in dem Zug, der ihn ins Konzentrationslager bringen sollte.

Friedvoller und unpolitisch geht es am Wasser zu, wo sich die Lichteffekte durch Spiegelung verdoppeln. Ein Verwirrspiel mit Licht und Farbe.

Wir sind wirklich überwältigt und auch gar nicht traurig, dass wir nicht alles gesehen haben – dafür braucht man mehrere Abende. Besonders schön fanden wir auch, dass es gar kein Gedränge und keine Menschenmengen gab, weil das Ganze ja 9 Monate lang täglich stattfindet! Auch da fällt der Vergleich zu Mainz (oder auch Frankfurt) sehr eindeutig aus! Übrigens hatten wir letztes Jahr in Blois ja auch schon ein großartiges Son et Lumière im Schloss. Das war auch keine singuläre Veranstaltung, sondern eine Dauereinrichtung in der Freiluftsaison. Also Deutschland: Allez!

Wir fallen sehr zufrieden in die Betten und lassen den Samstag gemütlich angehen: Schön frühstücken, Duschen, in die Stadt radeln und einen größer angelegten Geocache machen und am End noch mal zum „Nachsitzen“ in die Kathedrale.

Morgen geht es weiter Richtung Normandie. Nach so viel Sehenswürdigkeiten lassen wir es mal ruhig angehen und fahren „nur“ zu einer France Passion-Station: Eine Brauerei mit Gasthof irgendwo in der Pampa.

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