Pfingstmontag, 20. Mai 2024: Abtei Cluny im Schnelldurchgang, Schaddonnä, ein mittelalterliches Dorf und noch mehr Schadonnä
Wie schon angedeutet, schauen wir uns in Cluny (selbstverständlich Weltkulturerbe) nicht jede einzelne Heiligenfigur und jede Ecke der riesigen Abtei (bzw. was davon übrig ist) an, sondern schauen auf den Wald, statt auf die Bäume.
Erst mal ein wenig Geschichte vorneweg.
In Cluny gründet der – wie wir inzwischen ja wissen – aus Baume abberufene Abt Bernon um 910 ein kleines „Outlet“ für eine Handvoll Benediktinermönche. Bezahlt wird das vom Grafen von Mâcon, der dadurch Seelenheil und einen Platz im Himmel für sich und die Seinen erkaufen will. Business as usual, bis auf den Umstand, dass der Graf selbst keinerlei Einfluss auf das neue Kloster nehmen will und es direkt dem Papst unterstellt wird.
Für das Klosterleben gelten seit 817 die allgemein gültigen, strengen Ordensregeln des Heiligen Benedikt: Armut, Gebet, Schweigen, Maßhalten. Doch daran hält sich um 900 kaum ein Abt und kaum ein Kloster. Kein Wunder eigentlich, denn die Mönche und erst recht die Äbte entstammen fast alle dem Adel. Die sind es nicht gewohnt, den ganzen Tag in kontemplativer Versenkung in der dusteren kalten Kirche zu beten und zu lobpreisen, nur karge Mahlzeiten zu verzehren und dabei noch zu schweigen. Also wird geschummelt und das Klosterleben wird lockerer und weltlicher.
Wie das so ist, kommt dann einer, dem passt das nicht und er will zurück (oder nach vorne) zu den wahren Werten. So einer ist Bernon, ein Hardliner. Er führt strenge Sitten für seine Cluniazenser ein und es quatscht ihm auch niemand rein. Ora et labora, mit Schwerpunkt auf ora. Man betet und singt Tag und Nacht, um das leibliche Wohl kümmern sich andere. Das Kloster ist durch viele Schenkungen sehr reich, kassiert Pacht, Naturalien und Frondienste von den Bauern, Laienbrüder verrichten die tägliche Arbeit.
Die Äbte Clunys sind in der Folgezeit Berater von Kaisern, Königen und Päpsten. Immer mehr Klöster schließen sich dem Erfolgsmodell Cluny an, zur Blütezeit Ende des 12. Jahrhunderts sind über 1.000 Klöster mit 20.000 Mönchen Cluny direkt oder indirekt unterstellt.
Die erste bescheidene Kirche (Cluny I) reicht natürlich schon sehr bald nicht mehr aus, um der wachsenden Glaubensgemeinschaft Platz zu bieten. Zwischen 950 und 1050 (so in etwa) bastelt man an der neuen Abteikirche Cluny II nebst Klostergebäuden. Die Anlage ist schon sehr ansehnlich, ausgelegt auf über 100 Mönche und 200 Laienbrüder.
Doch das reicht Abt Hugo nicht aus. 1088 wird der Grundstein für eine neue Abteikirche gelegt: Cluny III. Die damals größte Kirche der Christenheit! Think big!
Eine gigantische fünfschiffige* Basilika mit einer Länge von 180 Meter zwischen Chor (links) und Westwerk (rechts), 70 Meter lang das große Querschiff. 1.200 Säulen und über 300 Fenster. Über 30 Meter lichte Raumhöhe. Man kann sich das kaum vorstellen.
*Die beiden äußeren Längsschiffe braucht man, damit das Ganze überhaupt stehenbleibt. Die Gewölbe üben an den Auflagern auf den Säulen einen gewaltigen Druck nicht nur nach unten, sondern auch nach außen aus. Der wird durch das Längsschiff und sein Strebewerk aufgefangen und abgeleitet. Und auch das muss durch ein weiteres Längsschiff abgestützt werden. Genau das veranschaulicht uns am nächsten Tag ein Bild in der Kirche von Tournus, die in vielem wie ein „kleines Cluny“ ist.
Und warum gehen wir in diese Kirche jetzt nicht mal rein?
Nun, weil sie weg ist. Fort. Futschikato.
Die französische Revolution hat der Major ecclesia Cluny III den Garaus gemacht. Sie wurde 1789 säkularisiert, geplündert und beschädigt, 1798 verkauft, bis 1823 als Steinbruch genutzt und Stück für Stück abgerissen. Für ein Gotteshaus, sei es noch so imposant und einzigartig, hatte das neue, brüderliche, freie und gleiche Frankreich keine Verwendung.
Wir laufen also in den Resten herum, und versuchen uns zu orientieren. Gut zu finden ist der südliche Turm des Querschiffs und ein Glockentürmchen. Das sind auch die einzigen kompletten Bauteile, die verschont blieben.
Von der Außenwelt kommend, betrat man zwischen 2 wuchtigen Türmen erst den Narthex, eine niedrigere, dunkel gehaltene Vorkirche. Schon die hat in Cluny gigantische Ausmaße, reicht im Bild oben bis zur Bildmitte.
Durch das Hauptportal betrat man dann das Hauptschiff, in das durch Fenster in fast 30 Meter Höhe das Licht den Raum flutete. Eine animierte 3D-Rekonstruktion kann man sich vor Ort anschauen. Und auf Youtube.
Im Museum sind die Trümmer ausgestellt, die man noch gefunden und in mühseliger Puzzlearbeit zusammengestellt hat. Hier zu Beispiel die Reste des Hauptportals. Das muss eine unglaublich mühsame Arbeit gewesen sein.
Einige Skulpturen sind vollständig erhalten geblieben und geben einen Eindruck von der in Stein gemeißelten Erzählkunst der Romanik: Diese Kapitelle haben den Menschen damals die Welt erklärt und hatten belehrende und erzieherische Aufgaben. Hier sieht man Gott, not amused, der mit tadelndem Blick und erhobenem Zeigefinger Adam und Eva ausschimpft. Die beiden kauern sich ganz verängstigt und beschämt ins Gebüsch, Eva hinter Adam versteckt. Rechts züngelt unbeeindruckt die Schlange im Apfelbaum.
Höhepunkt ist sicherlich der Blick in die beiden einzig verbliebenen Joche des großen Querschiffs unter dem Turm. Eine so hohes romanisches Gewölbe hab ich noch nie gesehen. Die Bögen sind auch leicht angespitzt, dadurch wird weniger Druck nach außen aufgebaut.
Wir gehen danach durch den Kreuzgang des anschließenden Klosters zum Ausgang. Die Klostergebäude haben die Revolutionäre und ihre kaiserlichen Nachfolger stehen gelassen, die konnte man ja gut zum Eigenbedarf verwenden.
Wir schlendern dann durch die Gassen der Stadt zurück zum HoGo und machen uns auf den Weg.
Zum Schluss möchte ich noch die Lücke füllen zwischen dem Bau der Major ecclesia und ihrer Zerstörung. Cluny erreichte seine Blütezeit um das Jahr 1100. Von da an ging es schon bergab. Nun kritisieren die Zisterzienser die Cluniazenser und werfen ihnen genau das Gleiche vor wie jene damals den Benediktinern: Völlerei, mangelnde Frömmigkeit, Prunksucht. Auch die Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner, die nicht in Klöstern, sondern in den Städten leben, geben Beispiele für ein Leben in Armut und Demut und dem Dienst an Gott und an den Menschen. vor. Aber ein Moloch wie Cluny mit seinem Netzwerk geht nicht von heute auf morgen unter, dafür ist es zu groß und zu reich.
Ende des 15. Jahrhundert versucht Abt Jean de Bourbon noch ein letztes Mal, Zucht und Ordnung im Kloster wieder herzustellen. Gleichzeitig baut er sich einen Abtspalast, eine Privatkapelle und – vorausschauend – ein hübsches Grabmal, was nun auch nicht gerade von Demut und schon gar nicht von Armut zeugt. Bald darauf wird Cluny der französischen Kirche untergeordnet, der König ernennt fortan die Äbte und setzt ihm getreue Adlige ein, die oft noch nicht mal ein Mönchsgelübde abgelegt haben. Um 1750 lässt man die maroden Klosterbauten aus dem Mittelalter abreißen und durch klassizistische Gebäude ersetzen. Und dann kommt die Revolution.
Unterwegs
Hier wachsen Vins de Bourgogne – Weine des Burgund. Bei „Burgunder“ denkt man – oder denke zumindest ich – automatisch an Rotwein. Aber das ist falsch: An Rebsorten (cépages) wächst hier nur zu 40 % Pinot noir, 50% sind Chardonnay, 10% andere weiße Rebsorten, wie Aligoté (nie was von gehört, schmeckt sehr gut!).
Die Weingüter heißen Chateau oder Domaine, wobei keineswegs ein Schloss oder ein opulentes Hofgut vorhanden sein muss. Auch eine Bruchbude am Ortsrand oder eine schnöde Halle darf sich so nennen. Im Burgund nennen sie sich meistens Domaine, im Bordeaux ist das Chateau inflationär. Oft haben die Weingüter aber wirklich herrschaftlich Gebäude.
Burgund ist in 5 Regionen unterteilt. Die südlichste, in der wir jetzt sind, ist Mâcon. Wie das mit Deutschland zu vergleichen ist, weiß ich nicht genau. Wir vermuten, dass Rheinhessen, Baden, Nahe … vergleichbar sind zu Bourgogne, Jura, Rhone etc.. Aber vielleicht kann man es auch nicht vergleichen.
Die Qualitätsstufen heißen in Frankreich „Appelation“:
In Deutschland wird sehr auf die Rebsorte geschaut, weniger auf das Anbaugebiet. Das ist in Frankreich völlig anders, hier ist die Region ausschlaggebend. In Deutschland kann grundsätzlich auf jedem beliebigen Weinberg mal ein Spitzenwein wachsen, in Frankreich nicht: Ein Grand Cru kann nur aus einer ganz bestimmten Lage kommen und er ist dann auch einer, egal wie er geraten ist. Allerdings sind alle Kriterien des Anbaus und des Ausbaus strikt vorgegeben.
In der Appelation AOP Kommunal hängt man an die Region noch den Ortsnamen an: z.B. Mâcon-Mancey. Und bei den „Lagenweinen“ eben noch die Lagebezeichnung.
Womit wir beim Thema wären:
Schaddonnä!
Chardonnay ist eine Rebsorte, aber auch ein Dorf im Mâconnais. Vermutlich wurde nicht die Rebsorte nach dem Dorf, sondern das Dorf nach der Rebsorte benannt. Aber das ist uns völlig Wurscht!
Chardonnay – oder Schaddonnä, wie der Mainzer sagen würde, ist ein hübsches, verschlafenes Dorf im typischen vintage-look: Mal shabby, mal chic. Man mäht Rasen, baut Häuser, verkauft aber heute keinen Wein.
Also fahren wir weiter nach Brancion. Das klingt schon so nach Game of Thrones und ist es irgendwie auch: Eine Burg und ein Dorf aus dem Mittelalter (11. bis 13. Jahrhundert). Autofrei! Alle müssen draußen parken; drinnen ginge da auch gar nicht, es ist wirklich alles noch sehr original.
So richtig wohnen tut hier niemand, aber es gibt reichlich Cafés, Ateliers und Stände mit dem üblichen Mittelalterkram: Töpfereien, Lederwaren, Schmuck.
Und eine phänomenale Aussicht 😍.
Nach einem Gläschen Weißwein – vermutlich Chardonnay – fahren wir die letzen 3 Kilometer besonders vorsichtig nach Royer, einem winzigen Ort, zu unserem heutigen France Passion-Domizil, dem Weingut Debreuille.
Das residiert allerdings in keinem der betürmten Anwesen auf dem obigen Bild, sondern sehr unscheinbar in einem zweckmäßigen, modernen Kellereigebäude, das wir nicht wirklich identifizieren können. Aber sehr wohl die kleine Vinothek, wo wir uns zu sehr zivilen Preisen eingedeckt haben (6,50 bis 10 Euro die Flasche).
M. Debreuille hat ganz tolle Stellplätze mit Blick auf seine Weinberge, von wo aus wir ihm beim Spritzen der Reben zuschauen können 😜.
Nach einer wunderbar ruhigen Nacht schnappen wir uns am nächsten Morgen den örtlichen Geocache. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, läge er nicht im Lavoir, dem Waschhaus. In Chardonnay hatten wir auch schon eines gesehen, das war komplett überdacht.
Die Lavoirs stammen aus der Zeit der Industrialisierung. Die Frauen wuschen die Wäsche nicht mehr direkt am Bach oder Fluss, das Wasser wurde in ein überdachtes Waschhaus geleitet. Auf den nach innen geneigten Steinen konnte man die Wäsche schrubben. Das Waschhaus war ein Ort, der den Frauen vorbehalten war. Hier wurde natürlich auch viel geklatscht und getratscht. „Geschwätzig wie ein Waschweib“ heißt es noch heute. Die französische Wikipedia beschreibt die Lavoirs übrigens viel ausführlicher als die deutsche.
An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass wir heute und morgen weite Strecken im Zuge der Anreise nach Cluny am Samstag bereits gefahren waren. Wegen der Briefwahlunterlagen, die wir ja per POSTE Restante nach Cluny haben senden lassen und es galt noch vor Pfingsten abzuholen, haben wir das Burgund mit Cluny etwas nördlicher als ursprünglich geplant geentert. Nachdem wir nun Cluny abgehandelt haben und Pfingsten rum ist, begeben wir uns wieder auf den geplanten Track, und damit wieder zurück in Richtung Louhans, wo wir bereits am Samstag durch-„gedüst“ waren. Übermorgen biegen wir dann in Louhans endlich wieder in westlicher Richtung ab.