Der ewige Hügel: Basilika St. Madeleine in Vézelay

Sonntag, 26. Mai 2024

Obwohl man uns vor einer „Party“ in der Jugendherberge gewarnt hatte, war die Nacht total ruhig. War wohl eher ein Familienfest mit viel Gerede und wenig Tanzen. Und weil es so schön hier ist UND das Internet besser als erwartet, legen wir noch einen Tag drauf.

Dann wird Mimi ein Geburtstagsständchen gebracht – allerdings ohne Video, das Kind ist grad kamerascheu.

Gegen Mittag – das Wetter wird soeben etwas besser, sprich, der Regen hört auf – machen wir uns auf den Weg nach Vézelay.

Aus: https://www.pures-reisen.de

Zu Fuß, wie sich das gehört, denn die große Basilika auf dem Hügel von Vézelay ist seit alters her eine Wallfahrtskirche und Ausgangspunkt eines der vier französischen Jakobswege. Wer nicht nach Santiago de Compostela will, der pilgert hierher zu den Reliquien der Heiligen Maria Magdalena, auf die „colline éternelle“.

Jakobsweg

Der „ewige Hügel“ ist nachweislich seit dem 1. Jahrhundert besiedelt, die Römer waren hier, die Merowinger, die Karolinger. Zusammen mit der Basilika wurde er 1979 in den Status des UNESCO Welterbes erhoben – vermutlich ist es der einzige Hügel, der sich damit schmücken kann! Er bietet wirklich einen prachtvollen Anblick, von fern wie von nah!

Hervorgegangen aus einer Benediktinerabtei, wurde die (neue) Basilika ab 1120 auf der weithin sichtbaren Anhöhe errichtet und der Heiligen Maria Magdalena geweiht, deren Reliquien sich – angeblich – seit dem 9. Jahrhundert im Besitz der Abtei befinden. Abt Geoffrey schlug daraus bereits um das Jahr 1050 Kapital, heute würde man sagen er startete eine PR-Kampagne um Maria Magdalena als ideales Vorbild für Buße und Einheit mit Gott. Der Einsatz war erfolgreich und Vézelay gewann rasch als Pilgerstätte Bedeutung. Schon kurz nach der Fertigstellung der neuen Kirche rief hier im Jahr 1146 Bernhard von Clairvaux zum 2. Kreuzzug auf, der 3. Kreuzzug startete 1190 ebenfalls hier.

Die romanische Hauptkirche erhielt nach Fertigstellung um 1150 eine Vorkirche (Narthex), auch um die damals schon großen Pilgerströme vor dem Betreten der Hauptkirche zu regulieren und zu sortieren.

Kleine bösartige Anmerkung: Das könnte man in Fussballstadien auch mal einführen! Besucher rigoros „vorsortieren“. Was da gestern beim Pokalfinale Leverkusen gegen Kaiserslautern in Berlin los war finde ich skandalös: Bengalos und Feuerwerksraketen mitten in vollbesetzten Zuschauerrängen! Übel!

Nach einem Brand wurde der Chor 1165 erneuert, und zwar im gotischen Stil – so schnell ändert sich die Mode. Architektonisch und auch „spirituell“ sicher ein geschickter Schachzug, denn so erstrahlt das Heiligste der Kirche in besonders hellem Licht und der Übergang vom dunklen Narthex in die Hauptkirche wird noch spektakulärer. Ganz ohne Schwierigkeiten gestaltete sich das alles nicht, man lag im Clinch mit dem Bischof und dem Landesherren und nicht zuletzt mit der Bevölkerung, die durch Fron und Abgaben den Bau mitfinanzieren und sogar die Pilger umsonst beherbergen musste.

Wir erklimmen jedenfalls wie die Pilger von damals (und heute) den Hügel, der wesentlich steiler ist, als er von weitem aussieht, und stehen schließlich vor dem Hauptportal der Vorkirche.

Ungewöhnlich ist die Asymmetrie durch nur einen Turm.
Ich hab aber nicht herausbekommen, warum. Wahrscheinlich wurde das Geld knapp.

Das große Tympanon des Westportals hat sicher die Pilgerströme zum ersten Mal ausgebremst, zeigt es doch direkt einmal, worauf alles hinausläuft: Das Jüngste Gericht, ergo die Alternative Himmel oder Hölle. Die göttliche Gerechtigkeit wiegt die Menschen nach ihren Taten und sortiert sie entsprechend ein. An den Gesichtern kann man sehr gut erkennen: Rechts geht es in die Verdammnis, links ins Himmelreich. (Man muss das wahrscheinlich andersrum denken: zur Rechten Christus ist der Himmel, zu seiner Linken die Hölle). Eine Darstellung, die man häufig auf den Kirchenportalen findet, wir hatten sie z.B. in Metz.

Nachdem man draußen schon drastisch auf den Ernst der Sache hingewiesen wurde, ist das eigentliche Hauptportal, das von der Vor- in die Hauptkirche, versöhnlicher. Hier gibt es keine moralischen Belehrungen, sondern biblische und weltliche Allgemeinbildung.

Das Tympanon zeigt Jesus und die 12 Apostel, drumherum die Völker der Erde – das sind z.B. Juden, Ägypter und Armenier, aber auch Riesen, Pygmäen und Großohrige 😂. Im äußersten Halbkreis sind die Sternzeichen und die Tätigkeiten im Jahreslauf dargestellt.

Die Seitenportale zeigen Szenen aus der Bibel, das rechte hier die gesamte Story um Jesu Geburt, von der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel über die Geburt (unten) bis zum Antrittsbesuch der Heiligen Drei Könige (oben).

Blick vom Narthex ins südliche Seitenschiff

Hier zeigt sich schon die Besonderheit der Basilika von Vézelay, die sie aus allen anderen romanischen Kirchenbauten hervorhebt. Es ist die große Bildgewalt und Erzählkunst der Steinmetze. Das wird sich erst recht in der Hauptkirche zeigen!

Da gehen wir nun hinein und der strahlend helle gotische Chor zieht einen geradezu nach vorne!

Immer wieder faszinierend sind gerade in der Gotik die Unzahl an Pfeilern, Säulen, Säulchen und Halbsäulen, die die Last der Gewölbe nach unten ableiten. Keine/s ist Dekoration, form follows function! Welch gewaltiger Druck gerade auf den oberen Pfeilerköpfen lastet, erkennt man beim genauen Hinschauen im Bild des Hauptschiffs: Wo die Gurtbögen des Gewölbes aufliegen, ist das Bauwerk leicht nach außen gedrückt. Damit es nicht einstürzt, werden von außen dicke Stützpfeiler oder -bögen angebaut, die den Druck abfangen:

Das absolute Highlight der Kirche sind aber weder Gewölbe noch Fenster, sondern die Kapitelle der Säulen vor allem in den Seitenschiffen. Eine Vielzahl an Steinmetzen hat hier biblische Themen, Heiligenlegenden, Tugenden und Laster und Alltägliches in Stein gemeißelt. Insgesamt 90 Kapitelle erzählen Geschichten von Mord und Totschlag, Liebe und Haß, Krieg und Frieden, von Gut und Böse. Das konnten die Menschen damals lesen, wie wir heute ein Buch lesen. Oft sind es zwei oder drei Szenen, die man dann von links nach rechts nacheinander betrachten – „lesen“ – muss

Hier ein kleines „Best of“.

Hier ein paar einzelne Szenen:

Wir könnten jetzt hier bis zum Sankt Nimmerleinstag Kapitelle abbilden und beschreiben … wir haben uns fast alle angeschaut und waren wirklich fasziniert, sogar Volker, der so gar keine solide katholische Grundausbildung hat wie ich und nicht wirklich bibelfest ist! Aber eine Darstellung muss noch erwähnt werden, sie gilt als das schönste symbolische Kapitell von Vézelay:

Die mystische Mühle

Ein Mann im kurzen Gewand mit Schuhen an den Füßen schüttet Korn in eine Mühle, während ein barfüßiger anderer, bekleidet mit einer weißen Toga, das Mehl auffängt. Die erste Gestalt ist Moses, das Korn, das er in die Mühle schüttet, ist das Gesetz des Alten Testamentes, das er von Gott am Berg Sinai erhalten hat. Die Mühle selbst ist das Symbol für Christus (das Rad ist mit einem Kreuz bezeichnet). Der Mensch, der das Korn auffängt, ist der Apostel Paulus, und das Mehl selbst das Gesetz des Neuen Bundes, die neue Gerechtigkeit. Das Gesetz des Moses enthielt zwar die Wahrheit, aber es war eine verborgene Wahrheit, so verborgen wie das Mehl im Korn.

Da muss man auch erst mal drauf kommen, als Steinmetz!

Nach so viel Mystik und Symbolik, Himmel und Hölle, Dämonen und Engeln gönnen wir uns ganz im Hier und Jetzt ein Gläschen Rotwein und eine Foccacia in einer netten Bar und schlendern dann den Hügel wieder runter.

Zurück zum Campingplatz nehmen wir den etwas längeren und sehr schönen Weg durch die Weinberge.

Und mit einem letzten Blick zurück verabschieden wir uns von diesem sehr wirklich sehr besonderen Ort.

Ich war hier übrigens von über 40 Jahren schon einmal, im Sommer 1982, mit Ulli und Silvi auf der Heimfahrt von unserem Spanientrip im R4. Wir sahen von Weitem die Kirche auf dem Hügel und sind spontan hingefahren und hineingegangen. Wir waren wir völlig geflasht von den „sprechenden Säulen“ und sind erst nach Stunden (gefühlt) wieder herausgekommen.

Den Abend verbringen wir draußen unter der Markise und werfen sogar den Grill an. Mal wieder richtiges Campingleben! Morgen geht es zur letzten Etappe des Burgund nach Chablis und Auxerre.

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