20. bis 22. Juni: Ålesund
Ålesund hat einen ganz vorzüglichen, großen, schönen Stellplatz ganz nah an der Innenstadt, mit allem was man so braucht inklusive sehr sauberen WCs und Duschen und einem echt guten WiFi. Als wir um 13.30 Uhr am Dienstag ankommen, sind noch 3, 4 Plätze in der 2. Reihe frei. Wer zu spät kommt, den dirigiert ein Schild zum 2. Platz der Stadt etwas außerhalb, der soll noch besser und moderner ausgestattet sein. Top! Hier kann sich so manche Stadt ein Beispiel nehmen, allen voran Bergen.
Der Platz liegt schön direkt an der Mole neben dem Anleger der Hurtigruten. Die spricht man übrigens mit zwei „ü“, also Hürtigrüten aus! Und hurtig bedeutig im Norwegischen das gleiche wie auf Deutsch: schnell!
Das Begrüßungskommando besteht aus einer Horde Spatzen, die sich sehr für die Front des HoGo interessieren. Ständig flattern sie auf und in den Frontspoiler: Sie picken die toten Insekten auf, die wir als „Roadkill“ mitbringen. Ganz schön clever!
Da für morgen schlechteres Wetter gemeldet ist, machen wir uns hurtig mit eRich und eMil auf den Weg und strampeln hoch auf den Hausberg Aksla. Ganz schön steil mal wieder, da muss man selbst mit den eBikes gut reintreten. Außerdem ist mords Verkehr: Autos, WoMos, Reisebusse, Hop on hop off, sogar das Touri-Bähnchen quält sich die enge Straße hoch. Kein Wunder, bei dem Ausblick!
Auf der anderen Seite wird auf einem Inselchen vor der Insel Hessa in der Nacht zum Freitag das Slinningsbålet (Slinning ist der Ort, bål/et das/Lagerfeuer) entzündet. Statt Midsommar feiert man hier in der Nacht vom 23. auf den 24. Juni Jonsok, die Johanniswache. Es ist also das Johannisfeuer, und zwar das größte in Norwegen. Der Stapel aus Holz und Kisten ist an die 50 m hoch. Vermutlich sperren sie den Aksla in der Nacht, sonst würden da zu viele Leute raufsteigen und sich gegenseitig runterschubsen. Wir hoffen, dass wir ein solches Feuer an der Atlantikroute zu sehen bekommen.
Der Aksla wartet neben einer tollen Aussicht mit unzähligen Bunkerbauten aus dem 2. Weltkrieg auf, der ganze Berg scheint durchlöchert. In einen Bunker steigen wir auf der Suche nach einem Cache hinein, da wird einem schon ganz anders 😨. Bevor ich mir einen abbreche, hier ein Link zu einem sehr gut geschriebenen Reiseblog zum Thema.
Wieder unten, machen wir uns quasi ferngesteuert (danke Steffi 😘) auf zum kleinen Leuchtturm auf der Molje, der Mole die den Hafen zum Meer abgrenzt. Er markiert die Hafeneinfahrt durch Leuchtfeuer und birgt noch eine Besonderheit: Im Sockel ist Zimmer Nr. 47 des Brosundet Hotels Ålesund 🌹💕, Honeymoon-Suite auf 2 winzigen Etagen. Wir finden sogar noch Rosenblätter auf der Treppe.
Als wir nach Hause kommen hat der Pizzateig beim Auftauen einen Fluchtversuch unternommen. Zur Strafe wird er aufgegessen.
Dank des hervorragenden Platz-WiFis schauen wir am Abend mal wieder einen Tatort! Auch schön, so ein Fernsehabend ab und an.
Am Mittwoch trödeln wir erst mal genüsslich rum, nutzen die ebenfalls hervorragenden Duschen und nehmen danach um 12 an der täglichen Stadtführung des Touristcenter teil. Angesichts der Menschenmassen in der Touriinfo und des großen Kreuzfahrtschiffes im Hafen mutmaßen wir schon eine riesige Gruppe, aber weit gefehlt: Wir sind grad mal zu sechst. Der Rest nimmt wohl den Hop on hop off Bus oder das Pseudo-Bähnchen.
Kirsty, die Stadtführerin ist eine pensionierte Lehrerin und sie macht das sehr, sehr gut und unterhaltsam. Gleich zu Beginn liefert sie die Überschrift für diesen Blogbeitrag: Fisch, Feuer und Jugendstil – das seien die prägenden Faktoren für die Stadt Ålesund. Das mit dem Fisch ist klar: Eine Stadt direkt am Meer lebt traditionell von der Fischerei. Aber Feuer und Jugendstil?
Da müssen wir zurückgehen zum 23. Januar 1904. Ein heftiger Sturm fegt über die Stadt, da bricht in einer Konservenfabrik (Wikipedia sagt: Margarinefabrik 🤷♀️) ein Feuer aus. Angefacht vom Orkan, frisst sich der Brand 16 Stunden lang durch die Innenstadt, zerstört 850 Häuser (alle traditionell aus Holz gebaut), 10.000 von 16.000 Menschen werden obdachlos.
In einer beispiellosen Anstrengung bauen die Ålesunder ihre Stadt wieder auf. Überall wird zu Spenden aufgerufen, heute würde man es crowdfunding nennen. Hilfe kommt sogar aus den USA, wohin viele Norweger in den 1850er Jahren ausgewandert waren, und nicht zuletzt vom deutschen Kaiser Wilhelm II., von dem wir ja schon wissen, dass er ein großer Norwegen-Verehrer war. Lebensmittel, Medikamente und Baumaterialien schickte er mit drei Schiffen der Marine, finanziert aus seinem Privatvermögen. Die entladenen Schiffe dienten den durch den Brand obdachlos gewordenen Menschen auch als Notunterkunft. Er wurde (und wird?) in Westnorwegen dadurch sehr verehrt. Auch 2 große deutsche Reedereien beteiligten sich an der Katastrophenhilfe.
In nur dreieinhalb Jahren entstanden 300 neue Häuser. Aber durch Schaden wird man klug: Die neuen Gebäude wurden per Gesetz allesamt aus Stein errichtet und es beteiligten sich über 40 Architekten aus ganz Norwegen an der Planung und Gestaltung der neuen Stadt. So gleicht kaum ein Haus dem anderen, aber eines haben sie doch alle gemeinsam: Sie sind im Jugendstil erbaut, der damals modern war. So entstand „dank“ des Feuers ein nicht nur für Norwegen einzigartiges, großes Jugendstilensemble. Eine ganze Innenstadt „aus einem Guss“.
Neben den typischen floralen Elementen wurden zum Teil auch norwegische Ornamente mit einbezogen, die Drachenköpfe der Stabkirchen oder Wikingersymbole (Bilder oben). Heute ist alles bunt, damals waren sie für viele Jahre recht schlicht anzusehen, denn für einen Anstrich / Bemalung war oft kein Geld mehr da.
Den unschätzbaren Wert dieses architektonischen Kleinods hat man erst ab den 70er Jahren erkannt. Bis dahin haben sich einige Bausünden eingeschlichen, aber im Vergleich zu anderen Städten hält sich das in Grenzen. Ausnahme ist das Rathaus. Das ist wirklich von kaum zu überbietender Scheußlichkeit, dagegen ist selbst das Mainzer schön!
Die Gebäude in der Innenstadt werden überwiegend gewerblich genutzt, gehören meist auch Firmen. Manche sind innen völlig umgestaltet, aber alle Fassaden sind erhalten. Familien, so sagt Kirsty, wohnen außerhalb der Stadt, im Kern nur junge Leute ohne Kinder und vielleicht ein paar Senioren.
Kommen wir zum Fisch! Dass es in Ålesund um 1900 viele Fischer gab, ist angesichts der historischen Bilder (die wir in einem Schaufenster abfotografiert haben) wohl unstrittig. „Die Fischerei ist auch heute noch der Lebensnerv der Stadt“ sagt fjordnorway.com. Kristy erzählt, man könne früh morgens Fisch und Meeresfrüchte direkt vom Kutter kaufen. Davon kriegen wir zwar nichts mit, aber es wird schon so sein. Früher war es vor allem der Hering, der tonnenweise aus dem Meer gefischt wurde, bis es fast keinen mehr gab. Dank strenger Regularien und Fangquoten hat sich das gebessert, aber die Überfischung ist nach wie vor problematisch.
Wie es beim Kabeljau ausschaut wissen wir nicht, aber Ålesund und Kristansund sind bekannt für Klippfisch, ein gesalzener und luftgetrockneter Kabeljau. Er gehörte seit dem Mittelalter zur Standardkost auf allen Schiffen, war sehr lange haltbar und nahrhaft. Vor dem Verzehr wird er ein paar Tage in Wasser eingelegt, um das Salz auszuschwemmen, und er quillt dann wieder auf. Ob das wirklich lecker ist, werden wir heute Abend im XL Diner, dem besten Fischrestaurant der Stadt, ausprobieren 🤨.
Ich hätte ja im Übrigen den Klippfisch als Bacalhau nach Portugal verortet und in der Tat ist Klippfisch dort heute eine Art Nationalgericht. Allerdings konnten die Portugiesen und Spanier ihren Kabeljau vom 16. bis ins 19. Jahrhundert nicht mehr selbst fangen, weil andere Länder ihnen die Fischgründe im Norden streitig gemacht hatten. So mussten Spanien und Portugal den haltbaren Klippfisch importieren. Aus Ålesund! Heute kommt 70% des portugiesischen Bacalhaus aus Norwegen. Die interessante Geschichte der Kabeljaufischerei Portugals findet man hier.
Preisfrage: Warum sind viele Ålesunder in spanischem Sand begraben? Nun, die spanischen Schiffe hatten Sand als Ballast im Laderaum. Der wurde hier abgeladen und von den Leuten dann eben für Bestattungen weiterverwendet. RIP – da liegt man bestimmt netter als in norwegischem Gneis ⚰️.
Man könnte noch viele Anekdoten und Kleinigkeiten nacherzählen, zum Beispiel die beheizten Parkbänke, aber das wird mir dann doch zuviel. Bestimmt erinnern wir uns auch so an das ein oder andere.
Zurück am HoGo kriege ich die frohe Kunde, dass das erhoffte Programm für morgen gebongt ist! Yippiyayeah!
Und dann ist es schon bald Zeit für den krönenden Abschluss des Besuchs: Der Motoradfahrer am Vestkapp hatte uns zum Bsuch des XL Diners geraten und genaun das machen wir jetzt, wir konnten gestern mit Ach und Krach noch einen Tisch reservieren.
Da hängen sie, waum auch immer grün beleuchtet, die toten Kabeljauseriche, salzverkrustet und schrumpelig. Die fischige Antwort auf dry aged beef.
Und nun das Essen – da fragt man nicht mehr wie es geschmeckt hat!
dazu Pesto-Kartoffelpüree und mediterranes Gemüse
Der Fisch ist fester als üblich (man muss kauen), durch und durch leicht salzig und wirklich lecker!
Der Nachtisch ist ein wahres Kunstwerk, das Schokotörtchen eine Offenbarung (natürlich innen flüssig).
Das haben wir uns mal so richtig gegönnt! Und mit was? Mit Recht!