Donnerstag 5. Juni: Bei den Reichen und Schönen
Angesichts der trüben Wetteraussichten entscheiden wir uns, heute mal den französischen ÖPNV auszuprobieren. Unser Stellplatz liegt direkt neben einem großen Krankenhaus und so haben wir es nicht weit zur Bushaltestelle. Für schlappe 3,80 € bringt uns die Linie 111 an den Bahnhof von Deauville. Von dort machen wir uns auf den Weg zum Strand.
Dabei kommen wir als erstes am Yachthafen vorbei, an dessen Ende zwischen zwei großen Türmen das Casino hervorlugt. Das ist aber das Casino des Nachbarorts Trouville. Der Yachthafen entstand in der 70er Jahren, als die beiden alten Häfen nicht mehr ausreichten, er ist privat, ebenso wie die Eigentumsanlage drumherum mit exklusiven Zweit- und Ferienwohnungen.



Ich fühle mich schon jetzt in Deauville wie im Phantasialand – nur ohne Achterbahngedöns. Es wirkt alles irgendwie unecht und das ist es auch: Der mondäne Badeort entstand auf dem Reißbrett. Ein Halbbruder des französischen Kaisers Napoleon III, Herzog Morny, kaufte 1859 dem Dörfchen Dosville seine sandigen, sumpfigen Kuhweiden ab und ließ darauf ein „Königreich der Eleganz“ errichten.
Irgendwie muss ich dabei an Donald Trump und seine „Pläne“ für Gaza denken 🤔, aber der Herzog reüssierte tatsächlich: Getreu dem Motto Klotzen statt Kleckern baute er nicht nur schicke Villen im neo-normannischen Stil, sondern gleich auch noch ein Spielcasino, zwei Pferderennbahnen und eine Eisenbahnanbindung nach Paris. Der neue Ort erhielt den (zwar gleich lautenden aber fürnehmeren) Namen Deauville und zog bald die (inter)nationale Haute Volée an. Da schadete es nicht, dass auch Kaiser Napoleon seinen Halbbruder gern dort besuchte. Ein Luxushotel nach dem anderen entstand, riesige Prachtbauten wie das Royal und das Normandy, die bis heute die lange Strandpromenade säumen.

Man spricht Englisch, Spanisch, Russisch und Arabisch.
Die Belle Epoque zwischen 1870 und 1910 brachte reihenweise solche vornehmen Seebäder hervor, aber Deauville war mehr als manch anderes ein Anziehungspunkt für Künstler und Promis.
Im benachbarten Fischerdorf Trouville beäugte man das wohl mit einem gewissen Neid und zog alsbald nach: Casino, Villen, keine Rennbahn und den Bahnhof teilt man sich bis heute.
Wir spazieren dann an der Seefront entlang dutzender prächtiger Villen, die alle aussehen, als seien sie einem Kitschroman entsprungen. Die meisten sind aus der Gründerzeit, aber die Neubauten sehen auch nicht viel anders aus. Bauvorschriften!


Im Gegensatz zu den protzigen Villen fährt man hier jedoch extrem kleine Autos. Unzählige der winzigen Citroën ami sausen fast lautlos herum, mit maximal 45 km/h, ohne Führerschein und an jeder Haushaltssteckdose aufladbar. Eine super Idee, finden wir, mehr Auto braucht es meistens nicht.

Nach rund 2 km Fußmarsch (mein Knöchel hält gut durch, aber die Achillessehne knackst bei jedem Schritt 😣) erreichen wir Les Planches, die ikonische Strandpromenade von Deauville.

Sie ist das Werk des Architekten Charles Adda, 643 Meter lang und von knapp 200 kleinen Strand-Kabinen gesäumt (insgesamt gibt es 450). Seit 1975 tragen diese die Namen von Hollywoodschauspieler*innen und -regisseuren, die das seitdem jährlich stattfindende Festival des amerikanischen Films besucht haben. Davon erzählen auch zahlreiche Fotos entlang der Promenade.

Mitte: Eröffnung am 9. Juli 1924. Oktober 2010: Angela Merkel und Nicolas Sarkozy beim 3er-Treffen mit Dimitri Medvedev. Man stellt damals übereinstimmend fest, die Zeit des kalten Krieges sei vorbei und es sei nun geboten, gemeinsam an einer stabilen Verbindung Paris-Berlin-Moskau zu arbeiten.

Noble Strandrestaurants dürfen natürlich auch nicht fehlen.
Hinter den Kabinen erstrecken sich die Pompeischen Bäder mit 9 Innenhöfen, Brunnen, Wasserbecken, weiteren Kabinen, Saunen, Dampfbad und Massageräumen, dazu eine amerikanische Bar, ein Coiffeur und Boutiquen. Man kann eine solche Kabine mieten – für einen Tag, eine Woche oder eine ganze Saison. Reservierungen ab Januar im Etablissement des bains de mer. Preis hab ich nicht gefunden, wahrscheinlich spricht man da nicht drüber, sondern zahlt und schweigt.
Zum Abschied noch ein paar Schnappschüsse:
Am Ende der Planches angekommen, geht es vorbei am Casino …

… und dann quer durch die Stadt. Hier fällt uns zuerst das gigantische Hotel Normandy auf (gehört auch zur Barrière-Gruppe), das einen ganzen Block einnimmt. Auch das ein Hotel der höchsten Kategorie, Baujahr 1912.








In der Stadt geht es im gleichen Baustil weiter, eine Nobel-Boutique reiht sich an die nächste, vor dem Juwelier steht die Security. Dabei kann man auf der Bulgari-Uhr für 33.300 Öcken noch nicht mal die Zeit ablesen!
Die Neo-Normannik macht selbst vor dem Rathaus nicht halt, man hat es 1961 „normandisiert“ und das Fake-Fachwerk drangeklöppelt. Das Türmchen und der unvermeidliche Petit Train mach das Ensemble komplett 🫣. Sogar das Polizei-Kommissariat musste sich der Stil-Doktrin beugen.


Dagegen mutet der Bahnhof ja schon fast schmucklos an. Fast.
Wie man sieht – Deauville ist nicht so ganz unser Fall, wir sind mehr die Honfleur-Typen. Auch preislich 😂.
Der Busbetrieb ist hingegen ganz bürgerlich (und wie eingangs erwähnt preiswert). Durch die Ladeklappen wird alles verfrachtet, was so mit muss: Koffer, eine Mikrowelle und ein paar Fahrräder. Hätte mich nicht gewundet, wenn eine Bäuerin mit einem Käfig mit Hühnern oder einer Ziege angekommen wär, das hätten die auch noch verfrachtet.


In jedem Fall war der Besuch in diesem mondänen Seebad aber eine Erfahrung wert!
PS: 13.000 Schritte hat das Handy gezählt und der Fuß hat ganz gut mitgemacht!
PPS: Das Animal of the day kommt heute aus der Tiefkühltruhe: Bei dem recht scheußlichen Wetter kommt so ein Reh aus der Pfanne ganz gut. Mit low carb Selleriepüree, ein paar Böhnchen, Sauce Duxelles als Hommage an das Gastgeberland und Rotkohlsalat mit Hasel als Nuss und Öl. Das Reh musste nun wirklich mal weg, das liegt schon 20 Monate bei uns auf Eis und hatte zwischenzeitlich schon Asyl bei der Nachbarin beantragt.