14. bis 18. Juli: Camping le Canada in Chiny an der Semois/Ardennen
In der Nacht bzw. gegen Morgen kommt der angekündigte Regen, aber als ich gegen halb neun aufstehe, scheint schon wieder die Sonne. Auf die Wetterfrösche ist echt kein Verlass. Besser, man guckt aus dem Fenster. „Wie fanden sie das Wetter heute?“ „Ich ging raus, und da war es !“
Zum Frühstück gibt es Brot mit Avocadogedöns, Rührei und Speck und danach setze ich mich an den Stifungs-PC um die Vorstandssitzung vorzubereiten. Da tut es neben mir einen Schlag: Das Oldtimer WoMo unseres holländischen Nachbarn, ein VW Karmann, hat sich selbstständig gemacht und ist nach hinten weggerollt. Vermutlich hat der angehängte Alpenkreuzer, der etwas abschüssig stand, zu stark gezogen und die Handbremse ist rausgesprungen. Ich seh nur noch alle aufgeregt rumlaufen und den Mann halb unter dem WoMo liegen, zum Glück kommt er aber nicht unter die Räder. Der übeltäterische Alpenkreuzer hat Schlimmeres verhindert, denn er ist gegen einen Baum geknallt und hat so das Gespann vor der Böschung zum Stillstand gebracht! Nicht auszudenken, wenn das alles da 3 Meter runtergerauscht wäre. Es standen auch noch Zelte in der Nähe! So kamen unsere Nachbarn zum Glück mit dem Schrecken und ein paar Macken am Alpenkreuzer davon. Puuuuh. Wir vermuten zwar, dass auch das Alter des Karmanns zu dem Malheur beigetragen hat, nehmen uns dennoch vor, öfter mal die Bremskeile hinterzulegen.

Nachdem alles wieder gerichtet ist, versorge ich die Familie mit etwas Nervennahrung – Spunk* hilft immer 😁. *Haribo Colorado
So ganz unbeteiligt oder gar gleichgültig will man als Stellplatznachbar ja auch nicht rüberkommen.
Weiter arbeiten lohnt nun nicht mehr, wir machen noch einmal rundum Dumpen und sind pünktlich um 12 runter vom Platz. Noch billig in Luxemburg tanken und dann geht es nach Belgien.
Luxemburg verdient viel Geld mit seinem billigen Benzin und auch die Steuern auf Kaffee und Tabak sind niedriger. Daran spart man um die 20% im Vergleich zu den Nachbarländern. Das führt natürlich zu einem regen Einkaufstourismus, die Dichte an Tankstellen in Grenznähe ist beeindruckend. Übrigens haben sie alle die gleichen Spritpreise, man braucht also nicht noch in Luxemburg rumfahren. Ich erinnere mich, dass selbst wir früher zum Einkauf nach LUX gefahren sind, damit sich die lange Strecke lohnt, wurden Benzinkanister gefüllt und der ganze Kofferraum mit Kaffee vollgestopft. Und die Verwandtschaft an der Mosel konnten wir auch noch gleich besuchen. Ich vermute ja, dass Hanne auf diesen Touren auch Schwarzgeld nach Luxemburg gebracht hat. Zumindest gab es welches und 2012, 2013 hab ich dann die Faxen dick gehabt und eine Selbstanzeige für sie gemacht. Es war wirklich lächerlich: Bei der Nachversteuerung hat Mutti sogar noch für 4 von 5 Jahren Geld vom deutschen Finanzamt zurückgekriegt. Am End hing sie mit 50 Euro oder so drin. Hätte sie die Kröten gleich auf die Sparkasse Münstermaifeld gebracht und die paar Zinsen versteuert, hätte sie viel mehr dabei rausgekriegt, anstatt in Luxemburg horrende Bankgebühren zu bezahlen. Die heimlichen Fahrten gar nicht draufgerechnet. Aber so war das in der Eifel: Schwarzgeld in Luxemburg war Volkssport. Lohnt sich aber nur, wenn man es groß macht!
Zurück zur Sache! Wir bringen unser Geld nicht auf die Bank, sondern in den Carrefour in Arlon! Einkaufswunderland Belgien! Der Belgier hat seltsame Rabattaktionen, auf die wir prompt reinfallen, verkauft Briefmarken nur auf zugeklebte und adressierte Umschläge (wir müssen leider eine Trauerkarte für eine verstorbene Kusine schreiben), tarnt sein Bier als Prosecco und sortiert es nach den Kategorien Abtei, Region und zum Probieren.

Neben anderem kaufen wir Moules, hier Mosselen genannt (vielleicht weil aus Holland). Zwei Kilo zum Preis von einem, Größe Imperial, es gibt noch die kleineren Super und die ganz großen Jumbo. Dazu noch ’ne extra Flasche Weißwein. Moules marinières kann ich!

Bei schönstem Wetter kommen wir gegen 16 Uhr auf dem CP Le Canada an und müssen, aus welchem Grund auch immer, nochmal 32 Öcken nachzahlen (ich dachte wir hätten alles bei der Buchung online per CC gelatzt). Dafür kriegen wir 2 Rechnungen, eine sogar mit Kind, zahlen aber 2 Euro weniger … weiß der Geier 🤦♀️*. 92 Euro für vier Nächte ist OK. Auch wenn man schon um 11 Uhr wieder weg sein muss. Und die Duschen extra kosten, wie früher. Aber hübsch ist es hier. *Ich vermute inzwischen, die war gar nicht für uns.


Was uns etwas ärgert, weil es so richtig out ist: Wer Internet will oder braucht, muss zahlen! Mobilfunkempfang ist hier quasi nicht vorhanden, wenn man Glück hat 1 Balken Edge. Also braucht es das Campingplatz WLAN und das kostet unverschämte 6 Euro pro Tag für ein einzigstes Endgerät. Nächste Option sind 3 Geräte für 2 Tage à 20 Euro. Dafür kann ich mit unserer französischen prepaid-Karte 4 Monate (!) à 100 GB surfen!
Aber nicht mit uns! Wir verbinden das HoGoSpace-Handy für 6 Öcken mit dem CP-WLAN und machen dann den Hotspot – unser HoGoSpace eben – an. Funzt einwandfrei, für alle Endgeräte auf einmal. Und, das muss man ihm dann lassen, das WLAN ist echt schnell. Die Antenne ist auch genau vor unserem Stellplatz, in Aluhut-Nähe, keine 10 Meter entfernt. So haben wir sie wenigstens ein bisschen ausgetrickst.


Der ganze Campingplatz ist sehr nett oldschool! Unser Stellplatz ist oberhalb des Hauptplatzes im Wald, das Gelände terrassiert, sehr lauschig. Ein bisschen kommen wir uns zwischen all den jungen Leuten und Zelten um uns herum deplaziert vor. Aber es gesellen sich noch eine schwedische Familie (Knaus) und zwei ältere deutsche Frauen (Pössl) auf unsere Ebene, dann geht’s 😂.

Am Abend klingen Trommeln über den Platz, kleine Feuerchen (in Feuerschalen) flackern, Gitarrenmusik (aus der Konserve, aber immerhin), es liegt ein wenig Lagerfeuerromatik über dem Platz. sehr schön ist das!

Im Gegensatz zum Mobilfunkempfang scheint es in Belgien überall Fritten zu geben, was unser als Moules baguette geplantes Abendessen zu Moules frittes pimpt.
À la marinière – in Weißwein, mit winzigen Gemüsewürfelchen (also für mich winzig, der Franzose würde sie als Jardinière eher abqualifizieren. Die richtig kleinen Brunoise sind nur 1-2 mm groß klein). Neben Sellerie, Karotte, Schalotte und Knoblauch kommt noch Petersilie und Selleriegrün rein.
Volker holt die Fritten am Büdchen unten am Ufer ab und wir lassen es uns schmecken. Sehr gelungen, muss ich sagen! Weil es dann ein wenig zu tröppeln beginnt, verziehen wir uns unter die Markise, die Volker mit Heringen und Gurtband sturmfest verzurrt.

Dienstag, 15. Juli 2025: Gammeltag und Spaziergang in Chiny
Ja, der Campingplatz erinnert mich total an früher, als wir mit den Kids per Paddelboot und Igluzelt auf Tour waren. Neben dem alljährlichen Pfingstpaddeln mit Freunden gab es ganze Urlaube, zum Beispiel auf der Altmühl, der Mosel und der Mecklenburgischen Seenplatte. Auch wenn die Kinder damals manchmal gemeckert haben, heute finden sie es klasse, dass wir in der Natur und auf dem Wasser waren und nicht all inclusive im Hotelbunker auf Mallorca.
Hier würden wir gerne mal alte Zeiten aufleben lassen und eine Tagestour mit dem Leihkajak machen, aber es ist zu wenig Wasser in der Semois 😕, da verleihen sie keine.


Vielleicht wird morgen vom darüberliegenden Stausee der Vière was abgelassen. Ein Rohr führt von dort herunter zur Semois. Das dient aber nicht dem Wassernachfüllen für Paddler sondern der Stromerzeugung.
Nachtrag: Es gab kein Wasser, Paddeln fiel aus.
Die Semois (in LUX nennt man sie Sesbach, in F Semoy) mündet in die Maas, denn sie entspringt ganz knapp neben der Wasserscheide in Arlon (wo wir einkaufen waren). Fast wäre sie nach Osten zur Mosel geflossen, aber nein, sie fließt von Ost nach West.
Quelle und Mündung liegen nur 80 km Luftlinie voneinander entfernt, dennoch bringt es die Semois auf stattliche 210 km Länge, denn sie ist ein Fluss mit unfassbar vielen Mäandern. Das kennt man ja klassischerweise von gefällearmen Wiesenbächen in der Ebene (freie Mäander), jedoch fließt sie (zumindest heute) überwiegend in einem tiefen Tal durch Schieferfels. Das sind Tal- oder Zwangsmäander wie wir es neulich bei der Saarschleife schon hatten: Ein Sockel aus devonischem harten Schiefer, der schon einige Faltung hinter sich hatte und daher viele Risse und Klüfte aufweist, wird im Tertiär vom Jurameer mit einer weichen Schicht aus Mergel und Ton überlagert. Auf diesem weichen Untergrund mäandert die junge Semois vor sich hin und gräbt sich ein, bis sie auf den harten Sockel trifft. Hier folgen die Mäander dann den natürlichen Klüften. Das ganze weiche Deckgestein erodiert gleichzeitig weg. Es gibt noch eine zweite Entstehungstheorie, die hab ich aber nicht kapiert, also lassen wir es dabei.

Für mich ist heute vormittag nochmal etwas Arbeiten angesagt und Volker macht derweil Stöckelschritte.
Am Nachmittag spazieren wir nach Chiny für ein wenig Sightseeing und Geocaching. Es geht über die Brücke der Semois, die mehrmals zerstört und wieder aufgebaut wurde. Einzig der Hl. Nikolaus hat bis heute überlebt und wacht – anstelle eines sonst üblichen Nepomuk – in ihrer Mitte. Die Brücke ist gut frequentiert, denn nicht nur Autofahrer, Biker, Radler und Wanderer müssen hier rüber, auch wer telefonieren will, stellt sich zum Nikolaus. Der hat nämlich einen guten Draht nach oben und sorgt für Handyempfang. Das nennt man dann wohl Brückentechnologie 😜.

Das Sightseeing in Chiny ist übersichtlich. Das Dorf ist ziemlich tote Hose und hat stellenweise auch schon bessere Zeiten gesehen.


Auch der 2. Versuch des Erwerbs von Briefmarken misslingt: Zwar haben wir nun einen zugeklebten adressieren Briefumschlag, aber das Bureau du tourisme hat nur bis 13 Uhr auf. Morgen hat es ganz zu. Wir haben Verständnis, denn wir fragen uns, wozu es überhaupt eine Touri-Info braucht.
Geocaching gibt uns dann zumindest Einblick in die hehre Vergangenheit von Chiny, das im Mittelalter unter den Grafen von Chiny ein stolzes Fort gewesen ist, mit Chateau, Zugbrücke, Türmen, Graben, Mauern und allem drum und dran. Leider sieht man kaum noch was davon.

Abends gibt’s gefüllte Paprika unter der Markise und eine Runde Anno.
Am Mittwoch vormittag regnet es. Aber so wenig, dass davon auch kein besserer Wasserstand zu erwarten ist. Wir kleppern ein Ei über das Kajakfahren und planen statt dessen das Wochenende und die kommende Woche. Belgien ist nicht gerade ein Eldorado an WoMo-Stellplätzen. Unser Favorit Esneux ist schon „ausverkauft“, also reservieren wir 10 km weiter südlich an der Ourthe in Hamoir. Am Montag werden wir dann umziehen nach Monschau-Rohren. Back to good old Germany. Das Wetter soll nächste Woche eher schlecht werden, aber schau’n wir mal.
Gegen Mittag hört der Regen auf und wir machen eine Wanderung (ca. ca. 8 km) zum Aussichtspunkt Rocher du Hat.

Der Weg bietet weiters keine besonderen An- oder Aussichten, wir kommen flott voran und unterhalten uns derweil darüber, warum man von der Mondoberfläche aus 🌕️ keine Sterne sehen kann, obwohl der Himmel doch schwarz ist 🤔. *
*Das ist eine Frage der Belichtung und Beleuchtung: Die Mondoberfläche ist am Mondtag so gleißend hell, dass das menschliche Auge adaptiert und die Pupille eng stellt. Auch eine Kamera macht Bilder mit kleiner Blende und kurzer Belichtungszeit. In beiden Fällen kann man lichtschwache Sterne nicht sehen.

Am Ziel angekommen erwartet uns auf 365 m in der Tat eine schöne Aussicht, aber mitnichten auf den großen Mäander der Semois. Es gäbe hier sogar zwei zu sehen – einen verlandeten und eben den aktuellen mit Wasser. Die liegen aber beide im tiefen Wald rechts von uns verborgen, was man sieht ist der „Einschwung“ der Semois in die Kurve. Nachdem wir das kapiert und verortet haben, lassen wir aber die Kritik bleiben und genießen das Panorama.

Die Landschaft erinnert mich total an „mein“ Elztal. Die hat sich auch so tief eingegraben und legt die schroffen Schieferfelsen frei. Mäander sieht man da übrigens auch nicht, es gibt aber auch keine 😜.



Nachzutragen gilt es noch das Animal of the day: ein verblichener Maulwurf, den ich nicht fotografieren durfte 😤. Dabei sah der noch fast lebendig aus.
Wieder unten an der Semois angekommen genehmigen wir uns im kleinen Bistro ein kühles Leffe. Das Zeug schmeckt wirklich lecker, auch das ohne Alkohol. Und die Darreichung in diesen Pokalen, die hat was!
Abends bleibt die Küche kalt, denn für 19 Uhr haben wir im Aux Comtes de Chiny reserviert. Wir radeln also wieder an die Kreuzung, wo wir vorhin das Bier getrunken haben, nehmen jetzt aber das Restaurant nebenan. Ein super Abend mit leckerem französischen 3-Gänge-Menü und einer Flasche Muscadet.




Am Donnerstag steht das Incontournable an – das must see: die Abtei Orval. Sie ist eine von weltweit nur 10 Trappistenbrauereien, die offiziell anerkannt sind, also echtes Trappistenbier brauen. Fünf davon liegen in Belgien. Von denen ist Orval die jüngste, hier wird erst seit 1932 Bier gebraut. Die älteste, Rochefort, braut seit dem 16. Jahrhundert, die anderen seit dem 19. Außerhalb Belgiens gibt es 2 in den Niederlanden und je eine in Österreich, Italien und England. Die Letzteren aber erst seit den 2010er Jahren.
Echtes Trappistenbier ist nicht irgendein Abteigebräu! Es muss von echten Trappistenmönchen gebraut werden, Angehörige eines besonders strengen Zisterzienserordens. Es muss auch im Kloster oder in direkter Nähe gebraut werden. Der Erlös darf nur für den Erhalt der klösterlichen Gemeinschaft verwendet werden. Überschüsse dienen wohltätigen Zwecken oder den Bedürfnissen anderer Trappistenklöster. Strenge Sitten!
Aber der Reihe nach: Nach dem morgendlichen Tetris-Hafenkino (10 junge Leute, ebenso viele Rucksäcke, 2 große Zelte, ein Minivan) radeln wir erstmal nach Chiny zum 3. Akt des Trauerspiels um die Trauerkarte: in der nun geöffneten Touri-Info in Chiny gibt es zwar Briefmarken, aber nur für innerhalb Belgiens. Überhaupt weiß die Dame nicht viel (Radwege, Tipps) und ich geb’s auf. Wir fahren weiter über die Hauptstraße nach Florenville.

Und endlich! Eine super freundliche Mitarbeiterin der Touri-Info bappt eigenhändig eine Briefmarke auf den Umschlag und legt ihn zu ihrer Post, die sie gleich zum Postamt bringen wird. Da isses mir völlig wurscht, dass das Porto stolze 2,90 € beträgt! Die Karte käme garantiert an, ich solle mir keine Sorgen machen, sagt sie! Tu ich nicht!
Die Dame ist überhaupt sehr fix und kompetent. Sie berichtet, dass man dabei sei, das Radwegenetz in der Region auszubauen, das dauere aber noch. Immerhin gibt es eine provisorische Karte (zack – wird in eine Tüte gepackt). Die nütze uns aber hier nix, weil sie überregional angelegt sei. Stolz zeigt sie mir ein Faltblatt, mit den Radwegen um Florenville, das die Stadt selbst erstellt hat. Zack – in die Tüte. Aber auch das nütze nix, denn nach Orval führt kein Radweg. Nur die Bundesstraße, und das sei gefährlich 😱. Aber auch dafür hat sie eine Lösung parat: Der Shuttlebus der Sommers regelmäßig zwischen Bouillon und Orval verkehrt. Zack – Fahrplan in die Tüte. Und wir müssten zur Chocolaterie Edouard (zack 😂)! Nun, das hatten wir eh vor. In Gedanken küren wir die Dame zur Mitarbeiterin den Monats!
Bestens ausstaffiert kloppen wir dann unseren Zeitplan in die Tonne, parken die Räder am Busterminal und nehmen den Bus nach Orval.
Der nette Busfahrer nimmt uns für umme in seinem leeren Linienbus mit und hört unterwegs Ray Charles💃🕺.
Abtei Orval
Die Zisterzienserabtei Orval braut nicht nur Bier und stellt Käse her, sie ist auch ein spirituelles Zentrum der Region. Und ein touristisches, hier ist ganz ordentlich Betrieb!
Für 6 Euro p.P. dürfen wir als Senioren das Gelände betreten. Die eigentliche Abtei ist aber Sperrzone – Klausur. Zum Glück hat es hier drei Abteien gegeben, es bleibt also noch einiges übrig.

Gegründet wurde Orval im Jahr 1070. Gräfin Mathilde fiel bei der Jagd ihr goldener Ehering in eine Quelle. Doch – oh Wunder – eine Forelle brachte ihn ihr wieder zurück. „Welch goldenes Tal“ rief sie aus (frz: val d’or = orval) und ließ aus Dankbarkeit eine Kirche errichten.
So die Legende. In Wirklichkeit war es wohl die klösterliche Expansion zu Beginn des 12. Jahrhunderts, die Mönche veranlasste, hier in günstiger Lage eine Zweigstelle zu gründen.
Die mauserte sich zu einer großen, einflußreichen Abtei, dem Zeitgeist entsprechend nach zisterziensischer Regel (benediktinisches ora et labora in Arbeitsteilung mit Laienbrüdern).
Das Kloster nahm im 30-jährigen Krieg Schaden, reüssierte aber weiterhin, vor allem dank der Fertigkeiten der Brüder in der Eisenverarbeitung, die zeitweise führend in Europa war. Und man besaß durch zahlreiche Schenkungen ausgedehnte Ländereien mit Mühlen, Schmieden und Ackerland – an finanziellen Mitteln mangelte es nicht.

Mitte des 18. Jahrhunderts beschloss man, die alte Abtei aufzugeben und gleich nebenan eine neue, größere, schönere und moderne = barocke zu bauen. Kaum war sie fertig, fegte die französische Revolution darüber hinweg und hinterließ … Trümmer.
130 Jahre lang diente die verlassene Abtei als Steinbruch und als Attraktion für romantisch veranlagte Touristen, bis 1926 die heutige Abtei im neoromanischen Stil mit Art deco-Einschlag auf den Kellern des barocken Kloster neu erbaut wurde.
Die Ruinen des mittelalterlichen Kloster blieben erhalten und können, ebenso wie die Keller unterhalb der Basilika, besichtigt werden. Doch der größte Teil ist nicht zugänglich.
Kloster = claustrum = verschlossener Ort (vgl. closed, Klosett, Klausur).


1926 war aber mit vorindustriellen Schmieden, die früher die Haupteinnahmequelle für die Abtei darstellten, kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Daher tat man es anderen Abteien gleich und machte in … Alkohol! Bier wurde auch früher schon gebraut, aber nur für den Hausgebrauch – sprich Eigenbedarf, nun zog man es ab 1932 groß auf. Dabei setzte man auch auf eingekauftes know how, der erste Braumeister war ein Deutscher namens Martin Pappenheimer.

Heute wird das Orval mit modernsten Methoden hergestellt, mit Edelstahltanks, Laboren und vollautomatisierten Abfüllanlagen. Das Bier ist sehr „hopfig“, hat dank einer zweiten Flaschengärung (nach Zusatz von Hefe und Zucker) ordentlich Umdrehungen (7,2%).




So modern das alles auch ist, Rezeptur, Flaschenetikett, auch die Gläser sind die gleichen wie in den 30er Jahren. Und gebraut wird – natürlich – mit dem Wasser der Mathildenquelle.
Volker mochte vor allem das starke Bier, ich das Orval vert. Mit 4,5% Alkohol sei es das „Erfrischungsgetränk“ für die Mönche und es wird nicht in Flaschen abgefüllt. Man kann es überhaupt nur hier vor Ort im Brauereiausschank trinken, der den netten Namen Ange Gardien (Schutzengel) trägt. Was wir natürlich auch getan haben.
Aber jetzt bin ich schon wieder aus der Reihe(nfolge) getanzt. Wir sind ja bei der Besichtigung der Abtei. Das Durchstreifen der Ruinen ist wirklich interessant und inspirierend, ein spiritueller Ort, das merkt man.










In einem Kreuzrippengewölbe entdeckt Volker unsere animals of the day – so viele Fledermäuse, dass es für das ganze Wech und mehr reicht.
Wir steigen dann in die Gewölbe unter der Abteikirche, die aus dem 18. Jahrhundert stammen und sowohl moderne Kunst als auch ein Museum mit historischen Ausstellungsstücken enthalten.
Wir sind ja ausgewiesene Kunstbanausen – entweder etwas gefällt uns, oder es gefällt uns nicht. So einfach ist das!
Das hier z.B. gefällt uns! Es heißt „The man of the third day“. Dank meiner soliden katholischen Grundausbildung schlussfolgere ich: Am dritten Tag ist Jesus auferstanden und die Frauen fanden nur das Leinentuch, in das der Leichnam gewickelt war. Die Künstlerin Caroline Chariot-Dayez malt seit 20 Jahren nichts als Falten, Falten und noch mehr Falten. Hat was!
Merke: Man muss nicht immer alles glattbügeln.

Das faszinierendste Kunstwerk ist das des Franzosen Christian Jaccard: Mural burning heißt seine Technik und er verwandelt so einen ganzen Raum in … tja, in was?




Wir würden mal sagen in etwas Großartiges. Wir assoziieren mit Fledermäusen, aber es soll an Glasfenster erinnern. Auch egal.
Sehr spirituell ist ein abgedunkelter Raum, in dem passend zu Texten aus der Bibel und mit leiser Musik untermalt nur einige wenige Stücke zu sehen sind.


Im musealen Teil findet sich Schmiedekunst, alte Schriften, Spolien, Skulpturen – was halt ein Museum so ausstellt.




Die Gänge scheinen endlos, aber irgendwann erreichen wir wieder das Tageslicht.
Noch eine kurze Begutachtung des Heilkräutergartens und dann steht uns der Sinn eindeutig nach weltlichen Genüssen.
Die bekommen wir beim Ange guardien und wir wählen aus dem reichhaltigen (und durchaus preiswerten) Angebot das, was wir in solchen Fällen immer nehmen: Das große Probierpaket.

Das besteht aus den drei Sorten Bier und den drei Sorten Käse, die hier hergestellt werden. Beim Bier ist es ein 0%, das nur hier erhältliche Orval vert mit 4,5% und das normale mit 7,2%. Käse gibt es jung, alt und mit Bier eingerieben. Natürlich kaufen wir auch noch ein paar Fläschchen für zu Hause und vor allem 2 der schönen Gläser. 2 Pullen + 1 Glas für 8 Öcken, das ist ein ziviler Preis, finden wir.
Leicht angeschickert loggen wir noch einen Geocache und lassen uns dann mit dem Bus wieder nach Florenville kutschieren. Diesmal zahlungspflichtig für 5,60 Euro und ohne Musik.
In Florenville erwartet uns die zweite Disziplin des heutigen belgischen Schlemmertriathlons: Schokolade 😋. Im Café der Traditions-Chocolaterie Edouard wählt Volker die ultimative Schoko-Herausforderung, die „Tour du monde du chocolat“, ich bin etwas bescheidener und nehme was mit nur einem Stück Kuchen. Es schmeckt göttlich!


Wir finden, von Bier und Schokolade beschwingt und eingedenk der Informationen der Touri-Info, einen super Fahrradweg von Florenville nach Chiny über kleine, asphaltierte Wirtschaftswege. Erstaunlicherweise führt der ebenso fast nur bergab wie der Hinweg über die Bundesstraße. Wie sie das wohl hingekriegt haben!?
Zurück am WoMo nehmen wir ein Bad in der Semois und verfallen dann in ein Orval-/Schokoladenkoma, so dass wir fast unsere dritte Disziplin verpasst hätten! Aber es reicht noch für leckere belgische Fritten mit Mayo und (holländischen) Bitterballen am Campingplatz-Kiosk.

Dazu noch ein Pokälchen Orval in der Abendsonne (natürlich nur zur Unterstützung einer christlichen Glaubensgemeinschaft 😉). Das Leben kann so schön sein 🤩.

Damit verabschieden wir uns von Chiny und der Semois und ziehen morgen weiter.
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Wir sind jetzt genau zwei Wochen unterwegs (das Babysitten nicht eingerechnet) und es fühlt sich an wie sechs. Eindeutig ein Fall von Zeitdilatation! Offenbar führt diese Art des Reisens auch weit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit zu relativistischen Effekten im makroskopischen Maßstab. Wenn Einstein noch leben würde … wir würden ihn mitnehmen, und er könnte seine Relativitätstheorie noch ein wenig ausweiten.



















