Samstag, 12. Februar 2022: #9 Knast und Schlösser
Bei herrlichen Wetter drehen wir am Samstag eine Runde um Schloss und Gerichtsviertel.
Ausgehend vom Allianz-Haus, vorbei an der schäbigen Brunnenanlage (ein Schandfleck!!!) geht es ins Gerichtsviertel. Der Ernst-Ludwig-Platz hieß früher Schlossplatz und diente den Soldaten der benachbarten Schlosskaserne als Exerzierhof und Paradeplatz. In der Kaserne war u.a. das 117er Infanterieregiment untergebracht, dem am 117er Ehrenhof in der Adam Karillon-Straße heute noch gedacht wird. Um 1900 wird die militärische Nutzung aufgegeben, die Kaserne geschleift und das gesamte Gebiet mit Gerichts-, Justiz- und Verwaltungsgebäuden neu bebaut.
Und so ist es noch heute – nur die JVA verabschiedete 2002 ihren letzten Insassen.
Leider ist der eigentlich schöne Ernst-Ludwig-Platz heute nichts weiter als ein Parkplatz für die Beschäftigten der umliegenden Behörden.
Wir gehen weiter Richtung Rhein zum prachtvollen kurfürstlichen Schloss. Es ist der älteste Teil des Ensembles am Rhein, das mittlerweile in neuem Glanz erstrahlt: In Staatskanzlei und Landtag wird heute regiert, das Schloss dient der Repräsentation und – natürlich – der Fassenacht.
An ihrer Residenz haben die Mainzer Kurfürsten über 100 Jahre lang gebaut, begonnen wurde mitten im 30-jährigen Krieg, 1627 mit dem Rheinflügel, direkt neben der bisherigen Residenz, der Martinsburg (die wurde 1809 abgerissen). Deren Reste sind die Steinblöcke im Graben vor dem Schloss.
Neben dem Schloss tagt im ehemaligen Deutsch(ordens)haus der Landtag. Das Gebäude wurde 1730 vom seinerzeitigen Kurfürsten gebaut, dem das Schloss nicht genug war: Er war im Nebenjob Chef des Deutschen Ordens und wollte einen weiteren Residenzbau für das Amt des Hochmeisters. Wie sich das mit der Ordensregel der Armut verträgt, wusste wohl nur er selbst. Überhaupt hat der ehemals missionarische Orden im 18. Jahrhundert eigentlich nur noch repräsentativen Charakter und seine Hauptaufgabe besteht mangels bekehrbarer Heiden darin, sich selbst zu verwalten.
Auch der Landtag ist frisch saniert und hat einen, wie wir finden, sehr gelungenen Anbau für ein Restaurant/Kantine bekommen. Allerdings war die Sanierung nicht gerade ein Schnäppchen: 73 Mio. Euro! Beim Buddeln fand man hier ausnahmsweise keinen Römer, sondern einen niedrigen Geheimgang zwischen den beiden Kavaliershäusern an der Hofeinfahrt.
Damit hätten wir die Legislative erledigt und kommen zur Exekutive: Regiert wird in Nummer 3 des Ensembles, in der Staatskanzlei im Neuen Zeughaus, dem ehemaligen Waffenarsenal der Festung Mainz. Nebendran steht noch das Alte Zeughaus, der „Sautanz“, denn hier wurden vorher Schweine gehalten.
Dass aber heute die Staatskanzlei hier arbeitet, beruht auf einer Geschichte, wie sie mainzerischer kaum sein könnte:
Das Neue Zeughaus ist nach dem Krieg schwer beschädigt und eigentlich abrissreif. Nebenan zieht 1951 das Parlament des neuen Bundeslandes Rheinland-Pfalz das wieder errichtete Deutschhaus, aber da ist kein Platz für die regierende CDU. Sie muss sich im Bassenheimer Hof am Schillerplatz einrichten. Das ist Ministerpräsident Peter Altmeier ein Dorn im Auge. Eine schicke Staatskanzlei soll her, am Besten gleich neben dem Landtag. Aber das Geld ist knapp und das Zeughaus wie gesagt eine Ruine.
Nun existiert zu der Zeit die Initiative, eine von den Nazis „entsorgte“ Gedenkstätte für den großen Staatsmann Gustav Stresemann wieder aufleben zu lassen. Allerdings nicht am ursprünglichen Standort Fischtorplatz, sondern in Form eines „Europa-Hauses“. Und dazu soll eben die Ruine des Neues Zeughauses wieder aufgebaut werden. Für die Idee wird die Werbetrommel gerührt und reichlich Geld gesammelt, von Privatleuten, vom Land, vom Bund selbst, die gesamte CDU-Elite steht hinter dem Projekt, Konrad Adenauer inklusive und die SPD sowieso. 1,2 Mio. DM kommen zusammen. Ministerpräsident Peter Altmaier wird zum Schirmherrn und Bauträger erkoren und in Anwesenheit der eigens aus Amerika importierten Stresemann-Witwe legt man 1956 den Grundstein (ohne dabei einen Römer auszubuddeln!). Und kaum ist dies geschehen, beschließt das rheinland-pfälzische Kabinett offiziell, was längst im Stillen beschlossene Sache war: Das Europa-Haus soll gleichzeitig als Staatskanzlei fungieren. Natürlich wir es dann teurer, die fehlenden 1,8 Mio. DM werden aus der Landeskasse beigesteuert. Fast hätte man diese Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn im Bonner Stresemann-Ausschuss regt sich Widerwille: Das Finanzministerium will das zugesagte Geld nicht rausrücken und auch die privat gespendeten Gelder werden zurückgehalten. Erst will man sehen, was denn nun Staatskanzlei werden soll und was Stresemann-Gedenkstätte.
Dann müssen also die Karten auf den Tisch gelegt werden und die bezeugen, dass von den 2,8 Millionen Mark veranschlagten Gesamtbaukosten für das Europa-Haus nur 575.000 DM »für den Ausbau der Stresemann-Gedächtnisstätte mit den dazu vorgesehenen Nebenräumen« eingeplant sind, also nur etwa die Hälfte der Summe, die Bund, Länder und Privatleute für diesen Zweck gestiftet hatten. Die andere Hälfte soll in den Ausbau der Staatskanzlei fließen, was freilich nicht im Sinne der Spender ist. Also bleibt der Geldhahn zu, vor allem die vom Bundestag bewilligten 920.000 DM bleiben in der Kasse.
Da betritt der Chef der Mainzer Staatskanzlei Fritz Duppré das Podium und setzt dem Bund kurzerhand die Pistole auf die Brust: Gebaut sei ja noch nichts und ohne seine neue Staatskanzlei würde das Zeughaus eben eine Ruine und die Gedächtnisstätten-Planung graue Theorie bleiben. Basta. Der Bund gibt nach, fordert noch kleinlaut, dass Lesezimmer und Bibliothek des Stresemann-Teils nicht im 3., sondern im 1. Stock untergebracht werden und dass alles eine „würdige Herrichtung“ erhalten soll.
Was ist geblieben von Gedenkstätte und „Europa-Haus“? Eigentlich gar nichts. Nur dass der Kabinettsaal „Stresemann-Saal“ heißt und mit einer Wandtafel geschmückt ist, die (unter anderem) ein Stresemann-Zitat wiedergibt. Das war’s. Gedächtnishalle, Vorhalle, Bibliothek, Nebenräume und Lesezimmer für Besucher sucht man vergeblich. Ebenso einen Europasaal. Die Gedenkstätte ist ein Phantom. Fake News. Eine Verschwörungstheorie 😂🙈🤷♂️.
Ausführlich nachlesen kann man das Ganze übrigens in einem Spiegel-Artikel von 1959.
Wir marschieren dann zurück auf der Großen Bleiche an der Peterskirche vorbei, in der wir noch nie drin waren und zum Allianzhaus. Das sollte ja mal abgerissen werden, dann doch wieder nicht, ma waas es net. Es gilt unter „Kennern“ als architektonisch außergewöhnlich wertvolles Gebäude, dass – man höre, sehe und staune – „durch Gestalt und Materialität sehr sensibel auf die Kirche reagiert“ „durch Gestalt und Materialität sehr sensibel auf die Kirche reagiert“. Nun ja. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten.