Donnerstag und Freitag, 13. und 14. Juni 2024: Carnac
Heute und morgen schauen wir uns mal Obelix‘ Hinkelstein GmbH an*. Die Gegend um Carnac ist nämlich voller langer Steine und Steintische, besser bekannt als Dolmen und Menhire: bretonisch dol = Tisch, men = Stein und hir = lang. Wer hätte das gewusst? Ich jedenfalls nicht!
*Nicht wirklich – die hiesigen Steine stammen aus dem Neolithikum, der Jungsteinzeit und sind damit 2.000 bis 5.000 Jahre älter als Obelix‘ Hinkelsteine. Aber der Vergleich muss einfach sein!
Vorher machen wir noch einen Abstecher in die komplett andere Richtung zum Petit mont. Von diesem immerhin gut 30 Meter hohen Grabhügel soll man eine Aussicht über den gesamten Golf haben und das Innere einer steinzeitlichen Grabstätte besichtigen können.
Oder besser im Konjunktiv: könnten! Denn trotz des eigenlöberischen Schilds „Qualité tourisme“ am Tor bleibt uns der Zutritt verwehrt ☹️😠. Geöffnet wird erst um 14 Uhr. Vielleicht – möchte man dazu sagen, denn an welchen Wochentagen, das steht nicht dabei.
Besserwisserkasten:
Der Grabhügel ist ein (auch in Frankreich) sogenannter Cairn, ein Steinhügel: Die inneren Grabkammern bestehen aus aneinandergesetzten Dolmen (jeder wie ein Tisch aus 3 Steinen). Darum häuft man kleine Steine, falls nötig in mehreren „Terrassen“. Das ist ein Cairn. Bedeckt man die Dolmenkonstruktion mit Erde (über die dann Gras wächst), erhält man ein Hügelgrab=Tumulus. Im Lauf der Jahrtausende sind natürlich auch die Cairns zugewachsen und mussten freigelegt werden.
Zum Merken: Oberbegriff ist Grabhügel. Innen immer Megalithe, i.d.R. Dolmen. Bedeckung kleine Steine = Cairn oder Erde = Tumulus, Hügelgrab. Die Franzosen kennen noch die Allée couvert, das ist ein längs angelegtes Grab.
Hilft nix 🤷♂️🤷♀️. Wir drehen eine Halbrunde um den Knubbel des Petit mont und werfen dabei einen ersten Blick auf die Biskaya, das atlantische Randmeer zwischen Bretagne und der spanischen Nordküste. Ich war der irrigen Auffassung, die Biskaya läge nur zwischen Bilbao und Bordeaux, aber der Golf von Biskaya ist die ganze riesige Bucht westlich von Frankreich.
Der Name Biskaya klingt so nach Sommer – Sonne – Sonnenschein, aber das trügt. Es ist keineswegs eine idyllische, ruhige Gegend, sondern vielmehr eine der rauesten und gefährlichsten des Atlantiks. Der Kontinentalschelf ist hier sehr steil, die Wassertiefe nimmt schlagartig von 3000 bis 4000 m auf knappe 200 m und weniger ab – lange Atlantikwellen werden dadurch abgebremst und steilen sich auf. Fast ein Tsunami-Effekt. An den Küsten werden die Wellen dann reflektiert und kreuzen sich mit den hereinkommenden zu chaotischen Überlagerungen. Wenn dann noch Tiefdruckgebiete aus Westen dazu kommen, wird es außerdem stürmisch und so richtig ungemütlich.
Wir drehen dann um, fahren gegen den Uhrzeigersinn einmal weiträumig um den kompletten Golf von Morbihan rum, um gegen 13.30 Uhr unseren vorab reservierten Campingplatz in Carnac zu erreichen. Volker wünscht sich nach Norwegen, dort hätte es sicherlich eine Fähre gegeben, die uns 60 von den 75 Kilometern erspart hätte. Aber (Auto)Fähre ist hier nicht!
Wir beziehen dann Quartier im Hinkelsteinrevier um Carnac auf einem sehr hübschen, kleinen und ziemlich verlassenen Campingplatz. Die Reservierung hätten wir wahrlich nicht gebraucht! Wegen des schlechten Wetters seinen viele Gäste abgereist, sagt man uns.
*Auf unserem „Stehfoto“ sieht das Wetter voll schön aus, das ist dem Wind geschuldet, der mal kurz die Wolken weggepustet hat.
Nun, wir bleiben und machen trotz Nieselregen eine klitzekleine Fahrradtour zum 2 Kilometer entfernten Haus der Megalithe. Hier ist echt viel Betrieb: Reisebusse, Navettes, gleich 2 oder 3 „petits trains“ für Rundfahrten – damit hatten wir nicht gerechnet! Wir sichern uns 2 Ticḱets für die morgige Führung, denn ohne dem kann man die Steinreihen nur von außerhalb des Zauns betrachten. Ob sich das lohnt, werden wir dann morgen sehen!
Den gut gemachten Erklärfilm im Maison kann man sich per audioguide auf deutsch anhören, man muss nur „die Zweige des Kopfhörers nach außen biegen“ und im Display die 3 wählen 😂. Ich liebe französische Übersetzungen!
Aber das kriegen wir alles morgen – jetzt geht es fix zurück ins kuschelige WoMo. Ich hab Lust auf Kochen und werde gratinierten Ziegenkäse mit karamellisierten Walnüssen und knusprigen Rosmarinnadeln machen. Danach gibt es lauwarmes Linsenpüree mit Tomatenvinaigrette und Knobicroutons – da sind die restlichen Tomätchen weg und das altbackene Baguette auch.
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Der Freitag steht wie angekündigt zunächst ganz im Zeichen der Megalithen. Regenfest ausgerüstet, radeln wir ab 11 Uhr die incontournables, die must sees von Carnac ab, bevor es um 15 Uhr hinter die Umzäunung der Steinreihen geht.
Par Zacharie Le Rouzic — Travail personnel, Moreau.henri, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/ w/index.php?curid=34098806
Ad 1: Der Tumulus von Saint Michel, auf den man im 19. Jahrhundert eine Kapelle gebaut hat. Im Inneren der Grabkammern fand man Werkzeuge, Keramik und sogar Schmuck. Nach zahlreichen Ausgrabungen und Untersuchungen ab 1862 hat man 2014 alles wider zugeschüttet, um es zu konservieren.
Ad 2: Der Gigant von Manio, mit ca. 6.5 Metern Höhe der größte, einzeln stehende Menhir der Gegend. Möglicherweise markierte er in der vor 6.000 Jahren unbewaldeten Gegend das nebenan liegende Grab einer sehr reichen Person, dass durch die rechteckige Steinsetzung begrenzt ist.
Hatten wir in Norwegen auch schon, da war es in Form eines Schiffsumrisses!
Ad 3: Der Dolmen von Kermario zeigt das gut erhaltene Innenleben einer Grabstätte, den Cairn haben Archäologen des 19. Jahrhunderts entfernt – das würde man heute natürlich nicht tun!
Die Hauptattraktion, die Alignements, kann man bei alledem nun auch wirklich nicht übersehen! Fünf Felder von Steinreihen erstrecken sich über etwa 3,5 Kilometer in West-Ost-Richtung. Etwa 3.000 Menhire – meist längliche, hochkant aufgestellte Steinblöcke – stehen in 10 bis 12 schnurgeraden Reihen im Abstand von 2 bis 3 Metern. Es beginnt im Osten mit kleinen Menhiren, nach Westen hin werden sie immer größer.
Der Bau von Straßen und Häusern hat ab dem Mittelalter vielen Steinen den Garaus gemacht, eigneten sie sich doch bestens als Baumaterial oder waren ganz einfach im Weg. Sie wurden durch die Archäologen im 19. Jahrhundert nicht ersetzt, nur die umgekippten hat man wieder aufgerichtet.
Wie die Steine gebrochen wurde, wie man sie transportierte und aufstellte und vor allem warum – das weiß niemand genau. Es gibt nur Hypothesen, die durch die experimentelle Archäologie mehr oder weniger gestützt werden: Die Granitblöcke gewann man möglichst in der Nähe an verwitterten Felsaufschlüsssen. Die oft tief zerklüfteten Granitfelsen konnte man mit Keilen lossprengen, dazu diente wohl Holz, das man durchnässte, so dass es aufquillt. Sicherlich lagen in Felsenmeeren ohnehin Brocken rum, die man aufsammeln konnte. Zum Transport legte man Baumstämme drunter und zog den Felsblock mit Seilen darüber, wie auf einem Förderband. Zum Aufstellen machte man ein Loch – nicht sehr tief, 30 cm reichen schon aus, in das man den Stein hineinkippte. Kleine Steine ließen sich per Hand und mit Hebeln aufrichten, für größere baute man ein hohes Holzkreuz in Form eines scheppen X und richtete den Menhir mit Seilen auf, die darüber liefen. Für die ganz riesigen Brocken musste man Rampen bauen, um die nötige Höhe zu gewinnen, von der aus man sie in das Loch kippen und aufrichten konnte. An der Basis wurden die Menhire mit Steinen verkeilt und mit einer Art Steinzeit-Beton aus Lehm und Sand befestigt.
Ob die Errichtung der Steinreihen eine konzertierte Großbaustelle für ein Projekt war, das man so schnell wie möglich fertigstellte, oder aber über Jahrzehnte/Jahrhunderte in Einzelaktionen vor sich ging (jede Familie stellt ein paar Steine auf) ist völlig unbekannt.
Und vor allem weiß man nicht, wozu das Ganze diente. Sind die rätselhaften Steinreihen etwa doch römische Soldaten, die der heilige Cornelius in Stein verwandelte oder markieren sie die Häuser von Kobolden, die von den Feen aus dem Zauberwald König Artus‘ in Broceliande vertrieben wurden?
Zeitgenössische Archäologen vertreten zwei Meinungen: Zum einen könnte es sich um Kultstätten handeln – logisch und naheliegend. Die zweite Meinung istbetwas elaborierter: Demnach ist es eine Methode zur Abschreckung von Eindringlingen, eine Grenzmarkierung: Schräg betrachtet, wirken die Steine wie eine Mauer, zumindest signalisieren sie: Wir sind viele, wir sind stark, wir sind organisiert, dies ist unser Land!
Das alles erfahren wir von unserer sehr engagierten und temperamentvollen Guide, deren Namen ich leider vergessen habe 🤦♀️.
Auch wenn man nicht weiß, was die Erbauer der Steinreihen vor 5.000 bis 7.000 Jahren damit bezweckten, so weiß man sehr wohl, wozu sie später verwendet wurden: Die Kelten und Gallier nutzten sie als Kultstätten, die Römer als Straßen, die Menschen des Mittelalters als Steinbrüche. Und bevor man die Steinreihen 1991 einzäunte, wurden hier sogar Landmaschinen und Autos abgestellt.
Die Führung ist natürlich auf französisch, Volker widmet sich also mehr dem Fotografieren und erwischt unser Animal of the day – einen Falken, der völlig unbeeindruckt von den Besuchergruppen auf der Jagd nach seinem Nachmittagssnack ist.
Mein persönliches Highlight stelle ich an den Schluss des heutigen Tagesberichtes – auch wenn wir es schon gegen 14 Uhr hatten. Und es ist mal wieder unser Hobby Geocachen, das uns dieses Erlebnis beschert hat! Nachdem wir eher langweilige Fragen an 5 Stationen beantwortet haben, rechnen wir die Koordinaten des Finales aus.
Die führen uns erst über eine Wiese mit hohem Gras und an einem beachtlichen Menhir vorbei und dann zu einem tief im Gebüsch versteckten kleinen Dolmen. Fernab von jedem Tourismus, obwohl ein Hinweisschild an der Straße ihn als Menhir und Dolmen von Kerluir ausweist, kommt hier garantiert nur ein Geocacher hin. Großartig!
So und jetzt genug Steinzeit, die Fußball-EM fängt gleich an und wir sind gespannt, wie sich unsere Gurkentruppe schlägt oder schlagen lässt.