11. Juli 2023, Stokmarknes – Sortland und zurück
Man erkennt sie schon von weitem: Dunkelblauer Rumpf, ein roter Streifen und ein weißer Aufbau. Am Heck der Schriftzug HURTIGRUTEN, der Schiffsname auf rotem Grund am Bug. So sehen sie aus, die Schiffe der Expresslinie, der Hurtigruten. Ausgesprochen mit zwei „ü“. Und wie es der Zufall will, wurde diese wohl berühmteste Schifffahrtslinie Europas hier in Stokmarknes gegründet, 1893, also vor genau 130 Jahren.
Und wir machen heute eine Kreuzfahrt mit der Hurtigruten! Eine klitzekleine Kreuzfahrt auf der kürzesten Etappe zwischen 2 Häfen. 28 Kilometer von Sortland nach Stokmarknes in 1:15 Stunden.
Dazu fahren wir erst mal mit dem Linienbus ca. 30 Minuten nach Sortland. Zum Jahr 2000 hatte man die Idee, die Stadt blau anzustreichen. Historische Bausubstanz gibt es seit dem WW II kaum mehr, und so schuf man einen echten Hingucker! Es ist wirklich fast alles himmelblau!
Was wir vergeblich suchen ist ein Wegweiser zum Anleger der Hurtigruten, also folgen wir Google Maps und das schickt uns in großem Bogen durch den halben Containerhafen 🤬. Aber schließlich kommen wir am Terminal an. Kurz nach uns die Polarlys (lys=Licht).
Tickets hat Volker schon online erworben, sie kosten nur 34 Euro für uns beide, ein Spottpreis. Zum Vergleich: Der Bus hat 15 Euro gekostet. Die Gangway führt direkt in die Rezeption auf Deck 3 wo wir hochnotpeinlich einchecken und eine Bordkarte bekommen.
Damit wir unsere allererste Kreuzfahrt auch richtig genießen, schauen wir uns zuerst vom Fahnendeck aus das Ablegemanöver an und genießen den rückwärtigen Ausblick.
Dann arbeiten wir uns durch das Schiff: generalstabsmäßig wird der ganze Kahn unter die Lupe genommen – bis auf die Kabinen und das Schwimmbad, da dürfen wir nicht rein: Sonnendeck auf Deck 7 dann auf ein Bier und einen Kaffee in die Panorama-Bar. Hier klärt sich das Rätsel der zahlreich strickenden Passagierinnen: Ein Wollkorb steht für die Gäste bereit! Und puzzeln kann man auch zum Zeitvertreib. Dann geht es runter bis auf Deck 4, einmal durch den Speisesaal und eine weitere gemütliche Lounge bis in die „Adventure-Rezeption“. Hier kaufen wir schon mal die Tickets für das Hurtigruten-Museum, das uns am Zielort erwartet. Den riesigen Klamottenladen lassen wir links liegen. Die Klientel ist mehrheitlich 80+, eine schwimmende Seniorenresidenz. Volker meint, es riecht auch so 🙊.
Und zack – ist unsere Kreuzfahrt auch schon vorbei. In Stokmarknes checken wir aus, natürlich unter Vorlage unserer Bordkarte, damit keiner nach uns suchen muss, wenn die Polarlys sinkt.
Jetzt also ins Museum! Aber zuerst lassen wir die Meute Kreuzfahrer vor, die müssen in einer knappen Stunde wieder an Bord, dann haben wir Ruhe. Wir futtern unser Pausenbrot und dann geht es rein.
Im Hurtigruten-Museum erwartet uns etwas wirklich Besonderes: Wir können ein komplettes Kreuzfahrtschiff, die MS Finnmarken, besichtigen. Damit nicht genug: Ähnlich wie für die Vasa in Stockholm, wurde um das riesige Schiff ein Gebäude als Schutz errichtet.
Die beiden Häuschen im Vordergrund sind wieder einmal Kunstwerke der Skulpturlandskap
Die MS Finnmarken wurde 1956 gebaut und 1993 ausgemustert. Man dockte sie in Stokmarknes neben dem damals neu gegründeten Museum auf und gab sie zur Besichtigung frei. Doch das Schiff rostete reichlich vor sich hin und man glaubte, es verschrotten zu müssen. 10 Mio. NOK vom Staat retteten 2019 die MS Finnmarken: Sie wurde restauriert und 2021 war das spektakuläre Gebäude fertiggestellt, das sie nun vor Wind und Wetter schützt und das neue Museum beherbergt.
Wir fangen ganz unten an und staunen nicht schlecht, als wir vor dem Stahlkoloss stehen, der da hoch vor uns aufragt.
Hier unten ist Allgemeines über die „Evolution“ der Hurtigrutenschiffe ausgestellt, Modelle und Zeichnungen. Eine Abteilung befasst sich mit dem 2. Weltkrieg.
Norwegen wurde am 9. Juli 1940 in der „Unternehmung Weserübung“ von Nazideutschland überfallen und nach nur 2 Monaten de facto erobert. Das kleine Norwegen hatte der deutschen Kriegsmaschinerie kaum etwas entgegenzusetzen. Hitlerdeutschland hatte es auf die Bodenschätze, vor allem Eisenerz, abgesehen, die für die Kriegswirtschaft unentbehrlich waren. Auch wollte man sich eine bessere Angriffsposition für die Besetzung Großbritanniens schaffen. Fünf Jahre, bis zur Kapitulation im Mai 1945, dauerte die deutsche Besatzung, die eine faschistische Marionettenregierung unter dem norwegischen Rechtsextremisten Vidkun Quisling einsetzte.
Die Hurtigruten-Schiffe waren wichtig für die Nazis. Vor allem im Winter waren sie fast die einzige Verbindung zwischen den Häfen im Süden und Südwesten und den Bodenschätzen im Norden des Landes. Neben ihrer eigntlichen Funktion als Post-, Fracht-, und Passagierschiffe zwischen Bergen und Kirkenes wurden sie für die Versorgung und den Transport der Truppen eingesetzt. Dadurch wurden sie zur Zielscheibe Großbritanniens und Russlands, die genau das unterbinden wollen. 17 Schiffe verlor Hurtigruten im WW II, einige im Zuge des Überfalls von den Deutschen versenkt, die meisten Opfer von Bomben und Seeminen der Alliierten. Bei Kriegsende gab es noch drei intakte Schiffe.
Die Nachkriegszeit war dann geprägt vom Wiederaufbau und einem kontinuierlichen Aufschwung: Die Expressverbindung per Schiff zwischen Süd und Nord war essentiell für das Land. Das änderte sich ab den 1970er Jahren, als der Transport sich mehr und mehr auf die Straße und in die Luft verlagerte. 1984 wurde die Postbeförderung komplett eingestellt (soviel zur Flagge auf dem Bild oben!). Parallel dazu gewann der Tourismus immer mehr an Bedeutung. Waren es früher Passagiere, die von A nach B wollten oder mussten, so kamen nun die Touristen, die sich vergnügen wollten. Die Schiffe trugen dem Rechnung: Sie wurden immer luxuriöser.
Heute haben die Hurtigruten-Schiffe allesamt Kreuzfahrt-Standard und mehr als das: Sie gelten als das exklusive Original auf der Küstenroute von Bergen zum Nordkap und weiter nach Kirkenes. Eine Ikone! Da können sich die Aidas der Welt noch so sehr anstrengen.
Das war jetzt viel Text, Zeit für Bilder der MS Finnmarken. Sie war – wie gesagt – bis 1993 im Einsatz. Und so sieht es innen drin aus:
Das Interieur ist wirklich ziemlich 50er Jahre – das muss 1993 schon fast nostalgische Gefühle geweckt haben!
Ein ganz besonderes Schmankerl gibt es obendrauf: Zwei originale Decks aus dem Vorgängerschiff von 1912 – rausgeschnitten und hier hingestellt! Das ist ja mal so richtig nobel. Ich fühle mich ein bisschen wie Kate Winslet im Set der Titantic!
Ganz zum Schluss gibt es noch ein bisschen mehr Geschichte, der Gründer der Hurtigruten (im wörtlichen Sinne von Schnelllinie), Richard With, erzählt vom ersten Schiff, dass die Strecke Trondheim-Hammerfest mit ihm als Kapitän in Rekordzeit zurücklegte und eine Ära begründete.
Seine Vesteraalens Dampskibsselskab* gewann die öffentliche Ausschreibung für eine regelmäßig operierende Dampfschiffverbindung zwischen Süd- und Nordnorwegen inklusive Postbeförderung. Eine hoheitliche Aufgabe! Das ganze Jahr über stets im gleichen Takt. *Heute sind die Betreibergesellschaften (Reedereien) die Hurtigruten AS und Havila Kystruten.
Für die Menschen im Norden brachten die Schiffe eine tiefgreifende Verbesserung ihrer Lebensumstände, waren sie doch vorher im Winter quasi von der Außenwelt abgeschnitten gewesen. Die Hurtigruten brachte Waren und – fast wichtiger – Informationen. Sie war mehr als eine Schiffslinie, sie war ein Lebensnerv, sie prägte und einte das Land.
Von diesem Nimbus lebt Hurtigruten noch heute und pflegt ihn 😉.
Nach 2 Stunden sind wir „durch“. Wir haben heute Nachmittg drei Generationen an Kreuzfahrtschiffen erlebt und machen uns auf dem Landweg zurück – zweieinhalb Kilometer an der Straße entlang bis zum HoGo. Genug Schritte haben wir trotz Kreuzfart heute in jedem Fall gemacht!
Zuhause erwartet uns ein schönes Schauspiel und endlich mal wieder ein Animal of the Day. Und zwar ein richtiges, also kein Schaf – die zählen nicht mehr! Nein, auch kein Rentier, die soll es hier zwar geben wie Sand am Meer, aber wir haben noch keines zu Gesicht bekommen 😤 (außer das Sekunden-Rentier am Straßenrand neulich).
Nein – wir haben den Küstenseeschwalben bei der Jagd zugeschaut 😍.
Faszinierend, wie diese eleganten Flieger über dem Wasser patrouilleren, blitzschnell in den Sturzflug gehen, kurz eintauchen und mit einem Fischlein als Beute davon fliegen. Ähnliche Flugkünste haben wir bisher nur bei Mauerseglern auf Insektenjagd gesehen, die sind ja mit den Schwalben verwandt und ähnlich im Habitus. Wunderschöne Tiere!
Küstenseeschwalben sind Weltrekordler, die absoluten Langstreckenflieger unter den Vögeln. Bis auf die Brutzeit leben sie praktisch in der Luft und schlafen sogar im Flug: Eine Gehirnhälfte pennt, die andere navigiert. Sie brüten in der Nordpolarregion – also wo wir grad sind – und überwintern in der Antarktis (warum weiß nur die Küstenseeschwalbe). In einem Jahr legen sie locker 30.000 Kilometer zurück. Bei einem besensorten Tier wurden unfassbare 96.000 km gemessen. Bei der Nahrungssuche kann die Küstenseeschwalbe am Tag bis zu 520 km zurücklegen. Es ist wirklich unglaublich, aber nachgewiesen.