Jurassic Parc: Von Besancon nach Lods

Sonntag, 12. Mai 2024: Salz, gelber Wein, Petit fours und Realismus

Der Osten der Region Franche Comté mit den Departements Doubs [sprich Du:] ist quasi die Fortsetzung der granitigen Vogesen in Kalk: Das Juramassiv, das sich weiter östlich in der Schweiz fortsetzt. In dieser Gegend waren wir schon zweimal zum Paddeln: Das erste Mal 1998, da hatten wir Ben’s Freund Gregor dabei, ein wahrer Unglücksrabe über dessen Missgeschicke wir heute noch erzählen 🤣. Das zweite Mal ein paar Jahre später auch mit den Booten aber ohne Kinder. Auch an den Urlaub erinnern wir uns gerne. So sind heute auch viele Erinnerungen wach geworden!

Ich finde ja, Kalk ist das bei weitem spannendste Gestein für eine Landschaft: Granit macht hohe Berge, aber Kalk kann außerdem Höhlen, Schluchten, spektakuläre Quellen, Dolinen, Schlucklöcher, Steilwände, Kristalle, Marmor, Fossilien und und und. Kalk findet nicht nur an und über der Oberfläche statt, sondern bildet eine unterirdische Welt aus Kavernen, Gängen, Flüssen, Seen, ein weit verzweigtes System von Hohlräumen, dass man bis heute nur ansatzweise kennt. Da kann man ja fast zum Anhänger der Theorie der hohlen Erde werden – naja, nur sehr fast.

Der französische Jura ist so eine Karst-Landschaft. Auf den Hochebenen versickert das Wasser und tritt irgendwo, viele Kilometer weit weg, wieder zu Tage. Wie vernetzt diese Unterwelt ist, zeigte sich 1901 an einem praktischen, wenn auch unfreiwilligen Beispiel: In Pontarlier brach in der Pernod-Fabrik ein Feuer aus. Um größeren Schaden zu verhindern, wurden die Fässer mit Anisalkohol in den Doubs gekippt, der dann den opaleszierenden Grünton annahm, der charakteristisch für Absinthe ist. Drei Tage später trat an der Quelle der Loue ebenfalls dieser schillernde Farbton auf! Das ist so, als würde sich der Main in Aschaffenburg verfärben, wenn man in Worms Farbe in den Rhein kippt.

Aber genug der Vorworte.

Das Tier war recht kooperativ, ließ sich einfangen und nach draußen expedieren

Wir starten den Tag mit dem Animal of the day – oder vielleicht sollten wir das in Animal of the week umbenennen, denn so viele nennenswerte Tiere gibt es zumindest bis jetzt nicht zu vermelden. Heute Morgen jedenfalls verirrt sich eine asiatische Hornisse in den HoGo – wie zum Beweis der gestrigen ARD-News: „Asiatische Hornisse breitet sich rasant in Europa aus“. Können wir bestätigen!

Danach machen wir uns auf den Weg nach Lods und halten es heute mal wie Japaner auf Europatrip: 2 Weltkulturerbestätten im Superschnelldurchgang, Kurzbesuch bei den Herren Pasteur, Maire und Hirzinger in Arbois sowie ein schnelles Wiedersehen mit Ornans und dem Maler Gustave Courbet.

Station 1 ist die Königliche Saline von Arc-et-Senans, ein weiteres UNESCO Weltkulturerbe. Ein tagesfüllendes Programm wird geboten mit 6 Museen, mehreren Ausstellungen und guided tours. Wir entscheiden uns bei der Wahl zwischen ganz oder gar nicht für Letzteres und sparen uns die 30 Euro Eintritt für später auf. Wir sollten sie noch brauchen 😜.

Eine grandiose Anlage!
Par JGS25 — Travail personnel, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=108937276

Wenige Kilometer später rauschen wir an der Außenstelle der Saline vorbei: In Salins-les-Bains wurde die Sole für Arc-et-Senans gefördert und über eine Pipeline von 21 km dorthin geleitet. Aber wie gesagt: Heute kein Salz.

Next Stop: Arbois.

Das hübsche Städtchen im Tal der Cuisance ist ein Zentrum des Weinbaus im Jura. Meint man gar nicht, dass hier auf immerhin 400 bis 600 Metern Höhe Wein gedeiht. Eine Spezialität ist der Vin Jaune, der gelbe Wein, ein dem Sherry ähnlicher Wein, der aber nicht aufgespritet wird. Der Ursprung dieses Getränks bleibt ein Rätsel. Der Legende nach fand ein Winzer ein vergessenes Eichenfass am Boden seines Kellers, das dort 6 Jahre und 3 Monate gelegen hatte. Er war angenehm überrascht, darineinen wohlschmeckenden, goldenen Wein zu entdecken!

Vin jaune wird ausschließlich aus der Rebsorte Savagnin hergestellt, er reift die überlieferten 6 Jahre und 3 Monate in einem Eichenfass, verliert durch Verdunstung an Volumen (Angels share) und auf der entstehenden Oberfläche bildet sich eine Schicht aus Hefe, der ihn vor Luftkontakt schützt (siehe Bild). Am End entstehen aus 1 Liter Rohwein ca. 620 ml Vin jaune mit einem Alkoholgehalt von 14 %.

Wir lassen es uns natürlich nicht nehmen, in Arbois den Vin jaune in der Vinothek der Domaine Maire zu verkosten und ein Fläschchen mitzunehmen. 37 Euro kostet das Stöffchen. Unser neuer Anleger.

In Arbois begegnet man auf den Gehwegen den Zeichen des „Chemin Pasteur“. Louis Pasteur ist hier aufgewachsen und blieb dem Städtchen stets verbunden. Leider haben wir keine Zeit, uns ausgiebig um ihn zu kümmern, denn wir haben beschlossen, unseren Schwerpunkt auf die Kulinarik in Arbois zu legen.

Neben der Verkostung des Vin jaune bedeutet das einen Besuch in der Patisserie Hirsinger.

Was hier geboten wird, ist eigentlich zum Essen viel zu schade: Kleine Kunstwerke aus Biscuit, Marzipan, Nüssen, Mandeln und viiieeel Schokolade oder Nougat. Wunderhübsch verziert.

So ein Petit four kostet zwischen 4,50 und 6 Euro, das ist uns aber mal grad egal: Mit zwei doppelten Espresso futtern wir andächtig je eines auf der Terrasse der Patisserie und 3 weitere nehmen wir mit ins Hogo. Verpackt wie ein Geschenk in einem Kartönchen mit Seidenpapier und Schleife ❤️. Kostenpunkt 42,50 Euro. Man gönnt sich ja sonst nichts. wenn man den gesparten Eintritt der königlichen Saline abrechnet, sind es nur noch 12 Euro fuffzisch, also ein Schnäppchen!

Auf dem Rückweg zum HoGo machen wir noch einen Stopp an der sehr alten Kirche von Arbois (12./13. Jahrhundert), deren goldgelber Kirchturm die Umgebung überragt. Der ist allerdings später angebaut worden, aber immer noch sehr alt.

Drinnen ein sehr wuchtiges, beeindruckendes aber nicht bedrückendes Kirchenschiff.

Der Pelikan über der Hintertür ist das Wappentier von Arbois. Eine Tafel erklärt: Der Sage nach begleitete ein Pelikan Kaiser Maximilian auf seinen Reisen. In Arbois wurde der Vogel krank und starb. Weil die Arboiser versucht hatten, das Tier zu retten, gab Maximilian der Stadt die Freiheit und sie durften den Pelikan in ihr Wappen übernehmen. Diese Geschichte konnte ich aber nicht recherchieren, vermutlich kennt man sie nur in Arbois. Vermutlich wird hier nur eine verbreitete Allegorie der Kirche aufgegriffen: Der Pelikan gilt als Symbol der Frömmigkeit und Aufopferung: Er reißt sich sein Herz heraus, um es an seine hungrigen Jungen zu verfüttern.

Wir verlassen Arbois mit unseren Leckereien im Gepäck und fahren nun über die weiten Hochebenen des Jura.

Dann geht es steil runter in das Tal der Loue nach Ornans. Wir parken am Friedhof, was sich noch als günstig herausstellen wird, und spazieren dann runter in das pittoreske Ort. Hier werden wir gleich mal von Musikanten empfangen:

Auch hier gilt: Ohne Affe kein Leierkasten. Die obligatorischen Äffchen sind aus Plüsch, so dass „Klappe zu – Affe tot“ wohl nicht eintreten kann. Die Äffchen der Schausteller waren die eigentliche Attraktion, bespaßten das Publikum, sammelten das Geld ein. War das Tier tot, fiel die Vorstellung aus.
Auch die „marchés de puces“ – Flohmärkte – sind in Frankreich sehr beliebt

In Ornans beschränken wir uns ebenfalls auf ein Hauptthema und diesmal ist es – ganz untypisch für uns – die Malerei.

Der Verzweifelte – Selbstportrait

Ornans ist die Heimat des Malers Gustave Courbet, der im 19. Jahrhundert einer der bedeutendsten Vertreter des Realismus war. Mit dieser frühen Form des WYSIWYG rief er so manchen Skandal hervor: neben romantisch schönen Landschaftsszenen und lebensechten Portraits malte er schonungslos besoffene Priester, lesbische Frauen, sich selbst beim Kiffen und sogar eine Vulva findet man in seinem Werk. Kann man sich bei Wikipedia anschauen. Courbet war in der (klein)-bürgerlichen Gesellschaft durchaus für den ein oder anderen Skandal bekannt.

Büste Courbets vor der Schule in Ornans (und der Parkhauseinfahrt)

Wie bei Künstlern üblich, sympathisierte er auch mit den revolutionären Bestrebungen seiner Zeit (1819-1877), ebenso mit dem Alkohol und vermutlich weiteren psychotropen Substanzen. Er starb mit 58 Jahren im Exil in der Schweiz.

„La pissoire“

Downtown Ornans schmiegen sich die Häuser sehr pittoresk an die Ufer der Loue, das Panorama wird gekrönt von steilen Kalkfelsen und dem „Chateau Ornans“, das schwindelerregend auf einem schroffen Felsen balanciert.

Chateau Ornans: Hier sollte man seine Kinder gut im Griff haben!

Auf dem Weg zurück zum HoGo kommen wir erst am Geburtshaus von Courbet vorbei, dann an der Umsetzung eines seiner bekanntesten Gemälde in Stein mit dem Titel „Ein Begräbnis in Ornans“.

Thematisch passend, machen wir schließlich noch einen Schlenker zu Courbets Grab. Sein Begräbnis fand 1877 in der Schweiz statt, etwa 100 Jahre später hat man ihn in seine Heimatstadt umgebettet.

Ich finde es ja immer interessant, mir die Friedhöfe in anderen Ländern anzuschauen. Hier bevorzugt man entgegen der „Kleingartenkultur“ in Deutschland die pflegeleichte Variante mit Marmorplatte. Da drauf stellen dann Familie, Freunde, Kollegen eine kleine Gedenkplatte. Daran kann man oft sehen, welchen Beruf oder welches Hobby der/die Verblichene hatte – hier z.B. ein Jäger und ein Pferdefreund. Und wenn diese Tafeln fehlen, sagt das wohl auch etwas über den „Bewohner“ der Parzelle aus 🤔.

Von Ornans ist es nicht mehr weit nach Lods am Oberlauf der Loue. Der Camping Municipal sieht noch genauso aus wie 2002 (?), als wir hier Urlaub gemacht haben.

Es hat damals jeden 2. Tag geschüttet und irgendwann hatten wir die Faxen dicke und sind nach Nans s St. Anne in eine Gite ins Trockene umgesiedelt. Einige Highlights sind mir davon noch super gut erinnerlich: Abends saßen alle Gäste an einem großen Holztisch und man unterhielt sich in allen Sprachen, einschließlich Hände und Füße, der Herbergsvater tischte stolz einen großen gebackenen Schinken auf, eine Jugendgruppe mit einem Eselchen kam eines Tages vorbei, das wurde im Garten untergebracht, und wir haben eine geführte Höhlenexpedition gemacht, mit Ölzeug, Karbidlampe und Strickleiter tief in den Berg, bis es nicht mehr weiter ging: Wir hätten tauchen müssen.

Der Anleger heute mal draußen.
Von Besancon, über Arc-et-Senans (B), Arbois (C) und Salin-les-Bains nach Lods (D), 135 km

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