Pfingsten 2025 an der Alabasterküste
Am Samstag setzen wir um auf einen schnuckeligen kleinen Campingplatz, genau zwischen Etretat und Fecamp, ein wenig zurückgesetzt von der Küste. Eingerahmt von 3 alten Kirschbäumen begrüßt uns Les Pommiers 😂. Wir bekommen einen schönen großen Stellplatz, umgeben von Büschen, sehr angenehm nach dem vielen Asphalt der letzten Tage.
Der (Sonnen-)Schein trügt indes: Während ein heftiger Regenschauer nach dem anderen auf’s HoGo-Dach prasselt, fasse ich die letzten zwei Tage zusammen. Volker macht einen kleinen Spaziergang, kommt aber ohne nennenswerte Erlebnisse zurück.
Bemerkenswert sind aber die vielen Flachsfelder in der Gegend. Mit ihrem frischen, hellen Grün leuchten sie zwischen den dunkleren Getreide- und Kartoffelfeldern. Und ab und an spitzelt schon eine kleine zartlila Blüte hervor. Ich bin also guter Dinge, dass die folgenden Sonnentage den Flachs zum Erblühen bringen! Hoffentlich haben die Regenschauer ihm nicht allzu sehr zugesetzt.

In der Nacht hört der Regen auf und eine frische Brise putzt den Himmel blank, bis er wieder schön blau ist. Die Aussichten für nächste Woche: ☀️🌤️🌤️🌤️🌤️, dazu 🌬️und ab und an mal ein ⚡️⛈️
Da der Tag sich bekanntlich nicht von allein versaut 🤡, machen wir uns alsbald auf den (Fahrradweg) nach Étretat.


Wir sind hier auf dem letzten Abschnitt der Véloroute du Lin. Und tatsächlich erleben wir unser blaues Wunder, denn einige der vielen Flachsfelder blühen schon ganz ordentlich. Richtig schön ist das! Ich kann gar nicht genug davon kriegen.



Und da haben wir richtig Glück gehabt! Denn insgesamt stehen die Leinfelder nur etwa zehn Tage pro Jahr in Blüte. Jede Blüte hält zudem nur einen Tag. Morgens noch eine Knospe und bei Sonnenuntergang schon verwelkt.

Von Lokilech – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https:// commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7603220
Der Flachsanbau hat in der Normandie eine lange Tradition seit dem 13. Jahrhundert. Das zarte Pflänzchen ist vielseitig nutzbar, eine Null-Abfall-Pflanze: die langen Fasern verwendet man für Leinenstoffe, die kurzen für die Papierindustrie oder Verbundstoffe und die Schäben (der Abfall) kann verpresst und verheizt werden. So findet man heute Flachsfasern nicht nur in Kleidung, sondern auch in Zeltplanen, Autotüren, Flugzeugsitzen, Tennisschlägern, Beton oder Isolierplatten.
Für die Gewinnung von Leinsamen und (daraus) Leinöl, wird eine andere Sorte, der Öllein, angebaut.
Ist der Flachs gelb, wird er samt Wurzeln ausgerauft. Dann werden die Samenkapseln ausgekämmt (geriffelt) und anschließend müssen die Fasern eine Weile feucht gehalten werden. Dadurch schließen Bakterien und Pilze die Fasern auf. Es folgt das Trocknen, Brechen, Hecheln und Schwingen – ein sehr aufwendiger Verarbeitungsprozess ist das, bis der Flachs zu Fasern gesponnen werden kann. Da wundert es kaum dass heute der meiste Flachs nach dem Kämmen nach China exportiert wird.
Wer es genauer wissen will kann bei Wikipedia nachschauen.
In Étretat angekommen ist erst mal Stau. Sogar für uns. Hier steppt so richtig der Bär! Die Straßen sind voller Autos und verirrter Wohnmobile, die Gehwege voller Menschen, die Fußgängerzone Drosselgasse und die Strandpromenade auch.


Wir suchen uns einen Weg abseits der Massen und dann macht Volker einen Exkurs hoch zur Chapelle Notre Dame de la Garde und der Gedenkstätte für den „Oiseau blanc“.
Ich bleibe unten, wir haben vergessen die Akkus aufzuladen und ich spare mir den Rest für den Heimweg.
Das erste ist eine weitere Kapelle der Fischer und Seeleute, das zweite eine spannende Angelegenheit: Der weiße Vogel war ein Doppeldecker, mit dem die französischen Luftfahrtpioniere Charles Nungesser und François Coli 1927 die erste Atlantiküberquerung versuchten. Dass die bekanntermaßen Charles Lindbergh geglückt ist impliziert bereits das Scheitern der beiden Franzosen: Hier auf den Klippen über Étretat wurde das Flugzeug das letzte Mal mit Sicherheit gesehen. Zahlreiche (Verschwörungs-)Theorien ranken sich um das spurlos Verschwinden des Oiseau blanc und seiner Piloten.

Wir stellen die Räder in einer Seitenstraße ab und machen uns nach einer kleinen Stärkung auf ins Getümmel der Strandpromenade. So schlimm isses dann am End garnicht, es verläuft sich.
Der Anblick der senkrechten Kreidefelsen ist wirklich spektakulär!

Sie entstanden vor ca. 70 Mio. Jahren (Oberkreide) durch Ablagerung von Meeressedimente aus Kalk und kalkschaligen Kleinstorganismen. Vor etwa zwei Millionen Jahren hob sich die Formation durch Bewegungen der Erdkruste und verdrängte das Meer. Vor 450.000 Jahren sorgte eine Eiszeit für eine weiträumige Vergletscherung Nordeuropas, die den Abfluss der Flüsse (Rhein, Themse) verhindert. So bildete sich ein riesiger Süßwassersee im Bereich der heutigen Niederlande, der schließlich im Bereich des heutigen Ärmelkanals durchbrach und eine riesige Flutwelle gen Atlantik schickte. Zurück blieb ein Fluss, der sich langsam aber stetig in das recht weiche Kreidegestein eintiefte. Ähnliches geschah dann während der letzten Eiszeiten erneut: Der Meeresspiegel sank durch die Vergletscherung um ca. 100 Meter ab, England und Frankreich waren nur durch einen Fluss getrennt und die südliche Nordsee lag als „Doggerland“ auch trocken. Mit der Schmelze der Gletscher stieg der Wasserspiegel an und das Flusstal wurde immer tiefer und breiter.

So entstand der Ärmelkanal und durch die Eintiefung hat sich die Strömungsrichtung am End sogar umgekehrt: Heute fließt das Wasser vom Atlantik in die Nordsee und entlang der norwegischen Küste zurück in den Nordatlantik.

Das Material der Steilküste besteht aus einem Konglomerat von Feuerstein in dem porösen Kreidekalk. Daher besteht auch der Strand aus Kieselsteinen: Die Feuersteine (hartes SiO2) erodieren aus den Felsen und werden von der Brandung rundgeschlifffen. Bis 1975 hat man sie gewerbsmäßig gesammelt, als Zuschlagstoff für Beton, für Schleifpapier oder die Herstellung von Lacken. Der Bestand an Kieselsteinen ging dadurch um die Hälfte zurück, was zu einer verstärkten Erosion der Steilküste führte. Heute ist das Sammeln der Kieselsteine verboten.

Wir reihen uns ein in die Menschenschlange, hoch auf die Falaise d’Aval. Volker murmelt was von „Preikestolen“, aber das kann man nun wirklich nicht vergleichen. In 20 Minuten sind wir schon oben und können runtergucken 🤷♀️.

Zum Strandabschnitt der Manneporte gelangt man nur bei Ebbe und zwar durch einen Tunnel im Trou à l’homme, einer Felsenhöhle links neben der Porte d’Aval. Hier ein kleiner Film darüber.
Der Tunnel wurde 1922 von den Fischern angelegt, um den Strandabschnitt erreichen zu können. Heute ist der Zugang strengstens verboten, das wird aber von vielen ignoriert. Wir haben uns dran gehalten.



Oben an den Klippen angekommen werfen wir einen Blick in das Chambre des Demoiselles, eine innen hohle Felsnadel. Die Legende berichtet von drei jungen Frauen, die entführt und hier lebendig eingemauert wurden. Drei Tage und drei Nächte hörte man ihr Wehklagen, bis am End drei Engelsformen zum Himmel aufstiegen 👼👼👼.



Auf dem Rückweg schlendern wir ein Stück die Strandpromenade zurück, begegnen dort dem AoD, der allgegenwärtigen Silbermöwe, vor der uns die resolute Eisverkäuferin eindringlich warnt. Wir retten aber unser Eis!




Witzig sind die Hütten aus alten Fischerbooten. Nicht etwa neumodische Touri-Attraktionen, sondern traditionsreiche, zu Schuppen umgebaute Caloges, in denen die Fischer ihr Material unterbrachten. Ob es die Reetdach-Variante früher schon gab, wissen wir aber nicht. Da der letzte Fischer in Étretat bereits 1990 seinen Hut an den Nagel hing, dienen die Caloges heute der Gastronomie und den Surfbrettverleihern.
Nach einem wunderschönen Sonnentag radeln wir zurück durch* die weiten Felder mit Lein, Raps, Kartoffeln, Rüben, Weizen, Gerste, sogar eines mit Saubohnen haben wir gesehen (*natürlich nicht durch, sondern dran vorbei 🤡).
Und am Abend wird zum Ausklang der Grill angeschmissen. Camping!
Am Pfingstmontag ist dann Fécamp an der Reihe. Im Gegensatz zu Ètretat spielen hier die Seefahrt und die Fischerei eine große Rolle, Fécamp hat einen ansehnlichen Hafen!
Wir fahren wieder auf dem schönen Fahrradweg der alten Bahnlinie, danach auf Nebenstraßen, die explizit für Autos UND Fahrräder ausgelegt sind. Nach etwa 8 Kilometern kommt das Kap Fagnet, der höchste Punkt der Alabasterküste, in Sicht und weit draußen drehen sich die Windräder des großen Offshore-Windparks Parc éolien en mer de Fécamp. Die Franzosen können nicht nur AKW! Die 71 Windräder versorgen knapp 800.000 Menschen mit grünem Strom.


Wir radeln runter in die Stadt, stellen zufrieden fest, das hier kein Verkehrschaos herrscht wie in Étretat und … bleiben wie angewurzelt hinter der nächsten Kurve stehen.

Kein Wunder, bei dem Anblick! Das opulente Anwesen entpuppt sich als die Produktionsstätte des Kräuterlikörs Bénédictine. Dass es das/den hier gibt hatten wir im Reiseführer gelesen, aber wer rechnet denn mit so einem Palast für eine Schnapsbrennerei?
Schautafeln verraten uns, dass ein gewisser Herr Alexandre Le Grand (übersetzt: Alexander der Große, eigentlich hieß er Legrand) anno 1863 beim Aufräumen ein altes Rezept für ein Kräuterelixier gefunden hat, das angeblich auf benediktinische Mönche und das Jahr 1510 zurückgeht. Geschäftstüchtig wie er war, begann er nach dieser Rezeptur ein Getränk zu brauen, kaufte dem Orden das Recht für den Namen Bénédictine ab und noch dazu für den Zusatz D.O.M. = Deo Optimo Maximo, auf Deutsch: „Gott, dem Besten und Größten“, kurzum: Vom Feinsten.
Bescheidenheit gehörte nicht zu den hervorstechenden Merkmalen des Herrn Le Grand, doch Frechheit siegt: Das Gesöff wurde ein Verkaufsschlager! Le Grand ließ in Fécamp das Palais Bénédictine erbauen, das ihm gleichsam als Produktionsstätte und Wohnung diente. Eigentlich baute er es gleich zweimal, denn es wurde 1892, kaum 4 Jahre nach Fertigstellung, durch Brandstiftung zerstört. Da war wohl jemand neidisch! Le Grand hatte nicht viel von seinem Prachtbau, er starb im Jahr der Fertigstellung des Neubaus1898.

Heute beherbergt das Palais neben der Likörherstellung und Veranstaltungsräumen eine Kunstsammlung und zeigt Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Und natürlich kann man das Stöffsche hier auch in adäquatem Rahmen verkosten und erwerben.

Das lassen wir uns nicht zweimal sagen! In der schicken Bar & Lounge ordern wir das große Gedeck – wenn ich gewusst hätte, wie großzügig die einschenken, hätte ich auf meines verzichtet und bei Volker mal genippt.



Leicht angeschickert und mit einer Flache D.O.M. im Gepäck machen wir uns dann auf den Weg zum Kap Fagnet, 110 Meter über dem Meer. Dort oben gibt es: 1. alte deutsche Bunkeranlagen 2. ein französisches Semaphore (Radar, Wetterstation) und 3. eine Wallfahrtskirche der Seefahrer, Notre Dame de Salut.

Und natürlich einen tollen Rundumblick. Die senkrechten Kreidefelsen scheinen sich endlos hinzuziehen.


Der Hafen ist auch unser nächstes Ziel, denn wir haben eine Mini-Kreuzfahrt auf einem alten Segelschiff gebucht. Und zwar auf dem Gaffelschoner (ich nenn das mal so) Tante Fine.

Office Intercommunal de Tourisme de Fécamp – Christophe CUSSEAU et Uli ROHSAINTJean-Louis LEMONNIER https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89263975
Die Tante Fine wurde 1960 im Auftrag von 3 Fischern gebaut, deren Tante Josephine (kurz Fine) bei der Finanzierung behilflich war, daher der Name. Sie fuhr bis 1986 vor Mauretanien auf Langustenfang und im Golf von Biskaya zum Thunfischangeln und wurde dann abgewrackt.
Der Verein Fécamp Vieux Gréements, hat sie 1991 gekauft und in mehr als 10.000 Arbeitsstunden restauriert. (Das scheint mir ein gemeinnütziger Verein zu sein, Ziel ist es das maritime Erbe zu erhalten und einer breiten Allgemeinheit zugänglich zu machen, darunter das Segeln auf alten Schiffen. Daher wohl auch der günstige Preis von 33 Euro p.P. für 2 Stunden).

Wir legen pünktlich um 15 Uhr ab und sind noch nicht aus dem Hafen raus, da beginnen schon die Vorbereitungen für das Segel setzen. Unter Anleitung von Chefmatrosin Nolwenn darf auch die zahlende Besatzung mit anpacken. Und anpacken muss man wirklich! Kein Vergleich zu den kleinen Yachten, die wir bisher gesegelt sind. Winschen sucht man hier vergeblich, es wird sich mit voller Kraft in die Taue und Fallen (Seile) gehängt.



Und dann hört man nur noch das Wasser und das Knarzen der Takelage, die Tante Fine wiegt sich durch die Wellen, immer wieder ein herrliches Gefühl, so mit dem Wind zu segeln!







Wieder zurück im Hafen dürfen wir uns noch das Innenleben der Tante Fine anschauen:
Kapitän Pierre ist sehr stolz auf das robuste Schiff. Technisch ist alles tiptop, nur am „Wohnen“ hapert es (noch). Das Schwesterschiff Milpat ist hingegen auch für größere Fahrten gerüstet mit Kojen und einer Kombüse. Man kann 4 bis 5 tägige Törns zur Insel Wright oder den Kanalinseln buchen.

Wir verabschieden uns herzlich – das war ein sehr schönes Erlebnis!

Am Abend machen wir noch ein wenig „Törnplanung“ und beschließen, die Alabasterküste zu verlassen 2 Tage Rouen, 2 Tage Amiens und dann über Belgien zurück. Das ist der Plan!