25.-27. Mai
Der Countdown läuft: Da Norwegen nicht in der EU ist, müssen wir in drei Monaten das Land wieder verlassen (fragt bitte keiner, was sonst passiert, wir wissen es nicht 😂, is aber so!).
Die Fähre, ein roter Katamaran Baujahr 2020 mit dem romantischen Namen Fjord FSTR, verheizt vermutlich alles vom Diesel bis zur Dachpappe, zumindest raucht es schwarz aus 4 riesigen Schornsteinen (oder nennt man das Auspuffrohre?).
Der Schlund der Fjord FSTR schluckt eine Unmenge von Wohnmobilen und spuckt sie nach knapp 2,5 Stunden in Kristiansand wieder aus. Der Zoll winkt uns durch, schade eigentlich, denn wir haben echt nix geschmuggelt.
Kristianssand ist die sechstgrößte Stadt Norwegens, hat eine bedeutende Universität, einen wichtigen Hafen, ist Standort für Unternehmen der Metallindustrie und ein beliebter Ferienort. Wir richten uns auf dem Bobil-Parkering im Stadtteil Lund ein, hier ist noch viel Platz. Schön isses nicht, aber günstig gelegen, gut ausgestattet und ruhig (und teuer 😜).
Am Nachmittag unternehmen wir einen kurzen Ausflug in die Kernstadt von Kristiansand. Sie wurde 1641 durch den dänisch-norwegischen König Christian IV. als Militärstützpunkt und Handelssstadt gegründet. Es ist eine Stadt vom Reißbrett, schachbrettartig angelegt und so heißt dieser ursprüngliche Stadtteil „Kvadaturen“. Im Zentrum findet man imposante Steinbauten, im Norden, in Posebyen, viele weiße Holzhäuser. Hier wohnten die Soldaten der Garnison, der Name kommt vom französischen reposer – ausruhen (französisch war auch hier Militärsprache).
Kaum zu glauben, dass man in den 1950er Jahren diese schmucken Häuser fast allesamt abgerissen und den Stadtteil neu bebaut hätte 😲.
Besonders hübsch ist es – wie immer – am Wasser, hier vor allem an der Fiskebrygga, dem alten Fischmarkt.
Das war’s für den Anfang, morgen gibt es eine größere Runde. Wir gehen noch im Kiwi-Markt einkaufen, das ist sowas wie der deutsche Rewe. Die 2. große Supermarktkette ist REMA1000 und auch nen Spar-Markt haben wir gesehen. Die berüchtigten norwegischen Preise finden wir hier soooo schlimm nun auch wieder nicht, nur für Bier muss man odentlich latzen, da kostet ’ne Dose gern mal 3 Euro (statt 70 Cent bei uns). Wir kaufen aber nur Kartoffeln, die darf man nämlich nicht mitbringen, um keine Schädlinge einzuschleppen. Die norwegischen Erdäpfel sind piccobello und sehr lecker! Heute gibt’s Bratkartoffeln 😋-
Freitag, 26. Mai
Schon wieder strahlt die Sonne und die gemeldeten 16°C fühlen sich wie 22 an 😊. Perfektes Wetter für eine ausgedehnte Fahrradtour zu den Sehenswürdigkeiten im Außenbereich von Kristiansand.
Gleich hinter dem Ort erheben sich felsige Hügel, von der Eiszeit abgeschliffen und rundpoliert, genügsame Birken und Kiefern wachsen hier, alles andere wird nicht wirklich groß.
Noch vor 200 Jahren wuchs hier oben gar nichts, die Einwohner der Stadt hatten alles verheizt oder als Bauholz verwendet und ließen ihre Schafe hier weiden. Es war ein General der Garnisonsstadt, Joseph Wergeland, der seine (unterbeschäftigten) Soldaten Bäume pflanzen und Wege anlegen ließ. So entstand der Naturpark Baneheia, ein beliebtes Naherholungsgebiet.
3 Seen laden zum Baden, und wir haben doch tatsächlich hartgesottene Norweger heute dort schwimmen sehen 🥶.
Apropos „schwimmen“: Es wird höchste Zeit für die beliebte Kategorie des „animal of the day“, oder sagen wir erst mal, „animal of the week“. Das ist für diese Woche eine putzige Entenfamilie.
Teilweise müssen wir die Räder schieben, das Gelände ist sehr hügelig und runter ins Ravnedalen (Ravne-Tal) ist heben und tragen angesagt. Aber es lohnt sich! Vor uns tut sich ein wunderschönes Tal auf, das an einer Seite von senkrecht aufragenden Felswänden begrenzt wird. Ich muss an den Yosemite-Park und den El Capitano denken – natürlich hier viel kleiner!
Es ist noch früh am Tag und so beschließen wir, unsere Radtour noch ans andere Ende der Stadt auszudehnen, auf die im Süden gelegene Insel Odderøya, zu deutsch Otterinsel. Sie war bis 1993 Eigentum der norwegischen Regierung und Marinestützpunkt. Auch eine Quarantänestation für ganz Dänemark, Norwegen und Schleswig-Holstein war von 1804 bis 1914 hier oben, sie war für Schiffsbesatzungen gedacht, bei denen sich eine ansteckende Krankheit an Bord ausgebreitet hatte. Die wurden hier hinter einer fetten Mauer abgesondert und wer es nicht überlebte auf dem „Cholera-Friedhof“ bestattet.
1993 wurden der Militärstützpunkt aufgegeben und Odderøya kan in den Besitz der Stadt übernommen. Seither wandelt sich die Insel zum Naherholungsgebiet, in den alten Kasernen haben sich viele Künstler und Galerien angesiedelt.
„Nur“ Kunst oder auch eine Anspielung auf die Quarantänestation nebenan?
Wir radeln so ziemlich in die Mitte der Insel, auf den „Toppen“. Überall sind Militäranlagen aus 4 Jahrhunderten zu sehen, seit 1667 bis zum Ende des kalten Krieges. Besonders eindrücklich sind Geschützstellungen aus dem 1. Weltkrieg und ein Bunker aus dem Zweiten.
Die Nazis haben 1940 Norwegen durch massive Luftangriffe „erobert“ und bis zum Kriegsende besetzt, eine Marionettenregierung norwegischer Faschisten hielt den Anschein der Souveränität aufrecht. Auch Kristiansand wurde vom Wasser und aus der Luft beschossen und eingenommen.
Leider finden wir mit den Fahrrädern keinen Weg runter an die Südspitze und zum Leuchtturm. Aber es ist auch schon spät und so fahren wir lieber zurück nach Hause. Einen kleinen Stopp legen wir noch bei der Festung ein:
Im Vergleich zu anderen Festungen ist das hier eine Miniaturanlage: Ein Rundbau, ein paar Mäuerchen (na gut, es sind bis zu 5m dicke) und 62 Kanonen – selbst im Baujahr 1672 war man da schon Größeres gewöhnt. Gekämpft bzw. geschossen wurde aus der Festung auch nur ein einziges Mal, 1807 während der napoleonischen Kriege. Dänemark-Norwegen war eigentlich neutral, wurde aber von den Briten – nach dem Motto, wer nicht für mich ist, ist gegen mich – angegriffen. Als die britische Flotte justament vor Kristiansand ein dänisch-norwegisches Kriegsschiff kapern wollte, schossen die Jungs aus der Festung mit allem was sie aufbieten konnten und die Briten zogen ab. Das nämliche norwegische Schiff wurde übrigens ein halbes Jahr später doch noch von den Briten zerstört – es war dann auch das letzte seiner Art.
Sodele, das war’s mit Kristiansand, morgen geht es weiter an der Küste lang nach Kap Lindesnes, dem südlichsten Punkt Norwegens.
Zwar war auch ich zurückblickend oft unterwegs, aber 3 Monate am Stück waren und sind auch heute noch nicht denk- und noch weniger umsetz-
bar. Den Norden habe ich mit einer einzigen Ausnahme betreten, als ich in der Naunheimer Zeit mit einer Gruppe an der Flensburger Förde mit einer Fähre zum dänischen Kollund schipperte. Einige Male war auch die Ostseeküste das Urlaubsziel; hier aber ausschließlich familiär. Vermutlich scheute ich den Norden als das „kalte“ Europa. Meine Ziele lagen mehr im Süden und Amerika. Wobei der Begriff „Urlaub“ eher nicht zutraf.
Wenn ich jetzt aber eure Texte lese und Bilder sehe,muss ich gestehen, dass ich den Norden zu Unrecht gemieden habe. Nun hat sich meine Vita natürlich ganz anders gestaltet, was seine Gründe in meiner Kind- heit und Jugend hat. Aber das ist ja hinlänglich bekannt. Immerhin war ich über Christi Himmelfahrt mit 10-12jährigen Mädchen im Elsass und
freute mich, dass sich die Kinder und Eltern freuten. Dass ich das men- tal und physisch schaffe, ist ja auch schon was.
Brigitte und besonders ich würden uns über weiter stories aus dem noch höheren Norden freuen.