Freitag 7. Juni bis Sonntag, 9. Juni 2024
Heute geht es über 58 km von Villandry (I) bis nach Saumur (J). Wegen einer Straßensperrung ohne Deviation hat uns unser Navi über die Dörfer geschickt. Geplant war die Strecke entlang der Loire.
Unsere vermutlich vorletzte Etappe im Loiretal führt uns nach Saumur. Als wir gegen 11 Uhr ankommen, ist der Stellplatz auf der Loire-Insel fast leer, wir haben freie Platzwahl und suchen uns eine Parzelle mit viel Grün unter einer großen Esche aus. Die Wiese teilen wir uns mit einem oder mehreren AoD’s (das weiß man in dem Fall nicht so genau 😉).
Das Städtchen Saumur (ca. 27.000 Einwohner) liegt beidseits der Loire, mitten in einem großen Weinanbaugebiet und hat freilich eine dekorative Burg, die auf einem Kalkfelsen über der Stadt thront. Aber das kriegen wir später.
Heute befassen wir uns erst einmal mit den Pferden 🐴🐎🎠🏇🏼. Saumur ist nämlich eine, wenn nicht DIE Pferdestadt Frankreichs. Das interessiert mich als ehemalige Turnierreiterin natürlich sehr. Also radeln wir die 7 Kilometer zur französischen Reitakademie, einem riesigen Gelände mit Stallungen für 500 Pferde, 7 Reithallen und 50 Kilometer Reitwegen auf 400 Hektar.
Die Geschichte der Pferdezucht und des Pferdesports ist ja eng mit dem Militär verbunden. Die Reiterheere Alexanders des Großen, die schwer gepanzerten Ritter des Mittelalters, die schnellen, leichten Husaren, die Kavallerie Napoléons … und und und: zu jeder Zeit und in jeder Gegend war das Wissen um die Pferdezucht und Reiterei von kriegsentscheidender Bedeutung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in Frankreich und Deutschland (wo sonst noch weiß ich nicht) Gestüte und Kavallerieschulen gegründet, mit dem Ziel, Pferdezucht und Reiterausbildung auf einen einheitlichen Stand zu bringen. Qualitätsmanagement sozusagen.
1814 wurde in Saumur der Cadre Noir als Ausbildungs- und Elitekorps des französischen Militärs gegründet. Zur Unterscheidung von den anderen Kavalleristen trugen die Rittmeister eine schwarze Uniform, daher der Name.
Neben der Ausbildung von Pferd und Reiter hatte (und hat) der Cadre Noir die Pflege und den Erhalt der (französischen) Reitkunst zur Aufgabe. Beziehungsweise wurde sie hier zu dem entwickelt, wofür die UNESCO sie 2011 ins immaterielle Weltkulturerbe aufgenommen hat: Für ihre Leichtigkeit. „Calme, en avant, droit“ (ruhig, vorwärts, geradeaus), das ist die Devise. Das dazu passende Pferd ist kein wuchtiger Lippizzaner (wie in der Spanischen Hofreitschule Wien – ebenfalls Welterbe) und kein feuriger Lusitano, es ist der leichte, elegante Angloaraber, mit dem die Franzosen letztlich „ihre“ Sportpferderasse gezüchtet haben, das Cheval de Selle français.
Zur französischen Schule gehören – wie zur spanischen, die Lektionen „auf der Erde“ und „über der Erde“, also Sprünge wie Courbette, Croupade und Capriole.
Das sieht aus wie Zirkuskunststückchen, die Sprünge sind aber aus Verhaltensweisen abgeleitet, wie sie Hengste beim Kampf zeigen und es waren Taktiken, mit denen sich ein Reitersoldat im Kampf Vorteile oder Platz verschaffen konnte, also ursprünglich durchaus mit praktischem Nutzen. Heute sind diese Lektionen der Hohen Schule „nur noch“ ein Kulturgut, das hier bewahrt wird – ähnlich wie die klassischen Reitweisen in der Spanischen Hofreitschule in Wien oder der königlich-andalusischen in Jerez.
1972 wurde der Cadre Noir in die neu gegründete École nationale d’équitation (ENE), die staatliche Reitakademie eingebunden, beide unterstehen dem IFCE, dem Institut francais du cheval et de l’equitation – sowas wie die Deutsche reiterliche Vereinigung (nur dass die nicht staatlich ist). Seine ca. 30 Berittmeister (heute sind es überwiegend Zivilisten) sind für die Ausbildung von jährlich etwa 150 Studenten zuständig, in Dressur, Spring- und Geländereiten. Wer in Frankreich ein Reitlehrerdiplom der ENE erwerben will, muss das entweder hier oder in Paris tun. Zudem muss man 18 Jahre alt sein, das Abitur haben und bereits reiterliche Erfolge auf Turnieren vorweisen können. In Paris muss man drei eigene gute Turnierpferde mitbringen, in Saumur bekommen die Studierenden die Pferde gestellt.
300 Pferde besitzt die ENE, sie werden als Dreijährige gekauft und tun ihren Dienst bis zum Alter von 18 bis 20 Jahren. Dann werden sie in gute Hände abgegeben, oft an (ehemalige) Schüler oder Mitarbeiter.
Neben der Ausbildung veranstaltet Saumur Reitwettbewerbe, ist Trainingscenter für die Nationalmannschaft und hat ein Forschungsinstitut zur Weiterentwicklung von z.B. Ausrüstung, Hallenboden, Futter und Haltungsbedingungen.
Und der Cadre Noir pflegt und erhält die französische Reitkunst. Vorführungen finden über das ganze Jahr hinweg statt, insgesamt an rund 30 Tagen. Leider nicht heute – aber das wäre eh ausverkauft gewesen, auch wenn in die große „Manege“ (Reithalle) 1.700 Zuschauer passen.
All das und noch viel mehr erklärt uns Louise, eine Pferdepflegerin, die ab und an auch mal Besucher durch die Anlage führt, wie alle ihr KollegInnen.
Louise zeigt uns die (doppelseitig angelegten Stallgassen mit automatischer Fütterung und Mistabfuhr. Wo die 6.000 Tonnen Pferdemist abbleiben, das werden wir morgen sehen: Sie gehen nämlich in die Champignon-Zucht!
Und natürlich gehen wir auch zu den Pferden selbst, die sind ganz cool und lassen sich anfassen und kraulen. Louise wird richtig glücklich, wenn sie mit „ihren“ Pferden schmusen kann, statt uns die Historie zu erklären.
Wir schauen ein wenig einer Reitstunde in der großen Halle und den Reitern und Reiterinnen auf dem Außenplatz zu und dann ist die einstündige Führung auch schon rum.
Zurück Saumur haben wir auch schon ein Ziel, nämlich das Maison des vins de Loire, auch Haus des Weine genannt 😂.
Volker hat wohlweislich die Packtasche am Fahrrad, so dass wir unsere Vorräte mit regionalem Wein aufstocken können. Das Preisniveau ist durchaus beruhigend – wir können ja nun nicht dauernd Grand Cru schlürfen, das geht ins Geld! Da das Wetter inzwischen entschieden hat, allmählich auf Sommer umzustellen, entscheide ich mich für einen frischen, leichten, trockenen Rosé (in einer hübschen Flasche dazu). Und mit neuen Gläsern decken wir uns auch gleich ein.
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Samstag, 8. Juni 2024: Radtour nach Montsoreau, zur Champignonnière Saut du loups und zu den Troglodyten
Unser heutiges ZieI ist die Champignonnière Saut du loups in Montsoreau etwa 15 km loireaufwärts von Saumur. Wir wissen bereits, dass sich hier in der Gegend viele Kalksteinhöhlen befinden, von denen einige als Pilzfarmen genutzt werden. Die in Montsoreau bietet noch ein Museum und ein Restaurant und die Gelegenheit zu einer netten Radtour entlang der Loire.
In der Touri-Info hat Volker gestern sogar einen gpx-Track ergattert, dem folgen wir im Uhrzeigersinn und es geht erst einmal den Bersch enuff. Bersch gibt es hier genügend, denn die Loire hat sich ihr Bett hier in einer Landschaft aus Kalkstein gemacht und terrassierte Steilufer zurückgelassen.
Unversehens stehen wir dann vor den Toren des Schlosses – eher eine Festung, zumindest sind Bastionen drumherum – und wo wir schon mal da sind, können wir uns das ja gleich mal kurz anschauen. Tja, von wegen kurz 🤦♀️. Erst einmal ist der Ausblick von hier oben wirklich sensationell:
Dann macht das Schloss selbst natürlich was her, man kann es von verschiedenen Seiten betrachten …
… und en detail.
Und dann stehen im äußeren Schlosshof verteilt noch etwa 40 putzige Ritter herum, die von Kunsthandwerkern je nach ihrem Metier unterschiedlich ausgestaltet sind: die Form ist immer gleich, Material und Dekoration anders, je nach Handwerk oder Kunstrichtung. Eine/r schöner als die/der andere ❤️.
Einer fällt ein wenig aus dem Rahmen, und mag nicht mit seinen Kumpanen in Reih und Glied stehen. Dafür mit mir 😎.
Das Schloss war früher sehr viel prächtiger als heute, mit vielen Türmen, Türmchen und Erkern. Einer der vielen Ludwige, Herzog von Anjou, baute es Ende des 14. Jahrhunderts auf den Fundamenten der alten Burg. Nachdem das Herzogtum 1480 an die Krone fiel, war es Sitz des Stadtgouverneurs und der Garnison und einer ließ es Anfang des 17. Jhdts. zur Festung umbauen. Doch dann ging es bergab, das Schloss verkam, unter Napoleon war es Staatsgefängnis, Kaserne und Zeughaus und 1906 erwarb es die Stadt Saumur.
Als wir den Schlosshof endlich verlassen haben, kommt die nächste Kunstausstellung gleich um die Ecke, mit außergewöhnlichen Aufnahmen des Schlosses unter dem Titel „Oh mon chateau“.
Aber was soll’s, wir sind ja nicht auf der Flucht und nehmen uns gern die Zeit zum Schlendern und Stöbern und Gucken und Staunen.
Wir bleiben auf der „oberen Terrasse“ des Loireufers, kommen durch verschlafene Dörfer und fahren durch Weinberge, soweit das Auge reicht.
Typisch: Gemauerte Kirchtürme ->
Dann geht es wieder runter und wir kommen an immer mehr Kalkfelsen vorbei, die als Weinkeller oder Restaurants genutzt oder in denen sogar (Ferien-)Wohnungen verkauft werden.
Die Häuser sind an die Felswände gebaut und man nutzt vorhandene Stollen oder gräbt sich welche. Faszinierend. Das hätten wir nicht erwartet, in Andalusien vielleicht, aber doch nicht im Loiretal!
In den Kalkfelsen wurden schon vor 1.500 Jahren natürliche Höhlen als Unterschlupf verwendet. Seit dem 15. Jahrhundert nutzte man sie als Steinbrüche und grub sich immer tiefer in den Kalkstein, die Tuffière, hinein. So durchziehen mittlerweile über 1.000 Kilometer an Höhlen und Stollen diese Felsen, ein riesiges unterirdisches Netzwerk. „Troglodytes“ nennt man hier diese Höhlen, im Deutschen bedeutet das Wort „Höhlenbewohner„, was mal wieder lustige Übersetzungen von Google und Konsorten zur Folge hat. Heute werden viele der ehemaligen Steinbrüche als Weinkeller genutzt und auch zur Champignonzucht eignen sie sich hervorragend.
Wir kommen an unserem Tagesziel an und entern als erstes das Restaurant – dessen Räumlichkeiten natürlich stilecht in den Kalkstein gehauen sind.
Zu essen gibt es natürlich Pilze, die Spezialität des Hauses bzw. der Höhle sind die galipettes, gefüllte Pilze; die Füllung kann man sich aussuchen, Ziegenkäse, Lachs, Fleisch, Knobibutter). Schmeckt sehr lecker!
Dann geht es zur Besichtigung der Höhlen, wo die Zucht von Champignons und anderen Pilzen gezeigt wird. Wir gehen dazu richtig tief in den Berg hinein.
Es fängt an mit ein wenig Biologie – Pilze sind extrem spannende Lebewesen. Früher zählte man sie zu den Pflanzen, heute werden sie gleichrangig als Reich neben dem Tier- und dem Pflanzenreich (und 2 weiteren) geführt. Sie sind „Zwischenwesen“, sehen aus wie Pflanzen, haben aber einen Stoffwechsel wie Tiere, sprich keine Fotosynthese. Was wir als „Pilz“ bezeichnen, ist nur ein kleiner Teil eines viel, viel größeren, unterirdischen Lebewesens: Ein filigranes Geflecht aus Zellfäden, das Pilzmyzel. Der oberirdische Fruchtkörper = Pilz dient der Fortpflanzung, er enthält in seinen Lamellen die Sporen und wenn er nicht von eifrigen Pilzsammlern vorher gepflückt wird, streut er die auch zu Millionen aus seinem Hut
Besserwisserisches zum Thema Pilze:
Das größte Lebewesen der Welt ist ein Hallimaschpilz in den USA: Das Myzel dieses Pilzes erstreckt sich über eine Fläche von neun Quadratkilometern – das sind rund 1.200 Fußballfelder. Forscher schätzen, dass der Riesenpilz bis zu 8.500 Jahre alt und 400.000 Kilogramm schwer sein könnte (Wikipedia).
Unsere heimischen Bäume leben fast alle in Symbiose mit Pilzen, ohne dem würden sie sterben: Das Myzel der Mykorrhiza (myco=Pilz; rhiza=Wurzel) dringt in die Wurzelenden der Bäume ein und „betankt“ sie mit Wasser und gelösten Mineralien. Als Gegenleistung bekommt der Pilz organische Nährstoffe vom Baum).
Gelegentlich erscheinen Pilze im Kreis, der Volksmund nennt das Hexenringe: Das sind die Fruchtkörper eines einzigen Myzels, das kreisförmig wächst. Alle diese Pilze sind also ein einziger Organismus! Wenn man genau hinschaut findet man oft in der Mitte Reste eines vermoderten Baumstumpfs: Das ist der Ausgangspunkt des Myzels, das sich von dem organischen Material ernährt hat.
Will man Pilze züchten, muss man das Myzel heranziehen. Das macht man in Petrischalen mit einem Nährsubstrat. Ist es groß genug, „verpflanzt“ man es stückchenweise auf Getreidekörner, wo es weiter heranwächst.
Mit diesem Myzel impft man dann das eigentliche Kultursubstrat, so eine Art Schnellkompost aus Stroh oder Sägespänen, Kalk und Pferdemist. Das wird für mehrere Tage eingeweicht und dann pasteurisiert, um unerwünschte „Bewohner“ zu vernichten.
Zu Beginn häufte man diese Masse auf den Boden, später kamen Holzkisten (wie Hochbeete), heute hat man Metallkisten. Das Myzel durchwächst dieses Substrat und bildet nach ca. 3 Wochen die ersten, kleinen Fruchtkörper.
Champignons machen 95% der Speisepilze aus, aber auch andere Arten können inzwischen kultiviert werden, wie Austernpilze und Shiitake.
Nicht züchten kann man zum Beispiel Pfifferlinge, Steinpilze und Morcheln, die müssen nach wie vor im Wald gesammelt werden: Es sind Mykorrhiza-Pilze, sie sind auf die Symbiose mit Bäumen angewiesen, weshalb man sie nicht mit vertretbarem Aufwand züchten kann.
Zum Schluss darf in Frankreich die Abteilung „Culinaire“ nicht fehlen! Hier die ultimative Anleitung zur Zubereitung von Pilzen:
Wichtig: Pilze nie direkt in Fett/Öl anbraten, immer erst ohne Fett rösten. Sagt auch Jamie Oliver!
Wir finden den Ausgang aus dem Höhlenlabyrinth (haha) und machen uns auf den Rückweg, der nun überwiegend an der Loire entlang führt. Wirklich ein riesiger Fluss, selbst wenn man den Rhein gewöhnt ist!
Als wir schon glauben, das war’s für heute, kommt unverhofft noch mal ein richtiges Highlight! Der Fahrradweg biegt um eine enge Kurve, in eine hohle Gasse und verschwindet dann …
… nicht in irgendeine x-beliebige Unterführung, sondern durch schöne Spitzbögen aus Kalkstein in ein altes Höhlensystem!
IRRE!
Im Grünen ist das Tunnelsystem nicht zu Ende, die Decke ist eingestürzt: Sogenannte Fontis gibt es häufig. Also Obacht auf der Oberen Ebene!
Wir haben fertig und auch die Verlockungen der Stadt können das Naturerlebnis nun nicht mehr toppen.