Sagenhaft: Abstecher nach Brocéliande

Samstag/Sonntag, 14. und 15. Juni 2024: Paimpont

Das Wetter ist echt eine Schande! Stand Samstag früh sind satte 9 Tage Schietwetter gemeldet. Das schlägt auf die Laune und schränkt die Unternehmungen ein: Auf die Belle Ile übersetzen und am Strand wandern? Nein danke. Nach Lorient fahren und sich dessen Vergangenheit als deutscher U-Boot-Stützpunkt im WK 2 reinziehen? Auch nicht, zumal zwischen Campingplatz und Stadt ein paar Kilometer und/oder eine zu überwindende Bucht liegen. Eine Woche aussitzen oder eine Woche durchfahren? Alles blöd!

Also machen wir ganz was anderes!

Das klingt jetzt so einvernehmlich, ist aber auch dem ersten nennenswerten Lagerkoller an Bord 😤😡😲 geschuldet – muss man auch mal im Blog festhalten, wenn auch im Kleingedruckten 😛. Ist ja auch völlig normal. Ich finde, mit dem ersten Crash nach etwa 7 Wochen haben wir uns gut gehalten 😉. Und auch wieder vertragen ❤️.

https://www.jardinsdebroceliande.fr/destination-broceliande/

Wir fahren ins Landesinnere, wo das Wetter vielleicht nicht besser ist, aber zumindest anders. Von einer Geocacher-Bekanntschaft haben wir den Tipp bekommen, nach Paimpont in den Brocéliande-Wald zu fahren. Das sind um die 80 km, also nicht zu weit.

Das obligatorische Stehfoto ist am späten Abend gemacht

Über den Stellplatz kleppern wir das Ei des Vergessens – aber 6 Euro Parkgebühr und eine ruhige Nacht sind völlig OK, denn das Örtchen ist sehr gut besucht und auf dem Campingplatz hätten wir ein Vielfaches bezahlt.

Da es gerade mal nicht regnet und selbiges auch laut Méteo France die nächsten 2 Stunden so bleiben soll (haha!🌧️☔️) machen wir uns auf den Weg ins Städtchen.

Die Abtei beherbergt heute unter anderem das Rathaus

Das besteht im Wesentlichen aus einer Abtei und einer einzigen Straße, in der wir hinter dem Stadttor von Herrn Merlin, seines Zeichens Zauberer, begrüßt werden. Im weiteren Verlauf der Straße könnten wir Horoskope, Pendel und Kräuterlexika erwerben, uns keltische Symbole tätowieren lassen oder Kurse in holistischer Astrologie belegen.

Warum das? Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen schlaue Touristik-Marketing-Experte wohl auf die Idee, Legenden und Volksaberglaube über „magische“ Orten wie Quellen, Bäume oder Felsen mit der Artus-Sage zu verknüpfen und diese aus Südengland kurzerhand hierher zu verlegen. Wobei ein gewisser Bezug wohl schon vorhanden war: Laut Wikipedia wurden keltische Sagen von britannischen Einwanderern ab 450 n.d.Z. in die Bretagne gebracht. Sie flohen vor den Germanen, die man damals Sachsen nannte und die als „Angelsachsen“ nach dem Abzug der Römer Britannien überfallen hatten. Auf diese Flüchtlinge geht der Name der Bretagne und die bretonische Sprache zurück. Es ist naheliegend, dass diese Menschen ihre Geschichten und deren Protagonisten auch in der neuen Heimat verorten wollten. Ab 1066 kamen die Sagen dann mit den normannisch/bretonischen Eroberern zurück nach England, vor allem nach Wales und Cornwall. Dort vermischten und verdichteten sie sich dann wohl im späten 11. Jahrhundert zur Sagengestalt von König Artus. Der Geschichtsschreiber Geoffrey von Monmouth schrieb die Geschichten dann im 12. Jahrhundert auf und gab sie als Geschichte aus. Etwa zeitgleich verlegte der Schriftsteller Christian von Troyes die Geschichten in seinen Romanen nach Frankreich.

Es gibt unzählige Versionen der Sage um König Artus/Arthur. Gemeinsam ist ihnen, dass Arthur der Sohn des britannischen Königs Uther Pendragon und Igraine, der Witwe des Herzogs von Cornwall ist. Verkuppelt werden die beiden vom Zauberer Merlin, der auch ihren Sohn Arthur in seine Obhut nimmt und ihn aufwachsen lässt, ohne dass er seine wahre Herkunft kennt.
Inzwischen hat Merlin mit seiner Zauberkraft das Schwert Excalibur geschmiedet und es in einen Stein gestoßen. Nur der wahre König Britanniens und Nachfolger des mittlerweile verstorbenen Uther soll das Schwert aus dem Stein ziehen können. Zahlreiche Edle und Ritter des Landes versuchen ihr Glück – jedoch vergeblich. Nur Arthur kann das Schwert aus dem Stein zu ziehen, wodurch seine Herkunft enthüllt und er selbst zum König Britanniens ernannt wird. König Arthur heiratet, entgegen den Ratschlägen des Zauberers Merlin, die schöne Römerin Guinevere.
König Arthur schlägt die Feinde Englands in 12 Schlachten, so dass in seinem Land wieder Frieden und Ruhe einkehrte. Er regiert weise und gerecht über sein Land und versammelt die tapferen Ritter, die an seiner Seite gekämpft hatten, an einer großen runden Tafel. Weil die Ritter der Tafelrunde mangels Feinden nicht mehr kämpfen mussten, vertreiben sie sich die Zeit mit der Suche nach dem Heiligen Gral, dem Kelch des letzten Abendmahls, mit dem man wahlweise ewige Jugend oder göttliche Gnade erlangen kann.
Unterdessen geht Ritter Lancelot mit Artus Frau fremd und sein Neffe Mordred zettelt eine Verschwörung gegen ihn an (wenn man schon so heißt 🤷‍♀️). Arthur tötet zwar den Verräter, wird dabei aber selbst schwer verwundet. Man bringt ihn auf die sagenumwobene Insel Avalon.
Bis heute wartet König Arthus dort auf seine Rückkehr, mit der erneut friedliche und glückliche Zeiten für Britannien anbrechen werden. Ähnlichkeiten mit Barbarossa sind nicht beabsichtigt 😜

Um Merlin und Konsorten kümmern wir uns morgen, heute wandern wir um den See von Paimpont, der von den Mönchen künstlich angelegt ist und im Norden durch eine schöne Moorlandschaft führt. Viele Stelen mit Gedichten säumen den Pfad, der als „lyrischer Spaziergang“ angepriesen wird. Uns interessieren allerdings die Geocaches mehr als französische Poesie 🤦‍♀️.

Abtei und See
Ein wirklich schöner Weg in einem wirklich schönen Wald

Sehr schön ist auch der Garten der Abtei, der am Nordende des Sees um eine Mariengrotte angelegt ist, mit blühenden Rhododendren, hübsch eingefassten Wasserläufen und großen Bäumen.

Danach geht es auf vielen Stegen durch das Moor, wo sich immer wieder schöne Blicke über den See und auf die Abtei auftun. Allerdings erwischt uns hier ein opulenter Regenschutt. Doch was wäre Moor ohne Regen?

Frisch gewaschen nach dem Schauer

Sonntag: Auf den Spuren Merlins

Off the record: Es ist der 51. Tag unseres Wech – letztes Jahr waren wir an dem entsprechenden Tag in Stokmarknes und sind eine kurze Strecke mit der Polarlys der Hurtigruten gefahren.

Den Sonntag Vormittag beginnen wir mit dem Durchschreiten der „Porte des Secrets“ in einem Nebengebäude der Abtei, wo auch die Touristen-Info untergebracht ist. Dahinter erwartet uns eine wirklich klasse gemachte audio-visuelle Inszenierung des Waldes von Brocéliande in 5 liebevoll und detailreich ausgestatteten Räumen, in denen uns der Erzähler Pierre die Sagen und Legenden des Waldes und seine besonderen Orte vorstellt. Wir haben sogar quasi eine Privatvorstellung, denn mit uns ist nur noch ein weiterer Mann dabei.

Das Teaser-Video https://tourisme-broceliande.bzh/activite/la-porte-des-secrets/

Danach geht es in die Realität, um einige der vorgestellten Orte zu besichtigen! Für eine Fahrradtour ist es zu weit, zumindest bei dem wechselhaften Wetter, also geht es mit dem HoGo on the road.

Reminiszenz an Frank, Volkers Kurschatten aus Winterkasten:
Frank sammelt Wälder und hält sie im Bild fest. Kamera draufhalten und einfach reinfotografieren. Er hat eine stolze Sammlung Hunderter Waldbilder aller Tages- und Jahreszeiten, Wetterlagen und Waldarten.
Wohnmobile unter sich

Unser erster Stopp gilt der 500 Jahre alten Hindrés-Eiche, die mit ihrer Höhe und ihrer schönen Baumkrone beeindruckt. Der HoGo wartet derweil brav auf unsere Rückkehr. Ob er sich wohl mit seinem Nachbarn anfreundet?

Wie immer kommt die wahre Größe des majestätischen Baumes auf Bildern nicht rüber

Next Stopp Merlins Grab und der Brunnen der ewigen Jugend!

Backgroundstory: Der Zauberer Merlin, der eigentlich der Liebe abgeschworen hat, wird von der Fee Viviane verführt. Er verrät ihr seine Zauberkunst, die Viviane gegen ihn einsetzt: Sie bannt ihn in einen magischen Zirkel und schließt ihn auf immer im Fels ein.

Nicht die Allée couverte auf der Zeichnung, sondern Reste eines kleinen Dolmens gelten als Merlins Grab
Brocéliande-Voodoo: Merlins Anhänger legen „Gaben“ auf sein Grab

Der benachbarte Jungbrunnen stellt sich in der Realität auch als deutlich bescheidener heraus, als wir erwartet haben. Oder wir sind zu phantasielos, um den knöchelhoch mit brackigen Wasser gefüllten Tümpel als Quell ewiger Jugend zu erkennen 🤷‍♀️.

Die große Ansammlung von Steinmännchen im benachbarten Steinbruch ist hingegen wirklich ein Hingucker, auch wenn sie nix mit irgendwelchen Sagen oder Mythen zu tun hat.

Ebenfalls ein Hingucker sind die Massen von Rotem Fingerhut, die hier wachsen. Also nicht nur genau hier, sondern weiträumig in der ganzen Gegend. Da sollte man bei ungeklärten Todesfällen unter Schwiegermüttern oder Erbonkeln lieber mal eine Obduktion anordnen. Schon das Berühren kann Symptome wie Erbrechen oder Übelkeit auslösen, drei bis vier Blätter oder Blüten reichen für einen Herzstillstand. Aber schön anzusehen ist er allemale, der Digitalis purpurea!

Im Kleinen ebenfalls sehr hübsch und zudem völlig ungefährlich: Die Fetthenne, hier zusammen mit Rentierflechte

Unser dritter Besuch gilt einem Methusalem, der zu den markantesten Bäumen Frankreichs zählt: Der Guillotin-Eiche.

Ihren Namen verdankt sie der Erzählung, der Priester Guillotin, der trotz Verbots weiter heilige Messen abhielt, habe sich während der Revolution in ihrem Stamm versteckt.

In der Tat ist der Stamm hohl, was auch für eine Eiche nicht unbedingt gesundheitsfördernd ist. Besonders viele Äste und Blattwerk hat sie nicht mehr. Das Alter wird auf 800 Jahre geschätzt und die Seniorin lebt auf einer abgezäunten Wiese, damit keiner mehr ihr Inneres betreten kann. Angeblich passen 10 Personen da rein – ich muss unwillkürlich an die Personenangaben in einem Aufzug denken. Honi soit qui mal y pense 🤣.

Unsere letzte Station, den Goldenen Baum, müssen wir leider canceln: Keine Chance auf einen Parkplatz für den HoGo. Dieser „Baum“ wurde 1991 nach einem Waldbrand als Kunstwerk zur Erinnerung an die Vergänglichkeit der Natur aufgestellt.

Was uns noch auffällt ist die Bauweise der Häuser, die mich sehr an meine Heimat erinnert: Bruchsteine und Schieferdächer! Nur der Basaltsockel fehlt 😉.

Wir verlassen den Wald von Brocéliande und wenden uns wieder Richtung Küste. Als Übernachtungsort hat die Reiseleitung das Städtchen Josselin ausgesucht, über das sämtliche Reiseführer geradezu in Verzückung geraten! Morgen werden wir sehen, ob das Übertreibung ist. Zunächst gilt es, den HoGo mit seinen 6,95 Metern Länge und knapp 3 Metern Höhe auf dem winzigen Behelfs-Stellplatz einzuparken. Wenn man ihn press (sehr press!) an/in das Bäumchen ranfährt, klappt das 🫣😅.

Von Paimpont (E) durch den Forêt de Brocéliande über die Hindrés-Eiche (F), Merlins Grab (G), der Guillotin-Eiche (H) und dem gescheiterten Versuch zum Goldenen Baum bis nach Josselin (J), 75 km

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