Spitzenmäßig: Pointe du Raz und Pointe de Van

Freitag, 21. und Samstag 22. Juni 2024: Zu den äußersten Ecken von Kap Sizun

Kap Sizun mit der Pointe du Raz im Süden und Pointe de Van im Norden. Dazwischen die Baie des Trépassés

Bevor wir uns zu den markanten Landspitzen begeben, machen wir Halt in Trégunc – vor der Touri-Info ist gerade ein Parkplatz frei und mir gehen die Häuser aus „pierres debout“ oder „men zao“ nicht aus dem Sinn. Zu gerne würde ich eines in echt sehen und nicht nur auf Fotos. In der verlassenen Touristeninfo freuen sich gleich drei junge Frauen sichtlich über meinen Besuch und eine zückt auf meine in feinstem Französisch 😉 vorgetragene Frage auch sogleich ein Blatt mit einer Wegbeschreibung. Das gewünschte Haus fände man „au passage“ gar nicht weit weg.

Und wirklich, einmal kurz um die Ecke und ein paar dutzend Meter weiter stehen wir schon vor einer großen Mauer aus den aufrecht gestellten, schmalen Granitblöcken.

Das Haus finden wir wenige Meter weiter. So schaut es aus, ein bescheidenes kleines Haus, wie die im Reiseführer: eine Tür, zwei Fensterchen, dieses hat sogar die beiden typischen Kamine an den Giebelseiten.

Man sieht es dem Häuschen an: Hier lebten keine reichen Leute! Solche tier men zao wurden im 17. bis 19. Jahrhundert meist von Fischern gebaut. Die Bauern wollten mehr Land bewirtschaften, doch es war durchsetzt von hinderlichen Granitblöcken. Die Fischer waren es gewohnt, außerhalb der Fangsaison auf den Feldern zu arbeiten, entsorgten für die Bauern die Steine und nutzten sie für ihren Hausbau: Es wurden Kerben in den Granit geschlagen (oder vorhandene genutzt), Holzpflöcke hineingetrieben und diese nass gehalten. Das aufquellende Holz sprengt den Granit! Von dieser Methode hatten wir in Guédelon und in Carnac bereits gehört!
Zum bescheidenen Anwesen gehörte ein wenig Land, das von den Frauen bewirtschaftet wurde, wenn die Männer auf See waren.

Auch die „Zäune“ sind aus men zao.
Statt eines Törchens schiebt man Holzstangen durch Löcher in den Torpfosten.

Sehr zufrieden verlassen wir die interessante Gegend um Névez und wenden uns unserem nächsten Ziel zu. Jetzt soll es mal so richtig an die (Felsen-)Küste gehen, zu einer der Grand sites de France, der Pointe du Raz.

Stellplatz mit Meerblick
Blauen Himmel gab es aber nur kurz

Um es vorweg zu nehmen: Auch wenn das gesamte Departement Finistère heißt (Finis terra = Ende der Welt) ist es hier sehr belebt und gar nicht dystopisch. Uns erwartet ein großer Stellplatz für ca. 50 WoMos, ein noch größerer für PKW und neben dem Besucherzentrum ein gar nicht mal so kleines Angebot an Klamottenläden, Souvenirshops und Restaurants.

Von Névez (B) zum Point de Raz (C), 90 km

Auch irrt unser Reisebuchautor Cernak gewaltig, wenn er behauptet, die Pointe du Raz sei die westlichste Landspitze des europäischen Festlands: Die gesamt iberische Westküste liegt sehr deutlich weiter im Westen und da wird es ja wohl die ein oder andere Landspitze geben! Es ist noch nicht mal der westlichste Punkt Frankreichs, der liegt weiter nördlich am Pointe du Corsen, wenn auch nicht so exponiert.

Wir nehmen Quartier auf dem großen Stellplatz und machen uns auf den Weg zum Kap. Die Landzunge ist mit einer schönen Heide bewachsen: Viel Stechginster, Ginster, sehr dunkle Erika, wildes Geißblatt. Da geht mir das Herz auf ❤️.

Das AoD

Vor der felsigen Landspitze ist ein Sémaphore – eine Funkstation der französischen Marine zur Überwachung und Sicherung des Schiffsverkehrs. Der Turm war ursprünglich (1839) ein Leuchtturm. 1887 wurde auf einem Inselchen vor der Pointe der  Phare de la Vieille in Betrieb genommen und der Turm wurde 1892 in ein Semaphor umgebaut, per definitionem eine Anlage zur optischen Telegrafie. Vermutlich zu der Zeit aber nicht mehr mit dem Winkeralphabet von Claude Chappe, sondern mit Lichtsignalen. Während des Zweiten Weltkriegs betrieben die deutschen Truppen hier eine Radarstation.
Heute wird die moderne Station rund um die Uhr betrieben und ist mit neun Personen besetzt.

Der europäische Fernwanderweg E5 verbindet die Pointe du Raz mit Venedig. Bis dort hin hat man noch etwa 3050 Kilometer vor sich.

Und dann kommt sie endlich in den Blick, die Pointe du Raz. Raz bedeutet starke Strömung und in der Tat brodelt es bei sonst ruhiger See gewaltig zwischem dem Leuchtturm La Vieille und den bis zu 70 Meter hohen, schroffen Felsen der Landspitze.

Die Heilige Maria der Schiffbrüchigen

Es ist sicherlich ein beeindruckender Anblick, aber den Atem raubt er uns nicht. Da hat der Reiseführer mal wieder übertrieben. Und die Franzosen neigen eh zu gefühlslastigen, poetischen Beschreibungen (sorry liebe Franzosen ist, nicht böse gemeint).
Das obligatorische „Selfie“ macht ein Pärchen aus den Niederlanden von und für uns und schießt auch noch ein lustiges „making of“ 🫣😂.

In der Ferne: Chapelle Saint They an der Pointe de Van (17. Jhdt.)
Der Hl. They ist ein weithin unbekannter Einsiedler aus Cornwall (4. Jhdt.) mit der Gabe, Rheuma heilen zu können. Noch heute gibt es hier im Juli eine Wallfahrt (früher waren es vier).
Man erkennt die Kapelle auch auf dem nächsten Bild:
Blick auf die Pointe de Van

Rückzus nehmen wir den schmalen Pfad oberhalb der Steilküste. Während Volker sich mit nämlicher befasst, liegt mein Augenmerk mehr auf den Doldenblütlern rechts und links des Weges – ich bin halt eine Freundin der Botanik 🤷‍♀️. Wobei das Bestimmen von Doldenblütlern nun wirklich der Graus ist. Ich tu es einfach nicht! Plantnet meint, es handelt sich entweder um Bischofskraut, was ich nicht hoffe, denn dann hätte ein Neophyt aus Nordafrika hier die Oberhand gewonnen, ersatzweise schlägt die App die Wilde Möhre vor, was ich nicht glaube, denn die hat eine große schwarze Blüte als Scheininsekt in der Mitte der Dolde und ist deshalb der allereinzigste Doldenblütler, den ich kenne.

Einer geht noch: 4 x pretty in Pink 💕
1: ??? 2. Platterbse 3: Tausendgüldenkraut 4. XY-Distel (Carduus)

Aber egal, wie sie nun heißen, diese Dolden – Doppeldolden – sind unfassbar schön, finde ich. Da kann ich mich gar nicht dran satt sehen.

So geht es Volker mit der Felsküste. Ich finde die hier ziemlich harmlos, aber zusammen mit dem „Gestrüpp“ sieht es echt schön aus 😜.

Blick zurück auf die Pointe du Raz
Ein kleiner Hafen, durch Mauern gesichert
Von fern: Findet HoGo

Zurück am „Shoppingcenter“ kommen wir auf die Idee, statt Broccolinudeln heute Abend Moules frites zu verspeisen. Leider wird nix draus, weil die Restaurants um 17 Uhr die Läden zuklappen: Ist halt nur für Tagesbesucher, abends hauen die alle ab. Auch der WoMo-Stellplatz leert sich drastisch, was uns einen unverstellten Blick auf‘s Meer verschafft. Allerdings haben wir nix davon, denn es schüttet den ganzen Abend wie aus Eimern 💦. Auch die EM ist heute Abend trist: Frankreich spielt gegen die Niederlande ein für uns enttäuschendes 0 : 0.


Wo wir nun unwiderruflich den Atlantik erreicht haben, ist es mal wieder an der Zeit einen Gesamtüberblick unserer bisherigen Tour zu geben.

Wir haben unseren Roadtrip Vive-la-France Ende April gestartet. Am 1. Mai haben wir in Wissembourgh die französische Grenze passiert. Von dort ging es über Lothringen und Elsass weiter ins Franche-Comté und ins Burgund. Dort haben wir unseren Kurs endlich gen West gesetzt. Über das Loiretal mit seinen schönen Schlössern und Parks ging es weiter in die Bretagne. Dort haben wir anfangs das wechselhafte Wetter im Zickzackkurs ausgesessen. Jetzt haben wir die überaus beschauliche bretonische Atlantikküste erreicht. Wir sind jetzt acht Wochen unterwegs und haben 3.200 km zurückgelegt. Bis nach Hause in vier bis fünf Wochen sind über die Normandie, Belgien und Eifel noch etwa 1.500 km zurückzulegen.

Der Samstag begrüßt uns mit zaghaftem ☀️ Sonnenschein. Während ich den Blog von gestern zu Ende schreibe, marschiert Volker vor zur Pointe und macht ein paar schöne Sonnenfotos.

Unsere nächste Amtshandlung besteht darin, Méteo France in die Tonne zu kloppen und eine neue Wetterapp zu installieren. La Chaîne. Angeblich sei die besser im Wahrsagen 🤭. Um 11.30 Uhr geht es ins Grand Bleu, wo wir die Moules frites nun „nachholen“. By the way entdecken wir dort auch die ultimative Wetterapp 😂 – die lustige Nummer mit dem Stein kennt man auch in Frankreich.

Moules frites

Dann wollen wir eigentlich Locronan ansteuern, aber ich entsinne mich der Kapelle, die Volker so schön fotografiert hat. Der Abstecher dorthin führt uns als erstes zur Baie des Trépassés, der Bucht der Gestorbenen, zwischen den beiden Landspitzen (siehe Satellitenaufnahme oben). Ein toller Anblick!

Von hier hat man auch einen super Blick auf die Pointe du Raz

Wikipedia schreibt: „Der Sage nach verschifften die Kelten von hier ihre Verstorbenen zur Île de Sein – daher der Name: „Bucht der Verschiedenen“. Eine andere Deutung beruht auf der Legende, dass in dieser Bucht die Seelen der Verstorbenen auf das Totenschiff warteten, um ins Jenseits (hinter dem Horizont) gebracht zu werden. Die Bucht ist wegen des flachen Sandstrandes und der starken Brandung bei Surfern sehr beliebt.

Die zum Atlantikwall der Nazis gehörende Bunkeranlage an der Südseite der Bucht bemerken wir nicht. Besser isses. Davon werden wir in der Normandie noch genug bekommen.

Von der Bucht ist es nicht mehr weit zur Pointe de Van und der Kapelle des Rheuma-Heiligen They. Wirklich schön, wie sie da liegt. Leider kann man nicht rein 😕.

Nebenan ist noch eine winzig kleine Kapelle – eher ein Bildstock oder auch eine Brunnenstube, denn es ist Wasser drin – mit einer ganz bezaubernden Madonnenfigur.

Volker nennt es „Hundehütte vom Kaplan“ 😤
Versteinertes Toastbrot 🤣

Wir spazieren zur Landspitze, die zwar nicht so schroff und zackig ins Meer führt, wie ihre Nachbarin, mir aber trotzdem besser gefällt 🤷‍♀️. Vielleicht liegt es ja auch am Sonnenschein, der nicht nur den Himmel, sondern auch das Wasser so schön blau macht.

Auch hier wieder herrliche Farben!

Das Animal of the Day: Die Mantelmöwe

Am Ende der kleinen Wanderung fallen mir seltsame Fäden auf – hat da jemand Angelschnur versponnen? Das Zeug hängt fest wie angeklebt!

Natürlich ist es keine Schnur. Es ist eine Pflanze und ein Parasit, soviel ist klar. Aber was für eine? PlantNet ist diesmal gut behilflich und stellt sie als „Thymianseide“ vor. Im Leben noch nichts von gehört (oder wieder vergessen 🤔)

Die Thymianseide (lat. Cuscuta) gehört zu den Windengewächsen (eine Zaunwinde hat bestimmt jeder schon einmal gesehen) und kommt eigentlich auf der ganzen Welt vor.

Wer es genauer wissen möchte, befragt Wikipedia und erfährt dort:
„Die Klee-Seide kommt in Mitteleuropa in Gesellschaften des Verbands Violion caninae, Genistion pilosae, auch des Unterverbands Sarothamnenion, seltener im Mesobromion vor“.
Alles klar? Wikipedia ist echt immer weniger zu gebrauchen 🤦‍♀️.

Wer wirklich mehr über das spannende Leben der Thymianseide erfahren möchte, dem empfehle ich den klasse und verständlich geschriebenen Beitrag der Uni Mainz, Abteilung Botanischer Garten.

Wir fahren dann weiter nach Locronan, einem Örtchen mit weniger als 1.000 Einwohnern – aber vermutlich 10 mal so viel Touristen pro Tag. Man munkelt, dass es unter den Plus beaux villages de France sehr weit oben rangiert. Als wolle Wikipedia sich bei mir rehabilitieren, formuliert es diesmal kurz und bündig: „Tatsächlich beruhte der Wohlstand von Locronan im Mittelalter auf der Herstellung hochwertigen Segeltuches. Heute beruht er auf den in Massen durch den Ort strömenden Touristen.“

Da reihen wir uns dann morgen ein 😅.

Von Pointe du Raz (C) über Pointe du Van (D) nach Locronan (E), 47 km

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