Ton, Steine, Scherben: Fayence in Sarreguemines

Freitag, 3. Mai 2024

Nachdem es die ganze Nacht gepladdert hat, hört der Regen am Morgen auf und wir spazieren trockenen Hauptes an der Saar entlang zu unserem Ziel, dem Musée de Faïence. Ein schöner Weg, der aber beidseits gesäumt wird von Industrieruinen. Vor allem am gegenüberliegenden Ufer. Hier wird gerade eine der ehemaligen Fayence-Fabriken abgerissen, die Sarreguemines über 200 Jahre lang geprägt haben.

Höhe Innenstadt angekommen, ist es aber sehr hübsch am Ufer, ein blauer Kahn mit der spiegelverkehrten Aufschrift „Bisch du platt?“ erinnert an das Mundart-Festival von 2023.

Ein weiterer Hingucker ist das „Casino“, eine Art Vereinsheim für die Fabrikarbeiter für Veranstaltungen, Weihnachtsfeiern und Musik. Die Fassade ist teilweise stilvoll mit Fliesen aus der Fabrik dekoriert. Heute beherbergt das Casino ein Restaurant.

Am Museum angekommen, schauen wir uns zu erst den riesigen Brennofen an, der einzig übrige von den 30, die es früher gab. Jeder wurde mit Steinkohle auf 800 bis 1200 Grad geheizt und blies durch den hohen Schornstein (nicht mehr vorhanden) unfassbar viel Dreck in die Luft: 9 Tonnen Steinkohle in 70 Stunden brauchte es für einen Brand! Das war sicherlich alles andere als ein Luftkurort hier!

Das Museum befindet sich im Wohnhaus von Paul de Geiger, Fabrikdirektor von 1871 bis 1913. Hier erfahren wir alles über die Geschichte der Keramikproduktion und können uns die Produktpalette anschauen. Gegründet wurde die Manufaktur während der französischen Revolution von zwei Tabakhändlern, die wohl ein neues Betätigungsfeld suchten. Sie kauften dafür eine Ölmühle an der Blies – da kommen wir später noch hin. Aber es lief nicht so recht und so verkauften sie nach 10 Jahren alles an einen Herrn Utzschneider, der den Laden so richtig zum Laufen brachte. In der Zeit der industriellen Revolution wuchs das Werk erst unter seinem Schwiegersohn, dann unter dessen Sohn und wurde von der Manufaktur zur Fabrik. Man konnte sich die Produkte in Katalogen aussuchen.

Auch für die Arbeiter – in der Blütezeit über 3.000 Menschen – wurde gesorgt: zwei komplette Arbeitersiedlungen entstanden, eine als Gartenstadt angelegt, Schulen, Gesundheitsversorgung und das schon erwähnte Casino als Kulturzentrum und Versammlungsort.

Produziert wurden Tischservices, die manchmal aus mehr als 100 Teilen bestanden. Aber auch viele Dekoartikel, Souvenirteller, Sanitärkeramik, Fliesen und Öfen. Hier eine Auswahl:

Kurios: Tasse für Schnurrbartträger: Der Einsatz schützt den Schnorres
Prunkstück des Museums: Der Wintergarten von Paul de Geiger


Die unruhigen politischen Verhältnisse – Zugehörigkeit des Elsass zum deutschen Kaiserreich ab 1871, zu Frankreich ab 1918, dann Besetzung durch die Nazis ab 1940 – konnten den Erfolg des Keramikwerks nicht aufhalten. Erst der Verkauf an einen Konkurrenten 1978 brachte den Wendepunkt: Die Produktion von Tafelgeschirr wurde aufgegeben, nur noch Fliesen für Wände und Boden produziert. Das rechnete sich nicht. 2007 wurde die Firma liquidiert und alle Anlagen endgültig stillgelegt.

Wäre man bei hochwertigen Produkten oder gar Luxusgütern geblieben, klein und fein, wer weiß? Saint Louis verkauft sein höllenteures Kristallglas jedenfalls gut.

Zum Schluss kommen wir noch in einen Raum mit diesem runden Tisch, um den 8 Stühle für die Besucher stehen. Faszinierende Projektionen wandern über den Tisch, man kann sich kaum satt sehen.

Wir fahren danach mit dem HoGo zur Moulin de la Blies, dem ehemaligen Stammwerk der Fayencefabrik. Hier erklärt die Ausstellung die technischen Aspekte der Keramikherstellung.

Der moderne Eingangsbereich

Heute sind viele Gebäude des Werksgeländes verfallen und man hat einen wunderschönen Garten zwischen und um die Ruinen angelegt. Ganz wundervoll! Durch den laufen wir als erstes und sind ganz entzückt vom Zusammenspiel von Architektur und Natur, dem Verfall der Ruinen und dem üppigen Wachsen der Pflanzen.

Dann geht es in die Ausstellungsräume in der alten Mühle.

Keramik ist ein Überbegriff für alle geformten und gebrannten Produkte aus mineralischen Rohstoffen. Auch Glas fällt darunter, so unterscheidet man die 2 Hauptbereiche Glaskeramik und Tonkeramik.
Tonkeramik hat immer Ton als Hauptbestandteil, beim Porzellan ist es hingegen das wesentlich seltenere, feine, weiße Kaolin. Dazu kommen Zusatzstoffe wie Quarz, Kalk oder Feldspat. Vor allem aber die Brenntemperatur bestimmt die Eigenschaften. Je heißer gebrannt wird, desto dichter und härter ist das Endprodukt. In dieser Skala unterscheidet man Irdengut, Steingut, Steinzeug und Porzellan. Die Begriffe Fayence oder auch Majolika beziehen sich auf Herstellungsorte (Faenza in Italien) und damit verbundene Techniken. Aber eigentlich sind es nur wohlklingende Bezeichnungen. Eine wirklich systematische Abgrenzung gibt es nicht. Hier nennt man das Produkt nun mal Faïence 🤷‍♀️.

Weil die Ausgangsmaterialien in dicken Brocken angeliefert wurden (auch das trockene Tonmineral) , mussten sie vor Ort erst mal zerkleinert werden.

Die Maschinen der Mühle, Kollergänge, Walzen, Pressen usw. wurden über Zahnräder, Wellen und Transmissionsriemen mit Wasserkraft angetrieben (Mühlräder, später Turbinen in der Blies). Noch später lieferten neuere Turbinen Strom.

War alles fein gemahlen, wurden die Zutaten gemischt, mit Wasser aufgeschlämmt, filtriert und zu Tonwürsten gepresst, die das Ausgangsmaterial für die Werkstücke waren.

Die fertig gemischte Tonmasse konnte man in Formen pressen, auf der Drehscheibe bearbeiten oder auch wieder aufschlämmen und in Gipsformen gießen. Man ließ es eine Weile in den Formen stehen, wobei der Gips an der Außenwand der Masse das Wasser entzog. War eine Schicht so fest geworden, kippte man den flüssigen Rest wieder raus und nach etwas nachtrocknen konnte man die Form öffnen und hatte einen Abdruck.

Gußform mit Tongefäß

Wie auch immer sie hergestellt wurden – Pressen, Drehen oder Gießen – die Rohlinge wurden dann bei 800 bis 1.200 Grad (je nach Produkt) in einem Tunnelofen gebrannt.

Das Produkt – der Scherben – ist porös, hart, hell und rau.

Damit es was hermacht, wurde das fertige Geschirr (oder was auch immer) anschließend bemalt, die Metalloxidfarben wurden im Labor des Werks hergestellt. Beliebt wurde später der Siebdruck, da hat man quasi gefärbte Abziehbildchen auf den Scherben gelegt und eingebrannt. Auf jeden Fall muss der poröse Scherben noch glasiert werden, damit er schmutzabweisend und wasserdicht ist.

Mehrere Farben werden mittels Schablonen nacheinander aufgetragen.

Eigentlich ist das genau so, wie wir es in Meißen beim Porzellan gezeigt bekommen haben. Unterschied: Porzellan schrumpft beim 1. Brand um 1/3 seines Volumens, das muss man bedenken! Auch hat Porzellan einen besonders feinen, harten und opaken Scherben (so nennt man die gebrannte Keramik, das hat nix mit kaputt zu tun).

Fertig!

Wir trinken zum Abschied im Eingangsgebäude noch einen Kaffee – aus wunderbaren Art deco Tassen der Faïencerie (Design von 1921). Sehr stilvoll! Und der Schokomuffin ist auch der Hammer.

Weiter geht es dann ca. 80 km nach Metz, wo wir uns diesmal kostenpflichtig auf dem wunderschönen Camping municipal am Ufer eines Seitenarms der Moselle einrichten.

Auf weiteres sightseeing haben wir aber keine Lust, wir gammeln lieber ein bissel rum und genießen die wieder hervorgekommene Nachmittagssonne.

Von Saargemünd (C) nach Metz (D), 83 km immer schön über die Route Nationale von Kreisel zu Kreisel.
Im Kreisel hat man übrigens grundsätzlich keine Vorfahrt, es gilt rechts vor links. Weil das ja aber völliger Unfug ist und den Kreisverkehr verstopfen würde, stellen die Franzosen ‚Vorfahrt achten‘-Schilder für die einfahrenden Fahrzeuge auf. Kann man so machen 🤷‍♂️🤷‍♀️.
Im Kreisel zieht man konsequent nach innen und blinkt links, bis man wieder raus will. Dann wird rechts geblinkt. Das funktioniert besser, als es klingt – weil sich alle dran halten.

Die Französischkenntnisse unserer Navigations-Susi sind übrigens ausbaufähig. What you see is what you talk: Buchstabengetreu liest sie alles vor, als sei es deutsch. Nur bei „S-traasbuhr“ überrascht sie uns mit lupenreinem Französisch, um uns kurz drauf nach„Näncy“ in den englischen Sprachraum zu schicken. Sehr witzig!

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