(Un)tote Kaiser, eine Höhle und ein Monument

Im kleinsten Mittelgebirge Deutschlands, dem Kyffhäuser. 6.-8. Juli 2021

By the way: der 6.7. ist der Tag des Kusses 💋

Von Eisenach aus fahren wir ca. 80 km nach NNO an den Kelbra-Stausee. Hier treffen sich im August nicht gerade zur allgemeinen Freude Zehntausende Kraniche und sammeln sich für den Flug gen Süden. Dabei fressen sie den See leer und sch…en ihn voll. Die Kelbraer (oder wie man die nennt) sind not amused, Ornithologen schon.

Aber jetzt sind eh noch keine da, unbehelligt beziehen wir Quartier im Seecamping, wo man uns ganz am Ende auf der grünen Wiese einquartiert. Stromsäulen gibt es und ein nagelneues Sanitärgebäude auch. Ganz schick also.

Als wir gegen Mittag ankommen geht erst mal ein opulenter Regenschauer über uns nieder ☔. Gegen halb drei lässt es nach, wir machen die Räder klar und fahren zur Barbarossahöhle. Die liegt am Südwestrand des Kyffhäuser“gebirges“, nicht weit weg (8km), allerdings liegt ein Bergsattel dazwischen, so dass wir ganz schön strampeln müssen. Wir kommen grade rechtzeitig 10 Minuten vor Beginn der Führung an.

Die Barbarossahöhle ist eine geologische Seltenheit: eine von weltweit nur 2 Anhydrithöhlen (die 2. liegt jenseits des Urals). Anhydrit ist Gips (CaSO4), dem unter Druck und Wärme das Kristallwasser abhanden gekommen ist. Im „normalen“ Gips sind mengenmäßig auf ein Teil Kalziumsulfat zwei Moleküle Wasser enthalten, das lagert sich in die Kristallstruktur ein. Anhydrit ist wesentlich härter, kompakter und dichter als Gips.

Fragt sich nun, woher das CaSO4 überhaupt kommt und warum eine Höhle entstanden ist!?

Das Kyffhäusergebirge war einst Teil des variszischen Gebirges, das ganz Mitteleuropa prägte, ein 4000 m hohes, langgestrecktes Gebirge aus Urgestein (Granit und so'n Zeuch). So ein Gebirge nutzt sich aber im Laufe der Zeit ab und ebnet sich ein, und so kam es, dass vor ca. 250 Mio. Jahren das heutige Mitteleuropa vom flachen Zechsteinmeer überflutet wurde. Eine untermeerische Schwelle ("Barre") begrenzte es gegen das offene Urmeer. Diese Barre hob und senkte sich mehrfach, so dass der Zufluss von Meereswasser zeitweise möglich oder auch über längere Zeiten völlig oder teilweise unterbunden war. Das Wasser der abgeriegelten Meeresteile verdunstete bei dem trocken-heißem Klima, denn der damalige Urkontinent lag in Äquatornähe. Die im Meer gelösten Sedimente und Salze begannen sich entsprechend ihrer Löslichkeit auszuscheiden. Zuerst lagerten sich Ton, Sand und Kies ab und verfestigten sich zu "Zechsteinkonglomerat". In der nächsten Phase bildete sich  Kupferschiefer, danach setzte sich das schwerlösliche Kalziumkarbonat (CaCO3) als "Zechsteinkalk" ab. Es folgte das Kalziumsulfat in Form von Gips (CaSO4 x 2 H2O), ls letztes Kali- und Steinsalz. Mit der Zeit lagerte sich eine Sedimentschicht über der anderen ab. Die unteren Schichten wurden zusammengedrückt, die Kristalle veränderten sich, sie verloren Wasser; aus Gips entstand mit der Zeit Anhydrit.
Dann drang Wasser in das ganze Konstrukt ein, aus Anhydrit entstand wieder Gips, der löste sich im Wasser und wurde ausgeschwemmt. So entstanden die langgestreckte Kavernen. Sie waren teils noch viel größer, vieles ist eingestürzt. Der originäre Höhlenboden reichte früher  bis zum schwerlöslichen Zechsteinkalk. 

An der Oberfläche nimmt Anhydrit Wasser auf, quillt auf zu Gips, der sich dann als Gipslappen ablöst.

Entdeckt wurde die Höhle Mitte des 19. Jahrhunderts: Bergleute suchten nach Kupferschiefer. Der Erzgehalt war aber so gering, dass man hier nicht abbaute – zum Glück. Dafür wurde die Höhle schon bald danach als Schauhöhle für Besucher freigegeben.

Durch die Höhle zieht sich eine Kette von Seen mit klarem, 8,5 °C kaltem Wasser

Und eigentlich war klar, was geschehen würde: Die uralte Sage vom schlafenden Kaiser Barbarossa wurde aus der Schublade geholt, gab der Höhle ihren Namen und diente als Marketing-Instrument:

Nach der Regierungszeit Friedrichs I. (er ertrank 1190 im Fluss Saleb während eines Kreuzzugs) brach in seinem Reich ziemliches Chaos aus. Der Wunsch ist der Vater des Gedankens, es entstand die Sage – heute würde man sagen: Verschwörungstheorie – der Kaiser sei gar nicht tot, sondern würde sich an einem geheimen Ort versteckt halten. Im 19. Jahrhundert wurde die alte Mär aufgegriffen und ausgeschmückt:

Der alte Kaiser Friedrich I. Barbarossa ist durch einen geheimnisvollen Zauber in ein unterirdisches Schloss im Kyffhäuser versetzt worden. Dort sitzt er schlafend auf einem Stuhl von Elfenbein an einem großen, runden Tisch aus Marmorstein, den Kopf in die Hände gestützt. Sein roter Bart leuchtet wie Feuersglut und ist durch den Tisch hindurch bis auf die Füße, ja sogar fast um den ganzen Tisch gewachsen. Alle hundert Jahre erwacht der Kaiser aus seinem tiefen Schlaf, bewegt sein Haupt und blinzelt mit den Augen. So winkt er dem treuen Zwerg Alberich zu, bittet ihn hinaufzugehen und nachzuschauen, ob die Raben noch um den Berg fliegen und krächzen. Ist dies der Fall, wird der Kaiser traurig und murmelt in seinen Bart, dass er noch hundert Jahre würde warten müssen, um zur Welt zurückzukehren, um Frieden und Einheit zu stiften. So schließt er seufzend die Augen und schläft abermals hundert Jahre. Erst wenn der Bart ganz um den runden Marmortisch gewachsen ist, wird das Warten ein Ende haben, wird sich ein stolzer Adler in die Lüfte emporschwingen und die Raben vertreiben. Dann erwacht der Kaiser mit seinen gleichfalls verzauberten Getreuen, steigt zur Welt in seine Pfalz  hinauf und wird allenthalben Ordnung schaffen.

Natürlich finden sich Stuhl und Tisch in der Höhle – allerdings erst seit Touristen sie besuchen. Und den schlafenden Kaiser kann man auch entdecken, wenn man genau hinschaut.

Das war ein wirklich tolles Erlebnis in dieser Höhle, wir radeln danach fix nach Haus, denn heute Abend ist Halbfinale.

Unser EM-Studio für das Halbfinalspiel Italien gegen Spanien ist in Null-Komma-Nix aufgebaut.

Spanien ist anfangs klar dominierend, einzig fehlt es am Tor. Italien hingegen haut dann irgendwann abgebrüht ein durchaus sehenswertes Tor rein. Gegen Ende der offiziellen Spielzeit sind wir uns einig, dass es das dann wohl sei für Spanien. Aber Spanien schießt sich doch noch überraschend in die Verlängerung, in der sich beide Mannschaft gegenseitig schlichtweg neutralisieren. Im Elfmeterschießen gewinnt Italien schließlich. Italien ist einfach die clevere Mannschaft.

Nationaldenkmal Kyffhäuser

Höhenprofil. Im „Busen“ liegt das Denkmal.

Am nächsten Morgen (Mittwoch, 7.7.) steht das berühmte Nationaldenkmal auf dem Kyffhäuser auf dem Programm. Nur, wie hinkommen? Der angepriesene Kyffhäuser-Radweg ist keiner, er führt über ganz normal befahrene Straßen. Google Maps bietet einen Weg – den Rennweg – durch den Wald an, der mir aber auch nicht ganz geheuer scheint: Ich sehe mich schon die Erika durch Matsch und Geröll steil bergan schieben 🥵. Aber no risk, no fun, wir probieren es aus und siehe da, der Schotterweg ist ganz passabel. Mal abgesehen davon, dass es 10 km fast nur bergauf geht. Für das kleinste Mittelgebirge Deutschlands ist das ganz ordentlich. Aber dafür hab ich die Erika und der Volker seine Kondition. Zur Not wächst reichlich roter Fingerhut am Wegesrand 😵.

Unterhalb des Denkmals angekommen, genehmigen wir uns erst mal zwei Radler.

Schmeckt lecker



Dann machen wir uns an den Aufstieg, nehmen aber nicht die Touristen-Rennbahn, sondern gehen außen rum zum Novalisblick. Hier gibt es nämlich nicht nur das Nationaltrumm von 1896, sondern auch eine sehr viel ältere staufische Burganlage, deren malerische Ruinen so manchen Romantiker angezogen haben, eben auch Herrn Novalis.

Am Novalisblick

Auch die Unterburg weiß zu gefallen, sie würde eine prachtvolle location für ein schönes Musikkonzert abgeben.

Volker gibt den Novalis

Schließlich erreichen wir das Nationaldenkmal. Was ein Monstrum! Hoch und düster ragt es über einem auf und schon die Fundamente wirken riesig und bedrohlich, wie eine Festung.

Dann heißt es erst mal Eintritt berappen, 17 Euro knöpft man uns ab, und wir werden eingelassen.

Oben begrüßt uns dann Kaiser Friedrich Barbarossa, der quasi im Keller des Nationaldenkmals wohnt. Er legte in der Vorstellungswelt seiner Gestalter den Grundstein für das Deutsche Kaiserreich. Und weil er natürlich über die oben schon erwähnt Sage eng mit der Region verknüpft ist, darf er hier nicht fehlen. Er sitzt über einer Grube aus Felsen und Geröll, aus der dann die Ordnung des streng geometrischen Monuments emporstrebt (das muss man so pathetisch ausdrücken – es ist so!).

Oben erwartet uns dann über einem Sockel aus Schlangen und Gewürm der Protagonist des Ganzen: Seine Hoheit, der Deutsche Kaiser Wilhelm I. hoch zu Roß.

Wilhelm I. flankiert von der Geschichte und der Wehrhaftigkeit

Ich glaube nicht, dass ihm das gefallen hätte, aber er konnte sich 1896 ja nicht mehr wehren. Deutscher Kaiser wider Willen und unter Bismarck – er wäre viel lieber preußischer König geblieben und gut wär’s gewesen. Aber Bismarck blieb hart (es gab ja auch keine anderen Kandidaten für die Vakanz). Dann wenigstens Kaiser der Deutschen (nein) oder Kaiser von Deutschland (NEIN). Und dann noch die Proklamation des Deutschen Reichs im Spiegelsaal zu Versailles – kein Wunder, dass die Franzosen not amused waren. Aber lassen wir das ….

Jedenfalls sieht man diesem Denkmal an, wer es in Auftrag gegeben hat: Der deutsche Krieger- und Soldatenverein. Wie anders doch unsere friedfertige Germania mit ihrer Inschrift Dem Deutschen Volke. Hier heißt es über dem Reiterstandbild: Für Kaiser und Reich.

Wir steigen natürlich die 247 Stufen hoch bis zum Aussichtsbalkon unterhalb der Krone. Das Panorama ist wirklich wunderschön: Die Goldene Aue, so heißt das fruchtbare Tal am Ostrand des Kyffhäuser, liegt uns zu Füßen:

Blick Richtung Oberburg

Und auch die gesamte Burganlage kann man von hier oben bestens überblicken. Allerdings ist alles ziemlich klein aus stolzen 81 Metern Höhe (die Germania bringt es inklusive Sockel „nur“ auf gut 38 Meter).
Ganz unten rechts kann man das Dach einer weiteren Attraktion erkennen: Der Kyffhäuserbrunnen ist mit 176 Metern der tiefste Burgbrunnen EVER! Man schätzt, dass zu Zeiten von Barbarossa von 1140 bis 1180 hier gebuddelt wurde und zwar vor allem durch Gefangene. Das konnten Forscher feststellen, indem sie die inneren Baugerüste anhand der Balkenlöcher in der Außenwand rekonstruierten: In der Mitte hätte ein durchgehender Freiraum sein müssen, durch den man Lastkörbe oder Eimer hätte hochziehen können. War es aber nicht! Der ganze Abraum wurde also über Leitern hochgetragen. Und ohne Not lässt man eine solche Plackerei nur von Menschen machen, die einem eh nichts wert sind – Gefangene eben.

Blick in die Tiefe

Der Brunnen war jahrhundertelang verschüttet und wurde erst beim Bau des Denkmals wieder entdeckt. Aber erst 1934 begann man damit, den Schacht freizuräumen. Die Nazis fanden großen Gefallen an dem Denkmal – irgendwie finde ich, seine Architektur mutet irgendwie nationalsozialistisch an. Leider hat sich das bis heute nicht geändert und die Höckes dieser Welt „pilgern“ gern hierher. Da freut es, dass sie wenigstens Eintritt bezahlen müssen!

Wir sind dann ziemlich erschlagen von all den Eindrücken und fahren gegen vier auf dem gleichen Weg zurück, den wir gekommen sind. Diesmal geht es fast nur bergab 🚴‍♀️🚴‍♂️💨.

Am Abend ist wieder Fussball angesagt – Dänemark gegen England. Die Dänen haben letztlich keine Chance, zwingen aber immerhin die Engländer noch in die Verlängerung, ehe sie mit 2:1 verlieren.

Stellenweise ist aber der Flugverkehr um uns herum jedoch interessanter als das Spiel: Erst kommen dutzende Maikäfer (ja, es ist Juli und es sind MAIkäfer!) und machen Poledance um unsere Markisenstange. Kaum sind die schlafen gegangen, fallen Myriaden kleiner Fliegen über den Bildschirm und den HoGo her, landen und sterben. Keine Ahnung, was das für Fliegen sind, so groß wie Zuckmücken, aber mit 3 „Schwänzen“ wie Eintagsfliegen.

Da insbesondere ich ein gespaltenes Verhältnis zu Fluginsekten habe, finde ich das Verhalten dieser Geschöpfe inakzeptabel. Kaum vorzustellen, wenn ein Maikäfer mit mir kollidiert 😱.

Nichtsdestotrotz kommen die Fleucher in die beliebte (und lange vernachlässigte) Kategorie animal of the day.

Wir huschen in Lichtgeschwindigkeit in den HoGo, verrammeln alles nochmal extra fest und gehen schlafen. Am nächsten Morgen haben wir ein fast schwarzes Wohnmobil 😂. Volker feudelt so gut es geht die verblichenen Fliegen vom Lack.

Etwas noch viel Schlimmeres haben wir vor vielen Jahren in Frankreich an der Loue erlebt: Billionen von Eintagsfliegen umschwärmten die Laternen und am nächsten Morgen lagen da ganze Teppiche toter Tiere … und stanken gotterbärmlich 😖. Das sei jedes Jahr so, sagten uns die Einheimischen, aber nur ein paar wenige Tage.

So, das ist kein schöner Abschluss, sagt Volker. Deshalb noch ein schönes Bild zum Ende.

Der Novalisblick in die Goldene Aue

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