Mittwoch, 21. Mai 2025: Über die Schlachtfelder von Verdun
Schluss mit lustig. Dieser Tag wird keinen Spaß machen! Aber da müssen wir durch.
Verdun. Da denkt wohl fast jede/r an den 1. Weltkrieg, an Schützengräben, an Kriegsgräberfelder, aber es bleiben Worte. Vielleicht hat jemand Großeltern gehabt, die davon erzählt haben. Wir nicht. Volker hat vor Jahren Im Westen nichts Neues* gelesen, den Roman von E.M. Remarque, ich habe vor 2, 3 Jahren die Neuverflimung geschaut. Da werden aus den Worten schon Bilder. Aber wir wissen nicht viel Faktisches über die Schlacht um Verdun. Das wird sich heute ändern. *Schauplatz ist Ypern, nicht in Verdun, aber das ist egal.

Wir satteln die e-Brüder und machen uns auf eine Runde, die Volker in Komoot zusammengestellt hat: Erst zum Ossuaire de Douaumont, dann zum Memorial/Museum und am End zu den Forts Vaux und Douaumont. Dass das Ganze dann am End sehr unrund wird, liegt an den vorgeschlagenen Waldwegen: Zweimal geraten wir auf üble Pisten, ich muss zum Teil schieben, (und höllisch auf meinen Knöchel aufpassen!). Da nehmen wir doch lieber die Straßen und fahren ein paar Umwege.


Das Erlebte und Gesehene versuche ich mal mit unseren Bildern in einen historischen Kontext zu packen:
Knochenmühle, Fleischwolf, Blutpumpe, das sind die Attribute dieser längsten Schlacht des 1. Weltkriegs (und der Weltgeschichte) zwischen Deutschland und Frankreich. Sie dauerte fast ein ganzes Jahr, von Februar bis Dezember 1916 und gewonnen hat … eigentlich niemand. Am End verlief die Front nicht viel anders als zu Beginn. Frankreich verbucht den Sieg (zu Recht) für sich, da die deutschen Kriegspläne vereitelt wurden.
Im Fort Vaux veranschaulicht ein Zeitungsartikel auf fast makabre Weise, wieviele Männer bei Verdun den Tod gefunden haben: Die Körper reichen um den Erdball, stapeln sich höher als der Mont Blanc oder defilieren 81 Tage und Nächte.
Den 1. Weltkrieg angezettelt haben eigentlich die Österreicher. Oder die Serben. Oder ein junger serbischer Attentäter. Wie man’s nimmt. Jedenfalls wurde der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand nebst Gattin am am 28.6. 1918 in Sarajewo von einem Separatisten ermordet. Österreich stellte politische Forderungen, die Serbien nicht erfüllen konnte, die Situation eskalierte, und Österreich erklärte im Juli Serbien den Krieg – nicht ohne sich vorher der vorbehaltlosen deutschen Unterstützung versichert zu haben. Russland als Schutzmacht Serbiens konterte mit einer Kriegserklärung an Österreich, Deutschland dito an Russland. Und weil man schon mal dabei war, gleich noch an den Erzfeind Frankreich. Der Einmarsch nach Frankreich durch Belgien rief dessen Schutzmacht Großbritannien auf den Plan – zack, stand Europa in Flammen. Das Ganze eskalierte und funktionierte aber überhaupt nur, weil Europa schon vorher in zwei Lager gespalten war, die Mittelmächte um Deutschland und Österreich und die Entente, mit Frankreich, Russland und Großbritannien. Drumherum koalierten die anderen europäischen Staaten mal mit der einen, mal der anderen Seite. Ein Grund war durchaus die Befürchtung, Deutschland könnte nach der Reichsgründung 1871 zu mächtig werden. Weniger aus Angst, als aus Neid und Konkurrenzgehabe, im Zeitalter von Kolonialismus und Imperialismus wollte man den Kuchen selbst essen. Bismarck hatte durch seine Bündnispolitik noch den Deckel auf dem Kochtopf halten können, aber der neue Kaiser Wilhelm II. machte ab 1888 alle Diplomatie zunichte und träumte laut von Deutschland als Großmacht. Wenn ich so drüber nachdenke: der hatte was von Trump! Dumm und größenwahnsinnig zugleich. Eine gefährliche Kombination. Und feige dazu: Als am 11.11.1918 um 11 Uhr (unter Abwesenheit irgendwelcher Meenzer Fassenachter) im Wald von Compiègne Marechal Foch und Matthias Erzberger den Waffenstillstand unterschrieben (der einer bedingungslosen Kapitulation Deutschland gleichkam) hatte sich Wilhelm längst nach Belgien abgesetzt und war tags zuvor ins niederländische Exil geflohen.

Im Jahr 1916 – während an der Ostfront eigentlich alles soweit „normal“ läuft – beißen sich im Westen die Deutschen an den Franzosen die Zähne aus. Der geplante rasche Vorstoß wird gestoppt, es kommt zu einem Stellungskrieg. An der gesamten Front bis hoch an die Nordsee keine Bewegung, man gräbt sich in die Schützengräben ein.
Um Dynamik in die festgefahrene Situation zu bringen, ruft der deutsche Generalstabschef Erich von Falknhayn die Operation Gericht aus: Ein massiver Durchbruch an einem ruhigen Frontabschnitt – Verdun – wird vorbereitet, Stellungen heimlich errichtet, unterirdische Stollen angelegt, Trassen und Straßen gebaut, Truppen abbeordert.

Von Centenier – Eigenes Werk, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=86730340
Am 21. Februar 1916 schlagen die Deutschen los und treffen Frankreich fast unvorbereitet. Mehr noch: Auf Befehl des Oberkommandierenden Generals Joffre waren zuvor aus den Forts des Verteidigungsgürtels um Verdun massiv Truppen abgezogen worden. So haben die Deutschen zunächst leichtes Spiel und können zum Beispiel das als uneinnehmbar geltende Fort Douaumont schon am 25. Februar fast ohne Gegenwehr erobern. Die 66 Mann Besatzung (statt ca. 500) haben den Angreifern wenig entgegenzusetzen.

Die Forts stammen aus dem 19. Jahrhundert und sind nach Schema F gebaut: Loch buddeln, fünfeckiges Fort reinbauen, teilweise wieder zubuddeln und Gras drüber wachsen lassen.





Sie verwandelten die Gänge, Tunnels und Kasematten in Todesfallen.
Den Franzosen gelingt es in einer heroischen Anstrengung über die Voie sacrée, die Heilige Straße – eigentlich eine Nebenstraße von Bar-le Duc im Süden nach Verdun – binnen kurzer Zeit enorme Ressourcen an die Front zu schaffen, die Deutschen am endgültigen Durchbruch zu hindern und Forts zurückzuerobern. Das gelingt und Frankreich proklamiert im Dezember 1916 den Sieg in der Schlacht für sich. Beide Seiten ziehen sich zurück, schicken die verbliebenen Truppen an andere Brennpunkte.
Bis dahin stehen sich 300 Tage lang täglich etwa eine Million Soldaten in der „Hölle von Verdun“ gegenüber. Insgesamt – mit Austausch und Rotation – kämpfen über 2 Millionen Männer.


Der Krieg ist eine gigantische Materialschlacht: Die Artillerie verschießt 50 Millionen Granaten und Bomben jeden Kalibers, das sind etwa 2 je Quadratmeter. Die Erschütterungen der größten Bombeneinschläge sind noch in 150 Kilometern Entfernung spürbar. Dazu kommen Flammenwerfer und Giftgas.

Die Waffen verwandeln das Gelände binnen kürzester Zeit in eine kraterübersäte Mondlandschaft. 9 Dörfer werden für immer von der Landkarte getilgt. Über allem wabert ein unerträglicher Gestank von Tod und Verwesung.

Auch wenn nach über 100 Jahren der Wald das Gelände zurückerobert hat, so findet man doch überall die Reste von Tunnels, Stellungen, Gräben … und Bombentrichtern.

Die Lebenserwartung eines Soldaten liegt bei 14 Tagen. 300.000 Männer sterben, 700.000 werden verwundet. 69 Soldatenfriedhöfe, für die Überreste all derer, die man nicht identifizieren konnte, wird das Ossuaire errichtet und 1932 eingeweiht. Ein Monument von großer Aussagekraft, das wirklich beeindruckt.

Hier bei den Fundamenten und doppelten Wänden liegen die Gebeine von mehr als 80.000 namenlosen Soldaten. Und es kommen immer noch neue hinzu.




Wir kommen am Ossuaire zeitgleich mit einer deutschen Jugendgruppe an – Klassenfahrt Oberstufe vermute ich –, die lachend, scherzend und fröhlich hineingehen … und alsbald verstummen und sehr nachdenklich und bedrückt werden.
Sag mir, wo die Blumen sind …

Zum Schluss noch ein paar Schnipsel und Kuriositäten, zuvörderst die sehr fragwürdigen Memorablilien, die in den Souvenirshops verkauft werden 🤦♀️.

Dann die Preisfrage: Welches Sturmgepäck gehört dem deutschen, welches dem französischen Soldaten?

Und die Auszeichnung „Animal of the day“ ist gleich doppelt vergeben: Einmal für die Rauchschwälbchen, die im Fort Douaumont mit perfekter Orientierung pfeilschnell durch die Tunnel und Gänge zu einem Durchlass nach draußen und zurück fliegen.

Und noch besser kann das dieser Geselle (wenn er denn mal aufwacht), der im Fort Vaux abhängt (nicht an der Ecke sondern 50 cm über dem Boden an der Wand) und sich gar nicht kamerascheu ablichten lässt.

Das war ein Tag voller Eindrücke, den wir mit einer flotten Schussfahrt (kein Wortspiel!) vom hochgelegenen Fort Douaumont zurück zu unserem Stellplatz an der Maas abschließen.
Donnerstag, 22. Mai: Die Zitadelle von Verdun
Verdun ist seit jeher Garnisonsstadt gewesen. Zuerst waren es römische Soldaten, dann beschützten die französischen Könige oder lothringischen Herzöge die verkehrsgünstig gelegene reiche Handelsstadt. Ab 1552 wurde Verdun zur Festung ausgebaut, nach und nach entstanden Bollwerke und Bastionen, den letzten Schliff verpasste der Zitadelle der uns wohlbekannte Vauban um 1690. Die politischen Spannungen um die Jahrhundertwende führten um 1900 zu einem weiteren Ausbau: Es entstand ein Verteidigungsring von 39 größeren und kleineren Forts und die Vauban’sche Zitadelle wurde untertunnelt und mit zahlreichen Galerien und Räumen als eine Art unterirdische Kaserne und Bunker ausgebaut.


Eben diese unterirdische Zitadelle haben wir heute zum Abschluss unserer „Weltkriegstour“ besichtigt. Und das ist keine „normale“ Besichtigung, denn da haben sich die Franzosen etwas ganz besonderes ausgedacht:
Man begleitet als Soldat Jean drei Kameraden, die in der Zitadelle „einchecken“ und lernt so alles kennen. Dazu steigt man in eine Art „Geisterbahnwagen“, kriegt eine Augmented Reality Brille mit Kopfhörern aufgesetzt und ab geht die Luzi. Das Gefährt gleitet lautlos und gemächlich in die Finsternis der unterirdischen Galerien. An deren Wände und auf den VR-Bildschirm der Brille werden dann Szenen projiziert. Fotografieren kann man letztere natürlich nicht, nur das was real projiziert wird.






Das war eine sehr gut gemachte „Führung“ – eine andere Art, die Dinge zu erklären. Hat uns gut gefallen! Aber arsch kalt war’s, da wärmen wir uns erst mal mit einem Kaffee auf und machen dann einen kleinen Umweg-Spaziergang zurück zum Hogo.
Sehr malerisch ist es hier an der Meuse (Maas) bzw. einem ihrer Nebenarme.

Und auch hier hat sich Vauban zu schaffen gemacht, er hat insgesamt 3 „Ponts-écluses“, Brückenschleusen, errichtet. Eigentlich keine Schleusen, sondern Sperrwerke: In den Brückenbögen konnten Schotts heruntergelassen werden und so hat man Teile der Stadt überschwemmen können, um einem Angreifer den Zugang zu verwehren. Solche Inondationsschleusen gab es auch in Mainz!


Wir schlendern dann noch ein Stück durch den Festungsgraben und „entdecken“ ein in die Festungsmauer eingelassenes Gebäude mit zugemauerten Fenstern, ein Lost place, der keiner ist, weil hier Hinz und Pinz spazieren gehen. Aber es wirkt zu mindest so.


Oben begegnen wir noch dem heutigen AoD, ein prächtiger roter Kater, der sich ein paar Kraulheiten abholt, bevor er sich seinem Tagesgeschäft widmet.

Das tun wir auch: Wir entern den E.Leclerc und ich schwebe mal wieder im französischen Supermarkthimmel. La vie en rose – oder besser: rosé 😂.

Wir fahren dann auf der A4 etwa 100 Kilometer weiter in die Champagne und übernachten – standesgemäß – bei einem Champagnerwinzer, der passenderweise auf den Namen Bonnevie (gutes Leben) hört. Oder vielleicht ist das auch nur ein Künstlername und er/sie hört nicht drauf, wir haben es nicht ausprobiert, denn die Boutique zur Champagnerprobe war leider schon geschlossen. Wir parken neben ein paar Weinstöcken auf der Wiese. France Passion 😍.



Am Abend gehe ich (Volker) noch ein paar Schritte, um unsere Cache of the Day zu erledigen.

