Donnerstag/Freitag, 16. und 17. Mai 2024
2 x Wasserfall, eine Abtei, ein schönes Dorf und die spektakuläre Reculée
In den zwei bzw. anderthalb Stehtagen beim Camping de l’Abbaye feilt Volker weiter an der Reiseplanung für die nächsten Tage und erzählt mir begeistert davon, wie spektakulär unsere letzte Etappe im Franche Comté sein wird, bevor wird dann in die Bourgogne kommen. Ich bin natürlich neugierig wie was, verkneife mir aber, irgendwelche Spoiler-Fotos anzusehen. Es ist schon super, wenn man einen Reiseleiter hat, der das alles plant und man sich überraschen lassen kann. Danke mein Schatz ❤️💋.
Heute Vormittag stehen die Cascades du Hérisson auf dem Programm. Sie bestehen aus 7 Wasserfällen unterschiedlicher Höhe (3 nennenswerte, 4 kleine), die über eine Strecke von knapp 3 Kilometern einen Höhenunterschied von etwa 240 Metern überwinden. Luftlinie nur wenige Kilometer, zum Fahren ein ganzes Stück: Man muss halt in das enge Tal von unten reinkommen und dafür weit ausholen.
Dort treffen wir erst mal auf den – ich glaube – ersten kostenpflichtigen Parkplatz dieses Wechs und man will bzw. wird uns satte 10 Euronen abziehen, wenn wir mit dem WoMo länger als eine Stunde hier stehen! Nun denn, was will man machen 🤷♀️😖. Wir wollen uns schon mehr anschauen, als nur den Souvenirshop. Das Regenradar ist optimistisch, also los!
Auch wenn das Regenradar optimistisch ist, rüsten wir uns eingedenk zahlreicher Warnungen im Sinne von „slippery when wet“ mit den Wanderschuhen und -stöcken aus und marschieren los (wobei meine abgelatschten Wanderschuhe rutschiger sind als die neuen Sketchers 🙄).
Entlang dem freundlich gurgelnden Bergbach, dem Hérisson, geht es erst sanft bergauf und nach einem knappen Kilometer hören wir es schon rauschen!
Volker liegt auf der Lauer und macht wie fast immer viel schönere Bilder als ich mit meiner Handyknipse (obwohl er auch meistens das Handy benutzt, die können schon echt viel heute, vor allem wenn man nicht so ein Hausfrauengerät hat wie ich). Und die letzte Gefällstufe, l’Eventail – der Fächer – ist echt fotogen! Er ist die Hauptattraktion, die schönste der Kaskaden.
Ein Gutes hat das sch… Wetter der letzten Tage (Wochen): Der Fächerfall hat gut Wumms. Er ist wirklich sehr schön, auch wenn er mit seinen „nur“ 65 Metern in keinem Ranking einen der oberen Plätze belegt. Aber was bedeuten schon Platzierungen 🥱.
Ab hier wird der Weg nun beschwerlicher: Über Stock und Stein und einige Treppen errechen wir die Aussichtsplattform an der Abbruchkante. Holla, da geht’s runter 😱.
Wir klettern noch weiter nach oben bis zum Grand Saut, dem großen Sprung, der zwar insgesamt 5 Meter niedriger ist aber die größte freie Fallhöhe hat.
Auf dem Rückweg schauen wir uns noch eine „Tuffière“ genauer an: Langsam fließendes Wasser scheidet Kalziumkarbonat ab, also Kalk, darauf wachsen Moose, auf denen sich wiederum noch mehr Kalk abscheidet. Unter der Kalkschicht sterben die Moose … und so weiter. So wächst ein poröser Kalkstein, den man hier oft Tuff oder Tuffière nennt. Die korrekte Bezeichnung ist Travertin: Ein poröser Kalksinter, der aus kaltem Wasser abgeschieden wird.
Wir verlassen da Tal des Hérisson auf dem Weg, den wir gekommen sind. Er wird sehr lazy nach seiner downhill-Nummer und versumpft dann einen weiten Talkessel (inklusive 2 Seen).
Die Reiseleitung hat gleich die nächste Attraktion auf dem Navi: Baume-les-Messieurs. Das Dorf gehört wie Lods zu den Plus beaux Villages von Frankreich und das ist sicherlich auch seiner exorbitanten Lage geschuldet. Das muss man einfach gesehen haben – Fotos können den Eindruck kaum einfangen. Unserer Reiseroute entsprechend, gehen wir es von oben an:
Das ursprüngliche Foto im Trisswetter haben wir durch eines vom nächsten Tag ersetzt! Volker ist von ganz unten hochmarschiert, hat fotografiert und war nach gut 20 Minuten wieder unten 🤦♀️.
Ganz hinten, am des Tals, liegt Baume-les-Messieurs mit seiner Benediktinerabtei aus dem 9. Jahrhundert.
Diese beeindruckenden Täler gibt es am westlichen Rand des Jura häufiger und wir wollen natürlich wissen, wie so etwas entsteht!!!
Ich versuch’s mal kurz: Zur Zeit des Jura vor 150-200 Millionen Jahren waren weite Teile Mitteleuropas von einem tropischen Meer bedeckt. Zuerst war es sehr tief und lagerte große Mengen an Sand und Ton ab. Je flacher das Meer wurde, desto mehr Kalk enthalten die Sedimente. Am End war es sehr flach und lichtdurchflutet, produzierte Unmengen an Schalentieren und die sedimentierten zu Kalkstein.
Vor ca. 50 Millionen Jahren dockte Italien an Europa an, das war ein gewaltiger Rumms, der die Alpen auffaltete, bis in den Schweizer Jura, der deshalb auch Faltenjura heißt. Zwischen Alpen und Jura brach der Rheingraben ein. Weiter westlich reichte der Druck für Falten nicht mehr aus, aber das Gelände wurde zu Plateaus angehoben. Dabei brach die Platte durch und es entstanden mehrere Plateaus.
Auch an deren Oberfläche gab es Risse und Spalten, in die Wasser eindrang und die Unterwelt des Karst bildete. Flüsse traten aus dem Karst zu Tage gruben sich tief ein und schufen beeindruckende Schluchten und Täler.
Die Eiszeit hobelte vor 10.000 – 15.000 Jahren die oberen Sedimentschichten teilweise ab und füllte die Täler wieder auf. Doch das währte nicht lange: Das Wasser räumte die Täler wieder aus. Diese Reculées zwischen den Plateaus enden in einem Kar (der Franzose nennt es „Cirque“) und an dessen Ende ist fast immer eine Karstquelle.
Hier ist es das Flüsschen Dard, das sich aus der Steilwand ergießt (kriegen wir morgen) und auf seinem weiteren Weg nach unten erst Sinterterassen aus Travertin und dann einen wachsenden Wasserfall bildet. Von oben zoomt Volker das heran, von unten kriegen wir es morgen.
Die unteren Hänge der Reculée waren früher bewirtschaftet, aber die landwirtschaftliche Produktion war doch überwiegend oben auf den Plateaus. Die Korn- und Ölmühlen waren allerdings im Tal. In Baume les Messieurs lösten die Äbte der Bedediktinerabtei das sich daraus ergebende Transportproblem suf kürzestem Weg mit Leitern hoch zum Plateau, den „Echelles de Crançot“. Im 16. oder 17. Jahrhundert ließen die Äbte Treppen in den Fels schlagen, die bis heute den Namen Echelles = Leitern tragen.
Wir nehmen mit dem HoGo nicht den direkten Weg über die „Leitern“, sondern die gewundene Straße hinunter nach Baume-les-Messieurs. Morgen wird Volker diese „Leitern“ von unten erklimmen, um das Reculée in der Sonne abzulichten.
Wir haben ja Bedenken, dass der Campingplatz in einem touristisch so prominenten Ort a) sauteuer und b) überfüllt sein wird, erst recht am Pfingstwochenende. Aber dem ist nicht so: Passable 20 Euro inkl. Strom und den Stellplatz dürfen wir uns aussuchen.
Man stand schon schlechter, würd‘ ich mal sagen: Hier stellt sich jeder auf seiner Parzelle so hin, wie es ihm grad passt (und am wenigsten schief ist). Hinten Mitte haben wir uns ein halbwegs ebenes Plätzchen unter einem Nussbaum ausgesucht. Nummer 26. „Unsere“ Nr. 42 belegt der schwarze Kastenwagen, hinter dem füllt ein zum Front- und Hecklader aufgemotzter Trecker die Schlaglöcher des Wegs auf.
Sensationelles Hafenkino: Die Ente mit Anhänger! Auch der „Entenmann“ ist ein Hingucker: Grauer Pferdeschwanz, Rauschebart, Holzfällerhemd. Eine Entenfrau gibt es auch! Wie das Gespann mit 23-29 PS die Berge hier hochkommt, will ich nicht wissen 😱🤣. Geschlafen haben die beiden übrigens in der Ente, nicht im Zelt!
Hier nun unsere heutige Strecke am Donnerstag …
Das Solei brillt! Am Freitag Morgen scheint endlich wie angekündigt die Sonne! Wir machen die Fahrräder startklar und radeln zum „Cirque“ am Ende der Reculée.
Was wir gestern von oben gesehen haben, möchten wir uns heute von unten anschauen. Und von innen. Auf der Höhe des „Pferdeschwanz-Falls“, der Karstquelle des Dard, ist der Eingang in die Grottes de Baume, eines der größten Höhlensysteme des Jura.
Auf den ersten Metern macht das Flüsschen noch einen Höllenlärm, aber bald wird es ruhig und wir betreten eine Welt aus engen Durchgängen und großen Kavernen, die nach oben in riesige Spalten/Schlote übergehen: So hat sich das Wasser seinen Weg nach unten gebahnt und dabei immer größere Hohlräumen ausgewaschen. 71 Meter misst die höchste Spalte – so weit kann man gar nicht gucken.
Die Höhlen wurden 1610 entdeckt, doch erst Ende des 19. Jahrhunderts konnte man weiter in sie vordringen und machte sie 1893 öffentlich zugänglich. Der Besuch war aber deutlich beschwerlicher als heute. Im Winter sind die Höhlen geschlossen, da gehören sie den chauves-souris, den Fledermäusen. Die ein oder andere kriegen wir auch zu Gesicht, sie huschen lautlos durch die unterirdischen Hallen.
Nach gut einer Stunde erreichen wir wieder das Tageslicht und folgen nun dem Wasser auf seinem Weg aus der Höhle ins Tal.
Schnell gewinnt der Bach an Breite und in dem kalkhaltigen Wasser bilden sich Sinterterassen. Das kalte Wasser aus dem Berg erwärmt sich nämlich an der Luft, CO2 entweicht und Kalk fällt aus:
Ca2+ CO32- + H2O + CO2 ⇌ Ca2+ + 2(HCO3)–2. Das ist wie zu Hause beim Wasserkessel: Der verkalkt auch, weil heißes Wasser weniger Kalk löst als kaltes.
Das geschieht vor allem da, wo das Wasser langsam fließt, also an den kleinen „Staumauern“, die die Strömung bremsen. So wachsen die Terrassen immer weiter.
Schließlich fällt das Wasser über die letzte „Klippe und ergießt sich wunderschön über einen bemoosten Kalkfelsen. Auch der wächst ständig weiter, weil sich an der großen Oberfläche des Mooses ebenfalls Kalk abscheidet (das Moos bremst den Fluss, das Wasser wird wärmer und es entzieht auch durch Fotosynthese CO2). Vergleichbar mit dem Dreimühlenwasserfall in der Eifel. Nur noch schöner!
Danach geht es zurück ins Dorf und da die Abbaye gerade wieder öffnet, schnappen wir uns zwei Audioguides und besuchen die „Mutter von Cluny“.
Auf der Luftaufnahme sieht man die drei Innenhöfe, um die sich die Abtei gruppiert. Die Ursprünge liegen im 9. Jahrhundert, die damalige Holzkirche wurde 200 Jahr später durch eine romanische Kirche ersetzt.
Das Kloster wuchs und gewann an Einfluss, das umliegende Land gehörte der Kirche und auch die Gerichtsbarkeit lag beim Abt.
Im 17. Jahrhundert wurde das Kloster noch weltlicher: Es wurden nur noch Adelige in den Orden aufgenommen, die sich „einkaufen“ mussten. Sie wurden mit „Monsieur“ angeredet und aus Baumes-les-Moines wurde Baume-les-Messieurs. 1759 wurde das Kloster säkularisiert, die Mönche durch Kanoniker oder Stiftsherren ersetzt. Die lebten zwar auch in Gemeinschaft, waren aber anders als die Mönche recht weltlich orientiert und auch durchaus nicht besitzlos. Für sie wurden Häuser um einen 3. Innenhof errichtet.
Die französische Revolution machte Schluss mit dem Kirchenbesitz, die Abtei wurde verkauft, die Klosterkirche zur Pfarrkirche.
Die Kirche nehmen wir uns zum Abschluss vor, eine mächtige 3-schiffige Basilika, die im 13. Jahrhundert vergrößert und modernisiert wurde: Ein weiteres Geschoss mit Spitzbogenfenstern, ein Kreuzrippengewölbe und ein gotischer Chor brachten Licht und Höhe in den Raum.
Größter Schatz ist der 500 Jahre alte flämische Altaraufsatz, ein Geschenk Kaiser Karls V. an das Kloster. Eine Fülle von Holzreliefs, jedes Bild aus einem Stück geschnitzt und vergoldet. Wirklich prachtvoll. Es kommt extra eine Frau, die uns das Gitter vor dem Altarraum aufschließt, damit wir es aus der Nähe betrachten können.
Dann widmen wir uns weltlichen Dingen, reservieren im Grand Jardin einen Tisch für’s Abendessen und fahren ein wenig im Dorf herum. Das hat den Rang eines Plus beau village de France wirklich verdient!
Wir ziehen uns noch für ein Weilchen ins WoMo zurück und ich kredenze Leckereien auf meinem frisch erstandenen Keramiktellerchen aus einem der Ateliers im 1. Klosterhof.
Das Abendessen im Grand Jardin ist einfach umwerfend! Die französische Küche gilt wahrlich nicht umsonst als die Königin der Kochkünste.
Leider versauen wir uns den Rest des Abends mit einem echt grottenschlechten Tatort! Naja, Schwamm drüber.