Welterbe, Wiedervereingung, Endmoräne

Mittwoch, 16. August 2023: Christiansfeld und Skamlingsbanken

Am Mittwoch scheint wie versprochen die Sonne und wir machen uns auf zu einem etwas ausgedehnteren Fahrradründchen von 50 Kilometern.

Teilweise folgen wir dabei der letztjährigen 3. Etappe der Tour de France, die 2022 in Kopenhagen begann und mit Jonas Vingegaard sogar einen dänischen Sieger hatte. Vingegaard gewann die Tour auch 2023 und die ohnehin fahrradbegeisterten Dänen sind es nun umso mehr!

Unser 1. Ziel ist Christiansfeld (wir kommen ganz durcheinander mit diesen ganzen Christians oder Kristians), schon wieder eine UNESCO-Welterbestätte. Der Ort entstand 1773 auf dem Reißbrett und da denkt man an Militär oder auch an eine Barockresidenz – doch weit gefehlt! Es ist die Herrnhuter Brüdergemeine, die Christiansfeld gegründet hat. Christian VII.* erlaubte die Ansiedlung, um nicht in Konflikt mit der lutherischen Staatskirche zu kommen, nicht auf dänischem Territorium, sondern im benachbarten Herzogtum Schleswig, das unter dänischer Verwaltung stand.

Er erhoffte sich von den geschickten und fleißigen Herrnhuter Handwerkern wirtschaftliche Vorteile. Arbeitsmigration oder Fachkräfterekrutierung würde man heute sagen!
Oder Industriespionage?

*C7, wie ich ihn kurz nenne, hat vermutlich von alle dem nichts mitbekommen, er war nämlich – despektierlich ausgedrückt – plemplem (Schizophrenie oder Asperger oder beides gepaart mit Alkoholismus). Es war vielmehr sein fortschrittlicher und liberaler Leibarzt Johann Friedrich Struensee, der de facto die Arbeit des Königs machte – so gründlich, dass er auch eine Liaison mit der Königin einging. Das konnte nicht lange gut gehen. Struensee wurde aufgrund eines Komplotts angeklagt, verurteilt und grausam hingerichtet.

Aber was sind das eigentlich für Leute, diese Brüdergemeine? 
(Ja, ohne „d“)

Heute kennt fast jeder die Herrnhuter Sterne, aber kaum jemand ihre Hersteller. Auch wir wussten nicht, dass es sich um eine evangelische Freikirche handelt, ich hielt die Herrnhuter für einen Orden oder sowas in der Art. Ihre Geschichte ist sogar älter als die des lutherischen Protestantismus: sie gründeten sich nach der Hinrichtung von Johannes Hus 1415 als Böhmische Brüder und entwickelten in der Folgezeit eine pietistische Glaubenslehre. Im Zuge der Gegenreformation mussten viele Böhmen und Mähren verlassen und fanden bei einem Grafen namens Zinzendorf in der Oberlausitz Unterschlupf. Er stellte ihnen Ländereien zur Verfügung, auf denen 1727 Herrnhut gegründet wurde. Ein Neuanfang für die Böhmischen Brüder als Herrnhuter Brüdergemeine. Zinzendorf machte sich auch gleich zu ihrem Oberhaupt und lenkte 40 Jahre lang recht autokratisch die Glaubensgemeinschaft. Zu dieser Zeit wurde die Missionsarbeit in Europa und Übersee forciert. Heute leben über die Hälfte der über 1 Million Herrnhuter Christen in Tansania. 

Was man nun heute von dieser Freikirche halten soll, das weiß ich nicht so recht. Sie haben sich wohl 2019 – aus freien Stücken – vom Rechtspopulismus ausdrücklich abgegrenzt, ihr Selbstverständnis als Glaubensgemeinschaft von und für Flüchtlinge bekräftigt und Toleranz betont. Dafür spricht auch, dass z.B. gleichgeschlechtliche Ehen nicht grundsätzlich abgelehnt werden und Frauen auch hohe Kirchenämter innehaben können. Aber ich bin ja immer ein wenig skeptisch, wenn es um Religionsgemeinschaften geht und ganz besonders allergisch reagiere ich auf Missionare 🙄.

Immerhin hat Christiansfeld nicht nur wegen der Architektur, sondern auch wegen der Herrnhuter Ideologie den Status als Welterbe erhalten, da kann es so schlimm nicht um sie bestellt sein. Die UNESCO hebt hervor:
„The democratic organization of the Moravian Church*, with its pioneering egalitarian philosophy, is expressed in its humanistic town planning“.
* englische Bezeichnung der Herrnhuter Freikirche

Egalität und Kommunität prägte also die vielen Dependancen der Gemeine, so auch hier im 1773 gegründeten Christiansfeld: Alle sind gleich und verstehen sich als Teil einer Gemeinschaft. Das spiegelt – wie gesagt – auch die Stadtarchitektur wider: Zwei parallel verlaufende Straßen mit baugleichen Häusern für die Familien, ein Schwestern- und ein Brüderhaus für unverheiratete Gemeinemitglieder, ein Witwenhaus für Hinterbliebene. Das Zentrum ist ein großer Platz mit der Kirche, die eher einem Versammlungssaal für Gottesdienste gleicht. Auch wichtig der außerhalb gelegene Friedhof, der Gottesacker, ebenfalls mit standardisierten Gräbern. Alles ist schlicht und zweckmäßig.

Die Inschrift beim Hineingehen lautet: „Was gesät wird, ist verweslich“. Beim Hinausgehen liest man: „Was auferweckt wird, ist unverweslich“ (2. Korintherbrief)
Was aussieht wie ein Soldatenfriedhof, ist Herrnhuter Bestattungstradition:
Jeder Mensch bekommt sein eigenes Grab. Die Frauen liegen im Osten, die Männer im Westen des Gottesackers.
Die „Kirche“, Salshuset, ist das Zentrum der Ansiedlung
Bis heute ist die Kirche nicht elektrifiziert und wird nur mit Kerzen erleuchtet
Der Kirchenraum wirkt auf uns ungewöhnlich: die Bänke stehen in Längsrichtung, es gibt ein Rednerpult, aber keinen Altar. Frauen sitzen von Männern getrennt.
Ganz viel Grün stellte die Selbstversorgung sicher

Wir cachen das Ort leer, futtern die örtliche Spezialität, Honningkage, Honigkuchen, eine Art Lebkuchen.Dazu gibt es einen sehr guten Kaffee – scheinbar kein Filterkaffee, der seit mehreren Stunden in einer 5 Liter-Drückkanne abgestanden hat (schönen Gruß an Schweden und Norwegen).

Dann machen wir einen Abstecher nach Christinero (Christine Ro = Christines Ruh). Das ist der Park einer hiesigen Freifrau, Christina Friederica von Holstein – was Vornamen angeht, war man in der Gegend wirklich fantasielos. Sie ließ den Park mit Wasserspielen, Teichen und einem griechischen Tempelchen anlegen und exotische Bäume pflanzen, deren Setzlinge die Herrnhuter von ihren Missionsreisen mitbrachten. Sie ist auch hier bestattet, was dem Park posthum den Namen einbrachte.

Leider hat ein Sturm 1999 viele alte Bäume das Leben gekostet
Das Tempelchen heißt Minne tankenMeine Gedanken
Kapelle mit Christines Grabmal
Baumriesen in Christinero

Wir radeln dann gut 10 Kilometer weiter und auf 113 Meter Höhe nach Skamlingsbanken. Es ist einer der höchsten Punkt im dänischen Schleswig, bis hierher haben die Gletscher der letzten Eiszeit Geröll, Kies und Sand vor sich hergeschoben. Dann war Schluss und alles blieb als Endmoräne hier liegen.

Unterwegs: Eigenwerbung eines metallverarbeitenden Betriebs

Die Skamlingsbanke war vermutlich immer schon ein magischer oder mystischer Ort, auf jeden Fall hat die dänische Nationalbewegung sie als Versammlungsort auserkoren und hier ab 1843 Volksfeste abgehalten. Insbesondere die Zugehörigkeit Nordschleswigs zu Dänemark war Thema, dänische Identität und Sprache in der Region. Die heutige dänische Nationalhymne ist hier erstmals gesungen worden. 1863 errichteten die Nationalisten einen 15 Meter hohen Obelisk aus Granitquadern, der 18 Persönlichkeiten der Dänischen Bewegung ehrte. Doch schon im nächsten Jahr wurde er im Deutsch-Dänischen Krieg von den Preußen gesprengt. Strohmänner kauften die Steine und stellten die Säule mit den angeschlagenen Quadern nach Kriegsende wieder auf.

Hat was!

Für die 18 „Säulenheiligen“, die sich um die dänische Sache verdient gemacht haben, stehen Denkmäler auf der Skamlingsbanken. Leider haben wir kein eines fotografiert 🙈.

Sehr wohl fotografiert haben wir den herrlichen Rundumblick, den man von hier hat!

Und das Belohnungs-Bierchen

Danach geht es nochmal gut 10 Kilometeer zurück zum Campingplatz, wo wir den schönen Aufenthalt hier ausklingen lassen.

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