Zeitsprung nach Locronan (und weiter nach Crozon)

Samstag/Sonntag 22./23. Juni 2024: Ein anachronistisches beau village, fast eine Insel und ein spanischer Zipfel

Der Name Locronan leitet sich vom heiligen Ronan ab – einem aus Irland stammenden Mönch, der in Locronan begraben liegt. Irgend etwas hat ihn in das bretonische Dorf verschlagen, wo er angeblich die Einwohner das Weben gelehrt hat – woher er selbst diese Skills hatte, weiß wohl niemand. Die Leineweber von Locronan haben angeblich die Segel für die spanische Armada und für Kolumbus‘ Schiffe gefertigt. Man sieht mal wieder, dass globaler – oder hier innereuropäischer Handel – keine neumodische Erfindung ist. Schönen Gruß an alle Isolationisten!

Der Heilige Ronan hatte die Angewohnheit, jeden Morgen nüchtern und barfuß 12 Kilometer weiträumig um das Ort zu gehen – vielleicht hatte er einen Fitnesstracker, oder eine göttliche Eingebung hat ihm Bewegung empfohlen 😜. Demzufolge tun das heute noch die Pilger zum Heiligen Ronan (folgt der Sandale!), allerdings findet die in der „Großen Troménie“ nur alle 6 Jahre statt – dazwischen tun es 6 Kilometer. Alternativ oder zusätzlich kann man auch zur Kapelle der heiligen Anna pilgern.

Vor allem aber pilgern jährlich etwa 800.000 Touristen nach Locronan, nicht wegen ihres Seelenheils, sondern um sich das einzigartig gut erhaltene Ortsbild (vorwiegend) aus dem 16. und 17. Jahrhundert anzuschauen. Damit nichts den Eindruck stört, haben Autos in Locronan nichts verloren, sie müssen außerhalb abgestellt werden. Es gibt keine Leuchtreklame, (fast) keine Verkehrsschilder, noch nicht mal einen Kreisel. Der Ort wirkt wie eine Filmkulisse aus alten Zeiten – und wird auch als solche genutzt.

Um etwaigen Menschenmassen an diesem Sonntag zuvorzukommen, stehen wir um halb 8 auf, trinken eine Tasse Kaffee, essen einen Keks und machen uns auf den kurzen – und nebligen – Weg. Die meisten Fotos in diesem Beitrag sind am Ende des Besuchs entstanden, als der Dunst sich ein wenig verzogen hat.

Man sieht, dass morgens um 8 Uhr doch der ein oder andere Lieferant oder Einwohner mit dem Auto unterwegs ist – später werden die Autos dann versteckt.

Am Ende der Hauptstraße steht die Kirche, eine der Hauptattraktionen.

Erkennt man auf dem Bild nicht gut: Die Kirche ist ziemlich abschüssig

Hier findet man das Grab des Heiligen Ronan und einen furchtbar kitschigen Marienaltar. Ich stelle ja ganz gern mal ein Kerzlein auf, aber das ist mir doch zu scheußlich und auch zu kommerziell: 3 Euronen für ein kleines Kerzlein und ein EC-Bezahlterminal – nein danke!

Der Gottesacker hinter der Kirche – fast gruselig im Nebel 👻
Herzstück des Ortes: der Marktplatz vor der Kirche

Wir machen einen kleinen Abstecher zur St. Anna-Kapelle und verstehen nun, was der Reiseführer meint, wenn er sagt Locronan läge „auf einem kleinen Hügel“.

Schwarzweiß kommt bei dem Wetter fast am Besten 😜

Nachdem wir den Hügel wieder hochgelatscht sind, erklären wir den Besuch in Locronan für beendet. Ganz allmählich trudeln gegen 10 Uhr hier die ersten Touristen ein – denen sind wir richtig gut aus dem Weg gegangen – der frühe Vogel fängt doch den Wurm!

Weiter geht es nun auf die Halbinsel von Crozon. „Presq’île“ sagen die Franzosen: „Fast-Insel“ – und das trifft es ja weitaus besser als „Halbinsel“. Sie ragt mit ihren 3 Fingern hervor als habe man eine Blume gepflanzt, oder eine Palme (muss man halt um 90° drehen) und teilt die große Bucht zwischen Plogoff und Plougonvelin in die Bucht von Douarnenez im Süden und die Rade de Brest im Norden.

Wir haben in der Nähe von Crozon auf einem Campingplatz reserviert (wäre nicht nötig gewesen, der ist komplett leer – noch!). Von da aus werden wir 2 Fahrradtouren machen – das Wetter soll ab morgen endlich besser werden ✊✊✊. Die komplette Fastinsel ist aber dann doch ein wenig viel, also steuern wir den nördlichsten Punkt mit dem HoGo an: Die Pointe des Espagnols. Das ist sie:

Von hier aus ist Brest nur 1.8 km entfernt und man ahnt es schon: Dieser Punkt hat(te) eine enorme strategische Bedeutung. Wer diese Landspitze kontrolliert, kontrollierte die Meerenge, kontrolliert Brest. Vauban formuliert es so: „Der Engpass ist in Brest, was die Meerenge der Dardannellen in Konstantinopel ist. Es ist das Tor, an dem alle Schiffe, die mit Brest zu tun haben, gezwungen sind zu passieren.“

Brest – zum Greifen nah

Ein gefundenes Fressen für den Verteidigungskünstler Ludwigs XIV.! Und auch nach Vauban, wird die Landspitze immer weiter ausgebaut und immer schwerer bewaffnet (1749, 1812, 1878-83, 1888). Im 2. WK nutzten die Deutschen das Gelände als Flak-Stellung (Flugabwehr).

Die U-Boot-Werft in Brest mit den Bunkern aus dem 2. Weltkrieg ist so massiv gebaut, dass man sie nicht mit vertretbarem Aufwand abreißen kann. Es sind die größten und massivsten Bunker, die je gebaut wurden.

Auch heute sind viele Teile der Halbinsel von Crozon militärische Sperrzone, vor allem nach dem 11. September 2001 wurde hier einiges remilitarisiert.

Den Namen Pointe des Espagnols hat die Spitze aber schon früher bekommen, nämlich 1594: In Frankreich war seit 1562 Bürgerkrieg – die Religionskriege zwischen Katholiken und Hugenotten, wie die französischen Protestanten – Calvinisten – heißen.

Natürlich ging es im Kern nicht um Glaubensfragen, die hätten die Kleriker untereinander klären können. Doch die Spaltung der Kirche hatte gewaltige Auswirkungen auf das Machtgefüge in Europa. Im HRR mit seinen vielen kleinen Territorien bestimmte seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 der Landesherr die Konfession seiner Untertanen. Ein solches Konstrukt war im zentralistischen Frankreich nicht möglich und auch nicht gewollt: Heinrich II. wollte keine religiöse Zersplitterung, sondern eine Staatskonfession. Er und seine Nachfolger entschieden sich für den Katholizismus und ließen die Hugenotten verfolgen. Höhepunkt: Die berüchtigte  Bartholomäusnacht 1572. Doch von da an drehte sich der Wind: Die Hugenotten unter ihrem Führer Heinrich von Navarra bekamen immer mehr Unterstützung und immer mehr Rechte. Als er 1589 als Heinrich IV. König von Frankreich wurde, waren die Fronten vertauscht. Obwohl Heinrich IV. aus machtpolitischen Gründen und Kalkül 1590 zum Katholizismus konvertierte, gab die Liga der katholischen Verbündeten – vor allem Adelige aus Ostfrankreich – nicht kĺein bei.

Die katholische Liga verbündete sich mit Spanien, das eigentlich auch eher territoriale denn religiöse Interessen dabei hatte. So kam es, dass 400 spanische Soldaten 1594 im Einvernehmen mit dem katholischen Herzog der Bretagne die Landspitze vor Brest besetzten, de facto eine Seeblockade des königstreuen Brest. Einem über 5.000 Mann starken Heer Heinrichs IV. und der verbündeten Engländer gelang es, die Spanier zu besiegen.

Auf dem Rückweg von der Pointe des Espagnols kommen wir an den Resten weiterer historischer Befestigungsanlagen vorbei: Das Fort de la Fraternité aus der Zeit der französischen Revolution.

Viel schöner als Ruinen ist aber mal wieder Mutter Natur:

Mit ein paar ungewollten Umwegen erreichen wir schließlich den Camping les Bruyère – den Heidekraut-Campingplatz. Hier haben die Stellplätze keine Nummern, sondern Pflanzennamen. Nur unserer nicht, der sei ganz neu. Ich nenne ihn Tausendgüldenkraut!

Von Locronan (E) auf die „Fastinsel“ Crozon zum Pointe des Espagnols (G) und weiter zu unserem Campingplatz Les Bruyères nahe Morgat, 73 km

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