👑Corona … und tschüss

Montag, 8. Juli 2024

Am Morgen wacht Volker auf, hustet und räuspert sich und meint, er habe mies geschlafen und habe Kopfweh. Bei mir läuten die Alarmglocken Sturm 🔔🔔🔔. Das hat er sonst nie!

Also krame ich einen unserer ollen Coronatests aus dem Badezimmerschrank und selbst der inzwischen längst abgelaufene Test zeigt schwach aber eindeutig 2 Linien. Ein neuer aus der Apotheke bringt dann die Gewissheit: Volker hat sich mit einem Coronavirus angelegt … und verloren.

Wir machen das einzig Vernünftige: Ab nach Hause 🚐💨.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich nicht bei Volker angesteckt habe, ist gering und wenn wir erst mal beide krank sind, ist an Autofahren nicht zu denken, dann hocken wir von den restlichen 17 Urlaubstagen 8 bis 10 krank zusammen im WoMo: Nein danke!

Also klemm ich mich hinter’s Steuer und auf geht es Richtung Heimat.

Die Strecke führt über Beauvais, wo wir einen kurzen Zwischenstopp bei der weltberühmten Kathedrale einlegen. Corona hin, Corona her, die Gelegenheit ist einfach zu günstig. Ich ziseliere den Hogo auf einen Parkplatz sehr nah bei der Kathedrale. Zum Glück liegt sie nicht mitten in der Altstadt.

Leider wird sie gerade mal wieder saniert, ist komplett eingerüstet und eine riesen Baustelle drumherum, daher ein Bild aus Wikipedia:

Von Diliff – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=40041978
Kathedrale von Beauvais
Bas Oeuvre = Rest des karolinigischen Vorgängerbaus

Was wie eine komplette Kathedrale aussieht, ist nur der Chor und ein Querschiff – der „Rest“, das Langschiff, fehlt. Es hat nie eines gegeben. Und das kam so:

In Frankreich entstand im 12./13. Jahrhundert eine Art inoffizieller Wettbewerb à la „Wer hat den Größten“ – Kirchenbau natürlich! Die Hochgotik trieb die Kathedralen in schwindelnde Höhen.

Da kam es dem ehrgeizigen Fürstbischof von Beauvais, Milo de Nanteuil, gerade recht, dass ein Brand den alten karolingischen Dom verwüstete. An seiner Stelle sollte ab 1225 die höchste und größte Kirche der Christenheit entstehen, das himmlische Jerusalem auf Erden, größer als Sankt Peter in Rom, vor allem aber höher als der Kirchenbau, der 50 Kilometer nebenan in Amiens gerade im Entstehen war. Da weder die Stadt noch der König ihn bei seinen kostspieligen Plänen unterstützen wollten, griff Milo zum Familienvermögen. Doch er ging bankrott, der Bau wurde eingestellt, bevor er richtig angefangen hatte.

Doch Milos Ideen blieben in den Köpfen. Ab 1247 wurde der Bau unter seinen Nachfolgern wieder aufgenommen. 1275 stand der Chor mit sieben Kapellen und einem hoch aufragenden Gewölbe. Einzigartig war nicht nur seine Höhe, es war die fast vollkommene Auflösung der Wandflächen: Der Chor bestand quasi nur aus Fenstern. Massive tragende Wände gab es nicht, die weit auseinander stehenden Säulen, die das schwere Gewölbe nebst Dach tragen mussten, wurden von außen durch Strebepfeiler gestützt.

Leider nicht genug. Schon 1284 stürzte das Gewölbe des Chores ein. Das muss ein gigantischer Rumms gewesen sein, leider hat es keiner gesehen, es geschah nachts.

Der Wiederaufbau zog sich über Jahrzehnte hin, es wurden zusätzliche Säulen in den Chor eingesetzt, um das Gewicht zu halten. Bei der Gelegenheit erhöhte man den Chor noch um ein paar Meter, um die Rivalin Amiens zu übertrumpfen: Ihr Chor hatte eine Höhe von 42 Metern. In Beauvais baute man auf 47 Meter!

Lichte Höhe! Da kann man ein Hochhaus mit 16 Stockwerken reinstellen! Oder 6 mal unser Häuschen reinstapeln! Und das vor 700 Jahren. Unvorstellbar!

Der Weiterbau des Kirchenschiffs kam aus Geldmangel zum Erliegen: Der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich verschlang alle Geldmittel.

Querschiff mit Eingangsportal

Anfang des 16. Jahrhunderts hatte die katholische Kirche ihre Eigenständigkeit verloren, der König setzte ihm genehme Adlige als Bischöfe und Äbte ein. Diese reichen Kirchenherren wollten ihr Prestige ausdrücken und nahmen den Bau wieder auf. Das Querhaus wurde im April 1500 begonnen. Mit 48.50 m lichter Höhe ist es das höchste jemals errichtete Kirchengewölbe der Welt.

Doch anstatt nun endlich das Langhaus und eine prächtige Westfassade zu bauen, hatten die Domherren anderes im Sinn: Ein Vierungsturm sollte her. Welchen Anspruch das Domkapitel daran stellte, sieht man in den historischen Quellen. Sie sprechen gar nicht von Turm, sondern messen sich an einem ganz anderen Vorbild: Man gab den Auftrag für eine „Pyramide“.

Als man 1569 das eiserne Kreuz auf die Spitze des Turmes setzte, maß die Kathedrale 154 Meter. Sie war so hoch wie die Große Pyramide von Gizeh, ein christliches Weltwunder. Man habe vom Turm aus Notre-Dame im 60 Kilometer entfernten Paris sehen können. Nun wollte man sich dem Weiterbau des Langhauses widmen. Doch der Turm bereitete Probleme. Starke Winde, die vom Ärmelkanal in die Senke von Beauvais wehen, gefährdeten die Stabilität. Die Baumeister errichteten zusätzliche Stützen und Strebepfeiler.

1573 feierte Beauvais Christi Himmelfahrt. Die Prozession war gerade aus dem Südportal der Kirche ausgezogen, als mehrere Strebepfeiler des Turmes brachen. Das Gewölbe allein konnte das Gewicht nicht halten. Unter ohrenbetäubendem Krachen stürzte der Turm ein. Die hölzerne Spitze knickte im Fallen zur Seite weg und schlug auf das Dach des Chores. Zwei Menschen wurden unter den Trümmern dieses gotischen Turmbaus zu Babel begraben.

Die Reparaturarbeiten verschlangen das für den Bau des Langhauses gedachte Geld. Die Westwand der Kirche wurde provisorisch zugemauert. Dieses Provisorium besteht noch heute. Die Bauarbeiten wurden nie wieder aufgenommen. Seit Baubeginn waren fast 350 Jahre verstrichen. Längst hatte sich der Stil der Renaissance aus Italien durchgesetzt. Die Gotik erschien den Zeitgenossen als altmodisch. So vermittelt Beauvais heute noch, wie die Kathedralen in Chartres, Freiburg, Straßburg und Köln jahrzehntelang ausgesehen haben.

Geht man am Südportal der Kirche vorbei nach Westen, brechen die aufstrebenden Mauern und gotischen Fialen plötzlich ab und man steht vor dem Basse-Œuvre, dem Rest des frühmittelalterlichen Vorgängerbaus. Man hatte nur Teile der alten Kirche abgerissen, um vor der Weihe des gotischen Chores dort die Messe feiern zu können. Neben dem gotischen Koloss wirkt der – für seine Zeit große – Vorgängerbau zwergenhaft klein.

Bis heute hat das Gebäude statische Probleme. Deshalb wurden im Zuge der letzten größeren Sicherungsmaßnahme Anfang der 2000er gigantische Holz- und Stahlkonstruktionen im Inneren der Kathedrale eingebaut. Sie sollen verhindern, dass die Mauern einknicken.

(Text teilweise aus: Kathedrale von Beauvais: Der französische Turmbau zu Babel – katholisch.de von Cornelius Stiegemann)

So steht er also da, der Rumpf – oder besser – Kopf und Schultern – der Kathedrale von Beauvais, als Zeichen des Pioniergeists und Willens seiner Baumeister, aber auch Ausdruck menschlicher Hybris.

Ein ganz besonderes Erlebnis ist es, als ein Besucher das Ave Maria singt, eine großartige Stimme und eine ebensolche Akustik. Da läuft es nicht nur mir heiß und kalt den Rücken herunter.

Mit diesen Eindrücken verlassen wir Beauvais und fahren noch eine Stunde weiter. Ob Volker diese letzte Zwischenstation bewusst ausgesucht hat, oder nur, weil es eine ruhige Stehmöglichkeit für umme ist, weiß ich gar nicht. Jedenfalls geraten wir auf Gelände mit einer wahrlich historisch bedeutsamen Vergangenheit: Compiègne.

Von Manoir De La Foulerie (E) über Beauvais (F) nach Compiègne Memorial de l’Armistice (G), 382 km. Eine bewusste Entscheidung ob der historischen Bedeutung dieses Ortes war es nicht. Eher reiner Zufall. Wir brauchten einen strategisch günstigen Ort nahe der französischen Autobahn, um mit möglichst nur einem Zwischenstopp nach Hause zu gelangen.

Ja, in diesen Wäldern fiel 1430 Jeanne d’Arc in die Hände der Burgunder, die sie dann an die Engländer auslieferten – mit bekanntem Ausgang. Aber das ist es nicht, was uns hier begegnet. Es ist vielmehr eine weltpolitische Begebenheit, von der wir mal wieder nichts wussten: Der Waffenstillstand von Compiègne am 11.11.1918.

Im Herbst 1918 war Deutschlands Lage aussichtslos. Das sah die (neue) Reichsregierung ein und verhandelte seit Oktober mit den Amerikanern, deren Präsident Wilson im Januar in einer Kongressrede einen 14-Punkte Friedensplan vorgestellt hatte. Man erhoffte sich einen milden „Wilson-Frieden“. Doch die Alliierten an der Westfront, allen voran die Franzosen, sahen das anders.

Am 6. November erhielt eine deutsche Delegation unter dem (zivilen) Staatssekretär Matthias Erzberger die Erlaubnis, nach Frankreich zu reisen. Sie erreichte am 8. November 1918 die Lichtung von Compiègne. Dort stand ein Eisenbahn-Salonwagen, in dem man auf den französischen „Anführer“ traf, den alliierten Oberbefehlshaber Marschall Foch.

Verhandelt wurde nicht! Man legte der deutschen Delegation die Forderungen vor und setzte eine Frist von 72 Stunden. Basta. Marschall Foch glänzte durch Abwesenheit – eine Demütigung.

Solche Aktionen haben sich die Deutschen mit der Proklamation Kaiser Wilhelms I. am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles „eingehandelt“. Noch vor einem Waffenstillstand oder gar einem Friedensschluss im deutsch-französischen Krieg. Diese nationale Demütigung haben die Franzosen den Deutschen lange nicht verziehen. So wundert es nicht, dass die Verhandlungen zum Versailler Vertrag durch die Siegerstaaten des 1. WK genau am 18. Januar 1919 in eben dem Spiegelsaal begonnen haben!

In Berlin ging alles ganz schnell: Am 9. November wurde der Thronverzicht Kaiser Wilhelms II. bekanntgegeben (der wusste zwar nichts davon, setzte sich aber umgehend ins Exil nach Holland ab. Den Schreibkram erledigte man am 28.11.). Die Republik wurde ausgerufen, die Reichsregierung durch eine sozialistisch/ sozialdemokratische Interimsregierung ersetzt.

Erzberger unterzeichnete am 11. November früh morgens im Salonwagen des französischen Oberkommandierenden den Waffenstillstandsvertrag, den man gut und gerne als Kapitulation bezeichnen kann. Deutschland wurde entmilitarisierte, aus allen zuvor eroberten Gebieten vertrieben, die linksrheinischen Gebiete zwischen Mainz und Köln besetzt. Deutschland war, wie Foch es formulierte, „den Siegern auf Gnade und Ungnade ausgeliefert“.
Das kommt davon, ist man gewillt zu sagen. Doch leider war das bereits ein Mitgrund für den 2. Weltkrieg.

Wer nun meint, das sei es gewesen, der irrt. Die Deutschen Faschisten ließen es sich nicht nehmen, noch bzw. wieder einen draufzusetzen: Nach dem erfolgreichen Blitzkrieg gegen Frankreich und dem Waffenstillstandersuchen der Französischen Regierung im Juni 1940 brach man auf Befehl Hitlers die Wand des Museums in Paris heraus, in dem der Salonwagen von 1918 seit 22 Jahren stand, verbrachte ihn nach Compiègne und ließ die Franzosen dort ihre Kapitulation unterschreiben. Ein (weiterer) symbolischer Racheakt erster Güte.

Bundesarchiv_Bild_146-2004-0147,_Waffenstillstand_von_Compiègne,_Waggon.jpg

Er beendete die Existenz eines souveränen französischen Staates zu Gunsten des Vichy-Regimes, das die Fiktion einer französischen Regierung bis zur Befreiung Frankreichs im Sommer 1944 aufrechterhielt.

Gerne hätten wir das Museum besucht, leider ging das ob der Umstände nicht.

Friedensring in der Gedenkstätte – ein schönes Symbol.
Angesichts der weltpolitischen Lage leider nicht mehr als das

Am Dienstag Vormittag fahre ich dann die letzten 500 oder so Kilometer nach Hause. Gegen 17 Uhr kommen wir an. Geschafft 💪.

Der letzte Schlag, von Compiègne Memorial de l’Armistice (F) über Forbach bei Saarbrücken nach Hause, 497 km.

Mittwoch früh ist auch mein Corona-Test positiv. Wir haben beide Fieber, sind schlapp. Volker hat Gliederschmerzen, ich eine laufende Nase. Alles in allem nichts Dramatisches, aber gesund ist anders.
Auch eine Woche später, am 16. Juli, ist der Test noch positiv.

Also haben wir alles richtig gemacht, indem wir nach Hause gefahren sind!

Die Gesamtstrecke umfasst 4.654 km, davon in Frankreich 4.235 km.

Das war sie nun, unsere Reise durch weite Teile Frankreichs. Wir haben auf dieser Tour den Süden Frankreichs bewusst gemieden, um der möglichen Hitze bei zunehmend sommerlichen Verhältnissen zu entgehen. Dies behalten wir uns für kühlere Jahreszeiten vor. So haben wir diesmal super schöne Regionen Frankreichs, wie Lothringen und Elsass, Franche-Comté, Burgund, Loiretal, und Bretagne bereist. Die Normandie gilt es nun nachzuholen – vielleicht zusammen mit der Champagne.

Was Norwegen – vor allem im Norden – an fast unberührter Natur zu bieten hat, das hat Frankreich an Kultur und Geschichte. So viel Romanik (bis zurück zu den Karolingern), Abteien, Kathedralen, Burgen und Schlösser. Ein Roadtrip durch mehr als 1.000 Jahre mitteleuropäischer Historie. Wobei auch die Natur nicht zu kurz kommt, man denke an Baume les messieurs oder die rosa Granitküste.

Doch es war bei weitem nicht bloß ein „Roadtrip“. Wir haben (in) Frankreich „gelebt“. Das unvergleichliche Einkaufen in den französischen Supermärkten und vor allem auf den Wochenmärkten oder in den Markthallen. Die Mittagsruhe bei einem leckerem französischen Menu – was soll man sonst auch machen. Feinste Weinverkostungen in den unterschiedlichsten Weinregionen. Wir möchten die französische Lebenskultur nicht mehr missen.

Die Reise war ursprünglich mit etwa drei Monaten angesetzt. Wegen des coronabedingten Abbruchs kommen wir nun bei 75 Tagen vollgepackt mit tollen Erlebnissen raus. So können wir eigentlich nicht wirklich von einem Abbruch sprechen. Denn es kommt auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht an. To be continued. A bientôt!

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