Freitag, 24. Mai 2024
Der Morgen erwartet uns halbwegs freundlich und auch in der Nacht hat es nicht mehr geregnet. Trotzdem ist natürlich der Boden durchweicht und wir sind sehr gespannt und besorgt, ob wir aus unserem selbstgegrabenen „Loch“ wieder rauskommen. Rückwärts, denn links stehen wir ein paar Zentimeter auf den Unterlegkeilen, die das Desaster ja heraufbeschworen haben.
Zum Glück haben wir solche Unterlegteile aus geriffeltem Plastik dabei, eher aus der Spielzeugabteilung, aber immerhin. Wenn man sie mit einem langen Hering gegen die Rollrichtung des Rades fixiert, könnte was draus werden. Zusätzlich lehne ich mich mit meinem ganzen Gewicht gegen den HoGo – ob das bei einer Masse von 4,2 Tonnen viel ausmacht ist zwar zweifelhaft, aber es fühlt sich irgendwie gut an.
Volker gibt also ganz vorsichtig Gas, es tut sich nix. Mehr Gas – nada. Erst beim Durchtreten des Pedals bringt der Rückwärtsgang genug Traktion und tatsächlich schafft sich der Reifen auf die Unterlage und wir kommen mit dem ein oder anderen Schlappendreher frei … *** Schweißperlabwisch ***
Dem Platzwart beichten wir, wir hätten ein großes „trou“ (Loch) in seine Wiese gegraben, aber er lacht und winkt ab. Echt ein netter Mensch!
Dann geht es bei dräuendem Wetter Richtung Nordwesten, hinein in die zentrale Region des Burgund.
Gegen 13 Uhr erreichen wir die Abtei von Fontenaye. UNESCO Welterbe, was sonst!
Praktischerweise ist der Parkplatz bei France Passion gelistet, wir können also grad hier stehen bleiben 👍🏼.
Führungen gibt es mal wieder nur auf Französisch, aber ein kleines Faltblatt mit den wichtigsten Erläuterungen ist auf Deutsch erhältlich. Auch sämtliche Literatur im Laden ist ausschließlich in der Landessprache. Da kennen die Franzosen echt nix. Als überzeugte Europäer (und für 12 Euro fuffzisch Eintritt) könnte man da etwas mehr Internationalität erwarten, finde ich. Nun denn.
Auch hier zunächst etwas allgemeine Geschichte vorab:
Fontenay ist eine Abtei der Zisterzienser. Das waren mal wieder Hardliner, oder freundlicher ausgedrückt, Weltverbesserer, die das durch weltliche Versuchungen korrumpierte Klosterleben der Benediktiner UND Cluniazenser kritisierten und nun aber ernsthaft alles viel besser machen wollten. Es war ein gewisser Robert von Molesme, der 1098 in Citeaux unweit von Dijon, das erste Kloster gründete, in dem Armut, Arbeit und Gebet wieder den Tagesablauf bestimmen sollten. Aufschwung erhielt die neue Bewegung mit Abt Bernhard von Clairvaux ab 1112 und bald entstanden Tochterklöster auch über die Grenzen Frankreichs hinaus.
Um zu verhindern, dass sich bald wieder der Schlendrian in den Klöstern breit machte, wurden sie in entlegenen Gegenden, meist in abgeschiedenen Tälern, gegründet. Die boten keine Ablenkung durch irgendwelche irdischen Versuchungen. Hinzu kam neben der strengen Ordensregel ein hohes Maß an sozialer Kontrolle (gemeinsame Schlafräume, keinerlei Privatsphäre).
Einen großen Stellenwert für die Zisterzienserklöster hatte das Wasser. Als Vegetarier war ihnen Fleisch verboten, Fisch aber erlaubt. Also staute man Bäche und betrieb Fischzucht. Sehr eng nahm man es nicht mit der Biologie der Wasserlebewesen, auch Biber, Otter, Nutria und Enten fielen unter die Kategorie „Fisch“ und kamen somit auf den Tisch. Welche Tricks man sich sonst noch einfallen ließ, kann man hier nachlesen.
Die Zisterzienser waren Selbstversorger, das war Ordensregel und es blieb ihnen ja gar nix anderes übrig in ihrer Abgeschiedenheit. Es gab keine Bauern, die Pacht zahlten oder Abgaben leisteten, aber sie besaßen Land, das sie selbst bewirtschafteten. Allerdings gab es zwei Sorten Bewohner, eine Zweiklassengesellschaft aus „echten“ Mönchen, die den ganzen Tag (und nachts) nur beteten und Laienbrüdern, die die Arbeit machten. Neben der Fischzucht man Mönche Wein-, Obst- und Ackerbau und auch Bergbau.
Dem corporate identity entsprechend waren die Klöster und Abteikirchen der Zisterzienser zweckmäßig und schlicht: Die Kirche weitestgehend schmucklos, keine Malereien, keine hohen Türme, nur ein bescheidener Glockenstuhl. Was die Glocke hatte, gab es für die Mönche nicht: kein Chorgestühl, keine Sitzbänke in der Kirche.
Aber auch die Zisterzienser hielten diese strikten Regeln nicht lange durch. Es folgten im 13. Jahrhundert als Gegenreaktion die Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner, die gar keine Klöster mehr errichteten, sondern in den Städten und auf dem Land unter der Bevölkerung lebten, manchmal in Konventen. Sie finanzierten sich nur aus Almosen.
Fontenay wurde im Jahr 1118 von Bernhard von Clairvaux gegründet, als die Bewegung der Zisterzienser schon im Aufschwung war, und wurde schnell zu einem führenden geistlichen Zentrum der Region und zum königlichen Kloster ernannt, das die Lilie im Wappen führen durfte.
Im 13. Jahrhundert wohnten Hunderte Mönche in Fontenay. Die Blütezeit dauerte bis zum 16. Jahrhundert, danach ging allen Klöstern die Puste aus. Politische Umwälzungen deuteten sich an, Luther stellte Althergebrachtes in Frage, Aufklärung und Humanismus klopften an die Tür. Die Anzahl der Mönche und Laienbrüder ging zurück (in allen Klöstern). 1745 wurde das große Refektorium abgetragen und der Kapitelsaal verkleinert.
Die französische Revolution machte dem Klosterwesen den Garaus: 1791 verließen die letzten neun Mönche Fontenay, die Gebäude wurden verkauft und zu einer Papierfabrik umgewandelt.
1906 bewahrten die wohlhabenden Gebrüder Edouard und René Aynard die Abtei vor dem endgültigen Verfall: Sie kauften alles und begannen mit der aufwändigen Restaurierung! Ihnen ist es zu verdanken, dass Fontenay zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Ich glaube, die Familie wohnt auch hier – zumindest gibt es privat genutzte Gebäude.
Wir beginnen den Besuch wie im Prospekt angeraten in der Abteikirche. Schlichte Romanik, ohne Turm wirkt sie ein wenig nackt, aber durchaus wie ein Gotteshaus. Als wir uns dem Portal nähern, klingt uns leise Kirchenmusik von Bach entgegen.
Dann betreten wir einen hohen, schmucklosen Raum, der von den seitlichen Fenstern von oben mit Licht geflutet wird (es „fließt“ von den abgeschrägten Fensternischen hinunter). Kein Möbelstück, keine Orgel, der Boden ohne Fliesen oder Platten. Nur Raum und Licht.
Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber die Schönheit und Würde und der „Spirit“, den dieser Raum in seiner Nacktheit und Einfachheit ausstrahlt, ist einfach überwältigend. Ich habe einen Kloß im Hals und fast Tränen in den Augen. Volker geht es kaum anders. Es ist unbeschreiblich, man muss es gesehen haben!
Andächtig gehen wir Richtung Chor, wo der einzige figürliche Schmuck der Basilika zu bewundern ist. Da ist zunächst die Madonna von Fontenay (13. Jhdt.), die mit ihrem Sohn schäkert: Er grinst schelmisch und zupft an ihrem Schleier, als wolle er gleich Guck-Guck mit der Mama spielen. Maria ist sichtlich happy und lächelt zufrieden. Welcher Unterschied zu den vielen Madonna-mit-dem-Kind Darstellungen mit einem altklugen, ernsten Jesus.
Noch viel mehr fasziniert mich der Rest des Altars: stark zerstört und / oder verwittert, zeigt er immer noch wunderschöne Details und erzählt selbst für mich verständliche Bildergeschichten.
Hier zum Beispiel: Bethlehem, 2. Dezember 0, Stall. Maria hat sich hingelegt und erholt sich von den Strapazen der Geburt, Josef ist völlig erledigt im Sitzen eingeschlafen. Ochs und Esel „kümmern“ sich um das Jesuskind, das in der Krippe schlummert.
Ein paar Tage später, gleicher Ort: Josef hat sich irgendwo hin verdrückt, Maria bekommt Besuch: Der Stern von Bethlehem hat die Heiligen drei Könige in den Stall navigiert. Einer küsst dem Jesuskind die Füße, während es mit zwei Händen den geschenkten Kelch (Weihrauch, Gold oder Myrrhe?) festhält.
Von der Kirche vor dem Chor führt eine Treppe in den Schlafsaal der Mönche – sie mussten ja auch nachts zum Beten raus. Auch hier ein riesiger Raum, 56 Meter lang, mit einer Holzdecke, die an einen umgedrehten Schiffsrumpf erinnert. Alle schliefen in diesem Raum, ohne Betten, auf Strohmatten. Später gab es Abtrennungen aus Holz und Vorhänge für ein wenig Privatsphäre.
Auch der Kreuzgang schließt an die Abteikirche an, ebenfalls schmucklose Romanik in Perfektion.
Um den Kreuzgang gruppieren sich der gotische Kapitelsaal mit Kreuzrippengewölbe, das Skriptorium und daneben der einzig beheizbare Raum der gesamten Anlage, das Chauffoir (Calefactorium):Hier konnten sich die Mönche die klammen Finger wärmen, damit sie weiter schreiben konnten.
Zum Schluss können wir noch die Schmiede besichtigen. Die Mönche hatten ganz in der Nähe Eisenerzminen und haben das Erz wohl auch selbst verhüttet und in der Schmiede weiterverarbeitet und Gerätschaften verkauft.
Der große Fallhammer wurde mit Wasserkraft betrieben: Sein Schaft führt in den Nebenraum, wo ein Wasserrad eine Walze antreibt, die den Hammerschaft anhebt.
Zum Schluss geht es in den Garten, wobei mich weder der Barockgarten, noch der englische Garen interessieren: Den Kräutergarten will ich sehen. Er ist nach der Pflanzen(heil)kunde der Hildegard von Bingen angelegt. Sie teilte die Pflanzen nach zwei Gegensatzpaaren ein: Heiß/kalt und trocken/feucht. Im Karree sind danach die Beete bepflanzt, Ausgehend von Kalt über kalt/trocken zu warm/trocken, warm, warm/feucht usw. bis man wieder bei kalt ankommt. Heiß oder „warm“ verleiht spirituelle Kräfte, während „kalt“ materielle Kraft spendet.
Auf dem Parkplatz haben sich mittlerweile mehrere Wohnmobile häuslich eingerichtet. Volker baut auch bei uns Tisch und Stühle auf sowie den Grillo Chef.
Heute gibt es als Vorspeise in Pfannkuchenteig gebackene Salbeiblätter mit einem kleinen Salat aus Fenchel, Orange und Walnüssen und danach Pfannkuchen mit gebratenem Waldspargel.
Dazu trinken wir einen 2022er AOP Macon vom Weingut Debreuille aus Royer. Schnösel die wir sind 😜. Wir brauchen Platz im Weinregal, denn übermorgen geht es nach Chablis!
Ehe es morgen auf unsere Etappe durch die Bourgogne weitergeht, jetzt noch fix die heutige Strecke …