Sonntag, 2. Juni 2024: Auf den Spuren von Jeanne d’Arc
Für Orléans haben wir einen Tagesbesuch ohne Übernachtung eingeplant: Die Stellplatzsituation ist nicht so doll und zudem kommen alle Wiesenplätze in Flussnähe nicht in Frage – der Boden ist immer noch total aufgeweicht und wir haben Sorge, mit unserem 4-Tonner stecken zu bleiben. Also parken wir am Rand der Altstadt und laufen uns von da aus ein wenig die Schuhsohlen ab. Ein Labcache soll uns zu allen Sehenswürdigkeiten führen, die der Reiseführer empfiehlt.
Unser erstes Ziel ist demnach die prächtige gotische Kathedrale von Orléans, die wollen wir uns nach so viel Romanik so richtig auf der Zunge zergehen lassen!
Aber Pustekuchen. Vor dem Westportal steht ein riesiges Zelt Monitore sind aufgebaut und Besucher haben keinen Zutritt. So ein Mist aber auch!
Nun denn, man kann es nicht ändern, wir trösten uns damit, dass wesentliche Teile der Kirche eh keine „echte“ Gotik sind – sie wurde in den Religionskriegen durch die Hugenotten (Protestanten) 1568 fast völlig zerstört und später wieder aufgebaut.
Wir drehen nebenan eine Runde durch das Hôtel Groslot, das allerdings weder ein Hotel ist, noch war: Als Hôtel bezeichnete man im französischen 17. Jahrhundert Stadthäuser des Adels und herrschaftliche Verwaltungsgebäude für deren städtischen Besitz, später allgemein für Verwaltungsgebäude wie das Hôtel de ville – das Rathaus (in Orten ohne Stadtrecht heißt es Mairie).
Die Statue vor der Treppe zeigt – natürlich – Jeanne d’Arc! Es ist eines von unzähligen Denkmälern, das man der Retterin der Stadt und ganz Frankreichs hier errichtet hat.
Wir wenden uns dann der Prachtstraße von Orléans zu, die – wie nicht anders zu erwarten – Rue Jeanne d’Arc heißt. 6 Straßen und 3 Plätze mussten der Prachtstraße weichen, die von 1836-46 gebaut wurde.
Die Beflaggung ist noch vom jährlichen Johanna-Fest im April/Mai übrig: Es sind die Standarten mit den Adelswappen von Johannas Gefährten bei der Befreiung der Stadt.
Und die ukrainische – die darf wohl zurzeit nicht fehlen, auch wenn sie eigentlich hier fehl am Platz ist.
Johanna – wo man geht und steht und zwar wörtlich: Die Straßen sind mit ihrem Bild gepflastert und an jeder Ecke steht ein Denkmal.
Das größte und imposanteste findet sich auf der Place Martroi um die Ecke:
Aber wer ist denn eigentliche diese Johanna oder Jeanne oder Jehanne, die Nationalheilige Frankreichs. Haben wir sowas auch? Ich glaube nicht!
„Von Orléans“ ist sie jedenfalls nicht! Vielmehr stammt sie aus Domremy, einem Städtchen an der Maas im heutigen Lothringen. Dort wurde sie ca. 1412 (man weiß es nicht genau) als Tochter wohlhabender Bauern geboren. Die Familie hieß Darc, später hat man daraus d’Arc gemacht, damit es adelig wirkt.
Einiges, was von ihr überliefert ist, hat sie ihrem Schreiber diktiert, da ist aber wenig Autobiographisches dabei. Das erfährt man eher aus den Gerichtsprotokollen ihres Ketzerprozesses 1430/31. Über deren Wahrheitsgehalt kann man nur spekulieren, aber etwas anderes weiß man halt nicht. Demnach hatte Jeanne mit 13 Jahren erste Visionen: Die Stimmen der Heiligen Katharina und Margareta und der Erzengel Michael befahlen ihr, Frankreich von den Engländern zu befreien und den Dauphin Karl VII. zum Thron zu führen. Ich glaube nicht, dass das stimmt, sonst wäre sie schizophren oder schwer psychotisch gewesen und wohl kaum in der Lage, das zu tun, was sie getan hat! Sich auf himmlische Eingebungen zu berufen, war hingegen das Einzige, was einer Frau ihrer Zeit Glaubwürdigkeit verschaffte. Ich halte das daher für Kalkül! Was nun allerdings ein so junges Bauernmädchen getrieben hat, sich zur Retterin der Nation aufzuschwingen – keine Ahnung! Heute würde man vielleicht sagen, zuviel Fantasie-Rollenspiele konsumiert 😜.
Jedenfalls verlässt Johanna mit knapp 17 Jahren ihr Elternhaus und es gelingt ihr tatsächlich, bis zum Thronfolger vorzudringen und ihn von ihrer gottgewollten Mission zu überzeugen: Frankreich von den Engländern zu befreien und Karl VII. zum König zu machen.
Wenn man das Ganze verstehen will, muss man sich den geschichtlichen Kontext anschauen, sprich den Hundertjährigen Krieg und seine Ursachen. Hab ich in die Kategorie Wissenswertes gepackt.
Der Dauphin lässt sie mit einer kleinen Soldatentruppe nach Orléans ziehen. Die Stadt ist von den Engländern belagert, die Lage hoffnungslos, die Truppen demoralisiert. Johanna kämpft so mutig gegen die Engländer, dass die Franzosen neuen Mut fassden, über sich hinauswachsen und die Schlacht gewinnen. Sie erobern in den Folgemonaten immer mehr Gebiete zurück. Karl VII. – inzwischen in Reims zum König gekrönt – ist der Meinung, nun müsse das Schwert der Diplomatie geschwungen werden. Johanna will aber nicht verhandeln, sondern immer weiter kämpfen, fällt in Ungnade. 1430 wird sie in Compiegne von den Luxemburgern (Verbündete der Briten) gefangen genommen und an die Engländer ausgeliefert (eher: verkauft). Die lassen sie einsperren und anklagen, wegen so ziemlich allem, Häresie, Feenzauber, Dämonenanbetung und Tragen von Männerkleidung. Man will ein Exempel statuieren und Karl VII. als Hörigen einer Ketzerin diskreditieren.
Johanna wird verurteilt „wegen ihres Aberglaubens, ihrer Irrlehren und anderer Verbrechen gegen die göttliche Majestät“ und am Morgen des 30. Mai 1431 auf dem Marktplatz von Rouen verbrannt. Ihre Asche streut man in die Seine.
Das ist das Ende von Jeanne d’Arc. Das Ende des Hundertjährigen Krieges sieht so aus: Frankreich hat gewonnen! Burgund geht gestärkt aus den Kriegen hervor, England wird zurück auf seine Insel verdrängt.
Nun aber husch zurück in die Gegenwart nach Orléans! Hier sind wir inzwischen an der Loire angekommen, und zumindest ich erlebe ein Mississippi-Feeling:
Vom beschaulichen Loireufer gehen wir dann wieder stadteinwärts, durch schmale, bürgerliche Gassen, so ganz anders, als der pompöse Stadtkern.
Wir biegen in die längste Straße von Orléans, die Rue de Bourgogne, ein. Durch sie ritt angeblich einst Jeanne Arc in die Stadt. Heute findet man hier ein Restaurant am anderen, es ist die Fressgass, würde der Frankfurter sagen. Auch wir ergattern zum Ende der Mittagszeit noch ein Plätzchen in einem netten Restaurant.
Ein Abschnitt der Rue de Bourgogne ist quasi das Chinatown von Orléans, hier reiht sich ein asiatisches Restaurant/Geschäft ans andere.
Der Rückweg zum Parkplatz führt uns durch weitere hübsche Gassen und Sträßchen, zum Teil so schmal , dass noch nicht mal die allgegenwärtigen Autos dort geparkt werden können.
Was uns in Orléans noch auffällt: Alles ist blitzblank sauber! Kein Müll, noch nicht mal Zigarettenkippen liegen auf den Straßen. Ob das wohl an den witzigen Aschenbechern liegt? Statt einfach nur Kippen zu entsorgen, kann man mit ihnen seine Meinung kundtun. Hier zum Thema South Park versus Simpsons-
Die Gamification der Müllentsorgung 😂!
Wir beenden unsere Stippvistite in Orleáns und fahren dann weiter nach Blois – von dem wir nun wirklich noch nie zuvor etwas gehört hatten. Zu Unrecht, wie sich zeigen wird! Einen Kilometer außerhalb finden wir einen manierlichen Stellplatz für 8 Euro/24 h mit V&E und guter Anbindung an die Stadt: Neben eScootern hat Blois eine „Navette“, einen kostenlosen kleinen Elektrobus, der alle 20 Minuten vorbeikommt.
Allerdings nicht Sonntags, weshalb wir unseren abendlichen Ausflug zum Schloss auf Schusters Rappen machen.
Das Schloss ist in der Stadtsilhouette eher unauffällig, wie auch die ganze Stadt aus der ferne nicht viel hermacht. Aber Blois hat innere Werte, und das nicht zu knapp!
Wir haben Tickets für das sommerliche „son & lumière“ im Innenhof des Schlosses und sind sehr gespannt, was uns da erwartet!
Mit uns wartet nur eine Handvoll Leute, was ein Glück, ich hatte schon Bedenken! Was wir dann geboten bekommen ist fantastisch! Es sind nicht einfach irgendwelche bunten Bilder, die da auf die Wände des Schlosses projiziert werden, nein, das ganze Schloss verwandelt sich, wird zur Projektionsfläche seiner eigenen Geschichte. Es ist wirklich unglaublich, mit welcher Präzision, Schärfe und Tiefe die Bilder auf der Fassade erscheinen. Tücher, Feuer, Regen, ein Urwald, die Ahnengalerie und noch viel mehr. Da ist hier gar kein Platz für!
Viel Storytelling ist dabei – es wird ja die Geschichte des Schlosses und seiner wichtigsten Bewohner erzählt. Da sind einige Könige dabei, denn Schloss Blois war von 1498 bis 1589 sogar offiziell Residenz der französischen Könige. Von hier aus wurde Frankreich regiert! Auch danach nutzten gekrönte Häupter es zeitweise sozusagen als Ferienhaus.
Die Szenen erscheinen rund um den Innenhof. Besonders schön sind die Effekt am Renaissance-Flügel mit dem Treppenturm, der sich ständig verwandelt: Mal ist er Bildergalerie, Schlachtfeld, Rosenhecke, er brennt und ist blutüberströmt.
Das war ein unvergessliches Erlebnis!
Unsere heutige Tour schaut wie folgt aus …