18, 20, passe: Kultur satt in Altenburg

Altenburg, Samstag, 28. August 2021

Als 2. Zwischenstopp auf dem Weg nach DD haben wir uns für Altenburg entschieden. So oft schon, sind wir an den braunen Schildern der Residenz- und Skatstadt auf der A4 vorbeigerauscht, jetzt fahren wir hin! Das Wetter ist mehr als bescheiden, teilweise schüttet es derart, dass ich grade mal mit knapp 70 km/h und heftig flappenden Scheibenwischern über die BAB schleiche.

Über Schmölln an der Sprotte reichen wir gegen 13 Uhr den schön gelegenen Stellplatz am Großen Teich, gegenüber einem Inselchen mit einem kleinen Zoo. Der Teich ist bereits Zeuge der hochherrschaftlichen Vergangenheit der Stadt, die Altenburger Herzöge ließen beides Mitte des 18. Jahrhunderts anlegen und stauten dafür den Bach mt dem lustigen Namen Blaue Flut (blau wegen der Färber, die ihr Abwasser reinkippten).

Wir machen uns auch gleich auf in die nahe Altstadt.

Erstes Ziel sind die Roten Spitzen – hinter diesem seltsamen Namen verbirgt sich das älteste Gebäude und Wahrzeichen der Stadt: die 2 roten Backsteintürme eines Augustinerklosters aus staufischer Zeit. Kaiser Friedrich Barbarossa soll den Bau der Kirche durch italienische Handwerker veranlasst haben. Die Gründungsurkunde erwies sich indes später als Fälschung. Belegt ist aber, dass er Altenburg 7 mal besucht hat und auf dem Areal des heutigen Schlosses eine Kaiserpfalz unterhielt.

Vom Kloster und der (Marien)kirche ist nach Jahrhunderten wechselvoller Geschichte mit Reformation, Kriegen, Säkularisierung und DDR-Herrschaft nicht mehr viel übrig, sie wurde nach und nach von der Stadt „assimiliert“ und Ausgrabungen legen Stück um Stück ihre Reste frei.

links Reste des Hauptschiffs (es war im 17. Jhdt ein Waisenhaus, später Irrenhaus, Gefängnis und Zuchthaus),
Mitte: Ausgrabung der Fundamente des Seitenschiffs, rechts schließt der Kreuzgang an

Nur die beiden Türme, die Roten Spitzen eben, haben fast 900 Jahre überdauert und wurden 2006 als national bedeutendes Kulturdenkmal anerkannt.

Rote Spitzen: Türme erbaut 1165-1172

Leider hatten wir mal wieder zu wenig Zeit, uns die interessante Ausstellung über die Staufer anzusehen, die die Türme beherbergen. Wir müssen weiter hoch zum Residenzschloss, dort startet um 15 Uhr die letzte Besichtigungstour und wir wollen uns unbedingt das im Schloss untergebrachte Spielkartenmuseum anschauen.

Unterwegs und auch später begegnen uns prachtvolle Bauten: Das Theater, das der Semperoper Konkurrenz machen könnte, die ehemalige Landesbank und viele andere Prunkbauten mehr. Dazwischen macht sich aber der Verfall breit, zahlreiche Häuser, kleine wie große, stehen leer und manches droht einzustürzen.

So besitzt das Städtchen den morbiden Charme bröckelnden Prunks und wirkt – zumindest auf mich – irgendwie so, als wisse man in Mitten all dieser Vergangenheitsbewältigung nicht so recht was mit der Gegenwart anzufangen.

Auch das Residenzschloss ist irgendwie ein Fremdkörper, wie es da neben der Stadt riesig und hoch auf seinem Porphyrsockel thront.

Die Bauzeit des jetzigen Ensembles wird angegeben mit „um ca. 1100 – 1895“ 😂, hier hat also jeder mal was angefrickelt, abgerissen, umgebaut. Und die „Alte Burg“ bestand sogar schon unter Otto II. um 976. Friedrich I. Barbarossa errichtete hier eine Kaiserpfalz, und später residierten hier die Wettiner und wurschtelten ohne nennenswerte Ereignisse so vor sich hin, wenn man mal von der – missglückten – Entführung zweier halbwüchsiger Prinzenbrüder im Jahr 1455 absieht. Diese beiden, Ernst und Albrecht, teilten übrigens später das Territorium unter sich auf, wodurch Thüringen und Sachsen entstanden.

Seine Blütezeit erlebte das Schloss recht spät, nach der Neuordnung der sächsischen Fürstentümer ab 1826. Da wurde hier so richtig einer auf Residenz gemacht und sehr herrschaftlich Hof gehalten. Aber spätestens mit dem Niedergang der deutschen Monarchie 1918 war damit Schluss, und der letzte Besitzer, wiederum ein Ernst, war vermutlich ganz froh, dass er den ganzen Bettel der Stadt Altenburg schenken konnte.

Aus der Prunkzeit der Anlage stammen auch die Räume, die wir bei der Führung besichtigen können, dazu wird Stadtgeschichte in breiten thüringisch/sächsischem Dialekt geboten – anstrengend für uns 😵. Aber die Räume sind schon sehenswert und vor allem die Kirche und die Hörprobe der Orgel beeindrucken uns.

Danach schenken wir uns den Rest der Räumlichkeiten und verbringen die letzte dreiviertel Stunde eine Etage tiefer im Spielkartenmuseum. Zu Spielkarten hat die Stadt ein besonderes Verhältnis, denn sie werden seit 1832 hier hergestellt.

Das nenn ich mal ein Seniorenblatt!
Aufbewahrungspresse

Aber mehr noch: Hier wurde eines der populärsten Kartenspiele der Welt „erfunden“. In Altenburg trafen sich nämlich um 1810 einige Honoratioren der Stadt, unter ihnen der Verleger Friedrich Arnold Brockhaus, zum Behufe des Kartenspiels. Diese gab es in Deutschland schon länger, sie waren von der Obrigkeit nicht unbedingt gern gesehen und unter Strafe gestellt, sobald um Geld gespielt wurde. Ob die Herren dem derart verbotenen monetären Glücksspiele frönten oder nicht – ma waas es net, Buch wurde jedoch penibel geführt. Scheinbar wurden die bekannten Kartenspiele den Altenburger Promis jedoch zu langweilig – so entwickelten sie aus Schafkopf, Tarock und Deutschem Solo ein neues Kartenspiel, das erstmals 1813 als „Scat“ in deren Aufzeichnungen auftauchte (vermutlich von italienisch scatare = weglegen). Dieses Spiel verbreitet sich dann erst unter thüringischen und sächsischen Studenten, dann im ganzen deutschsprachigen Raum und mit vielen Auswanderern auch nach Übersee. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Regelwerk weitgehend vereinheitlicht und auf dem 1. Skatkongress 1886 die Allgemeine Deutsche Skatordnung beschlossen. Schließlich wurde 1899 der Deutsche Skatverband gegründet, der auch heute noch in Altenburg seinen Sitz hat.

Eine Erfolgsgeschichte, wie sie wohl kaum ein anderes Spiel vorzuweisen hat – Fußball mal ausgenommen. Und auch ich habe schon sehr früh dem Reiz der Karten nicht widerstehen können, wie man auf diesen Beweisfotos aus dem Jahr 1960 oder 1961 sieht!

Nach so viel Schellen, Eichel, Herz und Pik (und Schwarzer Peter, Quartett, Tarot und und und) verlegen wir uns darauf, das kulinarische Kulturerbe des Altenburger Landes zu erkunden.

Vorher „taufe“ ich aber noch mein im Museum erworbenes original Altenburger Skatblatt am Altenburger Skatbrunnen mit den Worten „Saukopf, taufe dieses Blatt, damit ich Glück beim Skaten hab“ 😂.

Geräumiger Marktplatz – erfreulicherweise fast ohne Autos!

Dann geht es hoch zum Hotel am Rossplan, denn hier und nur hier bekommt man das ultimative Rundum-Paket lokaler Kulinarik: Mutzbraten, Altenburger Senf, dito Bier und Kräuterschnaps. Und weil wir so hungrig sind in Kombination mit Thüringer Bratwurst und Rostbraten.

„Altenburger Gedeck“

Der im benachbarten Schmölln erfundene Mutzbraten ist ein faustgroßes Stück Schweinekamm oder -schulter, das mit Salz, Pfeffer und Majoran mariniert und am Drehspieß über Birkenholzrauch gegart wird. Dazu gibt’s Bratkartoffeln und Sauerkraut (liegt unter dem Fleisch), Senf und Kräuterschnaps.

Und natürlich das seit 1871 in Altenburg gebraute Bier (wir nehmen Pils). Die Brauerei wurde zwar auch mittlerweile übernommen, aber nicht von einem Großkonzern, sondern von der kleinen oberfränkischen Familienbrauerei Leikeim, die sehr viel für den Erhalt, die Qualität und die Regionalität des Altenburger Biers tut. Schmecken tut’s auch. Und besuchen hätte man die Brauerei auch können, ebenso wie die Senfmanufaktur 🙁🤷‍♂️🤷‍♀️. Müssen wir nochmal wiederkommen.

Altenburger Senf

Danach geht’s sehr, sehr satt wieder runter zum Großen Teich, wo Volker noch ein paar schöne Fotos über das spiegelglatte Wasser hinweg gelingen.

Brücke zum Inselzoo

Übrigens sind wir nächste Woche mit Lotti und Paula auch wieder ganz hier in der Nähe. Der Inselzoo wäre bestimmt was für die beiden und vielleicht auch das Naturkundliche Museum. Oder das Knopfmuseum in Schmölln. Bildungsurlaub mit Oma und Opa 👵🧓👧👱‍♀️.

Hoffentlich kriegt sich das Wetter bald ein! Chefmeteorologe Volker hat Tief Nick als ehemaliges Genua-Tief identifiziert, das zu einer klassischen Vb-Lage (sprich: Fünf b) umgelenkt wurde und nun über Polen hängt und mit subpolarer Kaltluft große Wassermassen nach Mitteleuropa schaufelt.

Man kann es auch kürzer beschreiben, dann heißt es Sauwetter 😉.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.