Tetris mit Treppen: Marburg

24.-26. Februar 2022

Gegen 17 Uhr beziehen wir Quartier auf dem WoMo-Stellplatz des Städtchens, ca. 1 km bis zur Altstadt. Städtchen ist vielleicht etwas untertrieben, knapp 80.000 Einwohner hat Marburg und gut 1/3 davon sind Studierende (so nennt man Studenten heute 😜). Der Platz ist ok, mit 12 Euro eher teuer, aber man hat parzellierte, ebene, große Stellflächen, Strom und Entsorgung und eben die Nähe zur Stadt.

Wir bleiben aber heute „zu Hause“, nach dem körperlich wie emotional anstrengenden Tag. Eine gute Idee, denn kurz nach 18 Uhr geht ein Gewitter mit Blitz, Donner, Regen und Sturmböen über uns nieder. Ich und die Omnia kochen uns eine köstliche Lauchquiche. Danach am Abend Tagesschau, Extra, Maischberger, Tagesthemen 😢.

Nach einer wirklich ruhigen Nacht (dank Schallschutzmauer) und nach wie vor bedrückenden, schlimmen Nachrichten am Morgen, machen wir uns auf in die Stadt. Als Stadtführer haben wir den Geist von Marburg „engagiert“, den Virtual Cache mit 12 Stationen. Eine gute Wahl! Den Laufzettel drucken wir mit unserem Mini-Drucker, dem Epsi noch flott aus.

Marburg entpuppt sich – wie zu erwarten – als sehr malerisch, worauf wir aber nicht gefasst sind, ist die Topografie der Stadt: Als hätte man die Gebäude übereinander gestapelt geht es hoch und höher und höcherer, es gibt gefühlt so viele Treppen wie kopfsteingepflasterte Straßen. Man gut, dass wir die Fahrräder beim HoGo gelassen haben. Auch mit Kinderwagen biste hier aufgeschmissen. Und so heißt die Altstadt auch nicht Altstadt, sondern Oberstadt!

„Ich glaube, es sind mehr Treppen auf den Straßen, als in den Häusern“, stellt schon Jacob Grimm fest. Allerdings fand er „die Stadt selbst sehr hässlich“, was wir angesichts der prachtvollen alten Häuser, ob Stein oder Fachwerk, nun wirklich nicht behaupten können. Doch war es sicherlich früher in der enge der Oberstadt total verdreckt, stinkend und finster. Da hat man sicherlich in der Zwischenzeit einiges aufgehübscht. Aber der Baubestand ist original, im Krieg wurde fast nichts zerstört.

Prachtvolles Fachwerk

Wie schon in Wetzlar, finden wir auch in Marburg einen netten Laden am andern, eine so wohltuende Abwechslung zur Monotonie der stereotypen Großstädte. Keine Kaufhäuser, keine immergleichen Ladenketten, statt dessen kleine, inhabergeführte Geschäfte für alles und mehr. Sogar Volker bummelt an den Schaufenstern entlang und „verliebt“ sich prompt in ein schönes Hemd im „Pilgrimfather-Style“, natürlich made in Europe, Bio und nachhaltig (was man auch am Preis merkt).

Ampel-Pärchen

Überhaupt ist Marburg sehr öko, vegan, antifa, bunt und divers. Seit dem CSD 2019 gibt es Ampeln mit gleichgeschlechtlichen Pärchen 😍. Eine Universitätsstadt halt! Viele Junge Leute mit vielen neuen Ideen in vielen alten Gemäuern. Die Philipps-Universität gehört zu den ältesten Unis in Deutschland, 1527 als protestantische Hochschule von Landgraf Philipp gegründet. 16 Fachbereiche verteilen sich über die ganze Stadt, knapp 27.000 Studierende und 140 Studiengänge. 

Wir spazieren – oder eher steigen – zum schönen Marktplatz mit Rathaus und flügelschlagendem Gockel und weiter hoch (HOCH!) zum Schloss, streifen dabei den Grimm dich Pfad mit seinen Märchenobjekten.

Märchenhaftes in Marburg
Diversity auch beim Rotkäppchen

Jacob und Wilhelm Grimm studierten in Marburg von 1802 bis 1805 offiziell zwar Jura, befassten sich aber vielmehr mit der geschichtlichen Entwicklung deutschsprachiger Literatur, mit Sagen, Urkunden und Dichtung. Aber die beiden nehmen wir vielleicht mal später genauer unter die Lupe, hier in Marburg belassen wir es bei ihren wie nebenbei ins Stadtbild eingepassten Märchenobjekten. Die Brüder Grimm sind ja fast wie Goethe und Luther: Man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt, kaum eine Gegend, wo die nicht mal übernachtet haben und schon wird damit angegeben 😜.

Das wuchtige Landgräfliche Schloss
Der Schlosshof wirkt eher klein und eng
Blick vom Schloss – leider trübe Aussicht

Nach dem Schloss geht es wieder runter zum „Dienstmann Christian“, einem Marburger Original, wo wir einen netten Plausch mit einem Anglistik-Studenten haben, der sich vor seiner Hausarbeit drückt (also nicht putzen, schreiben!). Er leiht der Figur sogar seine Brille fürs Touristenfoto und hilft beim Messen 😂. Wir plaudern über sein und unser Studium, philosophisches und naturwissenschaftliches Denken.

Der Christian mit der Brille des netten Studiosus

Dann geht es über die Neustadt (eine Straße) zur protestantischen Elisabethkirche, Deutschlands ältester gotischer Hallenkirche, danach durch das moderne Gebäude der Unibibliothek in den alten Botanischen Garten, wo Märzenbecher und Krokusse für Frühlingsgefühle sorgen.

Zwischendrin „treffen“ wir auf Emil von Behring, der hier von 1895 bis zu seinem Tod lebte und arbeitete. Zusammen mit Paul Ehrlich war er einer der Pioniere der Immunologie und erhielt wegen seines Diphterie-Impfstoffs den ersten Medizin Nobelpreis und den Beinamen „Retter der Kinder“. Die Marburger Behringwerke existieren als Pharmastandort weiter und hier produziert unter anderem auch BioNtech. Am End geht es (diesmal per Aufzug) erneut hoch, zum Kornmarkt, den wir am Beginn unserer Runde übergangen haben, mit Universitätskirche und alter Universität, der Keimzelle der Uni Marburg. 

In der Kirche hängt im Altarraum eine schlichte Fahne mit der Aufschrift IMAGINE. Mehr als dieses eine Wort braucht es nicht, um die Gefühle auszudrücken, die nicht nur uns in diesen letzten Tagen umtreiben. Danke, John.

Die Sonne kommt raus an der alten Universitätskirche

Neben Treppen, Kopfsteinpflaster, Fachwerk, prachtvollen Steinbauten, jungen Leuten, hippen Läden und märchenhaften Details hat Marburg noch etwas reichlich: Kneipen! So haben wir theoretisch die Qual der Wahl, landen aber eher zufällig am Marktplatz vor dem Restaurant Zur Sonne und beschließen nach kurzem Studium der Speisekarte, dort einzukehren. Das stellt sich als Sehr gute Wahl heraus, auch wenn die Behauptung, die Sonne sei 1976 von einer „Prominentenjury“ zur gemütlichsten Kneipe Deutschlands gekürt worden, einem Faktencheck nicht standhält. Ebenso wenig die These, die Sonne sein „ die kleine Kneipe“, die Peter Alexander besingt ( Original nachweislich 1975 von Vadder Abraham auf holländisch).

Köstlich 😋

Aber egal, es ist gemütlich und das Essen ist wirklich köstlich und dank der Familie Tontara, die das Haus seit 1968 führt, mit etwas italienischem Flair Finesse angehaucht. Auch der Chef vom Service ist ein Vollprofi und ganz humorvoll dazu.

Um 19 Uhr müssen wir unseren Platz räumen, am späteren Abend ist das Restaurant komplett ausgebucht, der Gastraum unten und die beiden Nebenräume im 1. Stock auch. Immer mehr Gäste trudeln ein, der Betrieb in der Küche und beim Service wird hektischer. Gut, dass wir so früh da waren.

Nach einem Kilometer Fußmarsch sind wir zurück am HoGo, werfen immer mal wieder einen Blick zurück auf die erleuchtete Stadt. Am Abend hören uns natürlich die neuen Nachrichten aus dem Osten an und dann … gute Nacht.

Am Samstag früh geht des dann weiter nach Paderborn, besser gesagt nach Dellbrück zu Ulrike und Volkhart. Die beiden hatten uns schon am Freitag erwartet, da muss wohl was gründlich schief gegangen sein. Manchmal ist telefonieren besser als Messenger und Mail !

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.