Von Badern, Bädern und Chirurgen

„Vom mittelalterlichen Spa zur high-tech Medizin“
GfA-Stadtführung am 3. April 2022

Am Sonntag, den 3. April macht der Winter reloaded eine kleine Pause: Die Sonne scheint und wärmt Herz und Luft. Da wir durch die Prophezeiungen der Wetterkundigen darauf vorbereitet sind, haben wir vorgesorgt und uns mal wieder eine schöne Stadtführung von Geografie für alle rausgesucht. Diesmal geht es um die Geschichte der medizinischen Versorgung bzw. der Krankenhäuser in Mainz.

Um Viertel vor 3 sind wir am vereinbarten Treffpunkt auf dem lauschigen 😜 Jockel Fuchs-Platz und sichten eine grün gewandete Dame mit Namensschild: Frau Stüwe, eine pensionierte Chirurgin aus Wiesbaden. Dabei bleibt es denn auch – keine weiteren Gäste – und so starten wir zu dritt auf einen exklusiven Rundgang durch die Medizingeschichte am Beispiel der Stadt Mainz 😊🧍‍♀️🧍‍♀️🧍‍♂️.

Und da hat die Stadt mit dem allseits bekannten Heilig Geist-Spital gleich einen Superlativ zu bieten: Es ist das älteste Bürgerhospital in Deutschland und einer der ältesten Spitalbauten Europas! Fertiggestellt in bischöflichem Auftrag 1236, unterstand es dem Domstift, also der bischöflichen Verwaltung, kam aber bald unter städtische Aufsicht, als Mainz 1244 zur freien Stadt wurde, sich also von der bischöflichen Fuchtel teilweise befreien konnte (nicht zu verwechseln mit dem Status einer Reichsstadt). Nach der Mainzer Stiftsfehde fiel es dann wieder an die Kirche.

Das Heilig-Geist „von hinten“

Das Spital war quasi Bestandteil der Stadtmauer, damit Hilfsbedürftige auch nach Schließung der Stadttore noch Einlass erhalten konnten. So sah das aus:

Mainz 1633: Rot hervorgehoben das Spital. Links der Dom und die Liebfrauenkirche, rechts der Eisenturm.
Man sieht: Der Rhein floss viel weiter stadteinwärts. Alles ab der heutigen Rheinstraße wurde im 19. Jhdt.aufgeschüttet

Wie ein Krankenhaus darf man sich das nicht vorstellen, ein solches Hospital war im Mittelalter und der frühen Neuzeit Auffangbecken für alle Hilfsbedürftigen: Schwache, Arme, Alte, Fremde und eben auch Kranke konnten dort Zuflucht suchen. Die „Behandlung“ bestand in seelischem Beistand durch tägliche Messen, dazu viel Schlaf und, wenn möglich, Körperpflege wie Waschen und Baden. Gespendet wurde Fürsorge. Ob Krankheiten geheilt wurden, entschied Gott allein. So war denn auch die Kapelle wichtigster Gebäudeteil.

Ab 1462 fungierte das Spital als „Pfründerheim“, Altersheim für Dienstboten, nach 1792 als Lagerhaus, „Korrektionsanstalt“ (Zuchthaus) und Turnhalle und beendete seine wechselvolle Geschichte ab 1888 als (Brauerei)Gaststätte und Restaurant. Das ist es bis heute – und es ist schon etwas besonderes in der hohen gotischen Gewölbehalle zu speisen.

Wir schlendern weiter über den Liebfrauenplatz, der sich, passend zum Dom, in frühlingshaftem Rosa präsentiert.

Frau Stüwe berichtet von der Zunft der Bader, in deren Badestuben nicht nur Körperpflege (Baden, Rasieren, Haareschneiden) betrieben wurde, auch Heilbehandlungen wie Schröpfen und Aderlass gehörte zum Dienstleistungsangebot, ebenso wie Zahn“heil“kunde, Starstechen und sogar Schädeltrepanationen 😱. Sie waren keine Quacksalber, sondern geschickte Handwerker und erfahrene Praktiker, die eine dreijährige Lehrzeit absolvieren mussten, danach eine dreijährige Wanderschaft und dann hatten sie eine Meisterprüfung abzulegen, die sich oft über Tage hinzog. Die Begriffe Bader, Barbier, Wundarzt und Chirurg sind mindestens bis ins 17. Jahrhundert gleichzusetzen.

Die Bader zählten – wegen ihrer Gerätschaften – zeitweilig zur Zunft der Schreiner und Dreher!

Das griechische Wort Chirurg bedeutet wörtlich nichts anderes als „Handwerker“! Frau Stüwe, selbst wie gesagt eine Chirurgin, erzählt uns, dass sie im Krankenhaus von den Internisten gegrüßt wurde mit den Worten „Kunst trifft Handwerk“.

Gerade angesichts des Zunftsiegels kommt einem der Gedanke, das Wort Barbier habe etwas mit barbarisch zu tun – aber dem ist nicht so (Barbaren nannten die Griechen alle Völker, die nicht griechisch sprachen).

Die Bader waren die Ärzte der „kleinen Leute“. Reiche Menschen hatten studierte Leibärzte, mit deren medizinischen Kenntnissen es aber auch nicht weit her war. Die Kirche hatte das Bildungsmonopol und hielt starr fest an den überlieferten Lehren, vor allem der Theorie des Hippokrates. Der postulierte, im menschlichen Körper sei das Verhältnis der vier Säfte Blut, Schleim, rote und schwarze Galle für so ziemlich alles verantwortlich, vom Charakter des Menschen bis zu seiner Gesundheit/Krankheit. Forschung und wissenschaftliches Arbeit im heutigen Sinn waren durch die Kirche verboten und galten als Ketzerei. Seit 1215 durften selbst medizinisch ausgebildeten Kleriker keine chirurgischen – also „handwerkliche“ – ärztliche Tätigkeiten ausüben! Die an den kirchlichen Universitäten ausgebildeten Ärzte sahen Krankheit als Strafe Gottes, andere machten die Gestirne verantwortlich oder Sündenböcke wie Hexen und Juden. Da war die Theorie der „schlechten Luft“ noch das Vernünftigste. Natürlich wäre es zu viel verlangt, von der mittelalterlichen Medizin Kenntnisse über die Erreger von Krankheiten wie Cholera, Lepra, Malaria, Pocken, Ruhr oder Tuberkulose zu „verlangen“, aber auf den Einfluss von mangelnder Hygiene, miserablen Wohnbedingungen, Schwerstarbeit, Hunger und Kälte hätte man mit etwas sorgfältiger Beobachtung schon kommen können. Die Reichen litten zudem meist an ganz anderen Krankheiten, hier waren Übergewicht und Gicht weit verbreitet – Wohlstandskrankheiten.

Natürlich gab es überall auch kluge Leute, die versuchten aus Beobachtung und Schlussfolgerung Medikamente und Heilverfahren zu entwickeln, z.B. Hildegard von Bingen, um nur eine zu nennen. Aber solches Wissen wurde nie offiziell, die Kirche lehnte es bis in die Neuzeit ab. Tausende heilkundiger Frauen mussten als Hexen ihr Leben lassen, weil sie der „Schulmedizin“ widersprochen hatten.

Das war natürlich nicht alles Gegenstand der Stadtführung – aber man macht sich ja so seine eigenen Gedanken! Quintessenz für mich ist – mal wieder – dass Religion mehr schadet als nutzt. Oder sagen wir besser: deren Funktionäre.

Unsere nächste Anlaufstelle ist das Rochus-Spital in der Altstadt. Im 17. und 18. Jahrhundert erreichte das Armenproblem aufgrund der ansteigenden Bevölkerungszahl  eine neue Dimension. Mit dem Bau des Rochusspitals (1721-1729) versuchte der Mainzer Erzbischof Lothar Franz von Schönborn das Problem in den Griff zu bekommen und ließ St. Rochus errichten. Das war aber mitnichten ein Krankenhaus, sondern eine für die Zeit typische Mischanstalt aus Zuchthaus, Altenheim und Hospital. Schwerpunkt von St. Rochus war das „Arbeitshaus“, wo selbst Kinder in der Druckerei und bei der Herstellung von Strümpfen, Lichtern und Medikamenten Zwangsarbeit verrichteten. Man war der Überzeugung, dass vor allem Arbeitsunwilligkeit die miserable Lage breiter Bevölkerungsschichten verursachte.

Portal des Rochusspitals

Im Mittelpunkt stand nicht die soziale oder medizinische, sondern die geistliche Betreuung. So wurde schon vor der Grundsteinlegung ein Spitalpfarrer ernannt, auch wurde 1724 zuerst die Kapelle fertiggestellt.

1788 waren unter den 498 Insassen 53 Kranke, die man in einer extra gebildeten Krankenstation (mit einem Mannssaal und einem Weibssaal) absonderte. Der „Chefarzt“, ein handwerklich ausgebildeter Chirurg, beschrieb die Situation: „Gelenkbrüche, Abszesse, krebsige Glieder, Furunkel, Grind und Knochenfraß. Die krätzigen Männer, Weiber und Kinder sind in eigenen Sälen abgesondert, ebenso wie die Rekonvaleszenten. Zwei meiner männlichen Patienten sowie eine Frau sind von der Lustseuche befallen. Sie sollen – so ein Gerücht – bald ganz aus dem Spital verbracht werden, wohl ins Zuchthaus. Ob dieses aber der richtige Ort ist? Noch weniger für jene, die an Geisteszerrüttung leiden, die doch in den Narrenstuben des Spitals besser aufgehoben wären als in der Korrektionsanstalt.” Die Krankenpflege lag „in den Händen schnapssaufender Wärter …, die sich blutwenig um die Anordnungen des Arztes kümmerten, wiederhaarige Kranke mittels Prügel zur Raison brachten und das Erbe der Toten unter sich teilten.”

Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Mischanstalten aufgelöst und es entstanden reine Altenheime, Gefängnisse und Krankenhäuser. So zogen 1848 die Pfründner, Armen, Alten und Invaliden in ein „Invalidenhaus“ – heute ist dort das städtische Altersheim – und das Rochusspital wurde Stadtkrankenhaus. Unter Leitung des Chefarztes Dr. Jakob Hochgesand entstand eine moderne Heilanstalt mit verschiedenen Abteilungen und – ein wahrer Fortschritt – eine Krankenpflegeschule. Fortan lag die Krankenpflege in den Händen ausgebildeter Vinzentinerinnen, die mit den alten Missständen gründlich aufräumten und für Ordnung, Sauberkeit sorgten.

Doch das Krankenhaus platzte aus allen Nähten. Unter Hochgesands Nachfolger Dr. Reisinger wurde nach langer Planung ab 1911 auf dem frei gewordenen ehemaligen Festungsgelände an der heutigen Langenbeckstraße ein neues Städtisches Krankenhaus mit 750 Betten gebaut. Die Pavillonbauweise hatte man sich am Krankenhauses in Hamburg-Eppendorf abgeschaut.

Heute ist dies der Kern der Universitätsklinik.

Unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges herrschte große Aufregung: Reisinger befürchtete, dass der Neubau als Militärlazarett beschlagnahmt würde. So ließ er, als am 31. Juli 1914 in Berlin der „Zustand drohender Kriegsgefahr” verkündet wurde, alle in Mainz verfügbaren Fuhrwerke, Lastwagen, Kutschen, Möbelwagen, auch die ersten Autos, anmieten und am Rochusspital vorfahren. Bettzeug, Geräte Medikamente und Akten wurden aufgeladen. Reisinger gab das Startzeichen: „Enuff unn in die Better!” und die gehfähigen Patienten begleiteten die Fahrzeuge zum neuen Krankenhaus, das kurz vor der Fertigstellung war. Zeitzeugen beschrieben den Umzug wie folgt: „Auf Krücken, gestützt von Mitkranken, Kinder und Greise, Männer und Frauen, alles in den blauen Krankenkleidern, ein nie gesehenes Bild menschlichen Elends humpelte unter Thränen der Zuschauer durch die Rochusstraße, an der Eisgrubkaserne vorbei auf der Zahlbacher Chaussee dem neuen Krankenhaus zu.” 


Einen Tag später, am 1. August 1914 begann der Erste Weltkrieg und schon am darauf folgenden Tag wurde das Rochusspital von den Militärs beschlagnahmt und zum Feldlazarett erklärt.
Der Neubau blieb so für die zivile Nutzung erhalten. [aus regionalgeschichte.net].


Nach der Gründung der Johannes Gutenberg-Universität im Jahre 1946 nutzte die Medizinische Fakultät zunächst die Städtischen Krankenanstalten. 1952 eröffnete das Land Rheinland-Pfalz hier die Universitätsklinik.

Das Rochusspital diente also im 1. Weltkrieges als Lazarett, anschließend wieder ziviles Krankenhaus und war ab 1964 ein Altenheim. Heute ist hier das Dom- und Diözesanarchiv untergebracht.

Daneben entstand in der Mitte des 19. Jahrhunderts unter kirchlicher Leitung das St. Vincenz- und Elisabethenhospital in verschiedenen Räumlichkeiten (bis zum Neubau in den 1970er Jahren) und 1912 das ebenfalls kirchliche „Hildegardis“. 2002 fusionierten die beiden zum Katholischen Klinikum Mainz (KKM) und nach der Schließung des Hildegardis und Umwandlung in eine Wohnanlage) nennt es sich Marien Klinikum Mainz (MKM). Es gab noch viele kleine Krankenanstalten, oft in „stillgelegten“ Klöstern nach deren Säkularisierung, und eine ganze Reihe Militärlazarette – aber die kann man hier wirklich nicht alle aufzählen.

Nach so viel Information schlendern wir dann in die Badergasse und stellen uns vor, wie hier früher an die 15 Bade(r)stuben betrieben wurden. Übrigens – was Frau Stüwe nicht erzählte, wohl aber Wikipedia: Die Baderstuben waren auch als Orte der Prostitution bekannt

Blick in die Badergasse

Im Haus Badergasse 10 war früher das Zunfthaus der Bader und nebenan hat man im Innenhof einen wunderschönen Wasserspielplatz geschaffen, der mit seinen hölzernen Kübeln und Bütten an die Historie der Bader erinnert.

Wir gehen dann durch das verwinkelte Weintorviertel und bleiben kurz stehen am ehemaligen Frauen-Zuchthaus, zuerst „Verwahr- und Erziehungsanstalt für Mädchen und Frauen von liederlichem Lebenswandel“, später für „gesunde arbeitsscheue Bettler und Vagabunden beiderlei Geschlechts“. So hieß denn die Weintorstraße bis 1888 Zuchthausgasse.

Über dem ehemaligen Zuchthaus-Eingang: Die „Vagabunden“ werden zum Zuchthaus gebracht.
Wildschweine, Löwen und Hirsche ziehen den Wagen

Am Mauritzenplatz verabschiedet sich Frau Stüwe von uns und durch den Durchlass zur Heugasse gehen wir zurück zu unseren Fahrrädern.

Den obligatorischen Schoppen genehmigen wir uns dann an unserem Lieblingsplatz im Schönborn.

Weitere Quellen:
Bader: Artikel aus der WELT vom 7.1.2017
Die Geschichte der Krankenhäuser in Mainz – regionalgeschichte.net

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