Das Tor zum Norden

Mittwoch, 28. Juni 2023

Heute ist Fahrtag mit Sightseeing-Einlagen. Volker hat einen dezidierten Plan ausgearbeitet und in die Susi geklöppelt, aber die weigert sich standhaft, die Wegpunkte an der E6 anzusteuern. Sie mutmaßt mal wieder eine Sperrung und will uns über eine andere Strecke lotsen. Die Sperrung gibt es tatsächlich, allerdings nur zwischen 18 Uhr abends und 6 in der Früh. Weil die Susi partout nicht klein bei geben will, drehen wir ihr den Ton ab und ich fahre einfach der E6 nach. Die Sehenswürdigkeiten werden dann schon auftauchen. Und meistens ist auch ein Geocache dabei.

Zack – da ist schon der erste POI: Eine „Schiffssetzung“. Hä? Es handelt sich um Wikingergräber aus dem frühen 9. Jahrhundert, die wie der Umriss eines Schiffs angeordnet sind.

Ist jetzt nicht sooo spannend, aber ein interessanter sidefact ist dabei, dass die damals am Meer lagen weil nämlich das Meer vor 1.200 Jahren bis hier her reichte. Der Meeresspiegel lag 4 bis 5 Meter höher als heute. Das hatten wir zwar schon, aber auch fast schon wieder vergessen. Deshalb nochmal: Grund ist nicht etwa mehr Wasser im Meer, sondern die „postglaziale Landhebung“, die mit dem Abschmelzen der Eiszeitgletscher einsetzte. Über Jahrtausende, von -300.00 bis -12.000 Jahren lag ein bis zu 3 Kilometer dicker Eispanzer über Nordeuropa. Dieses unermessliche Gewicht drückte die Kontinentalplatte tiefer in den zähflüssigen Erdmantel. Als die Gletscher schmolzen, floss zwar mehr Wasser in die Ozeane, der Meeresspiegel stieg tatsächlich an, aber weit größer war der Effekt, dass die eisfreie Landmasse nun wieder höher auf dem Erdmantel aufschwamm. Das waren bis zu 7,5 cm pro Jahr, Tendenz abnehmend, heute sind es immer noch etwa 1 cm pro Jahr.

Das klingt nicht viel, aber auf (historisch überschaubare) 1.000 Jahre gerechnet, kommt da gut was zusammen: Zwischen 75 und 10 Meter! Mit einem Abschlag für den durch das Schmelzwasser steigenden Meeresspiegel bleibt mindestens die Hälfte. In der Nähe von Oslo findet man Strandlinien, die 200 Meter über dem heutigen Meeresspiegel liegen.

Die Landschaft, durch die wir fahren ist … beruhigend. Nicht schroff und spektakulär, sondern sanft und grün und weit.

Kurzer Stopp an einem kleinen See

Und sehr, sehr viel Nadelwald. Nicht das kleine Kroppzeuch aus den Bergen, richtige riesige Nadelbäume (ich nehme an, es sind Fichten).

Lange geht es am Ufer des großen Sees Snåsavatn(et) entlang.

Den nächsten Halt haben wir eigentlich einem Cache zu verdanken, ein paar Hundert Meter von einem Rast- und Übernachtungsplatz mit dem schönen Namen Heia liegt der im Wald und wir können uns ein wenig die Beine vertreten. Im Listing steht auch was von „bading“, also pack ich vorsorglich (aber ohne große Hoffnung) den Badeanzug und die Wassersandalen ein.

Wir kommen an einen wunderschönen Ort am See, mit einer rappeligen kleinen Hütte, einem Steg und einer Feuerstelle. Voll schön! Hierher verschlägt es garantiert keine Touristen, nur Einheimische … und Geocacher!

Entgegen der Erwartungen ist das Wasser sehr angenehm temperiert (um nicht zu sagen: die oberen 10 cm sind richtig warm), die Felsen am Ufer sind begehbar und der Bewuchs mit Wasserpflanzen gerade noch so annehmbar. Auch wenn ich Biologin bin, ich teile mein Badewasser nur sehr ungern mit irgendwelcher Flora und Fauna!

Aber es gilt jetzt oder vielleicht nie! Ich nehme meinen Mut zusammen und schwimme los! Nicht wirklich weit, aber ich schwimme! Das Wasser ist ganz klar und unten angenehm kühl! Wäre da nicht das Gestrüpp um meine Füße, ich wär‘ viel weiter geschwommen. Es war trotzdem herrlich! Volker ist nicht rein, weil er keine Badeschuhe dabei hatte und die Felsen unter Wasser waren ihm nicht geheuer. Da hat man sich barfuß schnell dran verletzt.

Der nächste Halt ist ein ABC-Stopp und führt uns zum Formafossen. Vorher noch schnell den Geocache einkassieren, zu dessen Beschreibung DeepL diese sehr interpretationsbedürftige Übersetzung liefert:

Die „Benzinleitung“ ist ein PETrør, ein Petling, und der „Baumstamm“ die Übersetzung von „Log“. Künstliche Intelligenz kann man DeepL dafür nicht wirklich attestieren 😂 .

Der Formafossen gehört zur Kategorie klein aber fein, ein wirklich sehr, sehr schöner Wasserfall mit tollen Potholes – Jettegryten – und gleich 2 bunten Regenbögen 🌈🌈.

Die nächsten Kilometer fahren wir am Fluss Namsen entlang, der majestätisch inmitten der Wälder dahingleitet und sich nur manchmal in Form von Stromschnellen „uffreescht“.

Ich sag ja: beruhigende Landschaft

Gegen 17:45 Uhr erreichen wir unser Ziel, das Nordland-Tor an der Grenze von Trøndelag und Nordland/et. Wir fahren aber – noch – nicht durch, sondern biegen zum Übernachten vorher rechts ab auf den Rasteplass.

So, ich geh jetzt das Dreckding von einem Geocache 25 Meter links neben mir suchen 🧐, während Volker hier den Tag zu Ende berichtet.

Wir haben heute tatsächlich auch Vieles nicht gesehen.

  • Die Felsritzungen Bølareinen aus der Jungsteinzeit (ca. 6.000 alt), insbesondere eine besonders tolle Rentierdarstellung. Aber da die Wissenschaft inzwischen arg daran zweifelt, dass die Zeichnungen wirklich so alt sind und zweitens die Ritzungen kaum noch zu erkennen seien, haben wir den Abstecher einfach sein gelassen. Wir bekommen später bei Alta die wirklich sehenswerten steinzeitlichen Zeichnungen zu sehen.
  • Familienpark Namsskogan mit angeblich wilden Tieren, wie Rentiere, Bären und Elche, die dort zu beobachten seien. Aber Kommentare im Internet besagen, dass man die Tiere entweder nur mit viel Glück oder zu den Fütterungszeiten sehe („wilde Tiere“, dass wir nicht lachen) und uns ist das Unvergnügen mit 290 NOK Eintritt pro Person einfach zu teuer.
  • Das Namsen Laksaquarium, in allen uns verfügbaren und hoch aktuellen Reiseführen als unbedingtes Muss angepriesen, ist bereits seit 2019 pleite und dicht. Damit können wir auch den in ein angrenzendes Wasserkraftwerksgelände integrierten Fiskumfossen mit Lachsen hinter einer Glasscheibe nicht bewundern.
  • Schließlich haben wir einen der schönsten Picknickplätze Norwegens kurz vor Namsskogan wegen Überfüllung gleich wieder verlassen – auf das Plätzchen passen nur 2 Wohnmobile.

Kurzum, weniger ist mehr und wir hatten heute einen wunderschönen Fahrtag mit ganz tollen Impressionen.

Von Stiklestad (H) über Steinkjer mit der Steinsetzung der Wikinger, am Snåsavatnet und dem großen Fluss Namsen entlang bis zur Nordlandsporten (I), 213 km
in knapp 7 Stunden

Heute haben wir in Norwegen unsere fünfte Woche abgeschlossen. Mit dem Erreichen der Nordlandsporten haben wir für’s Erste Südnorwegen (Sør-Norge) erledigt. Auf der Rückreise kommen wir sicherlich durch Südnorwegen wieder zurück. Es gibt dort noch ganz viel zu entdecken. In Norwegen haben wir bisher 2.860 km und von zu Hause 4.016 km zurückgelegt. Unser nächstes großes Ziel sind die Lofoten, die wir per Fähre von Bodø aus erreichen.

Und so stehen wir hier heute Nacht an der Nordlandsporten. Die Sonne geht hier heute um 00:07 Uhr mal kurz (für gut 2 Stunden) unter. So richtig dunkel wird es nimmer.

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