Wie aus Moby Dick Free Willy wurde

Donnerstag, 13. Juli 2923: Walsafari in Andenes

Heute geht ein großer Wunsch in Erfüllung: Wir haben die Möglichkeit, von der Nordspitze Andøyas aus mit dem Schiff zur Walbeobachtung hinauszufahren. Zwei Anbieter gibt es in Andenes, wir entscheiden uns für Whalesafari, die fahren mit richtigen Schiffen raus, Whale2Sea „nur“ mit Zodiacs, diesen großen Schlauchbooten.

Es sind vor allem Pottwale, die man hier zu sehen bekommt. Diese Zahnwale jagen in Tiefen von über 1.000 Metern und Kalmare sind ihre Leibspeise. Weil nur 15 Kilometer von Andenes entfernt der Festlandsockel fast 2.000 Meter in den unterseeischen Bleik Canyon steil abfällt, hat man von hier aus das Jagdrevier der Pottwale fast vor der Haustür.

Bei Whalesafari geht es zu wie an einem kleinen Flughafenterminal, oder wie beim Arbeitsamt oder der Warenausgabe von Ikea – eine Anzeigetafel ruft auf, wer als nächstes dran kommt.

Eine Stunde vor Abfahrt wird die große Schar der Passagiere in Gruppen aufgeteilt: Norwegisch, Englisch, Deutsch und sogar Italienisch spricht man hier. Jedes Grüppchen verschwindet sodann hinter einer anderen Tür. Wir gehen mit Jan, einem schlaksigen Tschechen, um die Ecke in eine Halle und staunen nicht schlecht, als wir im bläulichem Zwielicht vor einem riesigen Walskelett stehen! Ein Pottwal. Das riesige Tier ist vorzeitigen Jahren tot angestrandet und wurde zum Ausstellungsstück.

Der Pottwal hat nicht umsonst den lateinischen Namen Physeter macrocephalus – der großköpfige Wal.

Größenvergleich Pottwalbulle – Mensch. Bullen bringen es auf über 20 m Länge und wiegen 50 Tonnen und mehr. Weibchen sind deutlich kleiner 12 Meter /15 Tonnen.
Von Chris huh, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2130196

Der riesige Kopf beherbergt im hinteren Bereich ein ca. 10 kg schweres Gehirn, relativ klein in Bezug auf das riesige Tier. Der Pottwal benutzt seinen Dickschädel auch weniger zum Denken, als zum Lenken, will meinen, hier sitzt sein Navigationssystem. Als Jäger der Tiefsee nützt ihm kein Sehvermögen (die Augen sind auch sehr klein), denn ab 300 Meter Tiefe ist es stockfinster. Pottwale orientieren sich ähnlich wie Fledermäuse mit Echoortung. Allerdings nicht via Ultraschall, sondern mit „echten“ Schallwellen in Form von lauten Klicks (wie mit einem Klickfrosch). Die erzeugt der Wal mit der Nase: Das linke Nasenloch ist das Blasloch zum Atmen, das rechte ist so umfunktioniert, dass es Luft in Form eben dieser Klicks ausstoßen kann. Und zwar in Explosions-Lautstärke von bis zu 235 Dezibel! Dagegen ist ein Preßlufthammer leise! Je näher der Wal seiner Beute kommt, desto schneller werden die Klicks.

Kopf des Pottwals.
Kurzon – [1][2][3], CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=26884229

Die Schallwellen werden von der Umgebung reflektiert und treffen auf dem Rückweg wieder auf den Schädel, wo fettreiches Gewebe (Junk) und vor allem das halbflüssige Fett des Spermaceti-Organs sie wie eine akustische Linse für die Echoortung bündeln. Dieses Lipidgemisch nannte man früher Walrat und es hat vielen Pottwalen das Leben gekostet, weil es als Brennstoff, Schmierstoff, für Kerzen, Salben und vieles mehr begehrt war. Ein 15 m langer Pottwal hat etwa 3.000 l Spermaceti!

All das und noch viel mehr erfahren wir von Jan, der uns durch das Museum führt.

Es sind nur Männchen, Bullen, die man hier antrifft, den Weibchen ist es im Nordmeer zu kalt. Sie leben in gemäßigteren Gewässern und außerdem gehen sie ihrem einzigen natürlichen Feind, den Orcas, aus dem Weg.
Pottwale stehen an der Spitze der Nahrungskette. Sie sind die größten fleischfressenden Tiere der Welt! Etwa eine Tonne muss ein Wal täglich fressen und dafür fast rund um die Uhr jagen.
Leibspeise: (Riesen) Kalmare
Ein Pottwal taucht ab: Das Gewicht der Fluke drückt ihn unter Wasser.

Die sachkundige Führung durch das sehr wissenschaftlich aufgebaute Museum hat uns schon mal supergut gefallen!

Nun sind wir gespannt, ob wir tatsächlich Pottwale zu Gesicht bekommen. Eine Garantie gibt es nicht – „ist ja kein Zoo“, wie Jan sagt, aber die Chancen stehen gut.

Wir sind noch keine halbe Stunde unterwegs, da treffen wir auf das Schwesterschiff, das eine Stunde vor uns losgefahren ist. Warum sind die denn noch so dicht an Andenes? Was gibt es hier zu sehen?

Nun, das erfahren wir sofort durch die Bordlautsprecher: ORCAS.

Damit hat keiner gerechnet. Orcas sind hier eigentlich nur im Winter regelmäßig anzutreffen. Nur ab und an ziehen mal welche im Sommer durch. Und nun ausgerechnet hier und heute!

Der Schwertwal Orcinus orca, heute oft Orca genannt und gemeinerweise auch Killerwal, ist wohl der faszinierndste Meeressäuger überhaupt. Er gehört zu den Delphinen, ist wie diese ein (kleiner) Zahnwal und ein Predator – ein Jäger. Und was für einer! Orca jagen im „Rudel“ und haben die unglaublichsten Strategien entwickelt: Sie kippen Eisschollen, bis die Seehunde von ihnen runterrutschen, hindern andere, auch viel größere Wale am Auftauchen, bis sie vor Luftnot wehrlos werden, einzelne Familien jagen sogar Robben aus dem Wasser an den Strand, springen hinterher und nutzen die Wellen um selbst wieder ins Meer zurückzugleiten – mit der Beute im Maul. Unglaublich intelligente Tiere, ein solches Verhalten ist nicht angeboren, es ist erlernt und wird über Generaionen weitervermittelt. Ich fachsimpele ein wenig mit Gordon, einem weiteren Guide, Meeresbiologe aus Deutschland, der nun in Tromso lebt und im Sommer hier arbeitet.

Volker gelingen fan-tas-tische Bilder und die stellen wir mehr oder weniger unkommentiert hier rein, einfach zum Genießen! Fangen wir mal mit ein paar Schwimmzügen an:

Weibchen (hinten) und Männchen (vorne)
Zwei Weibchen
Bugwelle

Und jetzt kommt das Foto des Tages, der Woche, des Monats oder sogar des Urlaubs:

Ach nein, das war nachher! Jetzt:

Das AoD beim Breaching

Zwei Stunden lang beobachten wir begeistert die 5 Schwertwale, manchmal hat man den Eindruck, sie beobachten auch uns (einen Spy hop hat aber keiner gemacht), dann fahren wir zurück nach Andenes.

Und die Pottwale? Die sind auf Orca schlecht zu sprechen! Auch wenn diese hier wohl nicht zu der Sorte gehören, die ihnen gefährlich werden könnten. „Wenn Orca da sind, schwimmen die Pottwale weit hinaus“, sagt Gordon. Schon gestern hat es über 7 Stunden gebraucht, um einen zu finden.

Auch wenn wir nicht zu Pott(wal)e gekommen sind, war das eine klasse Tour und eine faszinierende Begegnung! Für uns schon das zweite Mal! Wir hatten ja 2013 in Vancouver bereits das Glück, die pazifischen Orcas zu sehen (und einen Buckelwal).

Und Whalesafari Andenes ist wirklich keine Touristenklitsche, sondern ein Veranstalter mit viel Verantwortungsbewusstsein und Know-How. Auch hier mag es Kritik(er) geben, aber es ist allemale besser, Wildtiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten, als sie in Käfige oder Aquarien einzusperren.

Auf dem Heimweg sind uns noch Puffins im Tiefflug begegnet und endlich auch mal einer mit Fischen im Schnabel.

Auf dem Nachhauseweg mit dem Fahrrad machen wir noch einen Abstecher zum Aussichtspunkt Kleivodden.

Fotos zurechtschneiden mit Haushaltsmitteln

Der Rest des Tages (und des Abends und die halbe Nacht) geht dann mit Fotoarbeiten drauf: Wir sichten weit über 1.000 Fotos – es sind meist Serien von 5 bis 10 Bildern. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Was nicht gelöscht wird, wird verbessert, gepimpt, zugeschnitten. Übrig bleiben 80 Bilder 😅. Und noch viel mehr und viel schönere in unseren Köpfen 😍.

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