Marmor, Stein (und kein Eisen) bricht: Fauske

Samstag, 1.7. – Montag früh, 3.7.2023

Nach einer abermals sehr ruhigen Nacht geht es am Samstag morgen auf die erste Tagestappe jenseits des Polarkreises. Ich bin erleichtert, dass die extrem karge, baumlose Kältesteppen-Landschaft und nicht bis zum Nordkapp begleitet. Das wäre mir auf Dauer doch zu öde, kein Baum, kein Strauch, wo man hinsieht nur Steine und Weite und ein bissel braun-grünes Kroppzeuch.

Obschon – der mäandrierende und von Kilometer zu Kilometer immer immer größer werdende blaue Schmelzwasserfluss – der hatte schon was! Nur leider gibt ein Foto erst, als er heute als „richtiger“ Gebirgsfluss ins Tal schäumt. Er hat den ziemlich unaussprechlichen Namen Luonosjåhkå, das wirkt finnisch und ist (vermutlich) samisch. Da wir uns jetzt in der Heimat der indigenen Bevölkerung Skandinaviens bewegen, müssen wir uns an diese Zungenbrecher wohl ein Stück weit gewöhnen.

Ich finde das ganz interessant, daher hier ein Klugscheißerabsatz: Die samische Sprache bzw. die samischen Dialekte sind mit dem Finnischen verwandt, dieses bildet wiederum mit dem (Alt-) Ungarischen die finn-ugrische Sprachfamilie. Estnisch gehört ebenfalls dazu sowie viele mir völlig unbekannte Sprachen bzw Dialekte. Sie haben kein grammatikalisches Geschlecht, also kein Problem mit „Genderismus“ und kein Wort für „haben“. Der Besitz von etwas wird umschrieben mit „es ist bei mir“. Das finde ich ganz interessant, Sprache ist ja auch immer Ausdruck gesellschaftlicher Normen und Werte. Vielleicht hatte der (Privat-)Besitz ursprünglich in diesen Geselllschaften keine große Bedeutung?
Bildquelle: Fobos92 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons. wikimedia.org/w/index.php?curid=29533577

Das Tal, da sich rechts vor uns in der Ferne auftut ist wirklich sehr breit und wird landwirtschaftlich genutzt. Eigentlich alles ganz normal! Auch jenseits des Polarkreises hört die Welt nicht auf. Auch die Fjorde nicht, in die der Luonosjåhkå in Nordnes mündet (und nein, ich hab mir den Namen nicht gemerkt, das ist copy/paist 😜).

Wir kommen schon früh am Zielort Fauske an. Volker steuert zielsicher die Norge LPG Station an. Er will endlich in das GROSSE GEHEIMNIS über das Nachfüllen deutscher Propangasflaschen in Norwegen eingeweiht werden.
Stundenlang hat Volker zu Hause Foren gewälzt, in denen jeder was anders behauptet. Und das Geheimnis ist … gar keines. Man fährt vor die „Zapfsäule“, stellt die leere Flasche hin, ein freundlicher, wenn auch wortkarger junger Mann schraubt binnen Sekunden einen Adapter auf die Pulle und in weniger als einer Minute ist das Ding wieder voll. Danke und tschüs! Ach so – bezahlen muss man noch, 299 NOK, ungefähr so viel wie zu Hause bei Hornbach, nur dass man da die Flasche über das Baumarktgelände schleppen muss.

Von unserem Übernachtungsparkplatz bei Lønsdal (G) aus rollen wir das Tal Saltelva runter bis zum Saltdalsfjorden nach Fauske (H) und weiter zu unserem CP Lundhøgda, 77 km in etwa 2 Stunden

Wir beziehen gegen 12:15 Uhr Quartier auf dem hübschen CP Lundhøgda oberhalb von Fauske und das war auch wirklich recht-zeitig, denn kurz nach unserer Ankunft sperrt der Besitzer mit so Pömpeln (Lübecker Hütchen) alle Stellplätze ab und wir ziehen um an den Rand: eine große Gruppe organisierter Caravan- und WoMo-Camper hat reserviert. Da haben wir aber Dusel gehabt – alles nach uns wird weggeschickt 😅 schweißperlabwisch. Wir brauchen nämlich dringend die Facilities wie Dusche und vor allem eine Waschmaschine.

Saubere Aussichten und Schatten spendet die Wäsche auch

Dann fahren wir mit den Rädern runter ins Ort und schwer bepackt mit Einkäufen wieder hoch. Und abends machen wir mal richtig Camping mit Grillen und so 😂.

Fauske gilt als die „Marmorstadt“ Norwegens und das mit Recht! Aus der Ferne leuchten die Steinbrüche weiß zu uns herüber.

Am Sonntag wollen wir uns das mal genauer anschauen und fahren wieder die 3 km ins Städtchen. Besser gesagt, zum Bygdetun, übersetzt Dorfzentrum, einem Heimatmuseum mit alten Häusern, Hütten und Schuppen. Hier können wir uns die prächtigen Grasdächer aus der Nähe anschauen. Bei dem kräftigen Wind heute kriegen die eine richtige Sturmfrisur 😂.

Per Baclay, uten titel

Auch hier dreht sich vieles um den Marmor. So gibt es ein Kunstwerk, dass paradoxerweise den Namen uten titel, zu deutsch ohne Namen trägt, bestehend aus einem alten Bootsschuppen und gegenüber im Fjord zwei Marmorblöcke auf Alugestellen, die an versinkende Häuser erinnern.

Das Kunstwerk dient unserem AoD als Landeplatz:
Bachstelze mit Beute

Je nach Tide fallen die trocken oder sind – wie auf dem Bild – halb unter Wasser. Wir wissen nicht, was uns der Künstler damit sagen möchte, es ist uns auch egal, sieht aber gut aus! Es gehört zur „skulpturlandskap nordland„, einem Projekt aus den 90er Jahren: 33 Künstler aus 18 Nationen stellten ihre Werke frei in die Natur. Eine Kunstgalerie ohne Wände und Dach, verteilt über ganz Nordland.

Eine Station des Heimatmuseums erklärt uns, wie früher der Marmor abgebaut wurde: Man schlug von Hand ca. 7m tiefe Löcher in den Marmor, da hinein stellte man die Drahtsäge, mit der der Marmorblock horizontal herausgesägt werden konnte:

Wir radeln natürlich hoch zu den Steinbrüchen. Einer wird von der Norwegian Rose AS betrieben, sie bauen den rosa Marmor ab, der unter eben diesem Markennamen vertrieben wird. Er findet sich in vielen Gebäuden in Norwegen aber auch weltweit (UN-Gebäude New York, Kaiserpalast Tokio). Daneben gibt es grüne und schwarz marmorierte Sorten und den reinweißen Dolomitmarmor.

Bruchstücke liegen als Abfall überall herum und wir sammeln ein paar besonders schöne Exemplare:

Nun könnten wir eigentlich umdrehen, aber wir haben noch einen Cache zu finden, eine Letterbox. Also geht es weiter den Weg hinauf, an der Baggerfahrschule vorbei und am End kraxeln wir 100 Meter den Hang hinauf in den Wald und werden tatsächlich fündig.

Das hat mal richtig gut geklappt und viel Spaß gemacht, mit einem kleinen Schuss Abenteuer 🤠🤠 und einer piccobello „Dose“.

Und weil es ganz ohne Botanik nicht geht, hier unsere Schönheit des Tages, das Moorglöckchen.

Linné mit Moosglöckchen am Revers
Von Alexander Roslin – Cropped from this image. See also Nationalmuseum., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=80961589

Ein ganz zartes Pflänzchen, verwandt mit dem bekannten Geißblatt (Jelängerjelieber) und tatsächlich kein „Weichei“, sondern ein holziger Ministrauch, der Ausläufer bildet. Im Englischen nennt man es Twinflower, wegen der beiden Blüten. Moosglöckchen kommen nur im Norden Europas vor, mir ist noch keines untergekommen. Wohl aber dem Schweden Carl von Linné, einem Top-Promi unter den Botanikern. Er hat im 18. Jhdt. die gesamte Fauna klassifiziert und den Pflanzen ihre wissenschaftlichen Namen gegeben. Das Moosglöckchen war seine Lieblingspflanze 💖, und Linné bat einen Freund und Kollegen, es doch bitte nach ihm zu benennen. Selbst wollte der alte Schwede (Kalauer 🙈) das nicht tun, und den Schein der Bescheidenheit aufrecht erhalten. So trägt das Moosglöckchen den wohlklingenden lateinischen Namen Linnaea borealis.

Als Gutenachtgruß an die Familie verschicken wir noch ein Foto der Polar“nacht“, aufgenommen gegen 0:15 Uhr: Die Mitternachtssonne taucht die Berge im Süden in ein schönes rosa Licht.

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