Marmor, Stein und Eisen bricht und ein Tödchen im Museum

Sonntag, der 30. Januar 2022, #19 Rathaus, Rhein, Hilton und #13 Höfchen, Markt und Dom

Am 30.1. machen wir unseren ersten Hörspaziergang – besser gesagt , wir machen gleich zwei. Es ist Sonntag, irgendwie sind wir mit unseren Unternehmungen zu Hause immer noch auf „Wochenende“ programmiert, obwohl es ja echt keine Rolle spielt, welcher Tag grad ist. Alte Gewohnheiten sind zäh!

Wir hören und schauen uns als erstes oben auf dem Jockel-Fuchs-Platz die Rathausbaustelle an und bedauern, dass man nicht die Gelegenheit genutzt hat, den bröseligen „Fuchsbau“ abzureißen und was Neues hierher zu stellen. Vielleicht hätte man anders entschieden, wenn der BioNtech-Geldsegen früher gekommen wäre. Jetzt ist das Petersen-Kind in den Sanierungsbrunnen gefallen.

40 Mio. DM hat der Neubau damals gekostet, und wurde wortreich angepriesen. So sollen die Gitter „die Konturen der benachbarten Altbauten aufnehmen“ und die Gesamtanlage die Historie der Stadt Mainz als ehemalige Festungsstadt widerspiegeln. Jo nech. Und statt auf heimischen (roten) Sandstein zu setzen, wurde extra grauer Marmor aus Norwegen importiert. Die Fassade hat sich jedoch binnen weniger als 50 Jahren in einen Steinbruch verwandelt und stellte ein Sicherheitsrisiko dar und wenn man schon mal dran ist, kann man gleich noch den Brandschutz und die Haustechnik auf Vordermann bringen. Die Kostenschätzung beläuft sich mittlerweile auf mehr als 100 Mio. Euro. Tendenz steigend 🙈.

Wir spazieren dann an der Uferpromenade vorbei an der fertig sanierten Rheingoldhalle und dem offenbar nicht sanierungs-bedürftigen Hilton. Und hier fällt uns erstmals der Kurfürstenzyklus auf, der zwischen den Resten des Brückentors aufgestellt ist. Ursprünglich zierten die hohen Herren (7 Kurfürsten + König Ludwig von Bayern) die Zinnen des „Kaufhaus am Brand“, das 1812 abgerissen wurde. Es war kein Kaufhaus im heutigen Sinne, sondern ein Lagerhaus, in dem durchreisende Kaufleute ihre Waren sicher und trocken lagern konnten. Und das waren bestimmt nicht wenig, denn Mainz hatte Stapelrecht, will meinen, jeder durchreisende Kaufmann musste seine Waren in der Stadt zum Kauf anbieten. Also wurden alle Schiffe und Fuhrwerke hier zwangsweise abgeladen. Je nachdem, was man von wo nach wo transportieren wollte, konnte es passieren, dass die Waren nie ihren Bestimmungsort erreichten.

An der Stelle der Rheingoldhalle steht übrigens ab 1884 die prachtvolle Stadthalle, mit dem zu ihrer Zeit größten Festsaal Deutschlands. Die „gut Stubb“ fasst 5.000 Menschen! Sogar Radrennen wurden in dieser riesigen Halle veranstaltet. Sie wurde 1945 größtenteils zerstört und schließlich abgerissen, um dem Neubau der Rheingoldhalle Platz zu machen.

Wir spazieren dann noch über Höfchen, Markt und Dom, lernen, dass Mainz keinen zentralen Marktplatz hatte. Ebensowenig wie ein „richtiges“ Rathaus: Seit dem 15. Jahrhundert wurde die Stadt von der Kirche regiert, vom Kurfürsten = Erzbischof.

Blick über die Ludwigstraße zum Schillerplatz mit Bassenheimer Hof und hoch zum Kästrich

Am „kalten Loch“, der Einmündung der Domstraße auf den Markt, entschließen wir uns kurzerhand für einen Besuch im Dom- und Diözesanmuseum, durchaus lohnend. Hier gibt es unter anderem viele – zumeist steinerne – Kunstwerke, die oft einst im Dom verbaut waren und seinerzeit Neuem weichen mussten.

Vom Domschatz ist nicht mehr viel übrig, nachdem erst der 30-jährige Krieg und dann ein Erzbischof ihm schwer zugesetzt haben: Der (vorerst) letzten Mainzer Erzbischof Karl-Theodor von Dalberg floh 1803 vor den Franzosen nach Bayern, nahm den Schatz mit und statt ihn an die Franzosen zurückzugeben, schmolz er ihn lieber ein. Von den früher 300 kostbaren Stücken sind heute ganze zwei erhalten.

Leider nicht fotografiert haben wir ein Ausstellungsstück des Domschatzes, das ich besonders fand: Ein „Tödchen“. Eine Mini-Sarg (20 cm) mit einer gruseligen Leiche drin, die schon vom Schimmel zerfressen wird und den Menschen daran erinnern soll, dass er vergänglich ist. Eine bizarre Vorstellung, dass man sich sowas ins Zimmer oder neben’s Bett gestellt hat.

Wir fühlen uns jedenfalls lebendig genug für einen Absacker, finden die Altstadt jedoch geschlossen vor 😟. Also machen wir uns auf ins Schönborn, wo wir bei spanischen Köstlichkeiten und leckerem Rotwein am „best place of town“ sitzen: auf der Terrasse direkt über dem Rheinufer.

Rhein in Flammen 😉
Blaue Stunde am Rhein

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