Wer baggert so spät … und schöner Wohnen

Samstag, 5. Februar 2022: Gaugass‘, Fichteplatz, Eisgrub und Palazzo

Vier Dinge aus der Vergangenheit prägen bis heute das Stadtbild von Mainz: Die Römer, die Kirche, die Festung und der 2. Weltkrieg. So zumindest meine Meinung.

Auf Römer stößt man, sobald man anfängt, eine Baugrube auszuheben, wie das Beispiel der Römerschiffe (beim Bau des Hilton), das Römische Theater am Südbahnhof und der Isistempel in der Römerpassage (sic!) beweisen. Als ehemals größte und wichtigste Kirchenprovinz nach Rom hat die (katholische) Kirche Mainz bis heute fest im Griff. Daneben wird die Stadt vom dreißigjährigen Krieg bis zum 1. Weltkrieg sukzessive zu einer schwer befestigten Garnisonsstadt ausgebaut um dann im 2. Weltkrieg durch Fliegerbomben fast völlig zerstört zu werden. Die schwersten Bombenangriffe der Alliierten waren am 11. August 1942 und am 27. Februar 1945. All das begegnet einem auf Schritt und Tritt, wenn man in Mainz spazierengeht und bei einem Cappuccino lässt es sich darüber fein sinnieren.

Heute geht es steil hinauf durch die Gaugasse, vorbei an einem bunten Sammelsurium an Lädchen und Kneipen/Cafés. Das „Aussterben“ der Gaugass‘ scheint gebannt, hier herrscht wieder ein sehr lebendiges Treiben.

Der Schottenhof: Das Mittelteil fiel dem Krieg und der Straßenbahn zum Opfer.

Am Ende der Gaugasse steht das Gautor etwas unvermittelt mitten auf der Straße. Hier war früher die Stadt zu Ende und die Gaupforte führte hinaus. Um 1650 baute man einen mächtigen Festungswall nebst Graben und das heutige „Gautor“ war Teil der Schaufassade des Portals, das hindurchführte. Dahinter lag das Glacis – das freie Schussfeld, also … nix. 1896 wurde alles abgerissen und geschliffen. Die Überreste des Tors wurden zunächst im Hof des heutigen Frauenlobgymnasiums aufgestellt, später auf dem Fichteplatz und 1998 wanderte das Gautor zurück in die Nähe seines ursprünglichen Standorts.

Unser 1. Ziel ist der Fichteplatz mit der Fichtesiedlung, ein wunderschönes Areal. Gebaut 1925-1928 als Siedlung für Eisenbahner und städtische Bedienstete mit ca. 1000 Wohnungen!

Das Ganze erinnert optisch durchaus an unsere Kostheimer Siedlung, die ja in der gleichen Zeit und mit der gleichen Zielsetzung entstand: Guten und preiswerten Wohnraum für Nicht-Reiche zu schaffen. Die Anfänge des sozialen Wohnungsbaus.

Drei „Highlights“ bleiben vom weiteren Spaziergang über den Eisgrubweg hinunter in die Weißliliengasse in Erinnerung:

  1. Die Trasse der Eisenbahn

Die alte Bahnstrecke in Mainz führte entlang des Rheins. Sie wird zwischen 1876 und 1884 auf die heutige Trasse verlegt und dazu ein durchgehender Tunnel zwischen Süd- und dem neuen Zentralbahnhof gebaut.

1924 kollidieren im Tunnel zwei Züge, 14 Menschen sterben und viele werden verletzt. Zudem ist die Entlüftung des Tunnels ein großes Problem, die 5 Rauchabzüge sind nicht für den stark gestiegenen Bahnverkehr ausgelegt. So wird zwischen 1932 und 1935 ein 300 Meter langes Teilstück aufgeschlitzt: 29 Meter tief ist die gigantische Baugrube, die heute wie ein „Tal“ aussieht. Umgekehrt bildet der Erdaushub einen ordentlichen kleinen Berg: den Rodelberg in der Berliner Siedlung. Und wie eingangs gesagt, wer in Mainz buddelt, stößt auf Römer: Hier wird ein römisches Militärbad entdeckt. Wo das allerdings abgeblieben ist, weiß ich nicht

2. Die Pläne der „autogerechten Stadt“ der 60er Jahre

Wären diese realisiert worden, gäbe es heute die halbe Mainzer Altstadt nicht. Von der Mombacher Straße sollte durch die Wallanlagen eine vierspurige Stadtautobahn führen, am Eisgrub vorbei über den Weihergarten zur Dagobertstraße. Eine gruselige Vorstellung! Zum Glück war nicht genug Geld da und man hat in den 70ern „nur“ die Altstadttangente über die Weißliliengasse gebaut.

3. Die Wohnsituation nach dem Krieg.

Das muss echt schlimm gewesen sein: Da die Stadt zu 80% in Trümmern lag, war Wohnraum knapp. Und teuer. Im Palazzo, dem stattlichen Gebäude neben dem Eisgrubbräu wird noch in den 70er Jahren das düstere, niedrige Zwischengeschoss unter dem Mansarddach an Gastarbeiter Familien vermietet. Statt Fenster gibt es nur winzige Bullaugen! Unvorstellbar.

Vor diesem Hintergrund muss man auch die Bautätigkeit z.B. in der Neustadt nach dem Krieg sehen. Vieles ist nicht unbedingt schön, aber es war so bitter nötig, bezahlbaren und manierlichen Wohnraum zu schaffen. Das sollte man bedenken, bevor man meckert. Und im Übrigen ist heute auch nicht alles schön, was in Mainz so gebaut wird und dazu ist’s auch noch nur für die Reichen. Ich sag nur: Zollhafen!

Wir genehmigen uns jedenfalls einen schönen Absacker im Weinhaus zum Spiegel, das sich allmählich füllt. Nach dem 1. Schoppen ist uns das irgendwie egal, Corona kann uns mal und wir plaudern angeregt mit den Tischnachbarn, einem (schwulen?) Männerduo aus der Zelterstraße mit Ferienhaus in der Eifel. So richtig Woistubb-Feeling!

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