Durch die Botanik und unter die Erde

Donnerstag, 29. Juni und Freitag 30. Juni 2023

Auch heute geht es weiter nach Norden, die erste Pause legen wir aber schon nach etwa 10 Kilometern ein. Wobei Pause nicht das richtige Wort ist: Wir schlagen uns über 3 Kilometer Schotterweg in die Pampa und machen eine kleine Wanderung im Børgefjell Nationalpark. „Klein“ heißt in dem Fall 5 km und 180 Höhenmeter, also wirklich moderat. Außerdem verspricht Volker mir ganz viel Botanik!

Am Wanderparkplatz werden wir von einer Horde beachtlicher Fluginsekten begrüßt, die ich für Bremsen halte, Volker aber als nicht-blutsaugende Raubfliegen identifiziert 🦟🧐 (als ob der Ahnung von Raubfliegen hätte – ich aber auch nicht). Während sie zu Dutzenden den HoGo umschwirren, wagt Volker sich zum Beweis nach draußen und in der Tat, sie interessieren sich mehr für das Auto als für ihn. Nun denn.

Das erste Stück geht es auf einem Fahrweg durch ein Gebiet mit ganz vielen Wochenendhäusern. Die Hytter sind allgegenwärtig und es scheint, jeder Norweger hat so ein Natur-Domizil, mehr oder weniger luxuriös ausgestattet. Hier sind schon ein paar echte Prachtstücke dabei, vor allem die mit der freien Aussicht auf den See.
In der classic Variante haben die Hytter ein begrüntes Dach, das richtig dick und hoch bewachsen ist.

Ein Schild weist uns den Pfad bergauf ins Moor zu verschiedenen Zielen und belehrt zum Schluss, man möge seinen søppel – Abfall – wieder mit runter vom Berg nehmen. Ich liebe dieses Wort 🤩

Wir biegen also ab und zack, sind wir wie versprochen in der schönsten Botanik 😍. Es ist – wie anscheinend immer – eine moorige Angelegenheit.

Es hilft ja nix – jetzt kommt eine Auswahl meiner „Beute“, es waren wieder sooo viele Pflanzen, bekannte und neue,“gemeine“ und eher seltene, aber alle wunderschön!

An ihm läuft man meistens achtlos vorbei, weil er so häufig ist: Geranium palustre – der Sumpf-Storchschnabel
Der Storchschnabel macht sich auch gut als Vordergrund einer Bergkulisse.

Besonders häufig sehen wir hier die prachtvollen Trollblumen, Trollius europaeus. Diese Verwandte der Sumpf-Dotterblume und des Hahnenfuß ist in Deutschland eher selten anzutreffen. Prachtvoll sind die fast kugelrunden, bis zu 4 cm großen Blüten. Wie goldene Kugeln!

Sumpf-Fieberklee, eine Pflanze die keine Verwandtschaft hat. Mir ist er noch nie untergekommen, weshalb ich bei Wikipedia nachgeschaut habe: Es ist ein „hydromorper, plurienn-pollakanther Hemikryptophyt und Hydrophyt“.
Wer das für eine Erklärung hält, hat einen an der Klatsche. Ich versteh nur Wasserpflanze (immerhin!)

Mich fasziniert bei Pflanzen immer auch die Symmetrie und die „Konsequenz“ und Exaktheit, mit der so ein genetischer Bauplan in die Tat umgesetzt wird.

Wurmfarn, Schachtelhalm, Einbeere, junge Eberesche

Mit Farn und Schachtelhalm sind in dieser Zusammenstellung zwei lebende Fossilien enthalten, oder sagen wir mal etwas bescheidener: zwei sehr alte Pflanzen, die es schon vor vielen Millionen Jahren auf der Erde gab.

Der Schachtelhalm – Equisetum – ist ebenfalls ein Farn, auch wenn man es ihm nicht ansieht. Der Name kommt daher, dass man die Stengel an den Knoten (wo die Blattwirbel sitzen) auseinanderziehen und wieder ineinanderstecken kann. Weil die Pflanze Kieselsäure einlagert, hat man sie früher als Zinnkraut zum Scheuern des Geschirrs benutzt.

Sehr spannend finde ich die Vorstellung, dass 20 Meter hohe Farne und Schachtelhalme im Karbon (-360 bis -300 Mio. Jahre) riesige Wälder bildeten, aus denen später Kohlelager enstanden. Daher ja auch der Name Karbon. Was heute Steinkohle ist, war vor 300 Millionen Jahre ein Wald aus Schachtelhalme, Bärlappen und Farnen.

Und wenn wir uns ganz klein machen, dann können wir auch heute noch unten zwischen den Stängeln in einem solchen riesigen Farnwald umherspazieren. Ich hab mal einen fotografiert 😁.

Noch heute gibt es große Farnbäume, vornehmlich da wo es nass und warm ist.
Wir sind in Neuseeland in solchen Farnbaumwäldern gewesen. Auf 20 m bringen die es aber nicht.
Knabenkraut, Geranium, Preiselbeere und Alpenhelm

Am Ende unseres Aufstiegs angelangt, finden wir einen Briefkasten mit Gästebuch und eine Aussicht mit Schnee auf ca. 500 m Höhe vor.

Der Rückweg ins Tal geht dann deutlich schneller, was zum einen an der Schwerkraft liegt, vor allem aber daran, dass wir alles schon genauestens inspiziert und abgelichtet hatten.

Köttel

Auf dem Weg zu unserem nächsten Zwischenziel, stutzen wir abrupt und schauen uns ungläubig an: War das da eben nicht ein Rentier, das im Straßengraben stand und fraß? Keinen Meter sind wir an ihm vorbeigerauscht, wie zahllose Autos, WoMos und Sattelschlepper vor uns! Natürlich hatten wir keine Zeit, das Reni auf der Vorbeifahrt abzulichten. Das hätten die Norweger ja auch mal an eine besser einsehbare Stelle, möglichst mit Haltebucht platzieren können, statt fast uff de Gass bei 80 km/h hinter der Kurve! Trotzdem ist das E6-Rentier unser Animal of the Day und wir haben auf unserer Moor-Wanderung zumindest seine Köttel gefunden.

Das Restaurant nebst Souvenir-Shop kann man kaufen!

Der nächste Stop liegt beim wasserreichsten Wasserfall Europas, dem Laksforsen. Viel Fall ist es ja nicht mit nur 17 m, aber echt viel Wasser und er macht einen wirklich ohrenbetäubenden Lärm! Zum Vergleich: Hier fließen im Mittel 700 m3/sec, beim Drittplatzierten, dem Rheinfall, sind es knapp 400 m3/sec.

Ein paar Kilometer weiter halten wir für einen Geocache an und kriegen diesmal eine richtig große „Dose“ geboten, vollgestopft mit allerlei Tauschzeugs. Da hat bestimmt manch einer seine helle Freude dran.

Danach geht es zum nächsten Superlativ, Norwegens längster Aneinanderreihung bunt getünchter alter Holzhäuser im Städtchen Mosjøen in der Sjogata, der Seestraße.

Die Häuser sind in einem eher schäbigen Zustand, viele stehen leer oder werden nur als Galerie oder Kunstatelier genutzt und von den ca. 8 Cafés sind gefühlt 9 geschlossen. Einzig das Café Gilles hat Donnerstag um 5 Uhr auf und wir machen eine kleine Kaffee-und-Kuchen-Feier zu Benjamins 40. Geburtstag ☕🎂.
Den Gedanken, wir könnten angesichts des fortgeschrittenen Alters unseres Sohnes bald zum alten Eisen gehören, verwerfen wir sofort wieder. Wir haben halt früh angefangen uns fortzupflanzen!

In der Sjøgata wird viel Kunst und Kultur geboten und besonders stylish ist die original Shell-Tanke aus dem Jahr 1933. Ein echtes Schätzchen, nur Benzin gibt es da heute keines mehr.

Unser Nachtquartier beziehen wir in der Nähe des Litle Luktvatnet an einer Gedenkstätte für jugoslawische Kriegsgefangene im WW II. Die mussten unter größten Entbehrungen einen Abschnitt der Nordstraße, heute ein Teil der E6, durchs Gebirge bauen und die meisten haben die Tortur nicht überlebt. Scheiß Nazis! Hier ist alle paar Kilometer so eine „Krigsminne“.

Wir und ein Camper aus HH stehen hier wirklich sehr abgeschieden und ruhig
Von Nordlandsporten (I) über unseren Ausgangspunkt zur Wanderung (A) ins Børgefjell Nationalpark, weiter über Mosjøen (B) zu unserem heutigen Übernachtungsplatz an der Gedenkstätte am Litle Luktvatnet, 142 km in 8,5 Stunden

Freitag, 30. Juni

Morgens am See

Die Nacht ist erwartungsgemäß sehr ruhig und für uns geht es weiter auf der Europastraße. Volker hat sich gegen die Alternativstrecke, die sehr lange Landschaftsroute Helgelandskysten, entschieden. Selbst in 3 Monaten kann man nicht jeden Winkel erkunden und alles machen. Diese Landschaftsroute nehmen wir uns für ein nächstes Mal in Norwegen vor.

Eingedenk der Informationen des Kriegsdenkmals nehmen wir aber nicht den 8 km langen Tunnel, sondern die Route über die alte E6, die die jugoslawischen Häftlinge 1940 – 1942 hier über den Krogsfjell bauen mussten.

Es waren ehemalige Partisanen, daher hatten sie nicht den offziellen Status von Kriegsgefangenen, was ihnen – zumindest theoretisch – nach der Genfer Konvention einen gewissen Schutz geboten hätte. So aber konnten die Nazis sie in Arbeitslager sperren und mit ihnen machen, was sie wollten. Unter den entsetzlichen Bedingungen starben die meisten.
Nur wenigen gelang die Flucht nach Schweden. Blodveien – Blutstraße – nennt man in Norwegen diese und einige andere von Gefangenen gebaute Straßen. Informationstafeln berichten von den Gräueltaten, die hier in den Arbeitslagern geschehen sind.

Vom Parkplatz auf dem Krogsfjell ist mit Blick nach Norden Norwegens zweitgrößter Gletscher, der Svartisen zu sehen.

Wir entscheiden uns gegen die Besichtigung des Gletschers Svartisen. Wir hatten mit dem Brikdalsbreen ja bereits unseren Gletscher in Norwegen. Wir kommen stattdessen um 12:15 Uhr etwas unterhalb des Gletschers nach einer steilen Bergauffahrt über eine Schotterpiste an der Grønligrotta an, einer großen Kalksteinhöhle, die man besichtigen kann. Sie schmückt sich mit dem Superlativ der einzigen elektrisch beleuchteten Höhle Skandinaviens 😂😂😂. Das nennen wir mal ein überzeugendes Alleinstellungsmerkmal! Außerdem ist die Grønligrotta die meistbesuchte Höhle Skandinaviens, was vermutlich damit zu tun hat, dass man in den anderen mangels Beleuchtung nix sieht.

Trotz dieser exorbitanten USPs ist hier grad gar nüscht los, bis Ende Juni ist auch noch Winter befohlen, erst ab morgen finden von 10 bis 17 Uhr stündlich Führungen statt. Ob das in der Hauptsaison dann auch die drei Jugendlichen machen, die in der Berghütte ziemlich gelangweilt die Stellung halten?

Wir nehmen die Führung um 14 Uhr und zwei der drei geleiten uns und 6 weitere Besucher (immerhin) ein Stück den Berg hinab zu einem Loch in nämlichem – dem Höhleneingang! Kein Tor, keine Absperrung, auch keine Helme für uns. Gebückt und vorsichtig betreten wir die Grotta. Da kommt doch sofort Abenteuerstimmung auf!

Die Höhle reicht über 4 Kilometer tief in den Berg und hat ein Gefälle von über 100 Metern. Wir gehen ca. 500 Meter tief hinein.

Im oberen Teil der Höhle rauscht ein Bach, der eine tiefe Schlucht im Kalkstein ausgewaschen hat und sich durch eine enge Schlucht nach unten stürzt. Man sieht auf den Bildern kaum, wo oben und unten ist! Das Geländer der Holztreppe gibt einen Anhaltspunkt.

Prachtexemplar einer Jettegryte
Hier sieht man, dass die Höhle nach oben scharf abgegrenzt ist: Die Decke ist aus schiefrigem Gneis, der sich nicht in saurem Wasser löst. An vielen Stellen sieht man wie hier genau den Übergang.
Rosa Marmor!

Es war aber ursprünglich nicht der kleine Fluss, der die Höhle gebildet hat. Der kam erst später hinzu. Vielmehr ist saures, kohlensäurehaltiges Grundwasser durch Ritzen und Spalten im Kalkstein von unten eingedrungen und hat den Kalkstein gelöst.
Der unter Bereich der Höhle ist noch in diesem ursprünglichen Zustand, die Gänge sind nicht schluchtartig vertieft, sondern weiter und runder.

Das Grundwasser füllte früher zeitweise die ganze Höhle aus, man sieht an den Wänden, wo es „geschwappt“ ist. Der Boden ist sandig, der Sand wurde wegen der geringen Strömung in der Höhle nicht weggespült. Auch heute dringt noch Grundwasser ein, wenn der Grundwasserspiegel, z.B. während der Schneeschmelze steigt.

Mein Lieblingsbild! Ich finde, man spürt förmlich, wie hier das Wasser gewirkt hat.

EIne weitere Kuriosität erwartet uns am hintersten Punkt unserer Höhlenwanderung: Ein großer Granitblock ist hier eingeklemmt, obwohl es weit und breit keinen Granit gibt. Da er so rund ist, muss er entweder von einem Gletscher oder einem Fluss antransportiert worden sein und ist dann in die Höhle geraten. Und natürlich müssen alle dieses bescheuerte Foto machen 😂.

Besserwisserkasten
Wir wundern uns ein wenig darüber, dass es hier überhaupt Kalkstein gibt. Mehr noch: Das ganze Fylke Nordland ist für den Marmor aus der Stadt Fauske bekannt, ein metamorpher Kalkstein mit besonders schöner Farbe, mit dem sogar der Kaiserpalast in Tokio und das UNO-Gebäude in New-York verkleidet sind (hoffentlich hält das besser als die norwegischen Platten am Meenzer Rathaus)! Aber wo kommt er denn nun her, der Kalkstein bzw. der Marmor? Nun, es muss irgendwann mal ein Meer gegeben haben, in dem die Muscheln und Schnecken lebten – bzw. starben – , aus deren Schalen der Kalkstein primär als Sediment entstanden ist. Aber – wir hatten das schon ein paarmal erwähnt – vor ca. -450 Mio. Jahren, kollidierten hier oben zwei Kontinentalplatten und richteten ziemliches Chaos an: Die kaledonische Gebirgsbildung stauchte und drückte alles zusammen, legte das Gestein in Falten und kehrte zum Teil das unterste zuoberst. Unter hohem Druck stieg auch die Temperatur und wie die rohe Kartoffel im Schnellkochtopf zu Pampe zerkocht, verändern sich auch Gesteine, wenn man lange genug heizt und drückt: Aus dem Kalkstein wurde Marmor, aus Granit der Glimmerschiefer. So oder zumindest so ähnlich war das. Ich schreib das hier so genau auf, weil ich es dann in Fauske nicht machen muss 😜.

Nach der Nummer mit dem Granitblock geht es marsch zurück den Weg den wir gekommen sind (immer den Glühbirnen folgen, meinen die „Kinder“). Die haben das ja ganz nett gemacht, haben aber null Ahnung von Geologie, die sind einfach nur Wegweiser. Der Junge zeigte uns z.B. ganz stolz 4 oder 5 winzige Stalakmiten, nur wenige Zentimeter lang, die von der Decke hingen. Dass es die in Tropfsteinhöhlen in metergroß gibt, lernt man in Norwegen scheinbar nicht in der Schule! Aber ich will nicht meckern, die Besichtigung der Höhle war eine tolle Sache.

Und nun höre ich unvermittelt mitten am Tag auf. Denn für den nächsten Halt braucht es eine eigene Überschrift!

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