Sack zu! 71°10’21“

Samstag, 22. Juli 2023: Nordkapp*
*Nur echt mit Doppel-P – so schreibt man das auf Norwegisch.

Willkommen am Nordkapp!

Einen Tag nach dem 54. Jahrestag der ersten Mondlandung erreichen wir gegen Mittag das Ziel unserer Reise, das Nordkapp. Das Gleiche gelang an diesem Vormittag mindestens einem Dutzend Radfahrern, zahlreichen PKW, geschätzt >35 Wohnmobilen und mehreren Reisebussen. Ist also nicht so, dass es hier einsam wäre. Das bekommt man aber nicht so mit, weil man wegen Nebel nicht weit gucken kann 😂🌁🌫.

Und eigentlich ist der Weg das Ziel ist und das letzte Stückchen Weg fing nach dem Aufstehen 36 km vom Kapp entfernt sehr freundlich an:

Das ändert sich aber sehr schnell in diesen Anblick: Wie Sie sehen, sehen Sie nichts! Oder wenig.

Nicht, dass es viel zu sehen gäbe (den Bagger lassen wir mal außen vor, der hat sich reingemogelt)! Michael Ende könnte sich hier die Idee für das Nichts der unendlichen Geschichte gehabt haben.

Soviel Nichts ist dann auch wieder beeindruckend, vor allem, wenn es sich in so elegante Formen legt:

Es tun sich sogar im wahrsten Sinne ein paar Lichtblicke auf – für Momente wird die Erbsensuppe zur Consommé und gibt den Blick frei auf ABF (Another Bloody Fjord) und schließlich sogar auf das Nordkapp.

Blick auf den Turfjordhøyda
Das Nordkapp hat einen Pickel, das Nordkapphorn, eine markante Felsformation .
Von Kamøyvær (E) zum Nordkapp (F), 35 km in einer Stunde

Das Universum meint es schon wieder gut mit uns und hat einen Stehplatz in der ersten Reihe für den HoGo freigehalten 😎.

Ein paar Schritte weiter hat man einen schönen Blick auf die Erdkugel auf dem Nordkapp-Plateau, wenn sich der Nebel mal kurz verzieht.

Wir ziehen uns warm an (böiger 6er Wind, in Böen 8 und 8°C, gefühlt wie 4°C) und geben uns den Anleger an der Kugel. Besser als andersrum 🤡.

Eigentlich stößt man hier am Nordkapp mit Champagner an, aber das hat uns leider niemand vorher erzählt. So bleibt es bei unserem „Anleger“ Campari Orange.

Und dann husch wieder in den halbwegs warmen HoGo, der den Böen trotzt, bis sich netterweise ein Dickschiff rechts neben uns stellt und etwas Windschatten spendet.

Tja, und dann warten wir auf die Mitternachtssonne 🙏. Oder erst mal auf die Nachmittagssonne, dann auf die Abendsonne. Es bläst und nebelt, ungeacht des Wetterberichts, der erst für 14 Uhr, dann ab 15 Uhr und dann immer später blanken Sonnenschein am Kapp ankündigt. Die Prognose lautet mittlerweile 20 Uhr und immerhin blitzt die Sonne ab 19:00 Uhr ab und an von links außen mal kurz durch. Dann wirft das Universum die Nebelmaschine wieder an.

Das wahre Nordkap? Viele nehmen anscheinend langen Weg dorthin

Derweil kann ich ja mal über das Nordkapp sinnieren. Es trägt – wie schon das Vestkapp – seinen Namen zu Unrecht und das gleich in zweierlei Hinsicht. Der nördlichste Punkt der Insel Mageroya liegt nämlich nebenan beim Knivskjellodden. Da kommt man aber nicht mit dem Reisebus hin, sondern nur zu Fuß in einer 18 km-Wanderung. Lässt sich also schlecht vermarkten.

Zum zweiten ist fraglich, ob ein Kap auf einer Insel überhaupt zählt. Als das Nordkapp von einem versprengten britischen Kapitän im 16. Jahrhundert seinen Namen bekam, glaubte dieser, es sei norwegisches Festland! Wenn ein Kap auf einer Insel zählt, wäre ein Ort auf Spitzbergen der nördlichste Punkt.

Der nördlichste Ort des europäischen Festlands, liegt auf der Landzunge Kinnarodden (71° 08′ 01″ nördlicher Breite). Um da hin zu kommen, muss man mindestens vier Tage wandern, zwei hin, zwei zurück.

Nichtsdesto trotz verbreitet zum Beispiel Nordic Holidays die Falschmeldung Das Nordkap – nördlichster Punkt des europäischen Festlandes. Das ist gleich doppelt falsch, denn das Nordkapp ist wie beschrieben weder „nördlichst“ und schon gar nicht liegt es auf dem Festland. Mageroya ist eine Insel, da ändert auch der Tunnel nix dran. Sonst wäre Großbritannien auch europäisches Festland.

Es ärgert mich, wenn man mit Halbwahrheiten oder gar Fakes belabert wird. Das ist uns hier sehr häufig aufgefallen. Immer muss es ein Superlativ oder Rekord sein. Reicht es denn nicht, wenn etwas einfach nur schön ist, liebenswert oder selten statt atemberaubend, grandios und einmalig. Manches, was man uns so angekündigt hatte, hat uns wohl gerade deshalb enttäuscht, war nett anzuschauen, aber nicht unvergesslich.

Genug schwadroniert 😂. Ich übergebe jetzt an Volker:

So gegen 19:30 Uhr geht der Nebelvorhang auf. Nix wie raus. Die WoMo-Reihe schaut auf dem Foto friedlich aus, aber der Wind bläst in Böen immer noch mit 8 Bft. Das fühlt sich sehr mächtig an.

Die Nordsonne bescheint die Wohnmobile in der ersten Reihe (wir das 2. von rechts)
Etwas mystisch schaut der Felsen des Nordkapps schon aus
Küstenradarstation und links davon die Nordkapphalle mit Ausstellung, die wir als nicht besuchenswert erachten. Und ein Souvenirshop, in dem wir uns das obligatorische T-Shirt mit 71°10’21“-Aufdruck kaufen.

Wir sind zuversichtlich, dass wir heute doch noch das legendäre Mitternachtsfoto schießen können. Einen Platz dafür haben wir ausgemacht:

Position für das Foto der Mitternachtssonne ist gefunden

Aber oh weh, es zieht wieder zu …

Das war es denn mit der Mitternachtssonne

Als wenn wir es geahnt hätten. Vorsorglich hatten wir uns auf der kurzen Fahrt mit der Hurtigrute von Sortland nach Stokmarknes die Postkarte von der Mitternachtssonne am Nordkap gekauft. Am Strand von Hov hatte ich ja bereits geübt, wie man so ein Bild mit mit dem Verlauf der Mitternachtssonne hinbekommt. Mit meiner Olympus per Mehrfachaufnahme oder mit einer Bildbearbeitungsoftware wie Adobe Photoshop. Das Bild unten wurde sicherlich noch ganz old-fashioned per Ausdrucken, Schere, Kleben und Abfotografieren erstellt. Und dies noch zu Zeiten vor der Einfühung der Sommerzeit. Denn nicht um 0:00 Uhr sondern um 1:00 MESZ steht die Sonne im Nadir. Von der Zeit her hätten wir es übrigens geschafft. Erst am 29. Juli ist hier am Nordkapp Schluss mit der Mitternachtssonne.

So hätte der Verlauf der Mitternachtssonne am Nordkap heute aussehen können.

Damit haben wir heute das Ziel unserer Reise zum Nordkapp erreicht. Insgesamt haben wir in 8 1/2 Wochen von Zuhause 5.876 und in Norwegen 4.720 Straßenkilometer zurückgelegt. Ab morgen heißt es dann Heimreise, wofür in etwa einen Monat Zeit vorgesehen haben. Wir freuen uns sehr auf das sommerliche Klima daheim.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.